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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Wie schwierig ist es Deutschland und Europa im Kontext zu erklären? Ein weiterer Versuch die "gläsernen Wände" zwischen den Wissenschaften über diese Gesellschaft in der alles verbindenden Weltwirtschaftskrise abzubauen Ein Weltökonom: Keine genauen Kenntnisse der ökonomisch-institutionellenen Verhältnisse in Europa ... Gerade las ich in der FR (www.fr-online.de/wirtschaft/interview-mit-jeffrey-sachs--amerika-ist-unzivilisiert-,1472780,11922960.html ) ein Interview mit Jeffrey D. Sachs - sozusagen ein Bewerbungsgespräch für den Posten des von den USA zu besetzenden Präsidenten der Weltbank (siehe auch www.stern.de/news2/aktuell/us-abgeordnete-fuer-jeffrey-sachs-als-weltbankchef-1801198.html ). Und in diesem FR-Interview ist Jeffrey Sachs voll des Lobes für Deutschland in dieser Weltwirtschaftskrise ("Deutschland hat im Vergleich zu den USA keine Krise") und schildert die US-Regierung als bloßen "Ableger" der Wallstreet - ich dagegen würde sagen, Deutschland schwimmt in der Eurozone "wie ein Fettauge auf der Suppe" - zum Schaden anderer - insbesondere der südeuropäischen Länder in der Eurozone.
Eine hervorragende Darstellung der Euro-Krise hat Heiner Flassbeck gerade erst wieder einmal in einem Vortrag in Düsseldorf geboten: Wege aus der Euro-Krise (Youtube: www.youtube.com/ watch?v=mfKuosvO6Ac&feature=g-all-u&context=G270c333FAAAAAAAABAA ). Hier kommen also das Getrieben-Werden der Politik durch die Finanzmärkte noch zu einem ekklatanten politisch-institutionellen Defizit in der Eurozone dazu. Und von einem Europäischen Wohlfahrtsataat (Jeffrey Sachs) können wir dabei erst dann reden und ihn diskutieren, wenn wir darüberhinaus das "Nordische Modell" in den Blick nehmen - so meine ich ( www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/bahl_sowi2.html - und die ganze "Erzählung" muss dann noch stark unterfüttert werden durch sozialwissenschaftliche Empirie: www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/bahl_sowi.pdf ). Nur so kann man dieser - keinem empirischen Blick auf das Soziale statthaltenden - Ökonomische-Fakten-Willkürlichkeit eines Jeffrey Sachs - Deutschland stünde aktuell ökonomisch relativ gut in der Krise da - entgegentreten, und noch dazu dem Urteil, dass Deutschland als Sozialstaat ökonomisch Klasse gegenüber den USA dastehe. Dabei ist eine - von Sachs behauptete - Zivilisiertheit von Europa gegenüber der Finanzindustrie noch nicht einmal zu erkennen , wenn wir die konkrete politische Auseinandersetzung um die sog. "Volcker-Regel" zur Regulierung der Finanzmärkte zwischen Europa und den USA hernehmen (www.labournet.de/diskussion/wipo/finanz/volcker.html ). Dann zeigt sich eigentlich nur, um wie viel mehr die europäischen Regierungen noch von der Finanzindustrie beherrscht werden. Wenn wir also schon bei einem der großen Weltökonomen ein so geringes Verständnis der speziellen Problemlage der Krise für Europa antreffen , wie wenig verwundert es da, dass die deutsche Politikwissenschaft , diese wiederum ohne eine klare Kenntnis der ökonomischen Krisenlage, lediglich "hilflos" beschreibend mit einer nur stückweisen Krisendarstellung daher "gedackelt" kommt. Wie gesagt, es geht nicht um bloße Kritik, sondern das Anliegen ist, diese Krise , mit der sich die Politik so schwer tut, einer systematischen "Beschreibung" in ihrer ganzen Dynamik zugänglich zu machen. Dieses "Dach" der gemeinsamen Währung spielt dann auch bei der Einordnung der Krise für Deutschland und Europa in der politikwissenschaftlichen Betrachtung keine besondere Rolle mehr. Auch wenn es dann auf die letztentscheidende Weichenstellung zur Fiskalunion mit dem Fiskalpakt ankommt, wird ziemlich "uneuropäisch" - fast schon autistisch - die ökonomische Stabilität von Deutschland (!) in den Mittelpunkt gestellt (Maull, S. 40 u. 39 f. sowie Müller-B.B. , S. 20 - zu letzterer vgl. www.bpb.de/publikationen/1R0ZLY,0,Deutschland_Europas_einzige_F%FChrungsmacht.html ). Aber wenn die konservative neoliberale Logik des Maastricht-Vertrages von 1992 der alles seligmachende Mittelpunkt des Denkens bleibt - und nicht dieses Maastricht-Ereignis eben als der "neoliberale Sündenfall" - der Markt regelt schon alles richtig, effizient und "ordentlich - nach der umfassender geplanten Europa-Vision des "Delors-Berichtes" von 1988/89 verstanden werden kann, dann sitzt man schon in der Krisenfalle fest - ohne diese je erklären zu können. Leider wird mit diesen Analysen die dort getroffene Feststellung, dass für einen "Paradigmenwechsel", um diese Krise endlich zu überwinden, die Sozialwissenschaften auch weiterhin ein schlechter Begleiter bleiben werden. So wird in diesen Analysen auch keine klare Zuordnung der Bedeutung von Markt und Staat vorgenommen. (Bleibt der Staat das "Übel" schlechthin?) Während bei Müller-B.-B. der Markt - der "heilige" und so heftig tabuisierte "Markt" - dann nur am Rande wie ein "deus ex Machina" beim Verlust des Triple AAA für Frankreich auftritt (Müller-B.B., S. 21), schlussfolgert "frau" daraus nur die Führungsrolle von Deutschland, ohne dessen "finanzmarktgetriebenes" Zustandekommen - hin zu jenem "apres-Merkozy" - auch nur mit einem Gedanken zu reflektieren. (Vgl. "Die Angst geht um" - eine tiefe Vetrauenskrise der Banken - der Zinssatz spielt keine Rolle mehr... www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl21.html) Alternativen zu dieser Marktlogik kommen einfach überhaupt nicht in Betracht! So tritt das Konzept der Kanzlerin die europäische Einigung nach deutschem Vorbild voranzutreiben - eben mit den Finanzmärkten als "Merkels Kettenhunde" - gar nicht in Erscheinung - der allerdings in der Beschreibung mit dem "Merkozyschen Tabu-Bruch" , dass ein Land die Eurozone auch verlassen könne , marktradikal und "unpolitisch" gekrönt wird. (Müller-B.B. , S. 21) Dieses Getrieben-Werden durch die Finanzmärkte hat ja Jeffrey Sachs noch im Prinzip als skandalös empfunden , obwohl er überhaupt nicht verstanden hat, wie sich dies in einem Europa als gemeinsamen Währungsraum ohne die Möglichkeit des politischen und damit auch solidarischen Ausbalancierens - frei nach den Regeln des "Catch-as-catch-can" - für Deutschland und Europa auswirken muss. (Vgl. dazu ausführlich noch einmal den Vortrag von Heiner Flassbeck "Wege aus der Euro-Krise" weiter oben auf YouTube) Die deutsche Bundeskanzlerin hat diesen Vorteil durch die Finanzmärkte für Deutschland - bis zum jetzigen Zeitpunkt - sehr wohl erkannt, - und ihn - die deutsche ökonomische Vormachtstellung im Angesicht der Finanzmärkte nutzend - im Fiskalpakt vom 30. Januar 2012 erst einmal gekrönt. Und der Wirtschaftsnobelpreisträger "Joe" Stiglitz war erst einmal entsetzt über den Gebrauch des Wortes Solidarität der Bundeskanzlerin Merkel dort, die eigentlich eher diese Solidarität in der Art des Orwell`schen "New Speak" gebrauchte - faktisch war es ganz das Gegenteil von solidarischen Handeln, was sie für Europa da zum Ausdruck brachte. Dass sie dabei nicht nur finanzmarktgetrieben von Krisen-Gipfel zu Krisen-Gipfel eilen musste, sondern auch noch durch eine öffentliche Meinung vorangezogen wurde, die Wilhelm Heitmeyer als Konsequenz der Hartz-Reformen nur kurz und bündig "verrohtes Bürgertum" als Ergebnis seiner umfassenden und langfristigen Umfrage-Ergebnisse zu nennen pflegt, braucht nicht besonders noch hervorgehoben werden. Die Politik sozusagen im elenden "circulus vitiosus" ihrer eigenen politischen "Schandtaten - ohne Hoffnung auf Rückkehr zu einer solidarischen Politik? Da schon die gemeinsame Währung - in der Nach-Delors und Maastrichtzeit eben rein "marktfixiert" und ohne Politik - nicht zum Thema werden kann , wird "natürlich" auch die heftige Intervention von Frankreich durch die damalige Finanzministerin Christine Lagarde beim "Ecofin-Rat" gegen das Lohndumping aus Deutschland gar nicht erwähnt. (www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/lohn_bahl.html) Die sich durch die einseitig festgelegte Entscheidung von Maastricht 1992 allein eine gemeinsame Währung einzuführen, ohne die dadurch hervorgerufenen ökonomischen "Ungleichgeichte" auch nur im geringsten ins Kalkül zu ziehen, "gebiert" nun ihre hässlichen Folgen. Nur scheint es "unseren" Marktgläubigen trotz all dieser so klar zu Tage tretenden Defizite noch nicht im Traum einzufallen, dass dieses Europa ohne die von Delors damals geplanten institutionellen Erweiterungen nur ein Torso bleiben wird, der von Krise zu Krise weiter taumelt - auch wenn Deutschland, das mit seinem "Lohndumping" das Ziel von 2-Prozent-Inflation der EU kontinuierlich verletzt hat, dabei "wie ein Fettauge auf dieser europäischen Suppe" oben schwimmt . (Vgl. nochmals ausführlich oben den Vortrag von Heiner Flassbeck) Es bleibt eben Tatsache, dass unter dem Dach einer gemeinsamen Währung nur die Löhne als die einzige Stellschraube zur Stärkung der wirtschaftlichen "Wettbewerbsfähigkeit" zwischen den national agierenden Wirtschaftsräumen bleiben - und Deutschland hat in unfairer und auch unsolidarischer Weise diese Löhne vor allem mit dem "explodierenden" Niedriglohnsektor nach unten bugsiert. (Vgl. dazu noch einmal die Seiten 4 f. und 5 f. zum Prekariat bei www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/bahl_sowi.pdf ) Aber das liegt für "unsere" Politikwissenschaftler schon "außerhalb ihres Analysebereiches - Auch wenn Maull noch feststellen kann, dass die Verschuldensproblematik mit den Exportüberschüssen (aus Deutschland) zusammenhängt, findet er nicht den Weg zur Ursache in dem Lohndumping (Maull, S. 39). Trotzdem kommt Maull noch "realistischerweise" zu dem Ergebnis, "dass sich die Gesellschaften Europas auf Dauer mit einer Politik und mit Regierungen nicht abfinden werden, die außer Sparmaßnahmen keine Zukunftsperspektive anzubieten haben und nach immer neuen finanziellen Leistungen im Namen der europäischen Solidarität rufen, um Zinszahlungen und Tilgungen der überschuldeten Gesellschaften zu ermöglichen." Ende der deutschen Vorherrschaft in Europa unter dem Diktat der Finanzmärkte Im Rückblick sei dabei doch noch auf die Rolle des "Duo Infernale" von "Merkozy" für Europa und Griechenland zunächst hingewiesen, die so quasi als Totengräber der europäischen Idee auftraten, da Europa nur von den Finanzmärkten "beherrscht" werden darf. (www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl25.html) Deshalb tut sich jetzt die Möglichkeit auf diese vorherrschende Alternativlosigkeit aufzubrechen - Und deshalb geht es auch genau um diese Möglichkeit der Zivilisierung der Finanzmärkte jetzt ganz aktuell im französischen Präsidentschaftswahlkampf. (Vgl. "In Frankreich geht es jetzt um die berühmte Wurst" - Muss die Herrschaft der Finanzmärkte tabu bleiben?: www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl22.html. Siehe weiter zur Bankenregulierung auch www.nachdenkseiten.de/?p=12602#h06 ) Deshalb wird die am Schluss gestellte Frage: "Und woher soll nach der "deutschen Führung" an den Rand des Abgrundes eine Neuorientierung kommen? - ganz aktuell für das gedeihliche - aber eben auch solidarische - Miteinander in diesem unserem Europa! Und so hat der mögliche sozialistische Präsident Hollande für Frankreich auch schon die Neuverhandlung des die deutsche - Merkel`sche - Vorherrschaft für Europa vollendenden Fiskalpaktes angekündigt. (www.faz.net/-gq5-6yj1b , siehe des weiteren noch www.tagesschau.de/ausland/hollande120.html und www.stern.de/news2/aktuell/europas-sozialdemokraten-stellen-sich-hinter-hollande-1801350.html ) Und der Konflikt liegt nun in der deutschen Sozialdemokratie, deren Fraktionsvorsitzender im Bundestag den Fiskalpakt nicht "blockieren" will (www.nachdenkseiten.de/?p=12566#h10 ). Dadurch könnte die deutsche Sozialdemokratie in einen Rechtfertigungszwang geraten, denn der Fiskalpakt ist und bleibt wohl nur eine Sackgasse (www.nachdenkseiten.de/?p=12573#h01 ). Ja, der Europäische Gewerkschaftsbund (Bernadette Segol) macht darüber hinaus noch grundsätzlich deutlich, um was es hier geht: "Wir müssen das Geschehen gegen diese Austeritätspolitik verändern" (www.gegenblende.de/14-2012/++co++46cbd67e-678f-11e1-504e-001ec9b03e44 ). Wo sich die deutsche Sozialdemokratie dann - so eingeklemmt zwischen den deutschen wie auch europäischen Gewerkschaften und den französischen Sozialisten - hinbewegt, muss sie im Angesicht des Wahlkampfes in Deutschland im Jahre 2013 dann selbst politisch verantworten. Jedenfalls die Zeiten eines neoliberalen Diktats mit Arbeitsmarkt- und Finanzmarkt-Deregulierung des "Basta-Kanzlers" Schröder vor den Gewerkschaften neigen sich angesichts des schon fast brutal zu nennende Wählerverlustes in Deutschland dem Ende zu. Mögen Architekten dieser neoliberalen Agenda , wie Stenimeier und Steinbrück , das noch nicht begreifen wollen - es könnte sein, dass sie dafür eine deutliche Quittung am Wahltag wieder erhalten werden. Obwohl Skepsis gegenüber einer Neuorientierung durchaus noch angebracht erscheint, wie sie Jens Berger formulierte (www.nachdenkseiten.de/?p=12611 ), ist dieses Festhalten am deregulierten Status Quo ein phantasieloses Elend. Oder riskieren "wir" - das hätte dann vor allem auch die deutsche Sozialdemokratie zu verantworten - ein verlorenes Jahrzehnt für Europa? (http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/08971.pdf ) Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 21.3.2012 |