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Updated: 18.12.2012 15:51
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GDL - Rechtstreit oder Tarifstreik?

Ein Kommentar von Armin Kammrad, 21.10.2007

Einerseits ist die GDL in einer schwierigen Situation: Eingeklemmt zwischen Rechtsprechung und Repressalien, führt die Gewerkschaft einen Kampf an gleich mehreren Fronten. Justitia stellt sich einseitig auf die Seite von Herrn Mehrdorn und dieser nutzt jede Gelegenheit, mit Abmahnung und Kündigungen den Streik zu behindern. Das Zusammenspiel von Justiz und Geschäftsführung ist nahezu perfekt - zum einseitigen Nachteil der Lokführergewerkschaft. Die GDL versucht sich wiederum durch Anrufen der angl. unparteiischen Gerichte zu wehren - doch bisher ohne nennenswerten Erfolg. Hauptmerkmal des Streiks der GDL ist bisher, dass er mehr im Gerichtssaal stattfindet, als dort, wo er nach Grundgesetz Art. 9 Abs. 3 hingehört: In den wirtschaftlichen Bereich.

Auf der anderen Seite steht die Mehrheit der Bevölkerung, die immer noch - laut jüngsten Umfragen und trotz aller medialen und regierungsamtlichen Antistreikaktivitäten - den Streik begrüßt. Aber auch, was die Rechtsprechung betrifft, sieht es viel weniger düster aus, als es die bisherige Klassenrechtsprechung in Nürnberg und Chemnitz vermuten lässt. Die juristische Fachkritik bis hin zu eher arbeitgeberfreundlichen Juristerei ist eindeutig: Was bisher von den Gerichten hier entschieden wurde, ist juristisch zweifelhaft, wenn nicht gar unakzeptabel (vgl. z.B. das Interview mit Thomas Dieterich, 1994 bis 1999 Präsident des Bundesarbeitsgerichts, in Süddeutsche Zeitung v. 05.10.2007). Die letzten Aussagen des Bundesarbeitsgerichts zum Thema Streik sind ebenfalls eindeutig: "Es ist grundsätzlich den Tarifvertragsparteien selbst überlassen, ihre Kampfmittel an sich wandelnde Umständen anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen (BVerfG 4. 7. 1995 - 1 BvF 2/86 u.a. - BVerfGE 92, 365 aaO, zu C I 1 b der Gründe). Eine Bewertung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die Fachgerichte als rechtswidrig kommt deshalb grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet oder unverhältnismäßig ist (BVerfG 10. 9. 2004 - 1 BvR 1191/03 - aaO)" (BAG Urteil vom 7. 3. 2006 - 12 Sa 274/05).

Auf diesem Hintergrund erscheint es mir angebracht, auf ein paar Kernpunkte des verfassungsrechtlich verbürgten Streikrechts hinzuweisen:

Der Rechtsweg darf nicht zur Streikbehinderung werden

Grundsätzlich sollen die Grundrechte des Grundgesetzes etwas garantieren. So wenig es angeht, gerichtlich zunächst überprüfen zu lassen, ob meine Aussage auch wirklich durch GG Art. 5 (Meinungsfreiheit) gedeckt ist, bevor ich etwas öffentlich sage, ist es grundsätzlich unzulässig, vor einem Streik diesen einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Gerichte stellen rechtwidriges Verhalten fest. Und diese Feststellung unterliegt einer gerichtlichen Klärung in der Regel nach der Grundrechtswahrnehmung (notfalls durch alle Instanzen). Sicher - kann rechtwidriges Verhalten zu Schadensersatz führen. Doch hierzu steht der Rechtsweg, bis hin zum Bundesverfassungsgericht, offen.

In diesem Fall war die Gegenseite schneller und konnte erfolgreich die Gerichte für ihre Interessen einspannen. Bereits im August, nach dem Nürnberger Antistreikbeschluss, war es jedoch an der Zeit, hier eine endgültige Klärung herbeizuführen. Nicht nur für die Seite von Herrn Mehdorn, sondern auch für die Gegenseite muss die Justiz schnell arbeiten, damit Grundrechte nicht unzulässig eingeschränkt werden können.

Aber auch jetzt wird gestreckt. Ein gerichtlicher Klärungstermin Anfang November ist jedoch unakzeptabel - und dies nicht nur wegen dem Streikrecht, sondern auch wegen der, gerade im Fall der Lokführer, mitbetroffenen Allgemeinheit: Das Risiko von streikbedingten Produktions- und Arbeitsausfall trägt - nach gängiger Rechtsprechung - der Arbeitgeber; wie und ob der abhängig Beschäftigte zur Arbeit kommt, dieses Risiko trägt letzterer. Für diese einseitige Belastung trug der Chemnitzer Gerichtbeschluss die Verantwortung. Er entlastete die Arbeitergeberseite und belastete die Seite der vom Nahverkehr abhängigen Beschäftigten (scheinbar um die Stimmung gegen den Streik anzuheizen).

Es war der Arbeitsrechtler Däubler, der in einem Interview auch klarstellte, dass die gerichtlichen Beschränkungen des Streiks, diesen eher in die Länge ziehen, als ihn zu verkürzen. D.h. aber auch, dass die Allgemeinheit durch das gerichtliche Verhalten erheblich belastet wird. Die Verteidigung des Streikrechts erfordert deshalb, ebenso wie das Interesse der Allgemeinheit, eine rasche Beseitigung aller juristischen Eingriffe in das Streikrecht.

Sprungrevision direkt zum Bundesarbeitsgericht und notfalls zum Bundesverfassungsgericht, erfordert somit auch das Interesse der Fahrgäste. Gerade um die Allgemeinheit möglichst wenig zu belasten, muss die Gewerkschaft ihre volle Stärke ausspielen können, um - wie das Bundesarbeitgericht feststellte (vgl. oben) - "dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen".

Wer verhält sich hier eigentlich rechtswidrig?

Selbst wenn das Ergebnis von Chemnitz akzeptiert wird, bleibt jedoch festzustellen, dass sich gerade die Seite von Herrn Mehdorn nicht daran hielt. Mahnt er ab und entlässt sogar Lokführer, schafft er von der ursprünglichen Entscheidung abweichende neue Fakten, welche durch Streik und nicht durch Rechtstreit beantwortet werden müssten. Auch hier sollte die rechtliche Seite hinter dem wirtschaftlichen Tarifkampf stehen.

Denn hier geht der Streik nicht mehr um die Anerkennung als Gewerkschaft und um eine bestimmte Forderung, sondern richtet sich zusätzlich gegen Mittel, welche die Gegenseite zur Durchsetzung ihrer Forderung einsetzt - Einschüchterung und Entlassungen. Anders gesagt: Die Chemnitzer Entscheidung, nicht den Güter- und Fernverkehr zu bestreiken, fiel auf anderer Grundlage und umfasste nicht die Form des Tarifkampfes, wie ihn nun der Bahn-Vorstand führt. Durch die Abmahnungen und Entlassungen sind einer neuer Fakt, der auch durch neue Streikformen beantwortet werden sopllte - nämlich durch Streiks im Güter- und Fernverkehr. Es ist Herr Mehdorn, der die GDL dazu zwingt.

Fazit

Es nutzt der GDL wenig, wenn nach vielleicht einem Jahr Rechtstreit zwar gerichtlich geklärt ist, dass sie eigentlich so hätte streiken dürfen, wie sie es sich ursprünglich vorstellte, aber der Bahnvorstand seine Forderungen längst hat durchsetzen können.

Aber auch die Mitglieder der anderen Bahn-Gewerkschaften sollten bedenken, dass das Streikrecht der GDL eigentlich ihr Streikrecht ist und die wegen Streik jetzt entlassenen Lokführer ihre Kollegen sind.


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