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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kampf um Arbeitszeit im öffentlichen Dienst

Nach wochenlangem Streik noch nicht entschieden

Schlechter hätten die Ausgangsbedingungen für den Streik im öffentlichen Dienst kaum sein können. Wegen der Politik des ver.di-Bundesvorstandes, insbesondere wegen des Absenkungstarifvertrags TvöD und wegen einer kampflosen Kapitulation nach der anderen sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes entlang verschiedener Linien gespalten. Das Vertrauen in die eigene Stärke und in die Gewerkschaft lag und liegt noch immer vielerorts am Boden. Es war die Provokation mit der 40-Stunden-Woche, die den Streik der Beschäftigten in den Kommunen provozierte.

Ursel Beck
Gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV

"Etwa seit drei Streikwochen gibt es bei uns ganz viel Zusammenhalt. Ich kenne jetzt Kollegen, die ich vorher nicht kannte. Unser Arbeitgeber hat uns die Chance gegeben, dass die Solidarität zwischen den Streikenden so richtig wachsen konnte." So ein Müllwerker in Stuttgart am 18.03.06. Für die Müllwerker bedeutete der Streik ein Wiederaufleben alter Kampftradition. Für die Erzieherinnen und Krankenpfleger war es dagegen völlig neu mehrere Tage oder sogar wochenlang zu streiken. Sie haben sich durch diesen Streik von Hilfs- in Kerntruppen von Tarifauseinandersetzungen entwickelt. Der Streik hat gezeigt, dass selbst mit einem Organisationsgrad von unter 20% erfolgreich gestreikt werden kann.Wenn es in einem Krankenhaus gelingt OPs, Röntgenabteilungen, Ambulanzen und andere zentrale Abteilungen zu bestreiken, wird ein Krankenhaus weitgehend lahm gelegt und ein enormer ökonomischer Druck aufgebaut. Im Saarland verursachen 66 Angestellte der Zentralen Datenverarbeitung der Landesregierung und bei den Finanzkassen 243 Millionen weniger Steuereinnahmen. Der Bund erhielt wegen des 6-wöchigen Ausstands 73 Millionen weniger überwiesen und die Landesregierung musste kurzfristig 71 Millionen Euro am Kapitalmarkt aufnehmen, um zahlungsfähig zu bleiben. Auch wenn Erzieherinnen keinen ökonomischen Druck ausüben können, ist der politische Druck eines Streiks in den Kitas enorm. Aus dem Rathaus in Stuttgart war zu hören, dass die Verwaltungsspitze am meisten genervt war von den Eltern, die den Bürgermeistern ständig in den Ohren lagen.

Kampfkraft nicht genutzt

Man stelle sich vor, ver.di hätte alle Möglichkeiten genutzt, den Streik auszuweiten und bundesweit zu koordinieren. Aber das war offensichtlich nicht gewollt. So wie der Streik gegen die Arbeitszeitverlängerung geführt wird, ist er von vornerein darauf angelegt, Zugeständnisse zu machen. Es gab keine eigene Forderung. Die Rede war von "Interessenausgleich statt Tarifdiktat". Im Klartext hieß das keine 40-Stunden-Woche aber irgendwas zwischen 38,5 und 39. In Hamburg wurde bereits nach zwei Wochen Streik für die Betriebe, die dem Kommunalen Arbeitgeberverband angeschlossen sind, ein Abschluss gemacht. Nur 42 % haben diesem Abschluss zugestimmt. Die Halbherzigkeit mit der der Streik in Hamburg und in Bremen bei den Länderbeschäftigten geführt wird spricht Bände. Hier sind Funktionäre am Ruder, die vor allem eines nicht wollen: die Städte lahm legen. Deshalb wird der Elbtunnel nicht bestreikt. Deshalb bleibt die Chance ungenutzt durch einen Streik der Feuerwehrleute den Flughafen lahmzulegen. Weit weniger als zehn Prozent der Landesbeschäftigten sind hier im Streik.

Gemeinsamer Kampf

Ein Teil der im Streik entstandenen Dynamik war der Versuch von unten betriebs- und branchenübergreifende gemeinsame Aktionen durchzusetzen. Am 5.12.005 rief ver.di Stuttgart Beschäftigte des Einzelhandels, der Versicherungen und des öffentlichen Dienstes zu einem gemeinsamen Warnstreik und zu einer gemeinsamen Demo in Stuttgart auf. 10.000 nehmen an einer Demo und Kundgebung teil. Auch ein Block von Studierenden beteiligt sich.

In Nürnberg demonstrierten Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gemeinsam mit Kollegen von AEG gegen Arbeitsplatzvernichtung. In Nordrhein-Westfalen traten Anfang März trotz Einschüchterungsversuche innerhalb von drei Tagen 15.000 Beschäftigte städtischer Betriebe in Solidaritätsstreiks mit den Landesbeschäftigten. Am 50. Streiktag der Unikliniken in NRW traten 400 Müllwerker in Düsseldorf in einen Solistreik für die Krankenhausbeschäftigten. Am 28. April unterstützten 8.000 Kolleginnen von Stadtverwaltungen, Entsorgungsbetrieben und anderen städtischen Betrieben in 20 NRW-Städten ihre an diesem Tag 1.500 streikenden Kolleginnen und Kollegen der Landesbetriebe. Auf Initiative von Air-Bus-Beschäftigten gab es in Hamburg am 19.4.06 eine gemeinsame Streikaktion. In Bochum kam es am gleichen Tag zu einer gemeinsamen Demonstration von Studierenden und Landesbeschäftigten. Eine Streikversammlung des Bürgerhospitals, Vertrauensleute und Aktivisten aus ver.di und der IGM forderte während des Streiks bei den Kommunen in Baden-Württembergs einen eintägigen regionalen Streik- und Protesttag aller Branchen, Betriebe und der gesamten Bevölkerung. In Baden Württemberg gab es kurz vor dem Abschluss die ersten Ansätze von gemeinsamen Streiks mit den Metallern. Ein gemeinsamer Streik in Metallindustrie und öffentlichem Dienst hätte die Kampfkraft enorm erhöht und ein besseres Ergebnis ermöglicht. Leider verteidigen selbst linke Funktionäre wie Bernd Riexinger den Abschluss von 39 Stunden. Ihr Argument: das Kräfteverhältnisse hätte nicht mehr hergegeben. Es war aber nicht das Kräfteverhältnis, das zu diesem Abschluss führte, sondern die Unfähigkeit der ver.di-Führung das Kampfpotenzial zu mobilisieren. Und angesichts der Massenproteste in Frankreich wurde immer mehr Kollegen klar, dass die Kämpfe viel entschlossener und gemeinsam geführt werden müssen, wenn man erfolgreich sein will.

Kampf ist noch nicht vorbei

Noch ist unklar ob und welchen Tarifabschluss es für die Landesbeschäftigten gibt . In den meisten Bundesländern, darunter auch im bevölkerungsreichsten NRW ist der Kampf um Arbeitszeitverlängerung bei den Kommunen und den Uniklinika noch offen. Durch die sogenannte Meistbegünstigungsklausel hat ein Abschluss mit den Ländern unmittelbare Auswirkungen auf die Kommunen. Nach dem Abschluss in Baden Württemberg, sagte der Mannheimer SPD-Oberbürgermeister und Verhandlungsführer Widder: "Die Zeit der stets rückläufigen Wochenarbeitszeit in der Bundesrepublik ist vorbei, der Zug führt in eine andere Richtung". Wenn es nach den Spitzenfunktionären von ver.di geht, dann hat Widder zweifellos recht. Der neun Wochen lange Streik in Baden Württemberg eröffnet aber auch eine ganz andere Perspektive. Gestützt auf die positiven Streikerfahrungen und das wiedererlangte Vertrauen in die eigene Stärke können kämpferische Kolleginnen und Kollegen den Kampf mit dem Ziel aufnehmen, endlich die Fahrtrichtung zu wechseln - nicht nur in der Frage der Arbeitszeit. Die halbe Stunde Arbeitszeitverlängerung markiert dann die Bremsspur der Fahrt in die falsche Richtung.


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