letzte Änderung am 8. März 2004

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8. "Wo bleibt mein Geld?" - Finanzierung der PSA

Insgesamt zahlten die Arbeitsämter bundesweit monatlich fast zehn Millionen Euro an Maatwerk.[1] Mit der Auszahlung haperte es aber…

Der "Fall Hannover" wird so bezeichnet, weil zu Maatwerk in Hannover und dessen Zahlungssäumnis mehrere Zuschriften bei uns eingegangen sind:

Dieses Problem von Maatwerk in Hannover - oder besser gesagt, das Problem der bei Maatwerk in Hannover angestellten Menschen - wurde auch in der regionalen Presse behandelt:

Und der drastischste der uns zugesandten Fälle (nicht aus Hannover) zum Schluss:

Nach den vorliegenden Informationen haben diejenigen Menschen bevorzugt Geld bekommen, die sich (Kraft einer Rechtschutzversicherung) zu wehren wussten und das Geld einklagten. Viele der Betreuer bei Maatwerk waren fast ausschließlich damit beschäftigt, Blitzanweisungen auszustellen, um Klagen abzuwenden....

Dem LabourNet Germany liegt ein Dokument vor (mit dem Maatwerk-Briefkopf "MAARWERK - integrieren ist mobilisieren"), mit dem sich bereits am 24.7.2003 ein Maatwerk-Team bei der Zentrale über diese Situation beschweren:

Maatwerk hat eine andere Lösung für das Problem gefunden: Ab dem Spätherbst ging man fast flächendeckend dazu über, die Mitarbeiter postalisch zu beruhigen, in dem eine eigentliche Selbstverständlichkeit gepriesen wurde:

".... wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir die Lohnzahlungen für den Monat X am 14.[des jeweiligen Monats; die Zahlungen sind je am 15. fällig] angewiesen haben. Damit ist unsererseits sichergestellt, dass Sie Ihren Lohn zum 15.[..] erhalten.
Sollten Sie wider Erwarten
[sic!] keinen Lohneingang zum 15.[..] verzeichnen können, bitten wir Sie, sich unverzüglich mit Ihrem PSA-Standort in Verbindung zu setzen. Für diesen Fall haben wir sichergestellt, dass Sie direkt vor Ort einen Mindestabschlag auf Ihren Lohn erhalten. Wir danken für Ihr Vertrauen..."

Kein Wunder, dass für Vermittlung und Qualifizierung keine Zeit blieb! Übrigens trägt eines der uns vorliegenden Originalschreiben das Datum vom 13. Januar 2004 - auf diese Löhne warten die meisten unserer Informanten bis heute... Woran lag diese schlechte Zahlungsmoral?

Die Finanzierung einer PSA

"maatwerk stellt allerhöchstens für 9 monate ein - und das bei 6 monate probezeit !!! ich finde das alleine skandalös !!!!!!!!!!!!!!! denn wenn man mal weiterdenkt - 6 monate zahlt die BFA alles, wenn du dann nicht von maatwerk "vermittelt" wurdest - und bei den qualifikationen - für mich könnten die nichts machen - schmeissen die dich raus wenn dann wirklich nichts geht - 9 monate darfst du arbeiten wenn du profit abwirfst (so sehe ich dass) und - das ist der grösste skandal - (war bei abm anders - tägliche kündigungsfrist und so) wenn ich das richtig denke (aussage klar - nur mit kündigung 4 wochen zum monatsende), dann wollen die auch noch ne ablöse, wenn man einen wirklichen arbeitsplatz gefunden hat !!!" (Informant 12)

Im Rahmen des Vertrags zwischen der Bundesagentur für Arbeit und einem PSA-Nehmer werden die Zuschüsse an die PSA-Nehmer festgelegt. "Die PSA-Verträge werden anreiz- und erfolgsorientiert ausgestaltet. Das Honorar besteht aus einer degressiven Fallpauschale, die neun Monate nach Einstellung eines Arbeitslosen ausläuft. Hinzu kommt eine ebenfalls degressiv ausgestaltete Vermittlungsprämie. Für beide Honorarkomponenten gilt: Je kürzer die PSA-Beschäftigungsdauer, desto höher das Honorar." [6] Es ist uns leider nicht gelungen, an einen solchen Vertrag zu kommen, aber ein Maatwerk-Mitarbeiter (Informant 33) hat uns bestätigt, dass es

sind. Nach diesen Informanten-Aussagen zahlte Maatwerk im Durchschnitt knapp über 1.600 € pro vom Arbeitsamt zugewiesene Person und erhielt im Durchschnitt knapp über 1.400 € vom Arbeitsamt.

"Kommt es zu einer Vermittlung durch die PSA in ein Festanstellungsverhältnis bei einem Entleihbetrieb, kassiert die Firma in den ersten drei Monaten 200% der Fallpauschale als Vermittlungsprämie, in den nächsten drei Monaten 150% und in den letzten drei Monaten immer noch eine Monatsprämie (100%). Diese Kopfprämien werden selbst dann gezahlt, wenn die neue Beschäftigung nur drei Monate dauert (dann gibt’s die halbe Prämie), nach sechsmonatiger Arbeit bekommt die PSA dann die zweite Hälfte ausbezahlt. Wohl nicht nur MAATWERK versucht z.B. durch Nötigung von Arbeitgebern sich diese zusätzliche Prämien zu sichern, auch wenn sich ihre MitarbeiterInnen selbst einen neuen Job gesucht haben. Als Druckmittel wird dabei die gesetzliche Kündigungsfrist von 4 Wochen nach Ablauf der Probezeit angewandt: So ist z.B. MAATWERK nur zur “einvernehmlichen Auflösung” des PSA-Vertrages bei einer “Vermittlung” verpflichtet. Um den Mitarbeiter also sofort gehen zu lassen, “überredet” MAATWERK den neuen Arbeitgeber als Gegenleistung zu einer Unterschrift unter einen Vermittlungsbogen." [7]

Bereits in dieser Vertragsgestaltung sehen viele die Ursache für das sich abzeichnende Scheiter des PSA-Konzeptes: "Qualitätskriterien und Konzepte der Agenturen kamen bei der Auswahl zu kurz. Es ging vor allem um die Prämie pro Kopf, die von Fall zu Fall ausgehandelt wurde. Sie variiert nicht nur von Agentur zu Agentur, die einzelnen Arbeitslosen haben auch einen unterschiedlichen Wert. Im Schnitt gibt es für jeden 1000 Euro pro Monat. Doch das sagt nicht viel aus. Hilfskräfte liegen beispielsweise bei rund 325Euro, ein Ingenieur kann hingegen fast 2500Euro pro Monat in die Kasse spülen, zuzüglich Mehrwertsteuer. Außerdem hängt die Summe davon ab, ob der Arbeitsuchende „marktgängig“ ist. Und das hat unter anderem auch mit seinem Alter zu tun. (...) Alles in allem, so heißt es in der Branche, bleibt unter dem Strich nur etwas übrig, wenn 65 Prozent der Leiharbeiter weiter vermittelt werden. Maatwerk konnte bei seinen fast 10000 Beschäftigten nur für 1000 neue Arbeitgeber finden; eine viel zu schlechte Quote also, um damit Geld zu verdienen." [8]

Ist keine Vermittlung (mit entsprechendem Honorar des Auftraggebers) möglich (siehe Kap. 6) und findet der Leiharbeitnehmer nicht selbst einen Job (wobei gerne dennoch die Vermittlungsprämie kassiert wurde) entstand also jeden Monat pro Kopf ein Defizit von ca. 200 € - die Kosten für die Infrastruktur (Räume, feste Mitarbeiter und Betriebskosten nicht einberechnet [9]. Für dieses Problem musste eine Lösung gefunden werden.

Die "Lösung" Antidatierung

Durch die Vertragslage mit der Bundesagentur war es möglich, Einstellungen immer innerhalb der letzten Woche des Vormonats und Entlassungen immer am Anfang des Monats vorzunehmen - woraus sich im "besten" Falle eine vollkommen legale Zahlung von 3 Monatspauschalen des Arbeitsamtes für 33 Monatstage an Lohnzahlungen ergibt. "Mit anderen Worten: Ein Ingenieur brächte beispielsweise in 48 Stunden fast 5000 Euro in die Kasse. Das provoziert gerade dazu, aus einer PSA eine Menschen-Umschlagmaschine zu machen. Auf Touren bleibt die allerdings nur, wenn der Nachschub nicht ausgeht. Aber das ist bei rund 4,6 Millionen Arbeitslosen kaum zu befürchten." [10]

Zu dieser Datierung gab es nach uns vorliegenden Angaben (Informant 33, ein Insider) bei Maatwerk eine Anweisung und darauf beruhten die genannten Rückdatierungen ("Antidatierung" [11]). Dies bestätigen die meisten der Informanten, hier nur zwei Beispiele:

Erst Anfang des Jahres 2004 hat es das IAB entdeckt: "… Bei den Eintritten und Entlassungen fällt auf, dass überraschend viele PSA ihre Beschäftigten zum Monatsende einstellen und zu Monatsbeginn entlassen. Dies könnte daran liegen, dass die PSA für jeden Kalendermonat eine Fallpauschale erhalten, unabhängig vom Eintritts- bzw. Austrittszeitpunkt des Mitarbeiters (…) Auch ein Austritt - erfolgreich oder nicht - kann somit zu "Sonderzahlungen" beitragen. Im Extremfall kann eine nicht erfolgreiche Verweildauer eines PSA-Beschäftigten von zwei Tagen einen Anspruch auf zwei Fallpauschalen erzeugen…" "Das neue Instrument zeigt seine Konturen - Parallelen und Unterschiede zur traditionellen Leiharbeit werden sichtbar…" [13] Der neue BA-Chef Weise erst nach der Maatwerk-Pleite: „… Nach Weises Darstellung gab es PSA, die Arbeitslose erst zum Monatsende eingestellt, sie aber zum Monatsanfang wieder entlassen hatten. Trotzdem hätten sie dafür komplette Monate in Rechnung gestellt. "Das mögen Einzelfälle sein. Aber dass so etwas passiert ist, ist schlecht. Wir müssen so was viel schneller merken und darauf künftig reagieren", sagte der BA-Chef….“[14] Wohl aber nur, weil es schnell von der Presse aufgegriffen wurde:

Auf der Vertragslage mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Ziel der Profitmaximierung basieren aber auch andere Gepflogenheiten (Quelle ebenfalls Informant 33, ein Insider):

Die Abrechnungen für Maatwerk führte Datef in Nürnberg durch, die Anweisungen kamen von einer niederländischen Bank. Entsprechend sagte eine Mitarbeiterin von Maatwerk bei einem Kündigungsschutz-Prozess, auf das vertragsbrüchige Verhalten von Maatwerk angesprochen, aus: "Dafür können wir nichts, das machen die in Holland" (Informant 31). Informant 36 spricht da lieber von "den machenschaften dieser modernen mafia-ähnlichen sklavenhändler". Wie wir wissen, zu spät und wie wir wissen, hat auch diese "legale" Trickserei Maatwerk nicht geholfen, zumindest nicht der GmbH und den betroffenen Menschen...

"... Laut Berends sind die Kreditlinien für die deutsche Maatwerk-Tochter am 13. Februar ausgelaufen. Die Hausbank, die er nicht nannte, sei zur weiteren Finanzierung nicht bereit gewesen. "Da ging es um Millionen Euro", sagte Berends, ohne weitere Details anzugeben. Die Bundesagentur für Arbeit sei über die Probleme von Maatwerk vor zwei Wochen informiert worden. Sie habe zunächst finanzielle Hilfe für Maatwerk erwogen, dann aber keine Lösungsmöglichkeit gesehen, da andere private Arbeitsvermittler beim Betrieb von PSA nicht benachteiligt werden sollten. "Unsere Zusammenarbeit mit der Bundesagentur und den Arbeitsämtern war gut", sagte Berends. (...) "Uns fehlte das klassische Geschäft mit Zeitarbeit", sagte Maatwerk-Chef Jos Berends der FTD. "Wir waren dabei, das Geschäft aufzubauen, und hätten dafür noch etwa drei Monate gebraucht." ..." [17] Alles Quatsch, denn es war eine Pleite mit Ansage...

Anmerkungen

1) "Jobwunder Zeitarbeit floppt. Miserable Bilanz." Text der Sendung von Maja Helmer in Frontal21 (ZDF) vom 11.11.2003, Teil 2

2) Neue Presse Hannover vom 10.9.2003

3) Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 7.10.2003

4) Artikelüberschrift in Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 10.10.2003. Weitere Beiträge zu dem Thema erschienen in Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 11.10.2003 ("Agentur ohne Service. Zahlungsweise bei Maatwerk in der Kritik") sowie vom 17.10.2003 ("Wieder kein Geld von Maatwerk"). In dieser Zeitung gab es übrigens allein im Jahr 1998 ca. 24 Artikel über Maatwerk in Hannover, damals im Vertrag mit der Stadt bzw. Sozialamt…

5) Ramon Lippinkhof, die rechte Hand von Jos Berends und Chef der Personalverwaltung

6) "Vergabeverfahren für PSA beginnt", BA-Presse Info Nr. 03 vom 03/01/2003

7) "Stoppen wir die PSA-Zwangsarbeit! Bekämpfen wir die Sklavenarbeit!" Flugblatt von OG Hamburg der FAU vom Januar 2004

8) "Sorglos und zu billig. Personal-Service-Agenturen: Das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit floppt – trotz stattlicher Subventionen". Artikel von Gunhild Lütge in DIE ZEIT vom 04.03.2004

9) Lt. Frankfurter Rundschau vom 21.2.04 lagen die Gebote von Maatwerk bei der Bewerbung um PSA "zum Teil 20, 30 Prozent unter dem, was erfahrene Träger in diesem Bereich schon für die finanzielle Schmerzgrenze hielten" Lt. Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA) hat Maatwerk für PSA-Beschäftigte sogar nur die Hälfte des sonst üblichen Preises verlangt! Quelle: "Rückschlag für Hartz-Reform. Nach Insolvenz von »Maatwerk« stehen PersonalServiceAgenturen in der Kritik." Artikel von Thomas Großmann in ND vom 18.02.04

10) "Sorglos und zu billig. Personal-Service-Agenturen: Das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit floppt – trotz stattlicher Subventionen". Artikel von Gunhild Lütge in DIE ZEIT vom 04.03.2004

11) Eine lobenswerte Vermittlerin bei Maatwerk Berlin soll diese Antidatierung verweigert haben und ist daraufhin entlassen worden, kurz darauf auch ihr Vorgesetzter, weil er seine Leute nicht "im Griff" hatte (Informant 33, ein Insider). Leider ist es nicht gelungen, beide zu interviewen

12) "Maatwerk in Insolvenz. Rückschlag für Hartz-Reform". Text der Sendung in Frontal21 von Maja Helmer und Marcus Lindemann am 17.02.2004

13) Aus: "Das neue Instrument zeigt seine Konturen - Parallelen und Unterschiede zur traditionellen Leiharbeit werden sichtbar…" Personal-Service-Agenturen - Teil II. IAB Kurzbericht 2/2004 von Jahn, Elke J.; Windsheimer, Alexandra als pdf-Datei.

14) zitiert in: "BA-Chef Weise will Personal-Service-Agenturen stärker kontrollieren Nürnberg" – dpa-Meldung in Märkische Oderzeitung vom 21. Februar 2004

15) Artikel in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.01.2004

16) "Mißbrauch für PSA soll schwerer werden". Artikel in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.01.2004

17) "Maatwerk räumt Versagen ein". Artikel von Olaf Preuß in FTD vom 19.2.2004. Es war übrigens ab November 2003 die ABN-Amrobank, die BA hätte die Banken fragen müssen...

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