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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Krise in der Krise? Günter Busch, Bernd Riexinger und Werner Sauerborn* zum Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst »Nicht auf unserem Rücken« und »Wir zahlen nicht für eure Krise« – das war und ist das Statement, mit dem Gewerkschaften und Linke in die Auseinandersetzung um die Krise und die Verteilungswirkung ihrer Folgen hineingegangen sind. Die Abschlüsse in der metallverarbeitenden Industrie und im Öffentlichen Dienst geben darauf eine im negativen Sinne richtungweisende Antwort. [1] Ohne die sonst üblichen Vorläufe und ohne durchsetzungsorientierte Mobilisierungen wurden in beiden Bereichen Abschlüsse getätigt, die zwar meilenweit entfernt sind von den Abstürzen, wie sie die Gewerkschaften in der Krise 1929ff. hinnehmen mussten bzw. hingenommen haben, die sich aber doch deutlich und be-reitwillig dem vorherrschenden Krisenmanagement von Regierung und Arbeitgeberseite unterordnen. Die Abschlüsse genau einzuordnen und zu vergleichen ist schwer, weil sie viele nicht quantifizierbare Elemente enthalten (besonders der Metall-Abschluss), die rauf- oder runtergerechnet werden können. Aufs Jahr bezogen geht es beim Abschluss im Öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) um einen tabellenwirksamen Zuwachs von 1,06 Prozent zuzüglich der ungeliebten Leistungszulage (0,25 Prozent). Damit dürfte bei der zu erwartenden Geldentwertung kaum der Inflationsausgleich gelungen sein. Zweifellos wäre im Metallbereich, wo viele Betriebe immer noch ums Überleben kämpfen und viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, die Entwicklung von Streikfähigkeit, wenn nicht ausgeschlossen, so doch ungleich schwerer herstellbar gewesen als im Öffentlichen Dienst. Die sehr verhaltene Kritik am Metall-Abschluss bezog sich daher auch weniger auf das Ergebnis als auf das Stellvertreterverhalten der Vorstände. Nachdem jedoch keine strategischen Alternativen zum Konsenskurs entwickelt worden waren, bewegten sich die MacherInnen der IG Metall in dieser Tarifrunde nicht im Gegensatz zu ihrer Basis. Umso mehr hätte hier der Ansatzpunkt einer Tarifpolitik im Sinne eines »nicht auf unserem Rücken« liegen können und müssen. Der Öffentliche Dienst hätte, anders als sonst, eine Zugpferdrolle in der Tarifpolitik einnehmen können. Zwar hat sich auch in den Haushalten von Bund und den meisten Kommunen die Situation krisenbedingt zugespitzt, aber ein vergleichbar unmittelbares Arbeitsplatzrisiko bestand und besteht für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes nicht. Statt sich im öffentlichen Diskurs diese relative Arbeitsplatzsicherheit auf die Einkommenssituation anrechnen zu lassen, hätte sie auch als Argument für eine offensivere Tarifpolitik dienen können. Dass während des Warnstreiktags im öffentlichen Nahverkehr und in der Mehrzahl der KiTas die sonst üblichen Proteste von BürgerInnen und Eltern fast völlig ausblieben, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass dem Öffentlichen Dienst durchaus eine Vorreiter- oder Stellvertreterrolle zugebilligt worden wäre, in der die ohnmächtige Frustration über die Ursachen und Folgen der Krise hätte zum Ausdruck gebracht werden können – nach dem Motto: Recht haben sie, sich zu wehren! Während sich die IGM frühzeitig, offen und ehrlich für einen Kurs des Konsenses und der Anpassung entschieden hatte, war die Richtung bei ver.di anfangs noch unklar. Einerseits gab es auch hier von Beginn an das Bestreben einer schnellen und zurückhaltenden Tarifrunde – Frank Bsirske hatte im Herbst in der internen Tarifdiskussion eine Zielmarke von zwei bis drei Prozent signalisiert – andererseits gab es in kampfstärkeren Bereichen und Regionen das Bemühen, die Tarifauseinandersetzung offensiv und mit dem Aufbau von Streikfähigkeit anzugehen. Die schlussendliche Dreiviertel-Zustimmung (24 Gegenstimmen) in der Bundestarifkommission am 24. Februar war nicht die Stunde der Entscheidung über eine offensive oder defensive Tarifrunde. Zu diesem Zeitpunkt gab es zugestandenermaßen kaum noch eine Option für Streik und Mobilisierung, weil die ganze Tarifrunde von ihrer Anlage und ihren Prämissen her auf eben einen solchen Abschluss im Krisenbewältigungsmainstream ausgerichtet war. Weil strategisch kein zentrales Anliegen, ist es letztlich nicht gelungen, die Tarifrunde in den Kontext Krise zu stellen. Ein Offensivkonzept wäre nur auf der Basis des Selbstbewusstseins möglich gewesen, nicht für die Krise verantwortlich zu sein, sie vielmehr von denen zahlen zu lassen, die sie verursacht und zuvor maximal von der Umverteilung nach oben profitiert haben und damit mitverantwortlich für die Dimension der Krise sind. Ähnlich wie bei der »Deckelkampagne« im Gesundheitswesen, mit der die Beschäftigten im Gesundheitswesen ihre Weigerung zum Ausdruck brachten, sich durch Budgetobergrenzen in der Krankenhausfinanzierung von ihren Forderungen abbringen zu lassen, hätte hier die Haltung entstehen müssen: Die Haushaltsengpässe haben wir nicht zu verantworten, und sie sind auch anders behebbar als auf unserem Rücken, sie sind daher nicht das Maß unserer Forderungen. Diese selbstbewusste Haltung hätte sich entwickeln und gestärkt werden können, wenn die Gewerkschaften die Krisenproteste mit vollem Einsatz organisiert bzw. unterstützt hätten. Stattdessen mussten sie erst aufwändig gewonnen werden (für die Proteste Anfang 2009), und als die Krisenproteste zu schwächeln begannen, gehörten sie zu den ersten, die sich abmeldeten. Statt sich, ausgehend von der Unverzichtbarkeit des Widerstands in der Krisensituation, mit den Gründen des Schwächelns zu befassen, statt sich auch mit der damit zusammenhängenden Frage auseinanderzusetzen, warum die Bundestagswahl im September 2009 nicht zu einer Protestwahl gegen Neoliberalismus und Verteilungsungerechtigkeit gemacht werden konnte, statt Strategien gegen all dies zu entwickeln, wurde die Mobilisierung aufgegeben. Als für den März 2010 ein neuer Anlauf genommen werden sollte, der zeitlich gut mit einer durchsetzungsorientierten Mobilisierung in der Tarifrunde zu kombinieren gewesen wäre, waren die Gewerkschaften zumindest auf überregionaler Ebene nicht mehr zu gewinnen. Damit ist das entscheidende Movens einer offensiven Tarifrunde ausgefallen bzw. abgesagt worden. Auch die Forderung selbst, mit der ver.di letztlich in die Auseinandersetzung ging, war wenig geeignet, den Kontext zur Krise herzustellen und die Auseinandersetzung im Öffentlichen Dienst auch zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Frage, auf wessen Rücken die Krisenfolgen abgeladen werden, zu machen. Dazu wäre die Forderung nach allgemeinen Arbeitszeitverkürzungen geeigneter gewesen, wie sie eingangs der Tarifrunde im Gesundheitsbereich, bei der ver.di-Jugend und räumlich vor allem im Südwesten aufgestellt wurde. Keine Frage, beim Thema kollektiver Arbeitszeitverkürzung tun sich die Gewerkschaften schwer, seit sie das Thema Anfang der 90er Jahre de facto aufgegeben – und es den Arbeitgebern überlassen haben. Seitdem gibt es zwar immer wieder Appelle und Beschlüsse, aber genauso viele Absagen und ein Ausweichen, wo es konkret werden müsste. Die erste große Tarifauseinandersetzung in einer Situation drohender Zuspitzung der Massenarbeitslosigkeit hätte die Gelegenheit geboten, Arbeitsumverteilung als gewerkschaftliche Gegenstrategie wieder aufzugreifen und die Tarifauseinandersetzung zu einer gesellschaftlichen Solidaritätsbewegung werden lassen können. Spätestens beim Sprung auf die Bundesebene wurden diese Ansätze wieder auf eine im Kern einkommensorientierte Forderung eingedampft. Das verbleibende Bindeglied zu Krise und Arbeitslosigkeit war dann das Argument: »Sozial ist, was Nachfrage schafft«. Dies ist jedoch aus drei Gründen keine überzeugende Überschrift: Erstens ist Wachstum allein, auch wenn es nachfrageinduziert ist, eine wenig glaubhafte, weil verkürzte Antwort auf eine Arbeitslosigkeit, die im Kapitalismus langfristig aus der gegenüber dem Wachstum tendenziell schnelleren Produktivkraftentwicklung resultiert. Zweitens bleibt fragwürdig, ob und inwieweit die von den Gewerkschaften propagierte nationalkeynesianische Nachfragesteigerung wirtschaftspolitisch überzeugt – und darüber hinaus als Begründung einer Lohnforderung der ArbeitnehmerInnen geeignet ist, diese nicht vielmehr unmittelbar an den Überlebensinteressen der Beschäftigten ansetzen müsste. [2] Drittens mutet eine Forderung anachronistisch an, die sich auf einen undifferenzierten Wachstumsbegriff bezieht – schließlich ist die aktuelle Weltwirtschaftskrise im Verständnis von Gewerkschaften und derer, mit denen wir zusammen gegen die Folgen der Krise kämpfen wollen, mehr denn je zugleich eine Ernährungs- und Klimakrise infolge eines fetischisierten Wachstumsglaubens. Schließlich bietet das Argument ›Sozial-ist-was-Nachfrage-schafft‹ eine fragwürdige Krisenlösungsthese an und führt damit weg von der Frage der Krisengründe und -verantwortung. Die Botschaft auch nach innen ist: Geschäftsgrundlage der Tarifrunde ist die Realität der Krise, und mit unserer Forderung bieten wir einen Ausweg an. So angelegt ist eine offensive, auf gesellschaftliche Verbreiterung und Solidarisierung zielende Tarifauseinandersetzung nicht möglich. Dass es bis in die überraschend starke Warnstreikrunde hinein den Anschein hatte, ver.di könnte es doch noch drauf ankommen lassen, stand im Widerspruch zur Anlage und den eigentlichen Absichten. Das medial aufgebaute Bild vom vernünftigen und verantwortungsbewussten IGM-Chef Huber und dem aufsässigen ver.di-Vorsitzenden Bsirske war von vornherein irreal, vielleicht eine Drohung an ver.di, sich zügig in den politischen mainstream der Krisenpolitik einzuordnen. So geschah es alsbald, und beide ernteten am Ende gleichermaßen das Lob der Medien und der Bundeskanzlerin. Der Weg dorthin verlief bei ver.di jedoch deutlich holpriger und ging einher mit einigen tarifdemokratischen Kollateralschäden: So wurde nach Bekanntgabe des Schlichterspruchs eine öffentliche Debatte über dessen Annahme oder Ablehnung mit dem Argument unterbunden, es dürfe keine Vorfestlegungen geben, die den Entscheidungsspielraum der Bundestarifkommission einschränken würden. Zwar blieb die offizielle Stellung-nahme von ver.di auf die Aussage beschränkt, der Schlichterspruch sei ein »starkes Signal«. Dass dennoch umgehend und auf allen Kanälen berichtet wurde, ver.di sei zufrieden mit dem Schlichtungsergebnis, habe es de facto akzeptiert, ist kaum anders als auf eine inoffizielle Ebene der ver.di-Pressearbeit zurückzuführen. Auch die Fragestellung der Mitgliederbefragung nach dem zustimmenden Votum der Bundestarifkommission, der zufolge das Ergebnis nur kritisieren darf, wer es ablehnt und (in dieser aussichtslosen Situation) bereit sei, noch einen Streik zu starten, ist schaudemokratisch und dient allenfalls dazu, ein vages Bild vom Ausmaß der (Un)zufriedenheit zu ermitteln. Das am 19. März verkündete Ergebnis, nachdem 75,4 Prozent der Mitglieder in den befragten Bereichen dem Verhandlungsergebnis zugestimmt haben, ist daher weniger Beweis einer überwältigenden Zustimmung zum Ergebnis als die resignierte Feststellung, dass ohne Mobilisierung nicht mehr möglich ist, erst recht dann nicht, wenn die Öffentlichkeit und alle Beteiligten schon die Koffer gepackt haben. Ein tarifprozessuales Novum war auch, dass der ver.di-Vorsitzende eine von der Bundestarifkommission beschlossene Forderung von fünf Prozent (Volumen) auf 3,5 Prozent verkürzt, nachdem dies im Zuge der Verhandlungen ein Schritt im gegenseitigen Annäherungsprozess gewesen war – ein Verstoß gegen den ungeschriebenen Grundsatz, dass nach einem Scheitern der Verhandlungen wieder die Ausgangsforderung gilt. In einem milderen Licht erscheinen diese Verletzungen der tarifdemokratischen Spielregeln, wenn man sie als eine von mehreren Anstrengungen versteht, die Organisation möglichst unfallfrei von anderen und weitergehenden Erwartungen und Forderungen in den Mainstreamkanal hineinzubugsieren. Angesichts einer Ausgangsforderung von fünf Prozent ergibt sich mit den durchgesetzten 1,06 Prozent (pro Jahr) plus der verhassten Leistungszulage ein historisch niedriger Durchsetzungsquotient von vielleicht 30 Prozent. Eine Bezugsgroße von 3,5 Prozent lässt die Organisation da schon in einem weniger ungünstigen Licht erscheinen. All dieses Gebaren kann sich nicht ganz zu unrecht darauf berufen, im Grunde einen nicht beschlossenen Mehrheitswillen in der Organisation umzusetzen. Tatsächlich hat am Ende eine ausreichende Streikbereitschaft nicht bestanden. Tenor in den Betrieben ist: Unter den Bedingungen der öffentlichen Haushaltsmisere war nicht mehr drin. Vordergründig und in die Irre führend wäre eine Kritik, die sich allein auf die o.g. Regelverstöße bezieht und behaupten wollte, damit sei eine Offensive abgewürgt worden. Die Organisation und ihre Führung ist vielmehr der weitergehenden Verantwortung nicht gerecht geworden, angesichts des zunehmenden Risikos, dass die Krisenfolgen auf ArbeitnehmerInnen und sozial Schwache abgewälzt werden, eine im Ansatz mobilisierungsorientierte Tarifrunde vorzubereiten. Mit den Abschlüssen von IG Metall und ver.di wird die Realität der Krise samt der sich daraus ergebenden Sachzwänge prinzipiell akzeptiert. Da die Krise aber noch längst nicht ihr Vollbild entwickelt hat und die bisherigen Verteilungsauseinandersetzungen, gemessen an den großen, noch nicht verteilten Krisenlasten, eher ein Vorgeplänkel sind, sind diese Abschlüsse auf gefährliche Weise richtungsweisend. Als weitere Hypothek für die Mobilisierung in den kommenden Auseinandersetzungen könnten sich auch die strategischen Argumentationen beim Einschwenken auf den Anpassungskurs erweisen [3]: Immer wieder muss das Argument der selbst erklärten Streikunfähigkeit in vielen Regionen, nicht nur im Osten, für ein Ausbremsen der streikfähigen Bereiche herhalten. Zum wiederholten Mal haben sich z.B. in vielen Bereichen ErzieherInnen und die KollegInnen im ÖPNV mit großem Einsatz an Warnstreiks beteiligt, hatten die Fähigkeit zum Erzwingungsstreik entwickelt (was keine Selbstverständlichkeit, sondern jedesmal ein Kraftakt ist), um dann Mal für Mal mit Verweis auf die langsamsten Schiffe im Geleitzug ausgebremst zu werden und von den Abschlüssen im Detail womöglich noch unterdurchschnittlich zu profitieren. In der Bundestarifkommission erhielten mitunter diejenigen KollegInnen den größten Applaus, die die Mobilisierungsschwäche in den von ihnen vertretenen Bereichen zum Maß der Dinge machen wollten. Wenn ver.di nach diesem Fehlstart in der Auseinandersetzung um die Verteilung der Krisenfolgen noch einmal in die Vorhand kommen will, dann muss diese Tarifrunde kritisch aufgearbeitet werden, dann dürfen nicht die Lokomotiven verprellt, dann müssen die Rollwiderstände im Geleitzug überwunden werden, dann müssen die, die mutig waren und mehr gekämpft haben, mehr, zumindest gleichviel bekommen. Und dann müssen künftig Tarifrunden mit größerem Vorlauf, krisenbezogenen Forderungen bzw. Argumentationen, in breiten gesellschaftlichen Bündnissen und damit offensiv angelegt werden.
* Günter Busch – Fachbereichsleiter Gesundheitswesen ver.di Baden-Württemberg Der Beitrag, zuerst im ak Nr. 548 vom 19. März 2010 erschienen, wurde für den express überarbeitet, ergänzt und aktualisiert. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/10 1) S. auch: Sybille Stamm/Günter Busch: »Öffentlich ist wesentlich – über die Schwierigkeiten der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst«, in: Sozialismus, Nr. 3/2010, S. 43ff. 2) Werner Sauerborn (2009a): »›Mobilisierungsaversion‹ – Zur Diskussion um Nationalkeynesianismus und gewerk-schaftliche Gegenstrategien«, in: express, Nr. 1/2009, www.labournet.de/diskussion/wipo/finanz/sauerborn.html 3) »Falsches Signal«, Gespräch mit Bernd Riexinger, in: junge welt, 27. Februar 2010 |