Private Gefängnisse? Unsere Freiheit ist keine Ware
Zwar: Die Verfassung verbietet die Privatisierung staatshoheitlicher Maßnahmen, zu denen der Strafvollzug ohne Zweifel gehört. Der nationale Rat zur Kriminalitätsprävention rät dringendst davon ab - nur die Landesregierung des Bundestaates Minas Gerais kümmert sich um so etwas nicht. Schliesslich möchte der Gouverneur spätestens 2014 Präsident werden - für jedwede denkbare ausgesprochen neoliberale Koalition. Deswegen werden jetzt 3.000 weitere Knastplätze in Öffentlich-Privater-Partnerschaft gebaut - damit sind es im Bundesstaat 20.000 Plätze, obwohl die Landesverfassung Großknäste untersagt. Etwa 90% der in den randvollen Strafvollzugsanstalten Eingesperrten sind wegen "Wiederholter Eigentumsdelikte" dort. In den künftigen privatisierten Knästen bekommen sie auch gleich Anwälte mit gestellt: 0,67 Besuche im Quartal...Die Volksbrigaden riefen mit dem hier dokumentierten Aufruf für Mitte August zum öffentlichen Protest auf: "Nossa Liberdade nao é mercadoria" (Unsere Freiheit ist keine Ware) hiess die Kundgebung, zu der auch für die Organisatoren überraschend mehr als 5.000 Menschen kamen - meist Angehörige von Gefangenen, die von sich aus darauf drängten, ein Komitee zu bilden, dem sich eine ganze Reihe sozialer Organisationen anschlossen.
Rios letzte Straßenbahn soll Touristenbahn werden
Überall in Brasilien wurden in den 60er Jahren die Straßenbahnen (und Eisenbahnen) abgeschafft: Eine ausgesprochen unternehmerfreundliche Regierung von nicht besonders gutem Ruf sorgte ab 1964 für gutgehende Busgeschäfte bei Daimler Benz und Co. Heute wird ganz Brasilien von privaten Busunternehmen "bedient". Ganz Brasilien? Nein, da gibt es einen Stadtteil in Rio, der die Rolle des Gallierdorfes übernahm und seine Straßenbahn verteidigte - zwar langsam fahrend, so daß die Kinder den alten Sport des auf- und abspringens während er Fahrt praktizieren können - aber auf direkter Linie fahren, schneller als jedes andere Transportmittel in Santa Teresa. Diese Fahrt und der Stadtteil machten die Bahn auch zur Touristenattraktion: Und nicht besonders kluge Leute wittern darin ein Geschäft, weshalb jetzt privatisiert werden soll. Und damit unter anderem: Verschlechtert und verteuert. Dagegen wehren sich jetzt einmal mehr die AnwohnerInnen, berichtet in "Verkehrschaos in Rio" Norbert Suchanek in der "Jungen Welt" vom 24. November 2008.
"Minas, dein anderer Name war Freiheit": Gewerkschaften für einen demokratisierten öffentlichen Dienst
...und es ist an der Zeit, eine demokratische Verwaltung zu erkämpfen, im Dienste der Bevölkerung, die der Freiheit wieder Raum schafft" - das ist der Abschluß einer gemeinsamen Erklärung von Gewerkschaften der Krankenhäuser, Wasserversorgung, des Erziehungswesen und anderer öffentlicher Dienste des Bundestaates Minas Gerais. Die (von den Gewerkschaften am 20. November 2008 ins Englische übersetzte) Erklärung "MINAS, your other name already was freedom!" kritisiert den Generalangriff des Gouverneurs Aecio Neves (PSDB - die Partei des früheren Präsidenten Cardoso in der Neves als einer der heißen Anwärter auf die nächste Präsidentschaftskandidatur gehandelt wird) auf den öffentlichen Dienst des Bundesstaates und beschränkt sich eben nicht darauf, das Bestehende zu verteidigen, sondern erklärt es zum Ziel gewerkschaftlicher Mobilisierung, eine Bewegung für die Demokratisierung von Behörden, Einrichtungen und öffentlichen Unternehmen zu entwickeln.
Die Bewegung der städtischen Obdachlosen - im Zeitalter "moderner Stadtplanung"
Seit über 10 Jahren gibt es inzwischen die MTST, die Bewegung der obdachlosen Arbeiter, die vor allem in den beiden Megastädten Sao Paulo und Rio de Janeiro aktiv ist. Dazu der aktuelle Beitrag "Urbanität, Exklusion und Widerstand in Brasilien- der Versuch einer Einführung in die brasilianische Obdachlosenbewegung "Movimento dos Trabalhadores Sem Teto" (MTST)" von Maike Pricelius vom März 2008 in Langfassung (eine kürzere Fassung war im ak erschienen).
"Warum sollten die allerersten menschlichen Bedürfnisse - die Nahrung und die Wohnung - eine Ware bleiben?"
Carina Aparecida Andrade de Freitas hat inzwischen viele Erfahrungen im Anbau von Gemüse - im eigenen Garten. Die Studentin der Kommunikationswissenschaft an der Katholischen Universität von Belo Horizonte lebt in einem von den Volksbrigaden besetzten größeren Haus am Stadtrand des 4 Millionen Konglomerats. Und, wie viele der in der städtischen Obdachlosenbewegung aktiven Menschen in Brasilien, haben auch sie und ihre Gruppierung enge Beziehungen zur Bewegung der Landlosen. Und die politische Debatte, die diese über die MST national wie weltweit vorantreiben, läuft unter dem Stichwort "Nahrungssouveränität", für das inzwischen die internationale Vereinigung Via Campesina als organisierte Vertretung steht. In dem Telefoninterview "Nahrung darf keine Ware sein" wollten wir von einer Basisaktivistin aus einer Stadt wissen, wie die Menschen dort die Probleme sehen - und zu lösen versuchen.
Syngenta-Miliz schiesst: Ein Todesopfer
In Santa Teresa do Oeste im südlichen Bundesstaat Paraná eröffneten am 21. Oktober etwa 40 bewaffnete Männer das Feuer auf die rund 150 Aktivisten von Via Campesina, die das gentechnische Experimentierfeld von Syngenta kurz zuvor wieder besetzt hatten. Erebnis: Ein Toter, der 32-jährige Valmir Motta und 5 Schwerverletzte, von denen die Aktivistin Isabel de Souza in akuter Lebensgefahr schwebt. Dabei ist zu beachten, dass sowohl das Genfeld als auch die Aktivitäten der privaten Sicherheitsfirma NF jenseits der Legalität sind und jeweils Gegenstand gerichtlicher Untersuchungen. Es gab bereits bis Juli 2007 eine 16 Monate lange Besetzung des Genfeldes, die nach juristischen Entscheidungen gegen das weitere Betreiben des Feldversuchs beendet worden war. Die (portugiesische) Presseerklärung "Attack of Syngenta's armed militia results in deaths and woundeds" von Via Campesina vom 21. Oktober 2007.
Die Kampagne zur Rücknahme der Privatisierung der Vale do Rio Doce: Keine guten alten Zeiten
Die Vale do Rio Doce - das war sozusagen das Kronjuwel der brasilianischen Staatsbetriebe, hat das Bergbauunternehmen doch die Verfügung über nachgeradezu immense Bodenschätze. Jetzt haben zahlreiche Organisationen der Linken und der sozialen Bewegungen eine Kampagne zur Rücknahme der Privatisierung begonnen - als eine, nach Gesetzeslage durchaus machbare, Forderung an die Regierung Lula. Was die Regierung Cardoso bezüglich der damaligen Privatisierung unternahm, war dermaßen am Rande der Legalität, dass eine Rücknahme dieses Prozeßes ohne Probleme legal machbar wäre, über einhundert Prozeße sind noch anhängig. In der ersten Septemberwoche findet dazu ein Plebiszit statt. Die "Volksbrigaden" im (Bergbau-, wie der Name sagt) Bundesstaat Minas Gerais sind eine der diese Kampagne tragenden Gruppierungen. Wie diese Kampagne bisher aussieht und warum die Brigadas Populares sich als eine eigentlich urbane Bewegung daran beteiligen - und weswegen sie weder für "Verstaatlichung" noch für das übliche Monopoly-Spiel ("gehe zurück auf Start") eintreten, erläutert im Interview "Keine guten alten Zeiten" Pedro Otoni am 5. September 2007, direkt an der neu (selbst) gelegten Telefonleitung in einem besetzten Hochhaus in Belo Horizontes (Landeshauptstadt von MG) sehr gutbürgerlichen Stadtteil Serra.
Obdach als Grundrecht: Landlose und Favela-Bewohner in Brasilien streiten für ein Zuhause
In Itapecerica da Serra, einer Vorstadtgemeinde von São Paulo, fällt der Blick vom Morro do Osso, dem "Knochenhügel", auf lange Reihen von Hütten aus schwarzer, über Holz- oder Bambuspfosten gespannter Plastikfolie. Vereinzelte Rauchsäulen zeigen an, wo gerade der Morgenkaffee gekocht wird. Etwa 3 000 Familien sind vor kurzem aus den Favelas der Metropole hierher gezogen. Sie haben ein Privatgrundstück besetzt und die Fahne der brasilianischen Bewegung obdachloser Arbeiter (MTST) gehisst. Überall wird gehämmert, gesägt, gegraben. In der Zeltstadt, die so über Nacht entstanden ist, gibt es immer irgendwo einen Brunnen zu graben, eine Latrine zu bauen, ein Dach abzudichten, eine Wand einzuziehen. Die brasilianische Obdachlosenbewegung MTST ist ein Ableger der großen Bewegung der Landlosen (MST). Sie wurde 1997 gegründet. Der Aktivist Gilmar Mauro erklärt, damit habe man auf die Tatsache reagiert, "dass 85 Prozent der brasilianischen Bevölkerung heute in den Städten leben und ihre Kämpfe mit dem Kampf um Land verbinden". "Obdach als Grundrecht" ein Artikel von Philippe Revelli in Le Monde diplomatique vom 12. Oktober 2007.
Solidarität mit Hausbesetzern
Landbesetzungen sind in Brasilien seit langem an der Tagesordnung und gehen trotz Kriminalisierung und politischen Manövern weiter. Hausbesetzungen haben in den letzten Jahren in den riesigen Städten des Landes massiv zugenommen - darunter auch solche, mit denen mehr beabsichtigt wird, als "nur" Wohnraum zu erreichen. Zum Beispiel bewohnte soziale Zentren zu organisieren - wie jetzt bei dieser Aktion in Belo Horizonte. Das (portugiesische, mit kurzer deutscher Zusammenfassung) Infoflugblatt und Solidaritätsaufruf der "Brigadas Populares" vom 24. November 2006.
Jetzt auch "Quilombolas" gegen Zellulosefabriken
Seit der Aktion landloser Frauen gegen Aracruz Zellulose im Süden des Landes gewinnt die "Bewegung gegen die grüne Wüste" im ganzen Land immer mehr an Kraft. Trotz einer landesweiten Hetzkampagne in den Medien und einer Kampfansage der Regierung an die Bewegung haben nicht nur mehrere Aktionsgruppen Landloser und AnwohnerInnen in verschiedenen Orten Aktionen gegen die grössten Zellulosewerke organisiert - indigene Gruppen folgten und jetzt auch Quilombolas (Quilombos hiessen die selbstorganisierten Orte entflohener Sklaven, von denen einige, teilweise auch innerhalb von Städten, weiter bestehen und die bestimmte Rechte haben - und mehr einfordern). Im Bundesstaat Espirito Santo haben Ende Juli 300 Menschen Eukalyptusbäume ausgerissen, die auf einem ehemaligen Quilombo-Friedhof gepflanzt worden waren und beschlossen anschliessend, das Gelände besetzt zu halten. In der Region von São Mateus (einst der fünftgrösste Sklavenhandels-Hafen des Landes) gab es bis in die 70 Jahre - als Aracruz anfing, in der Region zu investieren - noch rund 100 Quilombos, heute sind zwei Drittel von ihnen verschwunden, es gibt noch knapp über 30, in denen etwa 1200 Familien leben. Der Zusammenschluss der regionalen Quilombos will diese Vertreibungspolitik nicht nur beenden, sondern auch das Land wiederhaben. So wird es in der (portugiesischen, hiermit kurz zusammengefassten) Pressemitteilung "Quilombolas retomam área ancestral invadida pela Aracruz Celulose" der REDE ALERTA CONTRA O DESERTO vom 31. Juli 2006 berichtet.
Eukalyptus-Plantage zerstört: Bäuerinnen gegen Aracruz und (linken?) Agrarminister
Die Agrarreform ist (nicht nur in Brasilien, aber hier besonders) ein Mythos: Alle (Regierungen) reden davon, aber stattfinden tut sie nie. Es sei denn, es gibt genügend Druck. Ein zentraler Streitpunkt jeder Agrarpolitik sind die Monokulturen, nicht zuletzt jene der Papierproduzenten, bzw Zellulosefirmen. Aracruz ist davon in Brasilien die grösste. Am 8. März organisierten 2.000 Bäuerinnen - TeilnehmerInnen der Veranstaltungen rund um die 2. Weltkonferenz zur Agrarreform der FAO in Porto Alegre - eine nächtliche Aktion, und zerstörten in der Nähe der Stadt eine neue Eukalyptus-Pflanzung der Aracruz. Das Unternehmen beklagte sich beträchtlich (über alle Sender) und der irgendwie als "links" geltende Agrarminister Rossetto gab sich stramm investorenfreundlich: So eine Aktion, befand der Herr Minister, habe nichts mit der Agrarreform zu tun, sondern sei ein Fall für die Justiz. Ein aktueller Bericht "Gegen die grüne Wüste" vom 9. März 2006.
Obdachlosenbewegung organisiert Grossbesetzung im Bundesstaat São Paulo
Die Obdachlosenbeweung MTST - eine Art städtisches "Pendant" zur Landlosenbewegung MST (und von vielen in Brasilien als "Ausgeburt der MST" charakterisiert) hat in der paulistanischen Stadt Taboão da Serra ein Grundstück von etwa 100.000 qm besetzt, das vorher funktionslos war. Dort leben jetzt etwa 3.500 Menschen - und wollen da bleiben. Die Drohungen gegen diese Selbstorganisation zur Lösung des brennenden Wohnungsproblems sind heftig, weshalb die Besetzer um Solidarität bitten. Der "DRINGENDE AUFRUF DER BRASILIANISCHEN OBDACHLOSENBEWEGUNG MTST" in einer deutschen Übersetzung (von NT) vom 21. Oktober 2005.
Plebiszit über den Beitritt zur amerikanischen Freihandelszone (FTAA)
Eine konservative Stadt - und der Aufruhr
Ein Telefoninterview vom 8.Juli 2004 mit Cristiano da Silva über die Ereignisse der beiden letzten Wochen in Florianopolis, Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Santa Catarina: Dort hatten seit der vergangenen Woche Schüler und Studenten gegen die Erhöhung der Nahverkehrspreise protestiert. Als es am Mittwoch vergangener Woche zu einem massiven Polizeieinsatz gegen die Jugendlichen kam, der das Stadtbild prägte, kam es Nachmittags in der "rush-hour" zur massenhaften Konfrontation mit Pendlern, die mit der Preiserhöhung im Durchschnitt 15,6% mehr bezahlen müssen (Der Mindestlohn wurde gerade um 8% angehoben). Zerstörte Busse, stark beschädigte Busbahnhöfe und Zerstörungen im Verwaltungsgebäude der wichtigsten privaten Busgesellschaft waren Ergebnisse dieses Tages - und seitdem geht der Protest täglich weiter...
Wenn die Lichter ausgehen. Privatisierung und die Kultur des Stromausfalls in Brasilien
Artikel von von Ingo Melchers in ila 248
Porto Alegre (Brasilien): Beteiligung statt Repräsentation oder auf dem Weg zu mehr Lebenqualität
Artikel von Hermann Dierkes in der Soz Nr. 18 vom 30.08.2001
Ohne Eigentümer geht es besser. Eine von der Gewerkschaft verwaltete Zuckerfabrik im Nordosten Brasiliens
Artikel von Gert Eisenbürger in der ila 255 |