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Schöne neue Arbeitswelt.

Eine Veranstaltungsreihe der Gruppe Blauer Montag

 

IBM, einer der größten IT-Konzerne der Welt, schafft die Stempeluhr ab. Angestellte arbeiten nunmehr ohne Zeitkontrolle, sie können die Arbeit flexibel und selbstbestimmt den Rhytmen der Projektabfolge anpassen. Der Zugewinn an Autonomie in der Arbeit schlägt sich in einer zügellosen Entgrenzung der Arbeit nieder: Der Arbeitstag kennt keine Grenzen, bis zur körperlichen und psychischen Schmerzgrenze wird die Unterwerfung unter die Arbeit selbstbestimmt ausgeweitet. Unter dem Schlagwort "Glissmann-Debatte" hat das Beispiel IBM bei Betriebsräten und Gewerkschaften eine lebhafte Diskussion um "den Unternehmer im eigenen Kopf" ausgelöst, über die Ablösung der externen Kontrolle durch die verinnerlichte Kontrolle, sowie über die Frage nach einer Reregulierung von Arbeitszeiten.

Szenenwechsel: In den hippen Internet-Klitschen der Republik herrscht eine neue Erotik der Arbeit. Junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren arbeiten 50, 60 oder gar 80 Stunden in der Woche, freiwillig und mit fanatischer Begeisterung. Regulierungsforderungen oder gewerkschaftliche und sonstige Organisierung sind weitgehend Fremdworte. Die Hierarchien sind flach, die Arbeit gilt als schick, trendy und "in". Und die Medien tun ein übriges bei der Verschmelzung von völlig deregulierter Arbeit und modernem Lifestyle. Die Internet-Branche gilt als cool, hier arbeiten die modernen, jung-dynamischen Menschen von heute.

Während sowohl bei IBM als auch bei den start ups viel von Selbstbestimmung und Autonomie in der Arbeit die Rede ist, geht es bei den überall wie Pilze aus dem Boden schießenden Call Centern eher traditionell-tayloristisch zu. Obwohl auch Call Center als Bestandteil der New Economy gerne als "moderne Arbeitsplätze von heute" gepriesen werden, wird die Arbeit hier streng kontrolliert und überwacht. Schlecht bezahlt, auf Abruf und mit dem Teamleiter im Nacken bzw. in der Leitung: Auch das ist Arbeit in der IT-Branche.

Seit über einem Jahr diskutieren wir beim Blauen Montag inzwischen den Formwandel der Arbeit, die Veränderungen in den Arbeitsbeziehungen und die Neuzusammensetzung innerhalb der ArbeiterInnenklasse am Beispiel der IT-Branche, und immer noch fällt es uns schwer, eindeutige Aussagen oder auch nur dominierende Trends fest zu machen. Die drei Eingangsbeispiele beschreiben die Schwierigkeit: Hinter dem medienträchtigen Etikett von der New Economy verbergen sich eine Vielzahl verschiedener Formen von Arbeit. Auch wenn die Proletarierin von heute hinter einem Rechner sitzt und Daten verarbeitet oder programmiert, so wird in einem großen, gewerkschaftlich organisierten und regulierten Verlagshaus anders gearbeitet als in einer kleinen internet-Bude oder einem Call Center. Die "New Economy" oder "die" Dienstleistungsbranche ist keineswegs so homogen, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Gleiches gilt für die Art und Weise, wie dort gearbeitet wird.

Dennoch gibt es in unseren Augen durchaus Anzeichen dafür, dass eine bestimmte Art zu arbeiten, die i.d.R. mit der modernen Angestelltenarbeit - und hier vor allem in der IT-Branche assoziiert wird, zu einem neuen gesellschaftlichen Leitbild der Arbeit wird. Dass es zumindest eine Image-Verschiebung in der Angestelltenarbeit gibt, ist dabei wohl unbestritten. Früher Inbegriff der grauen Maus, des Langeweilers und des Beamten unter den ProletarierInnen, ist die Angestellte heute selbstbewußt, dynamisch, kreativ, kompetent und kommunikativ. In nahezu allen Sektoren und Branchen gehört die Autonomie in der Arbeit, flache Hierarchien und selbstbestimmte Flexibilität zum Kern der Unternehmenskultur und der Arbeitsbeziehungen. Egal, wo wer von uns arbeitet, mit diesen Schlagworten, aber teilweise auch mit diesen Realitäten sind alle mehr oder weniger konfrontiert. Das heißt nicht, dass die völlig individualisierte "Rockermentalität" der Internet-Klitschen zum tatsächlichen Modell für die Arbeit der Zukunft wird. Aber "mit uns wird Politik gemacht", wie es ein Kollege aus dem Schanzenviertel mal ausgedrückt hat. Und diese "Politik", dieses Leitbild greift auf viele gesellschaftliche Bereiche durch.

Dabei ist es für uns durchaus unklar, ob sich mit dem neuen Typus von Angestelltenarbeit auch ein neuer politisch dominierender Typ von "proletarischer Zentralfigur" herausbildet, der in seinem Arbeits- und Widerstandsverhalten alte Figuren wie z.B. den fordistischen Massenarbeiter ablöst. Da wäre zum einen zu diskutieren, welche Angestelltenarbeit genau gemeint ist. Ebenfalls unklar ist, ob dieser "moderne" Typ der Angestelltenarbeit auch real dominant gegenüber der Fabrik- und Industriearbeit ist, also welchen Umfang er in der Bundesrepublik eigentlich hat. Und selbst wenn die flexiblen und autonomen "Arbeitskraftunternehmer" rein zahlenmäßig nicht dominieren: Sind sie vielleicht dennoch die politisch und gesellschaftlich dominierende Figur, das Segment der Klasse mit dem größten Einfluss?

Wie umfassend diese Diskussion ist, zeigt sich an der sog. "Glissmann-Diskussion", an dem "Unternehmer im eigenen Kopf", der die externe tayloristische Kontrolle überflüssig macht und das Kommando des Kapitals in die Köpfe der ArbeiterInnen selbst verlegt. IBM, wo diese Diskussion ihren Ausgang nahm, ist ja nun ein durchaus großer, regulierter Betrieb mit betrieblichen Interessenvertretungsstrukturen etc. Dennoch brachte die Abschaffung der externen Zeiterfassung ein Phänomen auf den Punkt, das geradezu idealtypisch für die postfordistische Arbeit generell ist: Im Kopf der Arbeiterin/Angestellten sind diese Unternehmer und Kunde zugleich mit erheblichen Konsequenzen: Nicht nur, dass ein klarer ArbeiterInnenstandpunkt nicht mehr so ohne weiteres definiert werden kann. Die Verinnerlichung der betriebswirtschaftlichen Effizienzlogik führt zu einer Unterwerfung unter diese Logik, bei der die freiwillige Ausweitung der Arbeitszeit das offensichtlichste Phänomen ist. Nicht nur in den deregulierten Software-Klitschen wird selbstbestimmt gearbeitet bis zum Umfallen. Der Unternehmer in eigenen Kopf führt überall zu Arbeitszeiten über die körperliche und psychische Erschöpfung hinweg. Doch auch hier ist es bei näherer Betrachtung mit klaren Trends und Tendenzen nicht mehr so einfach. Nicht nur die Call Center sind ein Beispiel dafür, dass die alte externe Kontrolle der tayloristischen Arbeitsorganisation keineswegs ausgestorben ist. Manches deutet darauf hin, dass Elemente der internalisierten Kontrolle weder so besonders neu sind (etwa bei der Gruppenarbeit in der Automobilindistrie), noch dass sie zum ausschließlichen Kontrollinstrument werden

Auch wenn die neue Autonomie in der Arbeit faktisch zu einer grenzenlosen Unterwerfung unter betriebswirtschaftliche Verwertungslogik führt, so macht das eine emanzipatorische Antwort nicht leichter. Sicherlich ist es noch relativ einfach, die ideologischen Jubelarien über Autonomie, Selbstbestimmung, kommunikative Kompetenz und Kreativität ein Stück weit zurückzuweisen. Das gilt auch für die Loblieder von links, wie sie mit dem Konzept der "immateriellen Arbeit" (Negri) verbunden sind. Dennoch: Für die allermeisten kann es kein Zurück zur fordistischen Arbeit, zum Taylorismus, zu bürokratisierten Hierachien usw. geben. So sehr der Wunsch nach einer Regulierung der Arbeitszeiten sowohl in den Internet-Klitschen wie bei IBM existiert, es ist nicht der Wunsch, in Zukunft weniger flexibel zu arbeiten, die Stechuhr wieder einzuführen oder weniger eigenständig "seine" Projekte zu bearbeiten. Es spricht einiges dafür, dass die "Erotik der Arbeit" und die selbstbestimmte Unterwerfung unter die Verwertungslogik auch Ausdruck realer Bedürfnisse von ArbeiterInnen und Angestellten ist.

Diesem ganzen Wust von Themen und Fragen wollen wir uns in vier Veranstaltungen nähern. Die Reihe wird eröffnet am 10. Mai mit dem Thema Mythos und Realität der Arbeit in den neuen Internet-Klitschen. Am 14. Juni wollen wir zum Thema Call Center Arbeit diskutieren. Am 28. Juni geht es dann explizit um das Verhältnis der deregulierten IT-Firmen zur Arbeit in den großen, regulierten Betrieben der Branche. Das Thema "Autonomie in der Arbeit" greifen wir am 12. Juli schließlich noch einmal auf, wenn es um die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der neuen "WissensarbeiterInnen" geht. Wir wollen uns dabei insbesondere kritisch mit den Thesen von Toni Negri zur "immateriellen Arbeit" auseinandersetzen. Alle Veranstaltungen finden im Kölibri, Hein-Köllisch-Platz, statt und beginnen um 19.30 Uhr.

 

Veranstaltungreihe und Inhaltsverzeichnis zugleich:

1) Jung, hip, ausgebeutet. Lifestyle und Arbeit in der Internet-Branche
Mit Tom Deutzmann, Webmaster, ver.di und Meike Jäger, TIM-Projekt, ver.di Donnerstag, 10. Mai 2001
Einladung und Protokoll

2) Kein Anschluß unter dieser Nummer. Arbeit im Call Center
Mit einem Kollegen der Call Center Offensive Berlin
Donnerstag, 14. Juni 2001
Einladung und Protokoll

3) Der Unternehmer im eigenen Kopf. Neue Arbeit und selbstbestimmte Unterwerfung
Mit Martin Dieckmann, Bundesfachsekretär IG Medien/ver.di
Donnerstag, 28. Juni 2001
Einladung und Protokoll

4) Umherschweifende ProduzentInnen
Realität und Mythos der "immaterielle Arbeit"
Donnerstag, 12. Juli 2001
Diese Veranstaltung mußte verschoben werden - Einladung und Protokoll werden nachgereicht

 

Gruppe Blauer Montag
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