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Schöne neue Arbeitswelt.

Eine Veranstaltungsreihe der Gruppe Blauer Montag zur New Economy

 

Der Unternehmer im eigenen Kopf. Neue Arbeit und selbstbestimmte Unterwerfung

Mit Martin Dieckmann, Bundesfachsekretär IG Medien/ver.di

Donnerstag, 28. Juni, 19.30 Uhr
Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 12

Wenn es etwas Gemeinsames zwischen einem Projektleiter bei IBM, einer Call Center Agentin, einem Programmierer bei Pixelpark oder auch einer freien Grafikerin oder Journalistin, dann ist es die Entgrenzung des Arbeitseinsatzes. Was so peppig als Modernität und Flexibilität daher kommt, entpuppt sich in der Realität als maßlose Ausdehnung der Arbeitszeiten über jede bisherige Grenze hinweg. Entgrenzung bedeutet dabei noch mehr als 50,60, 80 Stunden Arbeit in der Woche. Entgrenzung heißt auch, dass die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit, zwischen fremd- und selbstbestimmter Zeit zunehmend verschwimmt. Die Erwerbsarbeit weitet sich in alle Lebensbereiche aus, soziale Kontakte reduzieren sich zunehmend auf den Kreis der ArbeitskollegInnen, private Beziehungen werden daraufhin abgeklopft, ob sie nicht auch etwas für den Job bringen.

Das Besondere an dieser Entgrenzung von Arbeit ist, dass sie weitgehend selbstbestimmt, ohne direkten äußeren Zwang durchgesetzt wird. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit begegnen sich ArbeiterInnen, die sich manchmal mit den Inhalten ihrer Arbeit, häufiger jedoch mit dem Unternehmensziel identifizieren. Die Techniken, die diese Identifikation hervorrufen, sind in den letzten Jahren ausgefeilter geworden. Gerade im IT-Sektor mit ausgeprägten Angestelltenstrukturen tritt an die Stelle bloßer Überwachung oder Apelle von außen eine Art "indirekter Steuerung". Der Appell und der Druck wird überflüssig, die Beschäftigten übernehmen von sich aus Kundenorientierung und betriebswirtschaftliches Effizienzdenken. In ihrer (utopischen?) Umsetzung verlagert die "indirekte Steuerung" den Unternehmer in den Kopf der Beschäftigten. Am augenfälligsten wurde diese Strategie bei der Abschaffung der Stempeluhr bzw. der Zeiterfassung bei IBM und durch die Einrichtung von Vertrauensarbeitszeiten. In der Projektarbeit entscheidet jedeR selbst, wie schenll und wie lange gearbeitet wird, Hauptsache das Produkt/Projekt wird den Kundenwünschen und den kalkulatorischen Vorgaben entsprechend rechtzeitig fertig. Ein Chef bleibt dabei zunehmend unsichtbar.

Bei der Frage, wie denn der Unternehmer in den eigenen Kopf kommt, geht es auch um die Geschichte dieses Modells, um den Zusammenhang von Veränderungen der Managementstrategien in den eher traditionellen Bereichen der Industrie und der Angestelltenarbeit in den 80er Jahren und den modernen Sozialtechniken. Dabei geht es auch darum, wer eigentlich die "Pioniere" der Flexibilisierung/Entgrenzung" waren und sind, in welcher Weise in der Umstrukturierung der Zeit auch Bedürfnisse der Beschäftigten selbst artikuliert werden. Diese Frage berührt auch die Entstehung der Figur des "Arbeitskraftunternehmers". Dabei werden "unternehmerisches Denken" und "selbstbestimmte Selbstverwertung" als Kehrseite einer individuellen Autonomie zunehmend in allen Bereichen zum gesellschaftlichen Leitbild, bei Beschäftigten wie bei Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen. Dies ist auch ein Anknüpfungspunkt an die Debatte um das "neue", eher an Hippness als an Solidarität orientierte ArbeiterInnenverhalten in den Start ups der New Economy.

Modell und Realität der "indirekten Steuerung" sind keinesfalls dasselbe. Weder ist diese Form der Kontrolle flächendeckend durchgesetzt, noch ist der Umgang der Beschäftigten mit dem Unternehmer im eigenen Kopf bzw. der Identifizierung mit der Arbeit überall gleich. Von IBM besispielweise wird von einer drastischen Zunahme psychosomatischer Erkrankungen berichtet, von einem Leiden an den Zwängen der indirekten Steuerung. Gleiches hört man aus den Internet-Klitschen eher weniger, die Erotik der Arbeit scheint hier noch nicht zu einem nennenswerten Leidensdruck geführt zu haben. Eine differenzierte Analyse der real existierenden indirekten Steuerung scheint somit notwendig.

Die Entgrenzung der Arbeit stellt natürlich auch die Frage, wie der Unternehmer im eigenen Kopf zurückgedrängt werden kann/soll und ob dies gegebenenfalls überhaupt einzig und allein im eigenen Kopf geschehen kann. Welche, vielleicht neuen, Formen der Solidarität sind nötig, um der "Arbeit wieder ein Maß zu geben"? Dabei entpuppt sich die neu-gewerkschaftliche Parole "Meine Zeit ist mein Leben als durchaus widersprüchlich. Die auf den ersten Blick durchaus sympathische Autonomieforderung wird angesichts der realen gesellschaftlichen Verhältnisse leicht zur Falle bzw. zum Spaltpilz. Sie impliziert eine "selbstbestimmte Flexibilisierung" und orientiert sich faktisch an den Bedürfnissen der neuen selbstbewußten Angestelltenschichten. Wo da die Schutzfunktion kollektivvertraglicher Regelungen wird nicht beantwortet. Diejenigen, die voll flexibel, aber wenig selbstbestimmt in Call Centern oder im Pizza-Service arbeiten, bleiben so leicht auf der Strecke.

Dies ist die dritte Veranstaltung aus unserer Reihe mit dem Arbeitstitel "Schöne, neue Arbeitswelt". Wir wollen damit versuchen, verschiedene Aspekte der widersprüchlichen Realität, die hinter dem homogenisierenden Label "IT-Arbeit" steckt, diskutierbar zu machen. Im Kern wird es dabei immer darum gehen, wie sich Arbeitsbeziehungen verändert haben, welche realen Trends, aber auch welche Mythen sich hinter Begriffen wie "Neue Selbständigkeit", "Autonomie in der Arbeit" und "Arbeitskraftunternehmer" verbergen.

Der Unternehmer im eigenen Kopf. Neue Arbeit und selbstbestimmte Unterwerfung
Donnerstag, 14. Juni 2001, 19.30 Uhr
Kölibri, Hein-Köllisch-Platz

Gruppe Blauer Montag
C/o GWA St. Pauli-Süd, Hamburger Hochstr. 2, 20359 Hamburg

Siehe Protokoll zu dieser Veranstaltung


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