»Krieg gegen die Armen«
Ausverkauf von Land, Wald, Wasser und Rohstoffen: In Indien werden ganze Landstriche an Konzerne verscherbelt, und das Militär macht Jagd auf Adivasis und Dalits. Interview von Wilhelm Langthaler mit G.N. Saibaba, in der jungen Welt vom 14.04.2010 . G.N. Saibaba ist Assistenzprofessor für europäische Literatur an der prestigeträchtigen New Delhi University. Er zählt zu den Exponenten der demokratischen Opposition und spielt eine zentrale Rolle in der Koordination der verschiedenen Widerstandsbewegungen. Der an den Rollstuhl gefesselte Wissenschaftler repräsentiert die Revolutionäre Demokratische Front (RDF)
Eine Bilanz der privaten Krankenversicherung: Kein Zugang für Arme
In Indien verweilt jemand, der zu jenen 10% der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen gehört genau sechs Mal so lange im Krankenhaus, als jemand der zu den 30% mit den geringsten Einkommen gehört: Natürlich liegt es nicht gerade daran, dass Geld im Kapitslismus unglücklich macht. Zwei Drittel der Bevölkerung haben schlichtweg keinen Zugang zum privaten Gesundheitssystem, dem die meisten Krankenhäuser zugehören. Staatliche Gesundheitsausgaben sind minimal - und, obwohl sich ein mächtig wachsender Medizintouristenstrom nach Indien ergiesst haben die Menschen vor allem auf dem Land wenig davon, denn 85% aller Ärzte praktizieren in den Städten. Der Artikel "Healthcare in India: Features of one of the most privatised systems in the world" von Pinaki Chaudhuri erschien am 1. September 2009 bei sanhati und zieht, mit vielen Materialien versehen (unter anderem Material der nationalen Koordination der Gesundheitskoalition) eine Bilanz sowohl der Lage in ganz Indien, als auch in den traditionell links regierten Bundesstaaten, ohne große Unterschiede herauszufinden.
Erfahrungen aus Kerala
Eine langjährige Massenbewegung die das Schlagwort von der dezentralisierten Planung mit autonomen Lebensgeistern füllte - davon handelt ein Buch, das Marta Harnecker herausgegeben hat. Seit rund 10 Jahren wird im südindischen Bundesstaat Kerala versucht, die staatliche Planung - die Landesregierung wird seit langem vor allem von der KP gestellt - anders zu betreiben: Von unten. Das mag ähnliche Begrenzungen haben, wie die Haushaltsbeteiligungen von Porto Alegre, die eines der Modelle waren, die in Kerala diskutiert wurden - auch dort umfasst die "Volksbeteiligung" nur etwa 35% der Haushaltsgelder. Immerhin etwa 35% mehr als in der ach so demokratischen BRD. Und immer wieder wurde bei diesem Entwicklungsprozeß deutlich, dass er sozusagen per se mit Privatisierungen unverträglich ist. Das kleine spanische Buch "Estado Kerala (India): Una experiencia de planificación participativa descentralizada" von Richard W. Franke, Marta Harnecker, Andrés Sanz Mulas und Carmen Pineda Nebot wurde am 6. Mai 2009 bei rebelion.org publiziert.
Organisiert im Kampf ums Wasser
Wasser ist auch in Indien heutezutage ein besonders umkämpftes Gut. Der Kampf etwa gegen den Wasserverbrauch von Coca Cola hat im Lande ja bereits jahrelange Tradition - zwei Abfüllfabriken in Kerala und Uttar Pradesh mussten wegen lokaler Bewegungen bereits geschlossen werden. Einen aktuellen Überblick über den Stand der Dinge - mit besonderer Betonung der Frage, wer welchen Einfluss auf das "Wasser-Management" nehmen kann und will - gibt der Beitrag "The practice of participatory water management" von Basanta Kumar Sahu in der Zeitschrift Development, Nr. 51/2008 (einer Schwerpunktausgabe zum Thema Wasser) anhand einer Kommune im Bundesstaat Orissa, wo die Protestbewegungen heutezutage mitentscheiden können.
Warum internationale Handelsketten nicht willkommen sind
In einem Land, wo die "Terroristen" (Naxalbaris) massenhaft Zulauf finden bei direkten Aktionen gegen die Nahrungsmittelverteilstellen in den jeweiligen Bundesstaaten (wo es - eigentlich - unterschiedliche Preise je nach Einkommen der Bezieher geben sollte), kann es nicht verwundern, dass die verschiedenen Anläufe der Walmart und Carrefour, Metro und anderen Segnungen der Marktwirtschaft, endlich auf diesem riesigen Markt Fuß zu fassen, bisher an recht breiter Ablehnung gescheitert sind. Aber natürlich gibt es auch in Indien genügend Menschen, die es ganz toll finden, für irgendwelche Unternehmen Reklame zu laufen - und dafür noch teuer bezahlen zu müssen. Massenhafte Farmerselbstmorde auf der einen Seite, die stetig wachsende Anzahl von Patenten, die sich Unternehmen von ihren jeweiligen Behörden geben lassen auf der anderen Seite, sind der Hintergrund zu einer heftigen gesellschaftlichen Konfrontation, innerhalb derer sich immer mehr Bauern, Fischer und "Waldmenschen" zu kooperativen Zusammenschlüssen finden, die beispielsweise ohne Künstdünger arbeiten. 12 Millionen "Einzelhandelseinrichtungen" gibt es in Indien, 40 Millionen Menschen sind dort beschäftigt - die Millionen StraßenhändlerInnen nicht gerechnet - die oft genug, in kleineren Städten vor allem, Bäuerinnen sind, die Direktverkauf praktizieren. Dennoch beschäftigt der Zwischenhandel, die örtlichen "Agents" Zehntausende. Prekär und schlecht genug also der Istzustand. Für die breiten Massen der "nicht konsumfähigen" Menschen ist mit dem Einzug der transnationalen Handelskonzerne keine Besserung in Sicht, im Gegenteil. Einige Aspekte dieser vielschichtigen Auseinandersetzungen bieten die folgenden Beiträge:
- Zum Einzelhandel bzw ausländischen Investitionen (FDI):
- Zum "Nahrungsaufruhr":
- Zur Entwicklung der Landwirtschaft in Indien:
- Zu Widerständen:
Auch in Karnataka wehren sich Bauern und Landbevölkerung gegen die Landnahme für Industrieprojekte
Während in Westbengalen die Auseinandersetzungen um Nandigram weitergehen und jetzt auch ein drittes Landnahmeprojekt zur Industrialisierung auf erbitterten Widerstand trifft, sollte nicht vergessen werden, dass jene Mainstream-Parteien die dort auf Opposition machen, in jenen Bundesstaaten, wo sie an der Regierung beteiligt sind, vergleichbare Projekte durchziehen und auf vergleichbaren Widerstand treffen. Das Dokument "Tumkur Farmers fight against land acquisition" der Karnataka Labour Federation vom 3. Dezember 2007 steht insofern auch für Widerstände anderswo, die sich ausbreiten.
Der stille Massenmord - Aktionen für Nahrungsbeschaffung
Über Indiens wirtschaftlichen Aufschwung zu schreiben und zu reden ist in den kommerziellen Medien eine neue Mode geworden - bald werden wohl auch die ersten Produkte über die indische Gefahr in den Druck gehen...Während immer mehr indisches Kapital rund um die Welt investiert wird, leidet rund ein Drittel der Bevölkerung unter Hunger. Das betrifft rund 350 Millionen Menschen, mehr als Europa Einwohner hat. Ein stiller Massenmord in dem riesigen reichen Land, dem täglich Tausende zum Opfer fallen. In staatlichen Nahrungsmittelläden herrscht vor allen Dingen Bürokratie - und Korruption. In mehreren Bundesstaaten sind in den letzten Wochen Aufrufe der Naxaliten-Guerilla massiv befolgt worden, die davon ausgehen, dass Regierungsläden und -speicher dem Volk gehören: "Also hört auf zu Bitten, nehmt euch, was euch gehört" - war die Losung unter der Zehntausende die staatlichen Reserven "plünderten" wie es das Bürgertum und seine Medien nannten. Der kurze (englische) Bericht "Maoists seize govt warehouses and fed the Masses" vom 10. Oktober 2007 im Bhumkal Bastar Blog unterstreicht auch die Reaktion der im Bundesstaat Westbengalen regierenden CPI(M).
Krieg den Hütten...
...und "Kies" den Glaspalästen. So lässt sich das Urteil, das der Oberste Gerichtshof Indiens über Innenstadtgelände in Bombay gefällt hat, plakativ zusammenfassen. Es geht um etwa 600 Hektar Land, auf denen einst die berühmt-berüchtigten Webereien Bombays funktionierten, in denen der (einst radikale) historische Kern der indischen Arbeiterschaft beschäftigt war. Vergangene Zeiten - und wenn es nach den feinen Herren Richtern geht ist auch das Landesgesetz von 1991, das über die Verwendung dieses Riesengeländes verfügte (nur 200 Hektar sollten industriell oder kommerziell verwendet werden dürfen): vergangen. Der "Supreme Court" Indiens hob ein Urteil des Obersten Stadtgerichts auf, das eben die Gültigkeit dieses Gesetzes von 1991 bestätigte. Und gab das Gelände zur kommerziellen Erschliessung frei - natürlich, wie alles in der Sprache des großen Bruders. "Sustainable Development" soll dort den Herren im Kostüm zufolge betrieben werden. Vor dem Hintergrund der Vertreibung von 400.000 Menschen aus Innenstadtslums von Bombay in den letzten Monaten - "Stadtplanung für soziales Wohnen" nennt der Propagandaapparat so etwas - wird deutlich, was es heutezutage für Menschen bedeutet, wenn Entwicklungspolitik betrieben wird, erst recht in dem Land, das die grössten Wachtumsraten Asiens hat. Die kleine Materialsammlung "Bombay 2006 " vom 15. März 2006. |