Gibt es Hoffnung? Fernando E. Gapasin und Michael D. Yates fragen die Arbeiterbewegung
"Die Spaltung des AFL-CIO im vergangenen Jahr, die selbst eine Reaktion auf die kontroverse Reformdebatte während der vergangenen Jahre und die nachlassenden Erfolge des AFL-CIO-Programms zur Stärkung von Organisierungskampagnen darstellt, wurde in der US-amerikanischen Presse vielfach kommentiert. Im Vordergrund standen dabei eher technische Fragen wie die Auswirkungen auf Finanzen und Mitgliedsbeiträge, Streitigkeiten um Zuständigkeitsbereiche u.ä. Im Folgenden dokumentieren wir im Anschluss an die im express bereits veröffentlichten Debattenbeiträge zur Spaltung des AFL-CIO einen Beitrag aus der Monthly Review vom Juni 2005, der grundsätzlichen Fragen nach der Bedeutung von Gewerkschaften vor dem Hintergrund einer, so konstatieren die Autoren, tiefen Krise der Gewerkschaften nachgeht und damit nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat." Artikel von Fernando E. Gapasin und Michael D. Yates, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/06.
»Change to Win«... ... sollte vor der eigenen Haustür beginnen - meint David Pratt
"Der größte Teil des Programms der Change to Win-Koalition (CTW) - jener Gruppe von Gewerkschaften, die den Dachverband AFL-CIO verlassen haben, um eine eigenständige Reformpolitik zu verfolgen (vgl. express, Nr. 8 und 9/2005) - dreht sich um die Organisierung in strategisch wichtigen Kernbranchen. Während manche CTW-Gewerkschaften sich diesem Programm verpflichtet fühlen, müssen Fragen erlaubt sein an die - so scheint es - »Außenseiter« der CTW, die Teamsters (IBT; International Brotherhood of Teamsters, Gewerkschaft der LKW-Fahrer).." Artikel von David Pratt, gewerkschaftlicher Bildungsarbeiter und Gesundheits- und Sicherheitsexperte in New York City, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/06.
Change to Win - ein neuer CIO?
"Viele Beobachter fühlten sich angesichts der Abspaltung der Change to Win-Koalition von der AFL-CIO an die Abspaltung des Committee for Industrial Organization (CIO) von der American Federation of Labor (AFL) im Jahre 1935 erinnert. Kurz nachdem die SEIU und die Teamsters die AFL-CIO verlassen hatten, schrieb die Washington Post, die Köpfe von Change to Win würden sich »auf den alten CIO besinnen, der sich damals der alten AFL entledigte entschlossen, Amerikas Industriearbeiter gewerkschaftlich zu organisieren.« Andere stellten ähnliche Vergleiche an - z.T. auch die Change to Win-Leute selbst. Folgt man dieser Version der Geschichte, dann hat damals der CIO ein ganz ähnliches Programm verfolgt wie heute Change to Win - nämlich neue Strukturen und mehr Geld fürs Organizing, um mehr Dichte und industrielle Stärke zu erreichen - und damit die US-Arbeiterbewegung gerettet. In Wirklichkeit ist die Geschichte der Arbeitskämpfe in den dreißiger Jahren allerdings bei weitem komplexer, als diese Version glauben machen will. Vielmehr werden bei genauerem Hinsehen die Schwächen einer Argumentation deutlich, die behauptet, Wiederbelebung könne durch strukturelle Anpassungen oder forsches neues Führungspersonal erzielt werden." Artikel von Bob Master und Hetty Rosenstein, erschienen in express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit - Ausgabe 8 / 2005
Auch UNITE
HERE tritt aus dem AFL aus
Auf der Sitzung des Exekutivrates von UNITE HERE am
13. September in St. Paul hat das Gremium mit grosser Mehrheit ebenfalls
den Austritt aus dem AFL-CIO beschlossen. Die offizielle Pressemitteilung
"Activist,
progressive union takes next step in its groundbreaking history"
vom 14. September 2005 macht schon in der Überschrift deutlich,
dass dies als konsequenter Schritt in der bisherigen Entwicklung
der eigenen Gewerkschaft (ein Zusammenschluss aus 2004 mit rund
450.000 Mitgliedern, Tendenz steigend) betrachtet wird und der Text
unterstreicht den Willen, weiterhin gute Beziehungen zu Einzelgewerkschaften
und regionalen Gruppierungen zu haben.
"Express" zur AFL-Spaltung
Eigentlich hätten sie feiern wollen, die 56 Mitgliedsgewerkschaften
der vor 50 Jahren (wieder) fusionierten Verbände der damals
vor allem berufsständisch orientierten AFL (American Federation
of Labor) und des auf die Massenorganisierung von IndustriearbeiterInnen
abonnierten CIO (Congress of Industrial Organizations). Stattdessen
diskutierten sie auf ihrem 25. Gewerkschaftstag vom 25. - 29. Juli
2005 vor allem über eines: den seit der Trennung von AFL und
CIO in den 30er Jahren größten »Split« in
der verfassten Gewerkschaftsbewegung der USA, die heute noch etwa
13 Mio. organisierte Gewerkschaftsmitglieder zählt und damit
nur noch rund zehn Prozent aller Beschäftigten vertritt. Anlass
der mit großer Schärfe geführten Auseinandersetzung:
Die SEIU, die Teamsters, die UFCW und UNITE HERE (s. Glossar) hatten
den Gewerkschaftstag boykottiert, ihren Austritt erklärt und
ebenso wie die Noch-Mitgliedsgewerkschaften der Laborers und der
United Farm Workers die Reduzierung bzw. Einstellung ihrer Beiträge
an die AFL-CIO angekündigt. Gemeinsam mit den bereits vor Jahren
ausgetretenen Carpenters bilden diese Gewerkschaften die so genannte
»Change to Win«-Koalition, die im Herbst einen eigenen
Dachverband gründen will und dann mehr als ein Drittel aller
Gewerkschaftsmitglieder vertreten wird. Vordergründig geht
es dabei um eine seit mindestens einem Jahr schwelende Auseinandersetzung
zwischen »Reformern«, die mehr personelle und finanzielle
Mittel für das Organizing, mehr Demokratie, mehr Kontakt zu
sozialen Bewegungen und »echte« internationale Arbeit
fordern, und einer »reformunfähigen und -willigen«
AFL-CIO, der verkrustete und undemokratische Strukturen vorgeworfen
werden und der es nicht gelungen sei, den dramatischen Mitgliederrückgang
der 80er/90er Jahre umzukehren. Doch verfolgt man die Debatten in
der amerikanischen Gewerkschaftspresse kontinuierlich und genauer,
so wird deutlich, dass weder diese pauschalen Gegenüberstellungen
zutreffen, noch die »Reform-Gewerkschaften« selbst frei
von den Problemen wären, die sie zum Austritt bewogen haben.
Wir dokumentieren in dieser Ausgabe des express wichtige Beiträge
aus der dem Split vorangegangenen Debatte in der Zeitschrift Labor
Notes.
- Ersatz für's Organizing?
Welche Fusionen sind sinnvoll? Artikel von Kim Moody, Autor zahlreicher Gewerkschaftspublikationen und langjähriger Mitarbeiter der Zeitschrift Labor Notes. Der Beitrag ist der April-Ausgabe der Labor Notes entnommen. Übersetzung: Nadja Rakowitz, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05
- Falsche Gegenüberstellungen - »Mein Gewerkschaftsvorsitzender
ging nach Vegas - und alles, was mir das gebracht hat, war eine
seltsame Debatte«
Artikel von Matt Noyes, Internet-Koordinator der Association for Union Democracy. Der Beitrag erschien in der Zeitschrift »labornotes«, April 2005. Übersetzung: Kirsten Huckenbeck, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05
»Ich finde die Debatte sehr technisch«
»Pragmatischer Internationalismus« ist nicht alles. Die US-Gewerkschaften müssen auch Antworten geben auf die aggressive Außenpolitik ihres Landes. Interview von David Bacon mit Bill Fletcher in junge Welt vom 30.07.05. Bill Fletcher ist Präsident von TransAfrica, einem unabhängigen Politik-Institut, das sich in Washington mit afrikanischen Fragen beschäftigt. Nach dem Amtsantritt John Sweeneys als AFL-CIO-Präsident 1995 war er Bildungsverantwortlicher des Dachverbandes und später Assistent Sweeneys, bevor er seinen Posten wegen seiner radikalen Ansichten aufgeben mußte.
Spaltung in Chicago
"Streit über Organisierung der US-amerikanischen Arbeiterbewegung. Fünf große Gewerkschaften kehren Dachverband AFL-CIO den Rücken. Den Delegierten war nicht recht nach Feiern zumute, aber dieser Gewerkschaftskongreß, der am Donnerstag (Ortszeit) in Chicago zu Ende ging, hat das Prädikat historisch verdient: Der US-Gewerkschaftsbund hat sich gespalten. 50 Jahre nach der Vereinigung der American Federation of Labor mit dem Congress of Industrial Organizations zur AFL-CIO haben fünf Gewerkschaften den Dachverband verlassen und über 40 Prozent der Mitgliedschaft mitgenommen. Nachdem bereits die Tischler und Zimmerleute (United Brotherhood of Carpenters and Jointers) mit dem Bund gebrochen hatten, zogen vier weitere Gewerkschaften nach: Die Teamsters, die wie seit ehedem die LKW-Fahrer, aber inzwischen auch einen ganzen Gemischtwarenladen aus anderen Berufen organisieren, die schnell wachsende Gewerkschaft der Hotelangestellten und Textilarbeiter UNITE HERE, die erst kürzlich fusionierte, die Gewerkschaft der Nahrungsmittelindustrie sowie die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes und des Dienstleistungssektors SEIU mit 1,8 Millionen Mitgliedern das Schwergewicht der neuen Allianz. Im Oktober, heißt es, wollen die fünf einen neuen Dachverband gründen. Zusammen haben sie derzeit etwa 4,5 Millionen Mitglieder."Artikel von Wolfgang Pomrehn in junge Welt vom 30.07.05
Ausgetreten! - "Change to Win"-Gewerkschaften ziehen Schlusstrich
Die gemeinsame Pressekonferenz von SEIU und Teamsters war das gewerkschaftspolitische Ereignis des Jahrzehnts - zumindest was das Echo auch in jenen US-Medien betrifft, die sich normalerweise keinen Deut um Gewerkschaften kümmern. 9 Fernsehstationen, alle grossen Zeitungen des Landes - alle waren da, um die Statements von Andrew Stern und Jimmy Hoffa zu hören. Währenddessen versucht ein "Leitantrag" den vorliegenden Anträgen zum Irak - die den sofortigen Abzug der Besatzungstruppen fordern - die "Zähne zu ziehen". Eine kurze aktuelle Materialsammlung vom 26.Juli 2005.
US-Gewerkschafter rebellieren - Reform-Koalition droht dem Dachverband mit Austritt
"In den USA werden Gewerkschaften oft als Dinosaurier bezeichnet, als Relikte des Industriezeitalters, schlecht angepasst an die Strukturen der Informationsgesellschaft. Mit seinen 50 Jahren ist der US-Dachverband AFL-CIO (American Federation of Labor-Congress of Industrial Organizations) zwar ein junger Dinosaurier, doch als besonders beweglich hat er sich in den vergangenen Jahren nicht erwiesen. Pünktlich zur Jubiläumstagung am heutigen Montag in Chicago steht der Verband vor der Spaltung: Angeführt von der Dienstleistungsgewerkschaft Seiu droht eine Koalition rebellischer Gewerkschaften mit dem Austritt." Artikel von H.Geiselberger in der Frankfurter Rundschau vom 25.07.2005. Siehe dazu auch:
"Labour Unions civil war"
Der Kongress des AfL-CIO Ende Juli nähert sich - und die Auseinandersetzung um die Zukunft der amerikanischen Gewerkschaften wird immer heftiger. Nachdem der 67-köpfige Vorstand der grössten US-Gewerkschaft SEIU seinem Vorsitzenden Andrew Stern einen Blankoscheck für den Austritt aus dem AfL-CIO und die Neugründung einer anderen Zentrale gegeben hat (ohne irgendeine Form von Mitgliederbefragung) und die SEIU geführte Gewerkschaftskoalition "Change to win" unterstreicht, dass sie beim AfL Kongress zwar 35 Prozent der Mitglieder vertreten würden (5 von 13 Millionen Mitgliedern des grössten Gewerkschaftsbundes der Welt), aber "aufgrund der undemokratischen Strukturen" nur 9 Prozent der Delegierten hätten, gibt es viele, die die Spaltung (bzw zunächst den Austritt der grössten Gewerkschaft, der SEIU) für unabwendbar halten. Andere fragen nach der politischen Debatte, die sie vermissen - und versuchen die "Grassroots" zu mobilisieren. Wieder woanders kämpfen Gewerkschaften offen gegeneinander, um das Organisationsrecht von Branchen beispielweise. Eine Zusammenstellung zur aktuellen Situation "Labour Unions civil war" vom 14. Juli 2005 mit jeder Menge Material der "Rank and File" Strömungen in den US-Gewerkschaften
Grünes Licht für neuen Gewerkschaftsbund?
Am Mittwoch haben die Vorsitzenden von fünf US-Gewerkschaften (Teamsters, UFCW, UNITE-HERE, Laborers und SEIU) als Ergebnis einer Sondertagung von insgesamt 50 Funktionären eine Mitteilung veröffentlicht, sie würden eine gemeinsame Initiative zum "Wiederaufbau der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung" ergreifen: "Change to win". Dieser Beschluss lässt erstmals offiziell die Möglichkeit zu, dass nach dem kommenden AfL-CIO Kongress die unterzeichnenden Gewerkschaften eine neue eigene Föderation ausserhalb der bisherigen bilden könnten (nachdem abzusehen ist, dass sie innerhalb des AfL-CIO knapp die Mehrheit verfehlen würden). Die (englische) Presseerklärung von "Change to win" mit dem Titel "Five Leading Unions Form New Coalition To Rebuild American Labor Movement" vom 15.Juni 2005.
GewerkschaftsaktivistInnen streiten um "autoritäre Reform"
Im (englischen) Beitrag "Union Activists Clash Over ‘Authoritarian’ Consolidation Proposal" von Jeff Shaw in der Tageszeitung "The New Standard" vom 4.Januar 2005 berichtet der Autor über den aktuellen Stand der Auseinandersetzung um die AfL-CIO Reformpläne des SEIU Vorsitzenden Andrew Stern, deren zentralistischer Inhalt nicht nur in seiner eigenen Gewerkschaft - wo die "Reform" längst praktiziert wird - sondern auch in anderen Gewerkschaften zunehmend auf Widerstand stösst. Stern dazu in dem Artikel: Es gehe nicht um Demokratie, sondern um Interessenvertretung...
"Sie haben einen Plan zur Gewerkschaftsreform? Bitte hinten anstellen!"
Die Teamsters haben im Dezember 2004 einen Plan zur Reform des amerikanischen Gewerkschaftsbundes AfL-CIO vorgelegt - vorher hatten das schon die SEIU und vier andere Gewerkschaften gemeinsam in der "New Unity Partnership" getan. Der Pläne gibt es seit Anfang 2003 noch mehr - so viele, dass Hermann Benson von der AUD (Association for Union Democracy - Vereinigung für Gewerkschaftsdemokratie) seinem Kommentar zu dieser Entwicklung den oben übersetzten Titel gab. Eine kommentierte Materialsammlung zum Stand der Debatte im Dezember 2004 |