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Updated: 18.12.2012 15:51
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Falsche Gegenüberstellungen

»Mein Gewerkschaftsvorsitzender ging nach Vegas - und alles, was mir das gebracht hat, war eine seltsame Debatte« - von Matt Noyes *

Es waren sonderbare Diskussionen, die in der AFL-CIO geführt wurden.

Um damit einzusteigen: Viele der Diskussionsredner waren Reformer oder behaupteten, dies zu sein, auch wenn es sich um Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften handelte - Menschen mit herausragendem Einfluss aus den größten US-Gewerkschaften. Die Begrifflichkeiten, in denen wir es gewohnt sind, die Gewerkschaften zu beschreiben, erhalten eine besondere Dehnung, wenn James Hoffa von den Teamsters in der Presse als »Dissident« beschrieben wird.

Dies ist auch deshalb eigenartig, weil beide Seiten in so vielem übereinstimmen: Sie bringen ihre Befürchtung zum Ausdruck, dass der Niedergang der Arbeiterbewegung in einem Kollaps münden könnte, sie beschweren sich bitter über die feindliche Haltung von Regierung und Verwaltung gegenüber den Lohnabhängigen und ihren Organisationen, sie beklagen die Schwierigkeiten der Organisierung von Lohnabhängigen und der Verhandlungsmöglichkeiten unter veränderten ökonomischen Bedingungen.

Beide Seiten konstatieren, dass die Gründe für das Leid der Lohnabhängigen nicht nur in externen Faktoren - aggressiven Unternehmern, feindlichen Regierungsbehörden - zu suchen sind, sondern auch in den Fehlern der Gewerkschaftsführungen und einem Mangel an Strategie. Schließlich glauben beide Seiten, dass neue Organisierungsanstrengungen und politische Aktionen ganz oben auf der Prioritätenliste der Gewerkschaften stehen sollten.

Es ist nicht so, dass es keine realen Differenzen gäbe, doch diese passen nicht so Recht zu den unterstellten Prinzipien, um die es geht.

Von der Revolution zu Mitgliedsbeiträgen

Um ein konkretes Beispiel zu nehmen: Andy Stern, der Vorsitzende der SEIU, und andere folgten gemeinsam dem Vorschlag von Hoffa, überregional tätigen Gewerkschaften einen Rabatt in Bezug auf die Beiträge zu gewähren, die sie pro Mitglied an die AFLCIO abführen müssen.

Hätten sie sich durchgesetzt mit diesem Vorschlag, hätte die AFL-CIO dramatische Abstriche in ihrem Budget hinnehmen müssen.

Dies ist etwas Neues, aber es ist weit entfernt von der radikalen Umstrukturierung der AFL-CIO, der Gewerkschaftsgremien, der überregionalen Gewerkschaftsorganisationen und insbesondere der globalen Arbeiterbewegung, für die Stern und die ehemalige »New Unity Partnership« (s. express, Nr. 6-7/04) sich eingesetzt hatten - unter Androhung eines Austritts aus der AFL-CIO, falls ihre groß angelegten Umstrukturierungspläne nicht angenommen würden.

Der Konflikt, der am deutlichsten in Las Vegas zum Ausdruck kam, derjenige, der - so wurde uns gesagt - dazu führte, dass die Stimmen lauter und die Ausdrücke gemeiner wurden, war ein ganz altmodisch juristischer Streit zwischen Vorsitzenden der SEIU und der AFSCME, die um ein großes Mitglieder-Kontingent von Beschäftigten in Kinderbetreuungseinrichtungen in Illinois buhlten.

Wo bleiben dabei die Gewerkschaftsmitglieder an der Basis und die Beschäftigten? Selbst diese seltsame, spiegelkabinettartig geführte Diskussion wirft jedoch eine gute Frage auf: Welche Art von Bewegung wollen wir?

Kritische Fragen

Ich denke, dass viele Labor Notes-LeserInnen ihre eigenen, wenigstens ungefähren Vorstellungen davon haben, was eine neue Arbeiterbewegung heißen könnte, was sich ändern müsste, um von einer wirklich neuen Arbeiterbewegung sprechen zu können, und zwar einer Bewegung, die auch wirklich Bewegung ist. Meine eigene Liste von Maßstäben umfasst sechs Kriterien:

  1. Macht es die ArbeiterInnen stärker? Nicht: »Gibt es Gewerkschaftsfunktionären mehr Macht, Entscheidungen im Namen der Beschäftigten zu treffen?«, sondern: Hilft es ArbeiterInnen ihre Fähigkeiten zu entwickeln, um gemeinsam handeln und ihre Forderungen durchsetzen zu können? Hilft es ihnen, am Arbeitsplatz aktiv zu werden und zu gewinnen?

    In den Diskussionen über die Restrukturierung der AFL-CIO wurden stärkere Gewerkschaften oft gleichgesetzt mit mehr institutionalisiertem Einfluss für Gewerkschaftsfunktionäre (d.h. die Beschäftigten dadurch zu stärken, dass die Funktionäre ihren Einfluss im Namen der Beschäftigten ausüben). Stärkere Gewerkschaften wurden außerdem gleichgesetzt mit dem Wechsel von einem branchenübergreifenden Gewerkschaftsmodell (general union model) zu einem stärker branchenbezogenen Gewerkschaftsmodell (industrial unionism). Wenig wurde dagegen gesagt über den Bedarf, ArbeiterInnen zu helfen, sich selbst zu organisieren und Stärke im Job und in der Gesellschaft zu entwickeln.
  2. Hilft es ArbeiterInnen, sich gegenseitig zu unterstützen? Verbessert es die Solidarisierung? Macht die Restrukturierung es einfacher, Unterstützung für den nächsten Streik oder die nächste Kampagne zu organisieren? Was wird passieren, wenn das nächste UFCW-Local P 9 in den Streik geht? (...) In einer neuen Gewerkschaftsbewegung, die den Namen verdient, würden sich die Gewerkschaften ins Zeug legen, um Locals zu unterstützen, die große Risiken auf sich nehmen, um etwa erreichte Erfolge zu verteidigen oder neue Standards zu erreichen.
  3. Hilft es Arbeiterinnen, eine Bewegung zu entwickeln, die einschließend und egalitär ist, die für die Rechte aller ArbeiterInnen, gegen die Spaltungen nach rassischen und geschlechtlichen Kriterien, nach dem Kriterium der sexuellen Identität oder des Aufenthaltsstatus kämpft? Frauen, Farbige und lesbische, schwule oder Transgender-ArbeiterInnen haben ihr Bedenken vorgetragen, dass der neue Anlauf zur Restrukturierung darin enden könnte, die Erfolge der verfassten Gruppen in der AFL-CIO-Mitgliedschaft zu unterlaufen und eine neue Führung zu etablieren, die noch weniger repräsentativ für die unterschiedlichen Gruppen der Lohnabhängigen in diesem Land sein könnte.
  4. Macht es Gewerkschaften offener, partizipatorischer und demokratischer? Würden wir den Strategen der SEIU auf die Finger klopfen, könnte Demokratie zu einem Punkt der gemeinsamen Auseinandersetzung werden. Einfache Gewerkschaftsmitglieder könnten mit Reformvorschlägen kommen, die den ArbeiterInnen mehr Einfluss innerhalb ihrer Gewerkschaften verschaffen würden.
  5. Hilft es den ArbeiterInnen eine unabhängige politische Stimme zu werden? Selbst führende Köpfe der AFL-CIO räumen ein, dass die Gewerkschaften seit Jahrzehnten keine nennenswerte Unterstützung mehr durch die Demokraten erfahren haben. Werden sich die Dinge verbessern, wenn die AFL-CIO beschließt, dass noch mehr Geld und Personal zur Verfügung gestellt werden, noch mehr Freiwillige angeheuert werden, um die Kandidaten der Demokraten zu unterstützen? Ist die Devise der SEIU »keine dauerhaften Allianzen, sondern dauerhafte Interessen« - also die Position, Kandidaten der Republikaner zu wählen, sofern diese sich in irgendeiner Weise hilfreich für die Gewerkschaften erweisen - eine wirkliche Alternative?
  6. Bildet es Solidarität auf globaler Ebene? Nicht die Sorte bürokratischer Solidarität der offiziellen internationalen Gewerkschaftssekretariate oder der internationalen Abteilungen, sondern direkte Solidarität, von Arbeiter zu Arbeiter und Gewerkschaft zu Gewerkschaft?

Die Bewegung für globale soziale Gerechtigkeit, der sich die Gewerkschaften in Seattle mit großartiger Verve angeschlossen hatten, wächst und entwickelt sich. Doch die Bemühungen der Gewerkschaften in Bezug auf globale Solidarität sind immer noch sehr beschränkt. Die AFL-CIO hat es versäumt, eine klare und offene Position zum Irak-Krieg zu formulieren. Wie können wir internationale Solidarität entwickeln, wenn wir nicht willens sind, die US-Außenpolitik anzugreifen?

Diese Kriterien sind nicht besonders neuartig und originell; sie sind Publikationen des Labor Notes-Mitarbeiters Kim Moody (»An Injury at all«, »Workers in a Lean World«) sowie dem »Troublemakers Handbook« entnommen. Ich halte es für sinnvoll, zurückzukommen auf solche grundlegenden Ideen, um der Debatte in der AFL-CIO einen Sinn zu geben und die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu lenken. Wenn eine neue Arbeiterbewegung von debattierenden Gewerkschaftsfunktionären in der AFL-CIO geschaffen werden könnte, könnten wir uns entspannt zurück lehnen und sie das Denkgeschäft für uns erledigen lassen, doch diese Bewegung wird genauso entstehen müssen wie alles andere auch - durch die ArbeiterInnen selbst. Was also sind Eure Kriterien?

Übersetzung: Kirsten Huckenbeck

* Matt Noyes ist Internet-Koordinator der Association for Union Democracy. Der Beitrag erschien in der Zeitschrift »labornotes«, April 2005

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05


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