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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ersatz für's Organizing?

Welche Fusionen sind sinnvoll? / Von Kim Moody *

Obwohl es dieser Tage viele Debatten innerhalb der AFL-CIO gibt, scheint es, als ob jeder Fusionen bevorzuge, die die Gewerkschaften größer und, so wird angenommen, besser machen. Aber welche Art von Fusionen und zu welchem Zweck? Wer entscheidet?

Als AFL und CIO 1955 selbst fusionierten, gab es 135 Mitgliedsgewerkschaften; heute sind es 58. Einunddreißig Fusionen fanden alleine unter John Sweeneys Vorsitz statt. Und doch hat der Organisationsgrad von 22,8 Millionen auf seinem Höhepunkt im Jahr 1978 auf 15,5 Millionen im Jahr 2004 abgenommen - ein Verlust von sieben Millionen Mitgliedern.

Glossar US-Gewerkschaften:

  • AFL-CIO: American Federation of Labor-Congress of Industrial Organizations (Dachverband der US-Gewerkschaften
  • AFSCME: American Federation of State, County and Municipal Employees (Gewerkschaft der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst)
  • ACTWU: Amalgamated Clothing and Textile Workers Union (Vereinigte Bekleidungs- und Textilindustriegewerkschaft)
  • AFT: American Federation of Teachers (Gewerkschaft der Lehrer)
  • Change to Win Coalition: Koalition aus International Brotherhood of Teamsters, LIUNA, UNITE HERE, SEIU, UFCW, deren Mitglieder großteils aus der AFL-CIO ausgetreten sind
  • GCC: Graphic Communications Conference (of the International Brotherhood of Teamsters) (Gewerkschaft der Beschäftigten in der graphischen Industrie)
  • ICWU: International Chemical Workers Union (Gewerkschaft der Beschäftigten in der Chemieindustrie)
  • ILGWU: International Ladies Garment Workers Union (Gewerkschaft der Beschäftigten in der Damenbekleidungsindustrie)
  • NUHHCE: National Union of Hospital and Health Care Employees (1199) (Gewerkschaft für Beschäftigte im Krankenhaus und im Gesundheitswesen)
  • NEA: National Education Association (Gewerkschaft der Beschäftigten im Bildungssektor)
  • NUP: New Unity Partnership (Neue Partnerschaft für Einheit)
  • OCAW: Oil, Chemical and Atomic Workers (Gewerkschaft der Arbeiter in der Öl-, Chemie- und Atomindustrie)
  • PACE: Paper, Allied-Industrial, Chemical and Energy Workers International Union (Gewerkschaft für Beschäftigte in der Papier- und Chemieindustrie, im Energiesektor und verwandte Industrien)
  • United Paperworkers International Union (Gewerkschaft der Beschäftigten in der Papierindustrie)
  • SEIU: Service Employees International Union (Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes und des Dienstleistungssektors)
  • USWA: United Steelworkers of America (Gewerkschaft der Stahlarbeiter)
  • UBC: United Brotherhood of Carpenters and Joiners of America (Gewerkschaft der Zimmerleute und Tischler)
  • LIUNA: Laborers' International Union of North America (Arbeitergewerkschaft von Nord-Amerika)
  • International Brotherhood of Teamsters (Gewerkschaft der LKW-Fahrer)
  • UAW: United Automobile, Aerospace & Agricultural Implement Workers of America International Union (Gewerkschaft der Beschäftigten im Automobil-, Flugzeug- und Landwirtschaftsmaschinenbau)
  • UFCW: United Food and Commercial Workers International Union (Gewerkschaft der Beschäftigten in der Nahrungsmittelindustrie)
  • UFW: United Farm Workers (Gewerkschaft der Landarbeiter)
  • UNITE HERE (Gewerkschaft der Hotelangestellten und Textilarbeiter)

Die defensiven Fusionen der letzten 50 Jahre sind eine Folge des Niedergangs: schrumpfende Gewerkschaften auf der Suche nach Ressourcen. Aber diese Fusionen sind auch eine Ursache des Niedergangs, weil sie Form, Inhalt aber auch die Motivation praktisch aller Gewerkschaften völlig verdreht haben.

Gewerkschaften, die sich in den letzten 50 Jahren entlang voneinander abgrenzbarer Industrie- oder Beschäftigungskerne oder Arbeitgeber organisiert haben, sind zu Dachgesellschaften von disparaten Einheiten, Bezirken und Abteilungen geworden, die nur wenige ökonomische Beziehungen zueinander haben. Die gewerkschaftliche Geschäftslogik suchte größere Schatzkammern und schlankere Verwaltungen für größere Effizienz und mehr Mitglieder für eine größere politische Schlagkraft, doch bekam sie selten auch nur eines davon.

Von größerer Bedeutung war aber, dass sie versäumten, zuallererst die Probleme zu diskutieren, die sie dazu brachten zu fusionieren: der Rückgang der Mitgliedschaft, Veränderungen in den Branchenstrukturen, veränderte Unternehmensstrukturen (deren eigene Fusionen dazu führten, dass es an einem Ort bzw. in einem Betrieb verschiedene Gewerkschaften und nicht-organisierte Einheiten zugleich gab) und eine zunehmende Feindseligkeit der Arbeitgeber. Die Fusionen dienten eher als Ersatz für die Organisierung als dass sie genügend neue Ressourcen schlossen, um Kern-Bezirke organisieren zu können.

Was die Sache noch verschlimmert, ist, dass die neuen Bauchladen-Gewerkschaften bezeichnenderweise jede Gruppe organisierten, die ihnen in den Schoß fiel.

Die Gewerkschaft SEIU und die kurzlebige »Neue Partnerschaft für Einheit« (»New Unity Partnership«, NUP), in der sie arbeitete, wiesen auf all dies hin und bestanden darauf, dass Fusionen entlang industrieller Branchen verlaufen sollten. Dieser Vorschlag schaffte es nicht einmal bis auf den Tisch in Las Vegas.

Sicher, es gab ein Bündnis von Gewerkschaften, die etwa 40 Prozent der Pro-Kopf-Beiträge der AFL-CIO repräsentierten und die Druck machten, die Verteilung der Ressourcen in Richtung Organizing zu verändern, und für eine radikale Überarbeitung des AFL-CIO-Programms. Aber es war nur ein kleine Anzahl an Gewerkschaften, zu denen UNITE HERE, die Laborers, die UFCW, UAW und SEIU gehörten.

Diese kurze Liste selbst sagt Euch, warum der SEIU-Plan, die Vereinigung auf 20 Industrie-Gewerkschaften zurechtzustutzen, nur unwahrscheinliche Aussichten auf Erfolg hatte. Die UFCW, die auf die ehemalige »Amalgamated General Union« zurückgeht, umfasst den Bereich der Kaufhausangestellten, der Friseure, der Schlachthofarbeiter, der Versicherungsagenten und andere. Die UAW hat viele neue Zuständigkeiten, von freiberuflichen Schriftstellern zu Universitätsassistenten und außerordentlichen Professoren versammelt. Sogar UNITE HERE, ursprünglich zwei der Partner in der NUP, wichen vom eigenen Programm ab, als sie ganz im traditionellem Stil zu »allgemeinen Gewerkschaften« fusionierten.

Als die NUP dann daran dachte, sich aufzulösen, richtete die SEIU ihre Ambitionen für eine Veränderung in der Föderation auf die Teamsters, genau in dem Moment, als diese im Dezember 2004 dabei waren, die Internationale Gewerkschaft der »Graphic Communications« zu schlucken. Alte Gewohnheiten sterben schwer.

Es scheint, als ob die SEIU die einzige Gewerkschaft ist, der die Umwandlung von zufälligen Fusionen und Übernahmen in eine klare Branchenorientierung gelingt. Von 1980 bis Mitte der 1990er Jahre wuchs sie zu-nächst, genau wie die UFCW, durch die Übernahme diverser regionaler Gewerkschaften - so unterschiedlich wie die der Schmuckarbeiter, der Eisenbahn-Feuerwehren und der Ölarbeiter. In jenen Jahren übernahm sie ungefähr 57 lokale und bundesweite Gewerkschaften - hauptsächlich von öffentlichen Angestellten.

Die Konzentration auf den Gebäudereinigungs- und Gesundheitssektor kam um 1996, als die SEIU den Löwenanteil von »1199« übernahm, der ihnen schließlich um die 170000 Beschäftigte im Gesundheitswesen brachte. Festgehalten muss dabei werden, dass dies dazu führte, die frühere Nationale Gewerkschaft für Beschäftigte im Krankenhaus und im Gesundheitswesen (1199) in drei kleinere Teile zum splitten: einen unabhängigen; einen in der SEIU und einen in der AFSCME. Kaum ein Schritt in Richtung Bildung von Brennpunkten oder Verdichtung.

Auf der anderen Seite des Grabens in der AFL-CIO stehen die Dinge nicht besser. Im Januar kündigten die Steelworkers an, dass sie mit PACE fusionierten, die selbst wieder das Ergebnis einer Fusion der Gewerkschaft der Öl-, Chemie- und Atomkraftwerksarbeiter (OCAW) mit den Papierarbeitern waren, die wiederum einige Jahre früher die Vereinigten Industriearbeiter (»Allied Industrial Workers«) absorbiert hatte. Die Presseerklärung der Steelworkers sagte alles: »Die frisch vereinte Gewerkschaft wird die in Nordamerika dominierende Gewerkschaft für die Metall-, Papier- und Forstwirtschafts-, die Reifen und Gummi-, Bergbau-, Glas-, Chemie-, Energie- und andere Rohstoffindustrien sein«.

Hindernisse der Einheit

Nicht alle Gewerkschaftsfusionen sind irrational. Die Fusion der Nationalen Gewerkschaft der Beschäftigten in der Damenbekleidungsindustrie (»International Ladies Garment Workers Union«) mit der vereinigten Be-kleidungs- und Textilarbeiter-Gewerkschaft (»Amalgamated Clothing and Textile Workers Union«), die zu UNITE wurden, war sinnvoll, auch wenn die Fusion mit HERE vor kurzem es nicht war.

Ironischerweise jedoch sind die Fusionen, die am schwersten zustande kamen, oft jene zwischen Gewerkschaften in der selben Industrie oder der selben Branche.

Trotz jahrelanger Verhandlungen sind die »American Federation of Teachers« und die NEA nie in der Lage gewesen, letztlich zu einer nationalen Fusion zu kommen. Bevor sie von den »Paperworkers« übernommen wurde, war die OCAW nicht besonders daran interessiert, mit der »International Chemical Workers Union« zu fusionieren, die sich 1996 der UFCW anschloss.

Die Gründe für diese Reserviertheit sind nicht schwer zu finden. Oft gibt es eine lange Geschichte von Rivalität und »Plünderungen«, die auf unterschiedliche Ursprünge in der AFL oder der CIO zurückgehen oder, im Falle der NEA, auf ihre Ursprünge aus einem Berufsverband. Dann gibt es unterschiedliche politische Führungsstile. Und nicht zuletzt sind es häufig Schwierigkeiten, bürokratische Monopole und Gewohnheiten zu überwinden oder zu teilen.

Top-Down

Rational oder nicht, ein anderes Problem ist, dass Fusionen fast schon von der Definition her ein Top Down Prozess sind. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Mitglieder über eine Fusion abstimmen können, sind die meisten Entscheidungen über Struktur, demokratische Verfahren, Finanzen, politische Aktionen und fast alles andere längst getroffen worden.

Die alten Gewerkschaften werden zu Abteilungen der dominierenden Gewerkschaft und fahren fort, Tarifverhandlungen in ihren früheren Sphären zu führen. Die Beziehung zwischen Mitgliedern und Vorsitzenden innerhalb der Abteilung ist im Allgemeinen die gleiche, aber die Beziehung aller Mitglieder zu den obersten Leitern der fusionierten Gewerkschaft ist von vorneherein distanzierter.

Da ein Grund für die Fusion oft Effizienz im Angesicht der schrumpfenden Ressourcen ist, gibt es eine Tendenz, kleinere Locals zu größeren zu fusionieren und damit Mega-Locals mit riesigem Einzugsgebiet schaffen zu wollen, was aber die Beteiligung der und auch Kontrolle durch die Mitglieder vermindert. Das ist der Trend in der SEIU, der UFCW und bei den »Carpenters« gewesen.

Die Idee von professionell verwalteten Mega-Locals zieht viele Gewerkschaftsfunktionäre an, bürgt aber dafür, die Ebene, wo Gewerkschaftsdemokratie oft gedeiht, zu unterhöhlen: die lokale Gewerkschaft.

Die willkommene Debatte über die zukünftige Form und Ausrichtung der Arbeiterbewegung in den USA muss an der Basis geführt werden. Aber die Debatte muss auch den Horizont von einigen organisatorischen Rezepten überschreiten. Dichte und industrieller Kern sind zentral. Aber die Mobilisierung und Beteiligung der Mitglieder sind es auch, ebenso wie das Fußfassen in den Kommunen, in denen die Unorganisierten und die Organisierten leben.

Übersetzung: Nadja Rakowitz

Kim Moody ist Autor zahlreicher Gewerkschaftspublikationen und langjähriger Mitarbeiter der Zeitschrift Labor Notes. Der Beitrag ist der April-Ausgabe der Labor Notes entnommen.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05

 


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