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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Eine kleine Skizze für ein zu malendes Gesamtbild: "Unsere" Krise mit den Sozialwissenschaften Ein paar einleitende Bemerkungen mit dem Blick auf das "Nordische Modell" und die mangelnde Gleichheit Wie gesagt, dieses jetzige Vorhaben ist erst als eine Skizze für ein "dereinst" - vielleicht auch von viel kompetenteren Menschen - zu malendes Gesamtbildnis zu werten. Dabei könnte damit doch ganz pragmatisch beim durchaus noch vorhandenen - sozusagen "real existierenden" "Nordischen Modell" begonnen werden. Diesem konstatierte doch Paul Krugman erst kürzlich wieder, dass es nicht nur immer noch ein großzügiger Wohlfahrtsstaat ist, sondern auch schneller wirtschaftlich zu wachsen in der Lage ist als jedes andere Land. (www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-wenn-die-musik-nicht-mehr-spielt,1472602,11753016.html ) Ja, dieses Modell ist so erfolgreich - jenseits einer politisch regierenden Sozialdemokratie - dass es die Sozialdemokraten - welch dekadenter Gestus - als so erfolgreiches Modell für sich "patentieren" lassen will. (http://wissen.dradio.de/nachrichten.59.de.html?drn:news_id=65988 oder www.sueddeutsche.de/c5c384/490447/Im-Zeichen-des-reg;.html ) Schon unter konservativer Ägide hatten uns dieses Modell die WSI-Mitteilungen vorgestellt (www.nachdenkseiten.de/?p=3737 ) - und dabei ist der ganze "Clou" des Modells, doch einfach die Gewerkschaften stark zu machen (www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/bahl.html). Nur, wer möchte heutzutage bei uns schon einen Gedanken daran verschwenden, die Gewerkschaften so richtig ins Zentrum des sozialstaatlichen Geschehens zu rücken? Mei, wo kämen wir aber hin, wenn unser Bild von den den politischen Prozess bestimmenden Parteien auf den Kopf stellen müssten: Parteien haben keine strategische Bedeutung mehr - ja, vielleicht früher einmal, da hatten zumindest die linken Parteien noch gesellschaftliche Gesamtkonzepte - aber jetzt können sie doch nur noch einer zur "politischen Hegemonie" geronnenen Vorstellung von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit - mit kleineren eher technokratischen Varianten - hinterherlaufen. Und sich dafür "patentieren lassen", dass sie - als polische Bewegung - früher einmal so ein "System" etablieren konnten - wie es z.B. der US-amerikanische Sozialforscher Immanuel Wallerstein festhält (www.nachdenkseiten.de/?p=6954#h08 ). Die stärkere Gleichheit - ganz im Gegensatz zu dem von Wilhelm Heitmeyer durch die deutsche Sozialdemokratie hergestellten "Zustand" der verstärkten Ungleichheit (vgl. unten (= letzten beiden Links) S. 5f.) - ist dabei in der Lage die jeweiligen Gesellschaften auch glücklicher zu machen - was ja vor allem diese bahnbrechende Studie von Richard Wilkinson und Kate Pickert so deutlich macht (www.nachdenkseiten.de/?p=4786#h01 , www.nachdenkseiten.de/?p=4972#h12 , www.nachdenkseiten.de/?p=4968#h05 und www.nachdenkseiten.de/?p=8070#h11 sowie der gesamten breiten ökonomischen und politischen Diskussion, die sich daran anschloss: Thomas Fricke "Nieder mit arm und reich" (www.nachdenkseiten.de/?p=5934#h05 ), Harald Schumann "Wirtschaftliche Macht und Demokratie" (www.nachdenkseiten.de/?p=9006#h10 ), Robert Misik "Gleichheit macht glücklich" (www.nachdenkseiten.de/?p=7173#h13 ) und noch weiter die Ökonomen: Michael Dauderstädt "Europas unterschätzte Ungleichheit" (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07477.pdf ), Till van Treeck und Simon Sturn "Gefährliche Ungleichheit" (www.nachdenkseiten.de/?p=7935#h17 ), Gert Wagner "Ungleichheit ist schlecht für die Konjunktur" (www.nachdenkseiten.de/?p=8502#h02 ) - und nicht zu vergessen der diesbezüglich für die deutsche Diskussion richtungsweisende IMK-Report Nr. 41 "Die Rolle der Ungleichheit" (www.boeckler.de/imk_5269.htm?produkt=HBS-004487&chunk=3&jahr oder eben www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_41_2009.pdf ), der wegen der internationalen Diskussions-"Anschlussfähigkeit" auch ins Englische übersetzt wurde). Um noch einmal auf die eingangs gestellte Frage des Sozialphilosophen Axel Honneth zurück zu kommen, "wie eine sozialstaatliche Poltik... beschaffen sein könnte?", kann man nur feststellen, dass dazu genügend Ideen vorliegen - und angefangen bei dem "Nordischen Modell" auch recht praktisch schon vorhanden sind. ... und zwei sich ergänzende ökonomische Narrative für eine "Gesamtagenda" Beim Tiefer-Graben stoßen wir jedoch auf ganz zentrale ökonomische Narrative noch. Bei den ökonomischen Narrativen finde ich jetzt erst einmal in Ansätzen zwei Stränge heraus: 1.) Da ist der weitergehende (= zeitlich) Strang von Stephan Schulmeister, der die zentrale Wende Anfang der siebziger Jahre sieht (Lambsdorff & Co. lässt grüßen) - aber eben vor allem (wie auch Paul Krugman) in dem Wechsel des ökonomischen Sets. Das Ende von Bretton Woods mit der damals beginnenden Freisetzung der (Finanz-)"Märkte" ist für ihn daher analytisch auch viel bedeutender als Kennzeichnung dieser Wende. Das heißt für ihn ist es der "Wechsel" in der grundsätzlichen Konstellation von dem Zinssatz unter der Wachstumsrate zum Zinssatz über der Wachstumsrate - dann in der "finanzkapitalistischen Phase" unter der Herrschaft der Finanzmärkte (Marktradikale Ideologie!) das entscheidende Kriterium. Weshalb für ihn auch nur wieder ein Wechsel zum "realkapitalistischen Regime" in Frage kommt - und politisch einen zentralen Stellenwert einnimmt und 2.) kommt das Narrativ von Heiner Flassbeck dazu, das ich jetzt einfach Euro-Narrativ nennen möchte. Dieses beginnt - ohne dass ich das hier schon so ausführlich dargestellt hätte - ja ungefähr mit der europäischen gedachten Antwort auf das "Dollar-Regime" nach Bretton Woods: das "begann" mit dem Delors-Plan von ca. 1988/89, der noch eine institutionelle und ökonomische (zunächst der ECU dann der Euro) Integration für Europa vorsah. Der eigentliche "Sündenfall" kam dann jedoch 1992 - unter der Regierung Kohl - mit dem Maastricht-Vertrag, der die ganze europäische Integration auf die Währung - den Euro - reduzierte. Dieses Agieren unter dem gemeinsamen Dach des Euro - mit dem wirtschaftlichen Ziele einer gemeinsamen Inflationsrate von ca. 2 Prozent - und die damit entstehenden "ökonomischen Ungleichgewichte" werden für ihn zum Angelpunkt in dieser Geschichte - und damit ganz zentral für die ganze Misere der Eurokrise. Und diese beiden Narrative schließen sich m.E. keineswegs aus, sondern sie verschränken sich in Europa - oder man könnte es auch einfach so sagen : Europa hat das Pech - im Gegensatz zu den USA in dieser Krise - dass sie diese zwei Problemlagen ("Narrative") "übereinanderliegend" zu bewältigen hätte - und daran zur Zeit - wo alle noch allein die neoliberale Agenda, die Märkte können nichts falsch machen, noch im Kopfe haben - ganz kläglich scheitert, weil es Europa nicht einmal gelingt auch nur einen dieser Stränge "krisenüberwindend" anzugehen. Du wirst sehen, es ist mir hier noch nicht gelungen, dieses alles in seiner ganzen Verschränkung "durchzukomponieren" - falls das je gelingt? - aber du wirst es "anklingen hören". Den Anstoß für diese erste Skizze allerdings gab mir Jutta Roitsch mit ihrer kleinen "Aufforderungen" an die Sozialwissenschaften, ihre bisher geübte "eifrige" Zurückhaltung doch auch einmal zu überwinden. Irgendwie reizte mich dieser Ausgangspunkt doch nach den ganzen disparaten Teilen in der sozialwissenschaftlichen "Landschaft" zu suchen - und sie auch ein wenig mit der Ökonomie zu konfrontieren - oder diese "Ergebnisse" in dem Stand der kritischen Ökonomie-Diskussion auch zu "spiegeln". Falls du Lust hast, kannst du mir ja einmal sagen, was du davon halten willst - aber noch viel lieber ist es mir, falls du diesen "anfänglichen" Ball auch aufgreifen - und weiter spielen würdest - bis das "Sprechen über die Krise" doch eine Dichte gewonnen hat, die "umsetzungsstark" die Politik zu beeinflussen vermag! Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 13.3.2012 Es handelt sich hierbei um eine Fortsetzung von: Sprechen über die Krise in unserer Gesellschaft - Was leisten die Sozialwissenschaften zu ihrer Aufklärung? Ein Rückgriff auf Perry Andersons "Depicting Europe" |