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Updated: 18.12.2012 15:51
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TV-L und Eckpunktepapier - erste Bewertung

Erste Bewertung eines Mitglieds der ver.di-Gruppe am Staatstheater Stuttgart vom 21.5.06

Ich versuche, den heutigen 29. Streiktag, Sonntag, 21.05.2006, dazu zu nutzen, das Eckpunkte­papier (EPP vom 19.05.06) einerseits politisch zu bewerten, andererseits aber auch schon konkret einzuschätzen, wie es bei uns im Theater als Ablösung von MTArb und BAT wirken wird. Ich folge nicht der Reihenfolge im EPP, merke die "Stellen" aber an.

Es war klar, dass es für uns keinen Sieg auf der ganzen Linie geben konnte. Die "Tarifrunde" seit Einstieg in die Prozessvereinbarung zum TVöD war dazu schon viel zu sehr durch die Spaltung Kommunen/Länder (die ver.di mitzuverantworten hat) belastet.

38,5 bleibt - für uns

Insgesamt haben sich bei der Arbeitszeit (EPP V.) die "Haltelinien" bis nahe an die 40 Stunden ver­schoben, va. in Ba-Wü (39,5?) und Bayern (39,7). Die unverschämtesten Arbeitgeber werden für ihre Frechheit belohnt. Es stellt sich aber ernsthaft die Frage, wie eine Gewerkschaft mit ein paar 1.000 kampfbereiten v.a. ArbeiterInnen die Bedingungen von 10.000en von Ange­stellten halten will, die nix machen wollen. Wie können auf dieser Grundlage Hessen und Berlin wieder in den Tarifvertrag gezwungen werden?

Es gibt auch immer Sieger in der Niederlage (V.1.c) - v.a. die, die gekämpft haben. Die Liste in Anlage 3 ist erst mal eine Aufstellung erfolgreicher Streikbetriebe. Sie behalten uneinge­schränkt die 38,5. Landesbezirklich wird es darauf ankommen, z.B. Stala, Wilhelma und Münze auf diese Liste zu kriegen. Bei den Unis sehe ich eher schwarz. Wo kleine Minder­heiten grosser Belegschaften heldenhaft gekämpft haben, teilen sie die Niederlage.

Es wird sicher ein Problem, die Liste derer mit 38,5 zu verlängern, weil die Zeit, die wir nicht arbeiten, von den anderen innerhalb des Landes miterledigt werden muss. Je mehr Streik­betriebe bei 38,5 bleiben, desto mehr muss in Regierungspräsidien und Ministerien gearbeitet werden. Hier liegen Spaltungslinien, weil es zulässig ist, den Erfolg der Einen auf die Ande­ren abzuwälzen. Aber vielleicht lernen die Beschäftigten in Museen und Ministerien so, warum sie nix gewonnen haben. Und vielen Angestellten und BeamtInnen dämmert es mögli­cherweise, welche Rolle sie in den letzten Jahren objektiv dabei gespielt haben, den Tarif­vertrag fast sturmreif zu schiessen.

Der ungenügende Organisationsgrad und die fehlende Kampfbereitschaft der Mehrheit der Landesbeschäftigten sind eine der Hauptursachen für die faulen Kompromisse, die immer wieder eingegangen werden (müssen).

Es bleibt festzuhalten, dass die "Neuen" (die sich nie rausgetraut haben) ab 1. November spürbar entlastet werden und dass die Spaltungen innerhalb der Betreibe vorbei sind.

"Guter" Lohn für gute Arbeit?

Materiell ist das Ergebnis nicht der Hit. Nach zwei Jahren Nullrunden sind insgesamt 910 Euro für 2006 und 2007 bestenfalls ein Trostpflaster (für Azubis insgesamt 300 Euro) (EPP II.) Die Differenzierungen bei den Einmalzahlungen treffen uns im ArbeiterInnenbereich zwar nicht, aber schon stinknormale SachbearbeiterInnen. Soweit bei so einem Nasenwasser von Erfolg geredet werden kann, gilt der nicht mal für mittlere Einkommen im Angestellten­bereich.

In Verbindung mit dem Wahnsinn, den Abschluss für 2008 schon jetzt zu machen (auch wenn 2,9% derzeit respektabel aussehen, EPP I.4.) offenbart sich ein Problem der ver.di-Führung. Das Dogma der langen Laufzeiten und der "Modernisierung des Tarifrechtes" hat schon vor drei Jahren verhindert, die Kündigungen durch die TdL mit einer Lohnrunde zu kontern. Nun soll ganz offensichtlich im Konsens mit dieser TdL verhindert werden, dass wir 2008 zusam­men mit den Kommunen einen Kampf um vernünftige Löhne führen.

Angesichts der beschlossenen Grausamkeiten von MWSt. bis Renten und völlig unkalkulier­barer Inflationstendenzen ist dieser Abschluss ein Witz. Anscheinend wollen manche schlicht nicht aus den Erfahrungen von 14 streikfreien Jahren lernen (oder ziehen andere Schluss­folgerungen als wir). Dass wir dieses Jahr (letztmalig) einen Festbetrag als Urlaubsgeld er­halten, verdankt sich nur dem Streik 92 (Erhöhung damals von 500 auf 650 DM).

Damit sind wir bei den Sonderzahlungen (EPP III.), zu denen Weihnachts- und Urlaubsgeld verschmolzen werden. Die Abschaffung wurde erfolgreich verhindert, für "Alte" und "Neue" bleibt dieses Jahr alles wie gehabt, die Neuen gewinnen schrittweise z.T. erheblich hinzu. In mittleren Lohngruppen bleibt die Sache auch in Zukunft eher ein Nullsummenspiel., bei 2.500 brutto z.B. ein Verlust von 25 Euro im Jahr, bei 2.700 ein Gewinn von 25. Oberhalb davon gibt's nur Verlierer, die ich nicht bedaure.

Aber unten, ausgerechnet bei den niedrigen Lohngruppen, sitzen die Gelackmeierten. Bei einem Monatsbrutto von 1.700 Euro tut ein Verlust von 120 Euro im Jahr richtig weh. Weil das System der Festbeträge beim Urlaubsgeld aufgegeben wird sind jetzt unsere türkischen Kolleginnen aus dem Reinigungsdienst, die immer mitgestreikt haben, angeschmiert.

Bleiben die "Leistungsprämien" ab 2007 (EPP IV.) Wenn in den bezirklichen Verhandlungen darüber oder von den Personalräten verhindert wird, dass dieser F.D.P.-Unfug dazu benutzt wird, nach Gusto des Chefs an dessen Lieblinge Geld zu verteilen, sind sie gar kein blödes Instrument für Lohnsteigerungen für Alle. Hier wäre mal eine Differenzierung schön: Wer gestreikt hat, kriegt was für Verdienste um das Ganze. Es geht aber immer nur für den Ge­samt-Betrieb. Nehmen wir mal über den Daumen an, im Theater arbeiten 600 Leute im TV-L, die im Schnitt nur 2.200 (brutto oder netto weiss ich nicht) im Monat verdienen. Dann wären 2007 158.400 Euro mit der Giesskanne zu verteilen, 264 Euro pro Kopf - nehmen wir!

Fussangeln und Fussnoten

Ich will die Ergebnisse nur streifen, soweit sie für uns wichtig sind oder neue Fragen auf­werfen. Das gesamte EPP strotzt von Fussnoten, die in unserer Fassung nicht abgedruckt sind und von Hinweisen auf Expertenrunden der letzten Jahre, die ausser den Experten keiner kennt. Wir haben nirgends wen in einer Tarifkommission, werden also viel Theater­spezifisches bei Wolfgang Paul erfragen müssen. Vieles ist in den Kommunen schon geregelt und wird vermutlich übertragen.

In EPP X. stehen interessante Details, unter 6. m.E. auch zur Frage des Erhalts der TBZ, unter 8. dass weiter unkündbar ist, wer schon 15 Jahre im ÖD und über 40 ist, bei 9. ein längerer Krankengeldzuschuss, in 10. Placebos für die Azubis und in 11. eine Prämie für sie, in 12. ein Angriff auf das Jubiläumsgeld.

Mit 14. sollten wir uns näher befassen mit dem Ziel einer Stuttgart-Zulage, wie es sie in Mün­chen seit langem gibt. In 16. eröffnet sich eine interessante Perspektive für die Altersvorsorge - Entgeltumwandlung ist deutlich attraktiver als unser bisheriger Riester-Kram.

Die gesamte Überleitung vom MTArb in den TV-L erfolgt im November 2006 (Horror für die Personalräte). Wer letztlich in welcher Entgeltgruppe landet und wie die Besitzstände gewahrt werden, ist über den TVöD geregelt. Die entsprechenden Broschüren vom September 2005 werd' ich beschaffen.

Der Wegfall des Sozialzuschlages (schaut, dass evtl. Kinder vor dem 31.12. geboren werden!) und des Ortszuschlages im BAT trifft nur nach November Eingestellte - wir stehen unter Ar­tenschutz.

Auch EPP XII. birgt Details, die ich nicht abschätzen kann, 4. ist für ziemlich "Alte" wichtig: wer vor September 1997 angefangen hat, erhält weiter die Beihilfe.

In XIII. wird die Meistbegünstigungsklausel gekickt - sie hätte schon früher in die Tonne getreten gehört, so etwa vor dem Abschluss TVöD. XIV. ist das selbstverständliche Mass­regelungsverbot (Seite 23 des EPP), niemand darf wegen der Streikteilnahme bestraft werden.

Das EPP ist kein Tarifvertrag, mit ihm wird ein Überleitungstarifvertrag vereinbart, den ich nicht kenne, der letztlich zu einer Übernahme eines länderspezifischen TVöD führt. Dieser enthält einen Haufen Möglichkeiten, die Beschäftigten zu flexibilisieren und die Zuschläge trotzdem zu kürzen, die ich hier nicht kommentieren möchte (ich würd' kotzen). Für uns im Theater heisst der springende Punkt sehr einfach: Bleibt es bei der grossen TBZ (22%), weil wir eh vollflexibel sind, und müssen wir befürchten, dass z.B. die Werkstätten auf die kleine TBZ (13%) "verzichten" müssen? In den Kommunen ist die TBZ bisher im TVöD erhalten geblieben.

Auf einem anderen Blatt (inhaltlich aber eng verknüpft mit der 38,5 Stunden-Woche) steht, was aus den AV-Tagen in den Schichtbetrieben wird. Wenn wir weiter 5 x 8 Stunden arbeiten, muss da eine Lösung her.

Wie urabstimmen?

Wir haben uns für heute und morgen mit dem Streik die Zeit genommen, zu überlegen, wie wir auf das EPP reagieren. Noch ist es ein Angebot der TdL an uns, die Streikenden, das wir annehmen oder ablehnen können. Die Zustimmung von Verhandlungs- und Tarifkommission bindet uns nicht.

Ich will unserem 30. Streiktag und unseren gemeinsamen Diskussionen mit den anderen Be­treiben am Montag, 22. Mai, nicht vorgreifen. Wenn ich das Ergebnis nur für das Theater betrachte, wäre meine Stimme in der Urabstimmung Ja! So wie wir sehen SiegerInnen aus! Bei der Ausgangslage für uns, gekündigte Tarifverträge über Az, Urlaubs- und Weihnachts­geld, tarifloser Zustand seit Jahren, nicht ganz erfolgreiche Abwehrschlacht der Kommunen von Februar bis April, ist das sogar ein k.o.-Sieg über Teufel und Oettinger. Meine Damen und Herren, wir sind Klasse!

Die Gesamt-Schau auf die weniger grossen Erfolge (wenn nicht gar Niederlagen) soll uns diesen Stolz nicht trüben. Mit den Unis, dem Stala, mit Wilhelma und Münze werden wir ein­schätzen, ob und wie die Streikbetriebe mit dem EPP leben können und wer welche Kröten schlucken mag oder muss.

Ich denke, einen Erfolg haben wir alle gemeinsam: Der Versuch, tariffreie Zonen ein­zurichten, ist vorläufig in den Ländern abgeschmettert. In den nächsten Jahren gilt es, wieder in die Offensive zu kommen.

M. W., So. 21. Mai 2006


TVöD erste Einschätzung, Übertragbarkeit Länder

M. W., 10.02.2005
ver.di Staatstheater Stuttgart

Nach erster Sichtung der Presse etc. kommen mir erhebliche Zweifel, ob es sich überhaupt "lohnt", in Tarifverhandlungen Länder auf der Grundlage TVöD einzusteigen (und ob wir dafür mobilisieren können).

1) ver.di hat offenbar zugestanden, dass ein einziger schlechterer Abschluss mit einem Land den neuen TV insgesamt nach unten revidiert - es besteht die Gefahr, dass das die TdL beflügelt und nicht uns.

2) Die Laufzeit ist ja wohl weit jenseits von Gut und Böse; "Jahrhundertwerk" hin oder her, wer lässt sich denn für die nächsten drei Jahre gerne Geld abknöpfen?

3) Die materielle Komponente hat ein Gutes: die Festbeträge. In der Höhe (300 Euro für 05, 06 und 07) ist sie absolut unzumutbar. Nehmen wir mal einen Kinderlosen mit 2.500 brutto. Seit 01.01.05 Verlust durch Pflegeversicherung 8 Euro. Ab 01.07.05 Verlust durch Zahnersatz und Krankengeld: 11 Euro. Umgerechnet 25 Euro im Monat kompensieren das grade so. D.h. vom Lohn gehen 3 Jahre lang alle weiteren Erhöhungen, Zuzahlungen; Inflation etc.pp. ab.

4) Auch die neue Regelung der Jahressonderzahlungen (wie immer die "soziale Staffelung" von 60, 80 und 90% aussehen soll) bringt ausser der Dynamisierung gar nichts. Beispiel wieder wie oben: 82% Weihnachtsgeld von 2.500 sind 2050; plus 332 Euro Urlaubsgeld sind 2382 Euro (Ist-Stand). Neu gibt es max 90% von 2.500, also 2250 Euro bis 2007 unantastbar. Damit sind die 300 Euro Einmalzahlung schon mal mit 132 Euro selber finanziert.

5) Die Angleichung Ost ist der einzige Lichtblick (die bezahle ich ja auch mit 25 bis 30 Euro im Monat "Soli"); allerdings bleibt es bei den Kommunen bei den unterschiedlichen Arbeitszeiten und grade im Osten wären Verminderungen dringend geboten.

6) Bei den Arbeitszeiten ist ver.di erwartungsgemäss eingeknickt. Dass jetzt ein paar zig Arbeiter des Bundes im Osten 1 Stunde weniger arbeiten - schön. Dass ein paar tausend beim Bund West ½ mehr arbeiten ist schon wieder ein Trippelschritt in die falsche Richtung. Dass die Tarifkommission aber das Scheunentor für Öffnungsklauseln sperrangelweit aufreisst lässt für gedachte Tarifverhandlungen mit der TdL nix Gutes erwarten.

7) Der Einbau einer Niedriglohngruppe (1286 Euro) deutet an, dass die Richtung für alle Neueingestellten nach unten geht. ver.di ist sich nicht zu blöde, einen Tarifabschluss unterhalb des selbst geforderten gesetzlichen Mindestlohnes zu machen.

8) Und ein letztes Wort zur Flexibilisierung zwischen 6 und 20 Uhr und bis 45 Stunden: Wir am Theater wissen, worauf das hinausläuft, weil es bei uns bereits entsprechende Sonderregelungen zum MTArb und BAT gibt Neben den Reallohnverlusten durch wegfallende Zuschläge für Mehrarbeit völlige Entgrenzung nach Gusto der Arbeitgeber und eine weitere Einladung zum Stellenabbau.

Der angekündigten rigiden Haltung der Länder bei Arbeitszeit, Sonderzahlungen und Lohnstopp hat ver.di nach dem Abschluss TVöD nichts mehr entgegenzusetzen. Es ist fast schon gleichgültig, ob wir in der Nachwirkung bleiben oder der Abschluss übertragen wird. Die "Alten" haben ihren Besitzstand, wer noch nicht am Ende der Tabelle in Lohngruppen und Stufen ist gewinnt die nächsten drei Jahre weiter und die Neueingestellten verlieren so oder so .


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