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Donnerstag, 10. Mai 2001, 19.30 Uhr, Kölibri, Hein-Köllisch-Platz
Es geht unter dem Etikett der Internet-Branche um die vielen, meist kleinen und relativ jungen Firmen, die in den Bereichen Seiten-Gestaltung, E-Commerce, Netz-Präsentation und -zugang etc. tätig sind und die im allgemeinen zu den sog. "Start ups" des "Neuen Marktes" gezählt werden. Die Beschäftigtenstruktur in diesen Firmen ist i.d.R. ausgesprochen jung, d.h. es arbeiten sehr viele BerufsanfängerInnen, QuereinsteigerInnen, Leute, die kaum in anderen, womöglich größeren Firmen Arbeitserfahrungen gesammelt haben. Die meisten haben "keine Idee, wie die Arbeitswelt funktioniert", weder in Bezug auf Zusammenarbeit mit KollegInnen noch in Bezug auf eigene Rechte. Bei aller Vorsicht bei Verallgemeinerungen: Unter den Beschäftigten herrscht ein hoher Grad an Identifikation mit der Arbeit. "Ich mache das, was ich schon immer gemacht habe oder machen wollte und sowieso gemacht hätte, und jetzt kriege ich das auch noch bezahlt." Dieses hohe Maß an Identifizierung korrespondiert mit der Wahrnehmung der Arbeit als Spaß/Fun und dem Familiy-Image der meisten kleinen Firmen - flache Hierarchien, kaum wahrnehmbare Chefs, die im übrigen dasselbe machen wie alle anderen, aus derselben Szene kommen, genauso alt sind etc.
Bei der Attraktivität der Branche scheint die Bezahlung faktisch keine so große Rolle zu spielen. Webmaster, ProgrammiererInnen, GrafikerInnen haben nie übermäßig viel verdient, zumindest dann nicht, wenn man die Gehälter mit der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden ins Verhältnis setzt. Geld ist eigentlich auch kein kollektives Thema, Gehaltsverhandlungen laufen immer in eins zu eins - Situationen ab, und ansonsten heißt es "Über Geld Spricht man nicht". Aber die Branche war immer relativ "gnädig", d.h. sie hat einen schnellen und unkomplizierten Berufseinstieg ermöglicht. Es wurde relativ wenig nach formalen Qualifikationsnachweisen, Zeugnissen und Scheinen gefragt.
Ein erster Konfliktpunkt tritt häufig dann auf, wenn im Zuge von Wachstum und/oder verstärkter Marktausrichtung erste klare Hierarchiestufen eingezogen werden, wenn etwa Vertriebs- und Marketingsangestellte auftauchen, die sagen, was wie gemacht werden muss, was der Kunde will etc. Der Konflikt stellt sich dann häufig dar als Sauersein, dass man nicht gefragt wird (Beleidigung der eigenen Kompetenz), dass die eigene Arbeit verpfuscht wird (Beleidigung des FacharbeiterInnenstolzes) oder auch dass "das Management" "unfähig" ist. In der momentanen Krise der Branche findet eine gewisse Entmystifizierung statt: Das Familiy-Bild bekommt Risse, viele sind das erste Mal mit Arbeitsplatzunsicherheit konfrontiert, die Anfangseuphorie, verbunden mit dem Pionier-Mythos schwindet. In etlichen Firmen wird über die Gründung von Betriebsräten diskutiert und tatsächlich auch Betriebsräte gegründet. Vorreiter war hier in gewisser Weise die Firma Pixelpark. Über den Kristallisationspunkt Betriebsrat gelingt es seit Februar diesen Jahres auch den Gewerkschaften (IG Medien, ver.di), in dieser Branche Fuß zu fassen. Dabei gab es eine gewisse Differenz über die Ursache des schweren Standes von Gewerkschaften. Während einerseits von einem schlechten Image (verknöcherte Bürokraten, altbacken, unmodern etc.) gesprochen wurde, wurde dem auch entgegen gehalten, das Negativ-Image von Gewerkschaften sei eine Ente. Das Problem sei eher gewesen, dass im Arbeitsalltag und in der Wahrnehmung Gewerkschaften einfach kein Thema (gewesen) seien.
Im übrigen darf die augenblickliche Krise trotz der mit ihr verbundenen Massenentlassungen nicht überbewertet werden. Sie wird weitgehend als Bereinigung und "Konsolidierung" interpretiert, aber nicht als tiefgreifende Strukturkrise. Und trotz Krise und Entlassungen gibt es nach wie vor Neueinstellungen und werden nach wie vor Leute abgeworben.
Zunächst zwei Ergänzungen zu den Vorträgen:
Die jetzige Krisenhaftigkeit der Branche ist nicht weiter verwunderlich, wenn man in Rechnung stellt, dass dort trotz schlechter Bezahlung und langer Arbeitszeiten eigentlich extrem unproduktiv (im Sinne der Profit- und Marktrationalität) gearbeitet wurde/wird. Manchmal erinnern die Internet-Klitschen an eine Art "ursprüngliche Akkumulation" wo Ausbeutung über Extensivierung der Arbeit, aber nicht über ihre Intensivierung (und Verdichtung) funktioniert. In diesem Zusammenhang wurde auch die These vertreten, die Internet-Buden funktionierten als "Schmutzbuden" für die Großen der Branche, einerseits als Lernfeld, wie man Arbeit und Ausbeutung nicht organisiert, andererseits als Kampffeld, wo die jungen Belegschaften gegen die Beschäftigten in den "alten", regulierten Firmen eingesetzt werden: In den Klitschen gibt es halt keine älteren KollegInnen, die den Jungen auf die Finger hauen. Im übrigen ist das individualistische und z.T. "sozialdarwinistische" ArbeiterInnenverhalten der Jungen nicht unbedingt ein Spezifikum der "New Economy". Es handelt sich dabei eher um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Diese neue ArbeiterInnenverhalten wurde von verschiedenen Seiten immer wieder thematisiert, und zwar mit einer tendenziell kritischen Stoßrichtung. Von "sozialdarwinistischem Verhalten" war die Rede, von einer "selbstverwirklichten Jugendkultur", in der "Anderssein" ganz brutal ausgegrenzt werde. Bezogen auf den Arbeitsalltag heißt dass u.a., dass keine Wervorstellung, keine Norm, keine Idee, die mit üblichen (?) Vorstellungen von Kollektivität, Solidarität, Widerstand, kollektiven Rechten und Ansprüchen zu tun hat, noch als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Politisierungserfahrungen gibt es kaum noch, und Hipness ist der Maßstab, an dem man sich orientiert. In der neuen ArbeiterInnen- (und auch Management-)generation gibt es keine Konflikttradition, keine "gelernten Konflikte", keine Erfahrungen mit Aushandlungsprozessen.
In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Verhaltensweisen allgemeiner diskutiert werden müßten, sie müßten aus der Nische der IT-Branche herausgeholt werden. Das neue Leitbild der (abhängig) Beschäftigten als "Arbeitskraft-Unternehmerin" ist als gesamtgesellschaftliches Leitbild ernst zu nehmen. Die Idee der marktkonformen Autonomie, der individuellen Selbstverantwortung und Selbstverantwortlichkeit, der "Selfemployment"-Gedanke findet sich ja bis in den Umgang von Arbeits- und Sozialämtern wieder, wo insbesondere Jugendliche "aktiviert" werden sollen, "sich selbst zu helfen".
Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass manche dieser Verhaltensweisen nicht so besonders neu sind. "Kuschelkommunikation" in "Familiy-Betrieben", lange Arbeitszeiten zu schlechten Löhnen etc. sei z.B. ein klassisches Thema bei sozialen Initiativen und Einrichtungen oder bei Betrieben, die aus der Alternativbewegung kommen. Damit wird es aber auch problematisch, wenn die Debatte um das neue (?) ArbeiterInnenverhalten in die Nähe eines Generationskonfliktes gerückt wird.
Der sozio-kulturelle Wandel ist dabei für die Gewerkschaften gar kein Thema. In ihrer Orientierung auf die "modernen" ArbeitnehmerInnenschichten und deren Flexibilitätsbedürfnisse haben die Gewerkschaften gerade kollektive Strukturen zerstört. Die Orientierung auf die neuen selbstbewußten und wirklich selbstbestimmt flexiblen Menschen geht dann nach hinten los, wenn es diese Figuren (noch) gar nicht gibt. Dann führt diese Orientierung unter den gegeben Herrschafts- und Machtstrukturen eben nicht zu einem Zugewinn an selbstbestimmter Autonomie sondern zu einer Zerstörung kollektiver Schutzregelungen für diejenigen, die nicht mithalten können oder wollen. Die Debatte darüber, wie unter den heutigen Bedingungen kollektive Strukturen und Lösungen, kollektivvertragliche Regulierungen überhaupt aussehen können, ist auch deshalb so schwierig, weil es unter den Beschäftigten selbst überhaupt keine kollektive Debatte über das Problem und mögliche Problemlösungen gibt.
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