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Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Labour Unions civil war" Der Kongress des AfL-CIO Ende Juli nähert sich - und die Auseinandersetzung um die Zukunft der amerikanischen Gewerkschaften wird immer heftiger. Nachdem der 67-köpfige Vorstand der grössten US-Gewerkschaft SEIU seinem Vorsitzenden Andrew Stern einen Blankoscheck für den Austritt aus dem AfL-CIO und die Neugründung einer anderen Zentrale gegeben hat (ohne irgendeine Form von Mitgliederbefragung) und die SEIU geführte Gewerkschaftskoalition "Change to win" unterstreicht, dass sie beim AfL Kongress zwar 35 Prozent der Mitglieder vertreten würden (5 von 13 Millionen Mitgliedern des grössten Gewerkschaftsbundes der Welt), aber "aufgrund der undemokratischen Strukturen" nur 9 Prozent der Delegierten hätten, gibt es viele, die die Spaltung (bzw zunächst den Austritt der grössten Gewerkschaft, der SEIU) für unabwendbar halten. Andere fragen nach der politischen Debatte, die sie vermissen - und versuchen die "Grassroots" zu mobilisieren. Wieder woanders kämpfen Gewerkschaften offen gegeneinander, um das Organisationsrecht von Branchen beispielweise. Eine Zusammenstellung zur aktuellen Situation "Labour Unions civil war" vom 14. Juli 2005 mit jeder Menge Material der "Rank and File" Strömungen in den US-Gewerkschaften Ein besonderer Kongress Vom 25. - 28. Juli 2005 tagt der AfL-CIO Kongress in Chicago. Ein Kongress, der aus verschiedenen Gründen besondere Aufmerksamkeit erregt: Die Schlagzeilen der Medienwirtschaft sind durch die auch in den USA stark krisenhafte Mitgliederentwicklung und die (auch) damit in Zusammenhang stehenden Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen "working class heroes" (sprich: Gewerkschaftsvorsitzenden) geprägt. Der Kongress ist aber auch ein Akt, den 50.Jahrestag der Verschmelzung von AfL und CIO eben 1955 zu begehen - und damit steht auch die Geschichte der Föderation zur Debatte, innen - wie außenpolitisch. Schliesslich findet dieser Kongress in einer Zeit statt, die einerseits politisch geprägt ist durch die Wahlniederlage der Demokratischen Partei 2004 - und noch nie zuvor hatten die US-Gewerkschaften so massiv einen Kandidaten unterstützt wie den unterlegenen John Kerry. Andrerseits entwickelt sich, wie in vielen anderen Ländern auch, auch in den USA eine vielfältigere Gewerkschaftslandschaft. Die 900 Delegierten vertreten noch 13 Millionen Mitglieder des zweitgrössten Gewerkschaftsbundes der Erde und kommen von rund 60 Gewerkschaften sehr unterschiedlicher Grösse, Kraft und Tradition. Sweeney? Stern? Wer noch? Und warum eigentlich? Der Vorsitzende des AfL-CIO John Sweeney (gewählt 1995 in Abkehr von den ausgesprochenen traditionellen "kalten Kriegern" Meany und Kirkland, auch von manchen Gewerkschaftslinken als "Hoffnungsträger" gesehen) und der Vorsitzende der grössten - und wachsenden - Einzelgewerkschaft, Andrew Stern von der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU sind die Personen, die die Auseinandersetzung - erst recht in der medialen Verkürzung - repräsentieren. Branchen-Koordinierungskomitees bilden - das ist einer der
Vorschläge, die der Vorstand des Gewerkschaftsbundes in diesen Tagen
gemacht hat, in vorbereitenden Dokumenten für den Kongress. "AFL-CIO
Top Union Leaders Embrace Proposals Giving Federation New Power to Enforce
Contract Standards and Promote Strategic Organizing" Kurz zusammengefasst ist der Hintergrund - bei dem die genannte Wahlniederlage der Demokraten eine wesentlich verstärkende Rolle spielte - der Rückgang des Organisationsgrades von geradezu gewerkschafts-apokalyptischer Tragweite. Bei der Verschmelzung beider Föderationen vor 50 Jahren war jeder dritte Beschäftigte der Privatwirtschaft gewerkschaftlich organisiert - heute ist es noch jeder 12. Beschäftigte. (Im öffentlichen Dienst jeder 8.Beschäftigte). Hinzukommt, dass viele Gewerkschaftsmitglieder in niedergehenden Branchen zu finden sind. Im Dienstleistungsbereich sind gerade einmal 3% gewerkschaftlich organisiert, im Einzelhandel 5,2%. Dies wurde auch als Grund für die geringe politische Einflussmöglichkeit im Wahlkampf gesehen - "wir sind dabei, eine Randerscheinung zu werden" sagte Andrew Stern danach. Die Gewerkschaftskriege Schon zweimal gab es in der Geschichte der "American
Federation of Labour" Auseinandersetzungen, die zu Spaltungen führten:
vor genau 100 Jahren wurden die "Industrial Workers of the World"
(IWW), die "Wobblies" - die für Klassenkampf, industrielle
Organisation (die AfL war zu jener Zeit weitgehend eine - weisse - Handwerkerorganisation)
und Organisationsdemokratie eintraten. In jenen Branchen, in denen damals
eine Zunahme von Forderungen und Auseinandersetzungen zu sehen war - wie
Bekleidungsindustrie, Holz- und Papierbranchen sowie Farmarbeit, konnten
die IWW beachtliche Erfolge erzielen. Interne Auseinandersetzungen und
die gnadenlose Verfolgung durch den Staat und durch "Vigilanten"
führten dann zu einem Niedergang, der erst heutezutage - wie es den
Anschein hat - ganz langsam wieder überwunden werden kann - ebenfalls
in Chicago feierte die IWW gerade ihr 100-jähriges mit einem "Festakt"
Der Unterschied zu heute: Zum einen kann niemand davon sprechen, es gäbe einen Aufschwung der Auseinandersetzungen, wie in den früheren Fällen. Zum anderen ist der Prozeß der Bürokratisierung der Apparate soweit gediehen, dass Mitgliederentscheidungen nicht mehr gefragt sind. Die 5er Koalition, die die SEIU anführt, umfasst beispielsweise
auch die "United Brotherhood of Carpenters", die ihre 500.000
Mitglieder bereits vor drei Jahren aus dem AfL-CIO geführt hat -
ohne dass ihr "Boss" Douglas McCarron auch nur den Anschein
erweckte, er wolle die Mitglieder befragen. Auch die anderen Alliierten
Sterns - James Hoffa, International Brotherhood of Teamsters; Terence
O’Sullivan, Laborers International Union; John Wilhelm and Bruce
Raynor, UNITE-HERE und Joseph Hansen, United Food and Commercial Workers
- verfügen weitgehend absolutistisch über "ihre" Gewerkschaften,
während Stern selbst stets darauf verweist, 70% aller SEIU-Organisationen
seien für seinen Kurs. Harry Kelber, der "Labor Educator"
(Radiosendereihe) fragt deshalb in seinem Radioprogramm vom 15. Juni 2005
"Members
Must Have the Right to Vote On Whether to Stay or Leave AFL-CIO"
Aber neben den Auseinandersetzungen um gewerkschaftliche
Demokratie gibt es auch die Konkurrenzkämpfe um das "Organisationsrecht",
in den letzten Jahren verschiedentlich von zwischen der SEIU und der AFSCME,
der Gewerkschaft im öffentlichen Dienst in der Öffentlichkeit
der Medienwirtschaft ausgetragen. Und es gibt nicht nur den Ausschluss
einzelner Linker, sondern auch ganze Gewerkschaften sollen diszipliniert
werden. Unter dem Titel "Puerto
Rican Teachers Fight for Union Democracy" Dass es "Ärger" gibt, wenn Gewerkschaftsmitglieder
öffentlich Kritik üben, ist ebenso Alltag, wie in anderen Ländern
auch - nur eines von mehreren hochaktuellen Beispielen: "Bus
stop - Muni union tells members to shut up and drive" Die Kriege gegen die Gewerkschaften Während zahlreiche Unternehmensverbände - etwa des Einzelhandels, aber auch der Gaststätten und nunmehr der Autobauer - sozusagen kollektiv ihre Angriffe auf bestehende Rechte koordinieren, tun dies zahllose Firmen quer durchs Land im Alleingang. In den konkreten Auseinandersetzungen stehen vor allem zwei Fragen im Mittelpunkt: die Unternehmen erklären die Gesundheit der Beschäftigten zu deren Privatsache (eine Debatte um die Schädigung der Gesundheit durch die Arbeit gibt es auch in den USA kaum noch) und sie wollen um jeden Preis die Geltung eines effektiven Mindeslohns verhindern. Auch in den USA ist die Liste jener Fälle lang, in denen sich Gewerkschaften auf "seltsame Deals" eingelassen haben. Und die Attacken der Regierenden - einerseits durch kontinuierliche
Kürzungen im öffentlichen Dienst, zweitens durch Drohgebärden,
vor allem nach dem 11.September - etwa der Einschüchterung gewerkschaftlich
organisierter MigrantInnen - und drittens durch "Moralkampagnen"
etwa aktuell gegen die (ewig unter Korruptionsverdacht stehende) Hafenarbeitergewerkschaft
der Ostküste , die ILA - hierzu einige Beiträge auf "Vinnies
Gangbox" Die Reaktion darauf ist einmal mehr nach rechts rücken:
so werden wohl zwei wichtige Gewerkschaften in New York - AFSCME und SEIU
- die Wiederwahl von Mike Bloomberg zum Bürgermeister unterstützen,
schreibt jedenfalls der Gewerkschaftsberater Jonathan Tasini in seinem
Weblog "Working Life" am 14. Juli 2005 unter dem Titel "More
On Mikey and Labor" "Stop The Union Busting! It Is Time To Take Back Our Unions" ...so lautet der Aufruf des Bündnisses "Labor
Action Coalition" Der Beitrag "NY
Postal Union needs a lesson in democracy" Einen ausgesprochen lesenswerten Beitrag zur Lage der Gewerkschaftsbewegung
in den USA "Labor
Needs a Radical Vision" Der Artikel "A
‘Truth Commission’ for AFL’s Foreign Policy"
Auch andere konkrete Auseinandersetzungen werden auf dem Kongress eine Rolle spielen, etwa die Frage, welche Gewerkschaft wie den "Million workers march" unterstützt oder boykottiert hat. Bei aller Vielzahl der "Rank and File" Aktivitäten, Initiativen und Kritiken, die hier nur fragmentarisch zusammengefasst werden können, wird aber schnell deutlich, dass in diesen Strömungen jene gesellschaftlichen und politischen Debatten geführt bzw initiiert werden, die in Zukunft für eine Stärkung einer Gewerkschaftsbewegung in den USA gebraucht werden, die sich allerdings ganz neuen Bedingungen anpassen muss - und nicht in den technokratischen Duellen von Realpolitikern. (Zusammengestellt und kommentiert von hrw) |