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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gibt es Hoffnung?

fragen Fernando E. Gapasin * und Michael D. Yates * die Arbeiterbewegung

Die Spaltung des AFL-CIO im vergangenen Jahr, die selbst eine Reaktion auf die kontroverse Reformdebatte während der vergangenen Jahre und die nachlassenden Erfolge des AFL-CIO-Programms zur Stärkung von Organisierungskampagnen darstellt, wurde in der US-amerikanischen Presse vielfach kommentiert. Im Vordergrund standen dabei eher technische Fragen wie die Auswirkungen auf Finanzen und Mitgliedsbeiträge, Streitigkeiten um Zuständigkeitsbereiche u.ä. Im Folgenden dokumentieren wir im Anschluss an die im express bereits veröffentlichten Debattenbeiträge zur Spaltung des AFL-CIO einen Beitrag aus der Monthly Review vom Juni 2005, der grundsätzlichen Fragen nach der Bedeutung von Gewerkschaften vor dem Hintergrund einer, so konstatieren die Autoren, tiefen Krise der Gewerkschaften nachgeht und damit nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.

In den letzten dreißig Jahren war Klassenkampf eine ziemlich einseitige Angelegenheit, mit harten Schlägen des Kapitals gegen Lohnabhängige überall auf der Welt. Als sich ab Mitte der 1970er Jahre in den meisten entwickelten kapitalistischen Ländern eine ökonomische Stagnation abzeichnete, ging das Kapital zur Offensive über, es erkannte schnell, dass der beste Weg zur Stabilisierung und Steigerung der Profitmargen in einer Periode langsamen und sporadischen Wirtschaftswachstums die Senkung der Arbeitskosten war. Regierungen und globale Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfond begannen eine Politik umzusetzen, die die Lohnabhängigen zunehmend verunsicherte. (...)

Abgesehen von der direkten Schädigung von Lohnabhängigen hat der von den Arbeitgebern geführte Klassenkrieg auch die Beschäftigungsverhältnisse radikal restrukturiert. Weltweit gibt es viele hundert Millionen Personen, die entweder offen arbeitslos oder extrem prekär und informell beschäftigt sind. Diese Gruppe beinhaltet Millionen von verdrängten Bauern, die in den ausgedehnten Slums um die großen Städte des globalen Südens leben. Unter dem Rest der Arbeiterklasse haben sich verschiedene Formen prekärer Beschäftigung schnell ausgebreitet - Heimarbeiter, Zeitarbeiter, Vertragsarbeiter, selbständige (und sich selbst ausbeutende) Arbeiter. Auch in den reichen Nationen sind Vollzeit- und jahrelange Beschäftigung nicht mehr so selbstverständlich wie in der Generation, die dem zweiten Weltkrieg folgte. Darüber hinaus müssen sich Lohnabhängige, die einst einer sicheren Beschäftigung nachgingen, nun mit der Möglichkeit auseinandersetzen, entwurzelt und gezwungen zu werden, innerhalb eines Landes oder sogar in anderen Ländern Arbeit zu suchen. (...) Zugleich steigen Arbeitsstress und Arbeitsgefahren überall an. Unnötig zu sagen, dass all diese Veränderungen Schwierigkeiten für Beschäftigte verursachen, die versuchen sich in Gewerkschaften und politisch zu organisieren. Es muss ebenso betont werden, dass - weltweit - Frauen mehr und mehr die Last der am härtesten ausgebeuteten Lohnarbeit tragen.

Die Organisationen der Arbeiterklasse reagierten nur langsam auf die Kapitaloffensive, insbesondere in reichen Ländern. In den USA waren Gewerkschaften mit dem in den späten 1940iger und 1950iger Jahren ausgearbeiteten »Sozialpartner-Kompromiss« verheiratet, mit dem sich Arbeitgeber verpflichteten, Gewerkschaften zu tolerieren, und Gewerkschaften die Kontrolle der Arbeitsplätze durch das Management respektierten. Dieses Übereinkommen war das Produkt der Kooperation zwischen dem, was wir als »traditionelle« und als »pragmatische« Fraktionen der Gewerkschaftsvorstände bezeichnen können. Die erste Gruppe, erbitterte Antikommunisten und Unterstützer des U.S.-Imperialismus, angeführt von Reaktionären wie George Meany, wollte die progressive Linke aus der Arbeiterbewegung hinausdrängen. Die zweite Gruppe, angeführt von Leuten wie Walter Reuther von der UAW (United Auto Workers), setzte auf die Hoffnung, dass ihre Mitglieder einen Mittelklasselebensstandard und sie selbst die Macht in ihren Gewerkschaften erringen könnten. In der Tat erreichten Beschäftigte in den 1950iger, 1960iger und 1970iger Jahren bedeutende Fortschritte, doch als die Arbeitgeber die Sozialpartnerschaft auf den Müll schmissen, blieben Gewerkschaften zurück, die nicht wussten, was sie tun sollten. Die meisten von ihnen taten nichts.

In Westeuropa waren Lohnabhängige in ein komplexes System des Korporatismus eingebettet, in dem der Arbeiterklasse nahestehende sozialdemokratische Parteien aktiv an Regierungen beteiligt waren und in dem Gewerkschaften, typischerweise eng mit diesen Parteien verwoben, beträchtliche Macht an den Arbeitsplätzen hatten. Diese Situation war im Allgemeinen günstig für die Beschäftigten, die so in der Lage waren, entwickelte Wohlfahrtsstaaten, Löhne und Sozialleistungen zu sichern, die von Lohnabhängigen überall bewundert wurden. Die Stärke des korporatistischen Modells variierte von Land zu Land, es war am schwächsten in Großbritannien, wo Arbeiter während der Thatcher-Jahre eine Niederlage nach der anderen erlitten, und am stärksten in den skandinavischen Nationen. Im Allgemeinen waren Arbeiter in Westeuropa eher in der Lage, die vor der ökonomischen Stagnation der Mittsiebziger erreichten Vorteile zu verteidigen als Arbeiter in den USA, Großbritannien, Neuseeland und Australien. Wie auch immer, das korporatistische Modell in Europa bezog einen Großteil seiner Attraktivität für die Unternehmer aus der Furcht dieser vor dem Beispiel der Sowjetunion und der Stärke, die die Kommunisten in der Nachkriegsära auch außerhalb der Sowjetunion hatten. Als die Sowjetunion zusammenbrach, wurden die Arbeitgeber ernsthafter in Bezug auf die Klassenauseinandersetzung, und heute stehen Arbeiter unter der neoliberalen Knute in Deutschland wie auch in Schweden, Finnland und Norwegen.

Natürlich widerstehen Lohnabhängige der Macht des Kapitals auf die ein oder andere Weise, und die vergangenen drei Dekaden bildeten keine Ausnahme. Einige aufregende Ereignisse fanden während der 1990iger Jahre statt, und es gab Hoffnung, dass ein Aufschwung der Arbeiterbewegung im Werden begriffen war. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in Frankreich legten praktisch das ganze Land lahm mit ihrem Protest gegen Kürzungen seitens der Regierung. Kanadische Autoarbeiter besetzten Fabriken und schienen kurz davor, die gesamte kanadische Arbeiterbewegung zu radikalisieren. In den Vereinigten Staaten übernahmen Reformer den AFL-CIO, und United Parcel Service-Arbeiter initiierten einen erfolgreichen landesweiten Streik, der ähnliche Streiks in anderen Branchen zu inspirieren schien. Dann machte die Arbeiterbewegung gemeinsame Sache mit verschiedenen Flügeln der Antiglobalisierungsbewegung, insbesondere in Seattle. Die Lohnabhängigen verbündeten sich auch mit der wachsenden Anti-Sweatshop-Bewegung, die vor allem von Studierenden getragen wurde. Es wurden alle möglichen Formen innovativer Organisierung ausprobiert - Allianzen in den Kommunen, Kampagnen um die Kriterien von Geschlecht und Rasse, grenzüberschreitende Kampagnen - und einige waren erfolgreich.

In den armen Ländern war Protest gegen die Verwüstungen des Neoliberalismus weit verbreitet. Arbeitslose Arbeiter in Argentinien schmiedeten eine starke Bewegung, die sich direkter Aktionen bediente, insbesondere die Blockade der Autobahnen, um ihren Forderungen nach Jobs und öffentlichen Diensten an die Regierung Nachdruck zu verleihen. In Südafrika setzte die »Bewegung der Armen«, die zum größten Teil außerhalb der Hauptrichtung der Arbeiterbewegung operierte, in den Kommunen einen Prozess in Gang, in dem diese um alles zu kämpfen begannen - von der Unterkunft über das Wasser und den Strom bis zur Aufhebung der Schulden von armen Ländern. In Mexiko begannen die Zapatisten ihren Kampf um Selbstbestimmung der Bauern am Tag des Inkrafttretens der Nafta (North American Free Trade Agreement). In Brasilien verbündete sich die Bewegung landloser Bauern mit der nationalen Arbeiterpartei nicht nur zur Befreiung von Land für die Landlosen, sondern auch, um Lula da Silva zum höchsten politischen Amt des Landes zu verhelfen. (...)

Weil es in den vielversprechenden Kämpfen der 1990iger Jahre nicht gelang, die Regeln des Kapitals zu erschüttern, machte die Arbeiterbewegung eine doppelte Erfahrung: das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und die Anfänge eines Verständnisses für die Notwendigkeit von Veränderungen. Leitende Köpfe der organisierten Lohnarbeit neigen dazu, die Schuld für den Niedergang der Arbeiterbewegung auf externe Faktoren zu verschieben. Diese werden als nahezu überwältigend angesehen: Gewerkschaftshochburgen in der Industrie werden dezimiert durch technologischen Wandel und Kapitalflucht, beide erscheinen als unaufhaltbare Kräfte für Arbeiterorganisation. Die Veränderungen in der Zusammensetzung der Arbeiterklasse verunmöglichen dieser Logik zufolge eine Organisierung der Arbeiter. Andauernd hören wir in den USA, dass die Arbeitsgesetze es kaum lohnend erscheinen lassen, auch nur den Versuch zu unternehmen, Lohnabhängige zu organisieren. Wenn dann neue Initiativen versagen, ist es leicht, sich demoralisieren zu lassen und zu denken, dass die Karten schlecht verteilt sind für die Arbeiter - warum also sollte überhaupt etwas ausprobiert werden?

Zugleich sorgt das Versagen aber auch für Selbstanalysen. Wir sind sehr vertraut mit den Vereinigten Staaten, deshalb dürfte es nützlich sein, kurz zu untersuchen, was dort vorgeht. Den erbärmlichen Zustand der Arbeiterbewegung der Vereinigten Staaten als gegeben ansehend, kommt es vor, dass Radikale behaupten, es mache keinen Sinn, über eine revitalisierte Arbeiterbewegung hier zu sprechen. Dies ist ein Fehler. Europäische Gewerkschafter z.B. sind scharfe Beobachter der U.S.-Arbeiterbewegung.

Als John Sweeney 1995 die Präsidentschaft des AFL-CIO gewann, glaubten Linke aus der europäischen Gewerkschaftsbewegung, dass die »New Voices« (Neue Stimmen) ein Ende des Kalten Krieges, der die US-amerikanische Gewerkschaftspolitik dominiert hatte, bedeuten würden. Gewerkschaftsführer und eine nicht unbedeutende Anzahl von Linken in Europa glaubten in Aktionen wie der Entsendung von Repräsentanten zum Weltsozialforum nach Brasilien und der Teilnahme am Antiglobalisierungskampf einen Linksruck ausmachen zu können. Das vom AFL-CIO initiierte »Union Cities«-Programm schien dem Dachverband einen deutlichen Schubs in Richtung breiterer Allianzen und Verantwortlichkeiten in und gegenüber den Kommunen zu geben. Die Politik des AFL-CIO verschob sich auch weg von einer Anti-Migranten-Haltung, einer Konstanten seit der Gründung des AFL im Jahre 1881, hin zu Forderungen nach Amnestie für Arbeiter ohne Papiere und nach dem Recht auf Organisierung für alle migrantischen Arbeiter. Aus der europäischen Perspektive stellt der AFL-CIO die Linke in den USA dar und damit ein wichtiges Abschreckungsmittel gegenüber einer neoliberalen Anti-Arbeiterpolitik auf globaler Ebene. Der 1995 gewählte »New Voices«-Vorstand des AFL-CIO gab Hoffnung, dass die schwächste Arbeiterbewegung der reichsten kapitalistischen Länder sich selbst wiederbeleben würde.

Zehn Jahre später ist diese Hoffnung gestorben. Es hat eine lebhafte Debatte darüber eingesetzt, wie die organisierte Arbeit es vermeiden kann, in der vollkommenen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Weil die tatsächliche Macht der U.S.-Arbeiterbewegung bei den einzelnen Gewerkschaften liegt (der AFL-CIO als Dachverband kontrolliert nur ein Prozent aller Gewerkschaftsressourcen), kamen Veränderungsvorschläge hauptsächlich von einzelnen Gewerkschaften und Individuen. Sie lassen sich im Großen und Ganzen in zwei Kategorien einteilen: Eine Gruppe, angeführt von der Service Employees International Union (SEIU) und der International Brotherhood of Teamsters (IBT), glaubt, dass der Krise durch die Veränderung der Struktur der Gewerkschaftsbewegung begegnet werden kann. Die zweite Gruppe wird von der AFL-CIO-Führung selbst angeführt.

I. Die SEIU legt in ihren Zehnpunkteprogramm »Unite to Win« besonderen Nachdruck auf die Bedeutung nationaler Gesundheitsvorsorge, das Recht auf Organisierung, den Aufbau einer globalen Arbeiterbewegung und die Stärkung der Macht in der Arena politischer Wahlen. Zentrales Element des SEIU-Plans ist jedoch die Idee, möglichst umfassend innerhalb eines bestimmten Arbeitsmarktbereichs zu organisieren, so dass kein Kapitalist durch Unterbietung der Löhne einen ökonomischen Vorteil gegenüber Mitbewerbern erzielen kann. Gewerkschaften, die sich besonders intensiv für die Organisierung der Unorganisierten einsetzten, sollten belohnt werden. Der SEIU-Plan konzentrierte sich entsprechend auf eine mehr oder weniger stark erzwungene Fusion von größeren und aggressiveren Gewerkschaften aus fünfzehn verschiedenen Branchen. Dieser Vorschlag würde Mega-Gewerkschaften erzeugen wie in Australien und Europa. Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass diejenigen Gewerkschaften, die organisieren, führend in diesen Branchen seien und auch mehr Ressourcen für die Organisierung bereit stellen würden.

- Die IBT legt in ihrem Sieben Punkte-Plan »Welcher Weg für den AFL-CIO?« weit weniger Nachdruck auf Reformen und keinen darauf, den AFL-CIO »auf Linie« zu bringen. Wie die SEIU möchte die IBT Gewerkschaftsfusionen vorantreiben, eine Ermäßigung der pro Kopf-Beiträge an den AFL-CIO (also jenen Teil der Gewerkschaftsbeiträge, die direkt dem AFL-CIO zukommen) für Gewerkschaften, die organisieren, und die Rechtsprechungsmechanismen des AFL-CIO reformieren. Die IBT argumentiert - und SEIU schließt sich an -, dass in juristischen Auseinandersetzungen zwischen den Gewerkschaften auf die Stärke der jeweiligen Gewerkschaft Rücksicht genommen werden sollte und dass die unterschiedliche Qualität der Verträge, die diese in der Lage waren abzuschließen, bei der Frage der Rechtsprechung Berücksichtigung finden solle.

II. Der AFL-CIO legte seinerseits im März 2005 den Plan »Entwicklung einer vereinten Arbeiterbewegung: Bildung effektiver Gewerkschaftsgliederungen auf Bundes- und lokaler Ebene« vor. Im ersten Abschnitt des Planes wird festgestellt: »Die amerikanische Arbeiterbewegung steht ihrer größten Herausforderung gegenüber - und der Schlüssel dafür, die Krise zu meistern, ist ein bedeutender und schneller Ausbau unserer politischen Macht ... eine radikale Verbesserung des Erscheinungsbildes unserer bundesweiten und lokalen Gliederungen, denen die Hauptverantwortung bei der Umsetzung des nationalen Programms des AFL-CIO zukommt.« Zwei Kernaussagen des Planes verdeutlichen dessen Absicht sowie seinen »top-down«-Charakter:

»Unser Ziel muss ein gemeinsames, effektives und gut ausgestattetes Mobilisierungsprogramm für Politik, Gesetzgebung und Organisierungsunterstützung auf nationaler, bundesstaatlicher und lokaler Ebene sein, und unser Ziel muss es sein, Mitglieder da, wo sie arbeiten und leben, mit lokalen, bundesstaatlichen und nationalen Themen und Kampagnen zu verbinden. Gewerkschaftsgliederungen auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene müssen auch in die Verantwortung genommen werden, wenn sie einen auf nationaler Ebene beschlossenen Plan nicht effektiv ansetzen. Die nationale Ebene des AFL-CIO muss sicherstellen, dass diese Pläne eine Koordinierungsmöglichkeit zwischen bundesstaatlichen Gewerkschaftsverbänden und ihren jeweiligen zentralen Mitgliederforen beinhalten, und dass die Pläne auch umgesetzt werden können, indem ausreichende Unterstützung, Bildungsarbeit, Koordination und Ressourcen angeboten werden. Aber der nationale AFL-CIO muss auch gestärkt werden und in der Lage sein, die Kontrolle über die Angelegenheiten bundesweiter oder lokaler Gewerkschaftsorgane zu übernehmen, um die Koordinierung und Einhaltung dieser Pläne zu sicherzustellen, wenn dies nötig ist.«

Parallel zu diesen intensiven und manchmal erbitterten Debatten über die Zukunft der Arbeiterbewegung ergriffen progressive Einzelne und Gruppen die Initiative. Eine der auffälligsten Initiativen war die der U.S. Workers Against the War (USLAW; US-Arbeiter gegen den Krieg) im Jahre 2003. Diese Organisation, die sich aus Individuen, Gewerkschaften und anderen progressiven Organisationen zusammensetzt, steht nicht nur in Opposition zum U.S.-Krieg im Irak, sondern zur gesamten U.S.-Außenpolitik. Ihre grundsätzlichen Aussagen - eine gerechte Außenpolitik, ein Ende der U.S.-Besatzung fremder Länder, eine Umleitung der Ressourcen der Nation, die Forderung, U.S.-Truppen sofort heim zu bringen, der Schutz von Bürger-, Arbeiter- und MigrantInnenrechten sowie Solidarität mit Arbeitern und ihren Organisationen weltweit - sind bemerkenswert im Lichte der schmutzigen Geschichte der Unterstützung des U.S.-Imperialismus durch die organisierte Arbeiterschaft.

Auch Arbeiter in anderen Ländern gingen in sich und setzten dies z.T. in Taten um. So bildeten mexikanische Arbeiter völlig neue Gewerkschaftsverbände bzw. gingen Koalitionen ein, und diese verpflichten die mexikanische Arbeiterbewegung nun auf eine stärker linke Ausrichtung. In Venezuela ist ein neuer Gewerkschaftsdachverband entstanden, der - inspiriert durch den Radikalismus der Regierung von Hugo Chávez - den alten und korrupten ersetzen soll. In Brasilien spaltete sich die Arbeiterpartei in der Haltung gegenüber den Versäumnissen der Regierung Lula; wurden diese zunächst mit eher links-angelehnten Argumenten kritisiert, schlägt man hier mittlerweile den Kurs einer aggressiveren Opposition gegenüber dem Neoliberalismus ein. In Zimbabwe stellen neue Arbeitergruppierungen die Hauptherausforderung des Mugabe-Regimes dar. Diskussionen finden im Moment auch in der deutschen Arbeiterbewegung statt, deren Mitglieder unter der sozialdemokratisch-grünen Koalitionsregierung und deren schleichendem, aber definitivem Abbau des gerühmten Systems der sozialer Sicherheit zu leiden haben. Französische und italienische Arbeiter demonstrieren weiterhin ihre Fähigkeit, ganze Regionen des Landes lahm zu legen, wenn Arbeiterrechte und Sozialleistungen bedroht sind. Und auch in armen Ländern (zum Beispiel Ecuador und Bolivien) haben Arbeiter, landlose Bauern und indigene Menschen offen gegen die Verheerungen des Neoliberalismus rebelliert.

Angesichts der Bemühungen zur Reorganisierung und zur Entwicklung von neuen Strategien durch die Lohnabhängigen glauben wir, dass mehrere Dinge zu bedenken sind.

Erstens, Arbeiter halten sich an vielen unterschiedlichen Orten auf: Arbeitsplätze, Gemeinden, Großfamilien, zivile und religiöse Organisationen etc. Jeder dieser Bereiche kann Ort der Organisierung sein, und keiner sollte übersehen werden. In all diesen Bereichen haben Menschen bereits verschiedene Kulturen von Solidarität entwickelt, und diese sollten zentral sein für jede Organisierung. Forderungen können abhängig von der Situation variieren, wobei die Forderungen der Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen sich mit denen der Bürger in den Kommunen ergänzen können - etwa wenn Beschäftigte höhere Löhne und bessere Wohnbedingungen fordern. Die Taktiken zur Durchsetzung der Forderungen können ebenfalls variieren, und auch hier können sie miteinander verbunden werden; Arbeiter können beides bestreiken: Arbeitsplätze und die Büros von Abgeordneten. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Zukunft der Arbeiterbewegung in der Fähigkeit lokaler Gewerkschaften und Zusammenschlüsse liegen kann, sich selbst zu jenem Ort zu entwickeln, von dem die Macht der Gewerkschaftsbewegung ausgeht. Es ist letztlich die lokale Gewerkschaftsebene, auf der Arbeiter und Gemeinden alltäglich mit der Gewerkschaftsbewegung interagieren. Das bedeutet nicht, dass starke nationale und internationale Organisationen nicht nötig sind; sie sind es offensichtlich. Doch wie auch immer: Wenn die Macht von oben ausgeht, ist bürokratische Diktatur das Ergebnis.

Ein Weg, die lokale Basismacht der Arbeiterbewegung zu entwickeln, sind vielfache Zugangsmöglichkeiten zur Organisierung - wie »Workers' Centers«. Hier können sich Lohnabhängige unabhängig davon, wo sie arbeiten, zusammenfinden. Ein Workers' Center kann branchenspezifisch oder auch nachbarschaftsbasiert ausgerichtet sein, so dass sich dort Arbeiter unabhängig von ihrer jeweiligen Branchenzugehörigkeit treffen können. Experimente mit »Workers' Centers« werden überall auf der Welt gemacht, insbesondere unter Niedriglohn- und ungeschützten Arbeitern einschließlich der Migranten. Sie können vielfältige Funktionen erfüllen: Sie können Lohnabhängigen die Möglichkeit bieten, sich gemeinsam über Missstände auszutauschen, sie können Schulungen in Arbeiterrechten anbieten, sie können helfen, politisches Bewusstsein zu entwickeln, indem etwa Aktionen mit geringem Risiko gemeinsam durchgeführt werden, und sie können dazu beitragen, eine Arbeiterbewegung zu entwickeln, die auch bedeutsame Ziele wie etwa einen existenzsichernden Mindestlohn durchzusetzen in der Lage ist. Solche Arbeiterzentren können auch als Zugangspunkte für Gewerkschaften dienen, die auf andere Weise keinen solchen zu bestimmten Gemeinden finden - etwa nicht-englischsprachigen Migranten.

Zweitens müssen - bei jeder Art von Organisierung - diejenigen mit dem größten Klassenbewusstsein im Zentrum stehen. Sie sind am besten dazu befähigt, anderen Dinge zu erklären und Verbindungen zwischen lokalen und globalen Rahmenbedingungen zu zu ziehen. Sie werden auch diejenigen sein, die am besten die Zusammenhänge zwischen den vielen Formen von Ungleichheit, die in allen kapitalistischen Gesellschaften existieren, erkennen. Ausgehend von der Natur des modernen Kapitalismus, werden es Frauen und Farbige mit dem am meisten entwickelten Klassenbewusstsein sein, die Schlüsselfiguren jeder Arbeiterbewegung sein müssen. Gleichzeitig müssen große Anstrengungen unternommen werden, die verwundbarsten Stellen des Kapitals freizulegen; dabei können die klassenbewusstesten Arbeiter am effektivsten sein. Transportarbeiter, Beschäftigte der Kommunikationsbranche, der Lebensmittelbranche, High-Tech-Arbeiter sowie andere in Schlüsselpositionen müssen organisiert werden und ihre Macht ausüben in alle möglichen Richtungen.

Drittens müssen Wege gefunden werden, um die stabilen und die instabilen Teile der Arbeiterklasse zu verbinden, das sind solche mit relativ sicherer Beschäftigung und das wachsende Segment der prekär Beschäftigten. Die Organisationen der Arbeiterbewegung müssen breiter angelegt sein als gewöhnliche Gewerkschaften, um alle Teile der Lohnabhängigen zu erfassen. Vielleicht zeigt uns die Übernahme von Betrieben durch Stadtteilbewohner und Arbeiter in Argentinien und Venezuela einen Weg dorthin auf.

Viertens und am wichtigsten: Wir müssen nach den Absichten der Arbeiterbewegung fragen. Zu welchem Zweck sollen Arbeiter organisiert werden? Was sind die Grundsätze einer Arbeiterbewegung? Es gibt keinen Grund, über die Reorganisierung des AFL-CIO und seiner Gewerkschaften zu sprechen, wenn wir diese Fragen nicht stellen. Dies hängt damit zusammen, dass die Grundsätze einer Bewegung zu einem Großteil auch ihre Struktur bestimmen. Die Pläne von SEIU und IBT haben auf diese Fragen keine Antworten zu bieten, so dass wir nur annehmen können, dass es ihnen um die Kontinuität jenes (eingangs erwähnten; Anm. d. Red.) konservativ-pragmatischen Bündnisses geht in der Hoffnung auf die Wiederkehr des Sozialpartnerabkommens. Mit anderen Worten: >business as usual< oder letztlich der Weg, der seit vierzig Jahren beschritten wurde.

Bill Fletcher Jr. (ehem. Mitarbeiter im Vorstand der SEIU, Anm. d. Red.) drückt dieses Problem eloquent wie folgt aus:

»Somit ist die US-Gewerkschaftsbewegung also in einem Problem verheddert; ein Problem, dass sie nicht innerhalb des »Gompersian Paradigmas« [1] lösen kann. Wenn davon auszugehen ist, dass sich das globale Kapital in einem Vernichtungskrieg gegen Arbeit befindet; wenn davon auszugehen ist, dass das US-Kapital die Gewerkschaften ausmerzen möchte, wenn davon auszugehen ist, dass es zunehmend schwieriger wird, den Lebensstandard in allen Branchen zu verbessern, ohne einen internationalen Ansatz zu haben; wenn davon auszugehen ist, dass sich die demographische Zusammensetzung der US-Arbeiter verändert; wenn davon auszugehen ist, dass US-Außenpolitik zwei verschiedenen Flügeln des regierenden Zirkels dient, von denen keine ein Interesse an der Arbeiterklasse hat, aber beide ein Interesse an der einen oder anderen Form globaler Herrschaft; wenn davon auszugehen ist, dass US-Außenpolitik Hass auf die USA erzeugt bei Menschen auf der ganzen Welt, dann sind organisierte US-Arbeiter dazu gezwungen, sich fundamental neu zu bestimmen.

Uns wirklich neu zu bestimmen meint, dass sich ein Dialog innerhalb der Gewerkschaftsbewegung und zwischen der Gewerkschaftsbewegung und anderen Bewegungen entwickeln muss. Dieser Dialog muss sich das Ziel setzen, das >Konzept Gewerkschaft< neu zu bestimmen. Diese Rekonzeptionalisierung muss in eine Richtung führen, die mein Kollege Fernando Gapasin und ich »social justice unionism« nennen. Dabei geht es um mehr als Organisierung und um mehr, als Bündnisse mit anderen Teilen der Bevölkerung auf- und auszubauen.

>Social justice unionism< beginnt mit der Annahme, dass der New Deal und der Wohlfahrtsstaat, wie wir sie einst kannten, nicht wiederkehren werden. Zugleich muss die Tendenz zur Barbarei, zu endlosem Krieg und zur Verarmung einer wachsenden Anzahl von Menschen gestoppt werden. Somit muss die Frage nach der Zukunft der Gewerkschaften wesentlich mit einer politischen Neuordnung dieses Landes und dem bewussten Kampf um politische Macht verbunden werden. Sie muss auch verbunden werden mit einer vollkommen anderen Perspektive auf Gewerkschaften und andere Massenorganisationen in Übersee. Das heißt, dass wir die traditionelle US-Arroganz verwerfen müssen, nach der alles Licht und Leben in den USA beginnt.«

Fletchers Kommentar impliziert, dass sich die Arbeiterbewegung nach links orientieren muss, um zu überleben. Wenn es etwa die Absicht der Arbeiterbewegung ist, die Differenz zwischen Arm und Reich zu verringern oder größere soziale Gleichheit zu schaffen, ist damit unvermeidbar die Frage verbunden, ob dies unter kapitalistischen Bedingungen überhaupt möglich ist oder ob die Arbeiterklasse (und die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung) Methoden entwickeln muss, die kapitalistischen Institutionen, einschließlich des grundsätzlichen Ausbeutungscharakters des Lohnarbeitsverhältnisses, herauszufordern.

Während sich einige Gewerkschaftsführer, so unsere Erfahrung, durchaus selbst als Linke, Radikale oder eben Sozialisten verstehen, glauben sie gleichzeitig, dass die Thematisierung solcher Fragen abenteuerlich idealistisch und nicht praktikabel sei. Sie vertagen diese Themen auf eine unbestimmte Zukunft in der Annahme, dass sie zunächst mehr Macht erringen müssten, bevor solche Fragen gestellt werden könnten.

Seitdem sie in großem Stil an Einfluss verlieren, hat der Kampf um das reine organisationelle Überleben Vorrang. Doch vielleicht ist die Voraussetzung dafür, überhaupt wieder eine gewisse Macht zu erreichen, gerade die höheren Ziele im Kopf zu behalten. Solange Gewerkschaften das Spiel spielen, innerhalb der kapitalistischen Regeln zuverlässig zu funktionieren, seine Basisregeln zu akzeptieren, solange könnten Gewerkschaften, wie wir sie kannten, verdammt sein. Die Krise, der wir ausgesetzt sind, sollte uns nicht dazu verleiten, unsere Vorstellung darüber, was notwendig zu erkämpfen wäre, einzuengen, sondern ganz im Gegenteil auszuweiten.

Die Geschichte stellt ein mächtiges Zeugnis für den Bedarf einer radikalen Reorientierung der weltweiten Arbeiterbewegungen dar, Bewegungen etwa mit Grundsätzen wie denen der erwähnten US-Arbeiter gegen den Krieg. Wo stünde die Arbeiterbewegung ohne ihre Sozialisten und Kommunisten, die sich der Gleichheit jeder Art verpflichtet fühlen und die bereit sind, die nötigen Risiken in Kauf zu nehmen (und andere davon zu überzeugen, diese Risiken ebenfalls auf sich zu nehmen), um eine starke Arbeiterbewegung aufzubauen. Gerade in den konservativen USA trugen die linksgerichteten Gewerkschaften des CIO nicht nur die Kämpfe gegen den U.S.-Imperialismus und Rassismus aus, sie setzten auch die besten Vereinbarungen durch und waren diejenigen, die am demokratischsten agierten. Sie taten genau das, was Stuart Acuff, Leiter der Organizingabteilung im AFL-CIO, als ihre Aufgabe beschrieb: »Wir müssen eine Agenda definieren, die das Potential zur Veränderung des Lebens der Menschen hat.«

Übersetzung: Kirsten Huckenbeck / Jörg Waschatz

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/06


Fernando E. Gapasin war Professor für industrielle Beziehungen und für Studien über Chicanos/as. Er war als Wissenschaftler federführend für die Entwicklung des »AFL-CIO's union Cities program«. Gapasin ist seit 40 Jahren aktiv in der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung, derzeit Vorsitzender einer lokalen Gewerkschaft und eines überregionalen gewerkschaftlichen Zentralrats.

Michael D. Yates ist Mitherausgeber der Monthly Review. Lange Jahre lehrte er Ökonomie an der Universität von Pittsburgh in Johnstown. Er ist u.a. Autor von »Naming the System: Inequality und Work in the Global System (2004)«, »Why Unions Matter« (1998), und »Longer Hours und Fewer Jobs: Employment und Unemployment in the United States « (1994), alle bei Monthly Review Press erschienen.

(1) Samuel Gompers war von 1886 bis 1924 Präsident der AFL und vertrat die Vorstellung einer Befriedung kapitalistscher Verhältnisse vor allem über den Weg von Reformen und legislativer Initiativen; Anm. d. Red.)


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