Leitwährung BAT endgültig abgeschafft
Ihr schafft uns den Ärztestreik vom Hals, dafür bekommt ihr einen
Tarifvertrag. Nach einem solchen Deal riecht der Tarifabschluss für die
Landesbeschäftigten. Drei Jahre nach dem tariflosen Zustand bei den
Sonderzahlungen und nach zwei Jahren ohne Tarifvertrag bei der
Arbeitszeit gibt es für die Landesbeschäftigten einen Abschluss, der
sich am neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) für
Kommunen und Bund orientiert. Die Löhne werden abgesenkt, Arbeitszeiten
werden verlängert. Es gibt noch offene beziehungsweise für die
Arbeitgeber leicht zu öffnende Tarifbestandteile. Das ist das Ergebnis
nach drei Monaten Streik.
von Ursel Beck
gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV
Unglaublich, aber wahr: Für die 146.000 Klinikärzte, die sich von ver.di
seit dem TVöD nicht mehr vertreten fühlen, hat ver.di die
42-Stunden-Woche, 24-Stunden-Schichten und bis zu vier
12-Stunden-Schichten hintereinander vereinbart. Und trotzdem behauptet
Frank Bsirske, es sei gelungen, /"die Arbeitszeit ein Stück weit zu
verteidigen"/. Niederlagen werden von Gewerkschaftsführern wieder einmal
als Erfolg verkauft. Das gilt auch für die angebliche Gehaltserhöhung
von bis zu zehn Prozent für die Mediziner. Sie kommt nur dadurch
zustande, dass die Arbeitszeitverlängerung teilfinanziert wird. An
anderer Stelle wird den Ärzten wie allen anderen etwas weggenommen. Der
Marburger Bund, bei dem 105.000 ÄrztInnen organisiert sind, will den
Abschluss nicht akzeptieren und mehr herausschlagen.
Für die Beschäftigten der Unikliniken wurde wie zuvor für die
städtischen Krankenhäuser die Option auf weitere Lohnsenkungen von zehn
Prozent vereinbart - /"zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft"/.
Arbeitszeitverlängerung
Der Kampf gegen Arbeitszeitverlängerung und Stellenvernichtung war
ausschlaggebend für das Durchhaltevermögen der Tausenden von Streikenden
in Hamburg, im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und anderswo. Am Ende
steht eine Arbeitszeitverlängerung für die Mehrheit der
Landesbeschäftigten. ver.di redet davon, dass im bundesweiten
Durchschnitt eine Wochenarbeitszeit von 39,22 Wochenstunden im Westen
herauskommt (im Osten wird 40 Stunden gearbeitet). In NRW sind es
allerdings 39,68, in Bayern sogar 39,73 Wochenstunden.
Die wöchentliche Arbeitszeit bei Bereitschaftsdiensten darf nun bis zu
58 Stunden betragen. Mit dieser tariflichen Regelung wird sogar gegen
das bestehende Arbeitszeitgesetz verstoßen.
Finanzielle Verluste für alle
Für alle Landesbeschäftigten und erst recht für die Altbeschäftigten
gilt: Der neue Tarifvertrag ist eine enorme Verschlechterung gegenüber
dem Bundesangestelltentarif (BAT). Ganz abgeschafft wurde das
Urlaubsgeld, familienbezogene und andere Zuschläge. Das Weihnachtsgeld
lag bisher für die KollegInnen im Westen, für die der BAT nachwirkte,
bei 82 Prozent. Ab Entgeltgruppe 9 wird es jetzt auf 80 Prozent begrenzt
und für höhere Entgeltgruppen gibt es nur noch 50 beziehungsweise 35
Prozent.
Beginnend mit dem Jahr 2007 werden den Beschäftigten bis acht Prozent
des Bruttogehalts für Leistungsentlohnung einbehalten. Dieser von allen
einbehaltene Lohn soll dann als Nasenprämie verteilt werden.
Die vereinbarten Lohnerhöhungen sind noch nicht mal ein Trostpflaster
für all diese Verluste, geschweige denn ein Lohnausgleich für die
Arbeitszeitverlängerung.
Flächentarifvertrag abgeschafft
Mit dem Tarifabschluss bei den Ländern ist der BAT als einst größter
Flächentarifvertrag endgültig abgeschafft. Die ver.di-Führung behauptet,
dass das neue Tarifwerk im öffentlichen Dienst ein Fortschritt wäre. Das
Gegenteil ist der Fall. Materiell bedeutet das den größten Verlust für
die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in der ganzen Nachkriegsgeschichte.
Noch größer ist der Verlust für alle im indirekten öffentlichen Dienst
Beschäftigten, die bisher am BAT angelehnt waren. Arbeiterwohlfahrt,
Caritas, kirchliche und freie Träger nutzen die Abschaffung der"Leitwährung" BAT für Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung und die
Streichung von Urlaubstagen unterhalb des TvöD-Niveaus.
Für die insgesamt sechs Millionen Beschäftigten im direkten und
indirekten öffentlichen Dienst gibt es keinen Flächentarifvertrag mehr.
Selbst da, wo der TVöD vereinbart wurde, gibt es - entgegen der
Behauptung der ver.di-Führung - nicht mehr, sondern weniger
Einheitlichkeit. Die Arbeitszeiten variieren von Bundesland zu
Bundesland und zum Teil von Stadt zu Stadt. Die Spaltung innerhalb von
Belegschaften wurde durch unterschiedliche Regelungen bei der
Arbeitszeit vertieft. Wenn im nächsten Jahr ein Teil des Lohns auf
leistungsabhängige Bezahlung umgestellt wird, wird sich diese Spaltung
weiter vertiefen.
Noch völlig ungeklärt ist die Frage der neuen Eingruppierungen. Sie wird
ohne jegliche Beteiligung der ver.di-Basis hinter verschlossenen Türen
verhandelt.
Im Gegensatz zu ver.di ist der Kommunale Arbeitgeberverband der Meinung,
dass die Meistbegünstigungsklausel durch den Abschluss nicht umgangen
wurde. Die Beschäftigten in den städtischen Betrieben könnten also bald
mit weiteren Verlängerungen der Arbeitszeit und Kürzungen bei den
Sonderzahlungen konfrontiert sein.
Kräfteverhältnis
Die ver.di-Führung verkauft den Abschluss bei den Ländern als Erfolg und
verweist darauf, dass angesichts des niedrigen gewerkschaftlichen
Organisationsgrades und der geringen Streikbeteiligung nicht mehr drin
war. Dass der Organisationsgrad und die Streikbeteiligung so niedrig
blieb, liegt aber in erster Linie an der ver.di-Führung. Mit den
Abschlüssen bei den kommunalen Beschäftigten in Hamburg, Niedersachsen
und Baden-Württemberg wurden die Landesbeschäftigten isoliert.
Tarifauseinandersetzungen bei der Post, Telekom und vielen anderen
Bereichen wurden nicht für gemeinsame Streiks genutzt. Für die
Altbeschäftigten der Länder gab es die groteske Situation, dass es das
demobilisierende Streikziel "Übernahme vom Absenkungstarifvertrag TVöD"
gab. Im Gegensatz zum Marburger Bund stellte ver.di keine mobilisierende
Lohnforderung auf.
Der stellvertretende bayrische Landesbezirksvorsitzende Michael Wendl
hat die Streiks im öffentlichen Dienst als die Folge des nicht geführten
Streiks bei der Auseinandersetzung um den TVöD bezeichnet. Das ist wohl
wahr. Aber das kampflose Nachgeben beim TVöD und die Öffnungsklausel
40-Stunden-Woche waren kein Betriebsunfall, sondern bewusste Politik des
verdi-Bundesvorstandes. Deshalb ist es völlig falsch davon zu reden,
dass das Kräfteverhältnis schuld gewesen sei an den tarifpolitischen
Rückschritten bei Kommunen und Ländern.
Die Verantwortung liegt bei der ver.di-Führung, die es in den letzten
Jahren durch Spaltung und eine kampflose Kapitulation nach der anderen
geschafft hat, einen einst kampfstarken Sektor zu zerlegen, das
Vertrauen in die gewerkschaftliche Kampfkraft zu untergraben und dadurch angreifbar zu machen. Und als die Arbeitgeber jetzt zur Offensive
bliesen, erwies sich der ver.di-Bundesvorstand und der Apparat als
völlig unfähig und unwillens, das Gewicht der größten Einzelgewerkschaft
der Welt in die Waagschale zu werfen. Und erklärtermaßen war es
ver.di-Chef Frank Bsirske wichtig, die Fußball-WM streikfrei zu halten.
Den Preis dafür bezahlen die Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
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