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Donnerstag, 28. Juni 2001, 19.30 Uhr, Kölibri, Hein-Köllisch-Platz
Das Thema ist die Figur des "Arbeitskraftunternehmers, aber nicht im Sinne der neuen Selbstständigkeit, sondern in der analogen Übertragung auf die ganz normale abhängige Lohnarbeit. Stichworte sind "Ich-AG" und "Selbst-GmbH", die Leitbilder auch für lohnabhängig Beschäftigte sind. Hinter diesen Schlagworten steht sowohl ideologisch als auch ganz real ein geändertes ArbeiterInnenverhalten. Das heißt nicht unbedingt, dass alle diese Normen leben (können), auch wenn einige das durchaus tun. Dennoch werden diese Normen und Wertmaßstäbe als allgemeingültige auf alle gesellschaftliche Bereiche übertragen.
Wie kommt nun der Unternehmer in den eigenen Kopf? Wie wird eine "Ich-AG" gegründet? Zumindest als Modell kann man dabei drei Stufen der Sozialpartnerschaft unterscheiden. Das heißt nicht unbedingt, dass diese Stufen eine konkrete historische Abfolge beschreiben, z.T. existieren sie alle noch und auch nebeneinander.
Sozialpartnerschaft Stufe 1: Auch hier gibt es Identifizierungen mit dem Unternehmen oder einen Unternehmer im eigenen Kopf, allerdings als deutlicher Interessensgegensatz. Die Leitfrage dieser Stufe könnte wie folgt formuliert werden: "Ist das Unternehmen für mich rentabel?" Bezugsrahmen ist hier der allgemeine Arbeitsmarkt, wo Gewerkschaften/ArbeiterInnen in (sozialpartnerschaftlichen) Tarifauseinandersetzungen durchaus selbstbewußt versuchen, den Preis der Ware Arbeitskraft möglichst zu schützen/zu erhöhen.
Sozialpartnerschaft Stufe 2: Hier gibt es zwar noch das Bewußtsein des Interessengegensatzes, der Bezugsrahmen ist aber jetzt die "eigene" Firma. Die Frage kautet jetzt: "Bin ich für das Unternehmen rentabel?". Stufe 2 ist die klassische Situation für Standortsicherungsverhandlungen, Standortkonkurrenz etc.
Sozialpartnerschaft Stufe 3: Hier nun werden die Kriterien der Marktrentabilität bis in die eigen Psyche verinnerlicht. Der Bezugsrahmen ist nicht mehr die gesamte Firma, sondern die jeweilige Unternehmenseinheit, der man angehört, im Extremfall man selbst. Hier ist der Nährboden für die "Ich-AG".
Hintergrund dieser Stufen sind Veränderungen der kapitalistischen Kontrolle über die Arbeit. Auch hier etwas schematisch und modellhaft: Das System der externen Überwachung von Arbeitsleistung und Arbeitseinsatz, das tayloristisch-fordistische System von "command and control" wird ersetzt durch Elemente einer "indirekten Steuerung". Damit verändert sich vor allem die Position des Unternehmers gegenüber den ArbeiterInnen. In der klassisch-fordistischen Fabrik stand der Unternehmer nicht nur zwischen ArbeiterInnen und Kunden, er stand auch zwischen den einzelnen Abteilungen eines Betriebes. Dies ist der Hintergrund für die viel beschriebenen bürokratischen Strukturen der großen fordistischen Unternehmen. In einem ersten Schritt tritt der Unternehmer innerhalb des Unternehmens zur Seite. Die einzelnen Unternehmensteile treten in direkte Beziehungen zu einander und zwar in Form von Marktbeziehungen. Jede einzelne Unternehmenseinheit ist gegenüber einer anderen Dienstleister und Kunde zugleich ("Profitcenter"-Prinzip). In einem zweiten Schritt tritt der Unternehmer schließlich auch in im Verhältnis zu den Kunden beiseite. Beschäftigte und Kunden stehen sich direkt gegenüber, der Kunde tritt direkt an den (Angestellten-)Schreibtisch heran, ArbeiterInnen/Angestellte übernehmen direkt unternehmerische Aufgaben.
Das psychologisch Problem mit dem Unternehmer im eigenen Kopf ist, dass er immer die positiven Ziele setzt, die positive Ansprache übernimmt: "Komm, du schaffst das." "Versuch's einfach, ist doch eine spannende Aufgabe", "Los, teste dich, zeig, was in dir steckt" etc. Der Arbeiter im Kopf ist der ewige Nörgler, Miesmacher, das Negative, das letztlich auch Krankmachende. Der kapitalistische Verwertungsprozess dringt mit der "indirekten Steuerung" bis in die menschliche Psyche vor. Die viel beschriebene Entgrenzung der Arbeit findet hier, auf der Ebene der Psyche statt ("Kolonisierung der Psyche"). Eigentlich durchaus positive Bedürfnisse (Erfolg, Leistung, eigene Grenzen kennenlernen etc.) werden vom Kapital besetzt. Der Unternehmer im eigenen Kopf hat auch Auswirkungen auf die Beziehungen unter den ArbeiterInnen/Angestellten. Früher waren Arbeitsebene und persönliche Ebene strikt getrennt. Sachbeziehungen und menschliche Beziehungen waren deutlich geschieden. Heute ist jede Kommunikation im Betrieb äußerst doppelbödig, frühere Sachbeziehungen werden vermenschlicht.
Vor diesem Hintergrund ist die "Selbstbestimmung" in der Lohnarbeit eine reine Schimäre. Der Unternehmer delegiert an die "selbstbestimmt" Lohnabhängigen nicht seine unternehmerischen Freiheiten, sondern sein unternehmerischen Zwänge. Das Modell der Renditenvorgabe, die Renditendiktatur gilt ungebrochen und uneingeschränkt gegenüber allen dezentralen, selbständigen Einheiten eines Unternehmens. Dahinter steht immer die Drohung mit "Disengagement", d.h. mit der Auflösung/Fremdvergabe von Abteilungen, wenn diese unrentabel sind. Dieses Prinzip ist im übrigen durchaus älter als das shareholder-value-Prinzip. Der Bertelsmann-Konzern hatte bereits vor 30 Jahren mit Renditenvorgaben und Profitcenter-Strukturen experimentiert.
Mit dem Vordringen des Unternehmers im eigene Kopf kommt es auch zu einer Krise des Lohns. Unter dem Schlagwort der "ergebnisorientierten Entlohnung" verwandelt sich der Arbeitsvertrag im Prinzip in einen Werksvertrag. Bezahlt wird nicht mehr nach Leistung gemessen in Zeit, sondern nach abgelieferten Produkten. Das Instrument hierbei ist die Vertrauensarbeitszeit: "Es ist völlig egal, wie schnell oder langsam du arbeitest, wann du kommst oder gehst, Hauptsache, das Produkt/Projekt ist termingerecht, kalkulationsgerecht und entsprechend den Kundenwünschen fertig."
In der konkreten historischen Entwicklung ist es nicht der sog. IT-Bereich gewesen, der "indirekte Steuerung" und "selbstbestimmte Unterwerfung" hervorgebracht hat. Die Pioniere dieser Entwicklungen sind vielmehr die Banken und Versicherungen gewesen, die als erste mit teil-autonomen Gruppen experimentiert hatten. Ganz allgemein sind die gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse die Basis, auf der die "indirekte Steuerung" und die "selbstständigen" Unternehmenseinheiten funktionieren. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Individualisierung in den 70er und 80er Jahren auch Ausdruck einer Revolte gegen die rigiden Fabrikstrukturen und -normen des Fordismus gewesen ist, der Versuch, Autonomiegewinne gegen bisherige Pflichtverbindungen durchzusetzen. Allerdings kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Autonomiebestrebungen inzwischen vollständig in die Kapitalverwertung integriert sind.
Inzwischen wird die heutige Gesellschaft häufig mit folgendem Hierarchiemodell beschrieben: a) Managementeliten, b) Wissensarbeiter/moderne Angestellte, c) Prekäre. Trotz aller Vereinfachung ist an diesem Modell etwas Wahres dran. Die Macht, der Einfluß und die Leitbildfunktionen der WissensarbeiterInnen, der modern-dynamischen Angestellten ist durchaus real. Allerdings sind zwei Punkte zu bedenken. Erstens: Die Hierarchiestufen sind nicht homogen, die Leitbildfunktion weitet sich über alle Ebenen aus. Zweitens: Die ProtagonistInnen des Modells, die "neuen Angestellten" selbst befinden sich in der Krise. Phänomene des Ausgepowert-Seins, des Burning outs treten massenhaft auf. Inzwischen werden diese Erscheinungen selbst für die Kapitalisten zum Problem, wenn sich das Personalmanagement intensiv um eine "nachhaltige" Personalwirtschaft gedanken machen muss.
Die Frage nach dem Ausblick ist schwierig. Doch eins ist klar, es kann keinen Weg zurück zu fordistisch-tayloristischen Formen der Arbeitsorganisation und der Kontrolle geben. Die Herausforderung besteht darin, zu neuen Grundlagen von solidarischem Verhalten zu kommen. Solidarität als eine Art Zwangssolidarität aufgrund der Arbeitsorganisation ("Ich helfe dir, weil ich weiß, dass ich früher oder später auf deine Hilfe angewiesen bin. Ich helfe dir, weil es mir nützt.") funktioniert nicht mehr, wenn sich Menschen als Konkurrenten gegenüberstehen, denen Solidarität eben nicht s mehr nützt sondern womöglich sogar schadet. Die Frage ist also, wie eine "Solidarität der Selbstständigen" aussehen kann. Es müßte sich um eine Art "uneigennützige" Solidarität gerade der Starken mit den Schwachen handeln. Dies setzt aber zu allererst voraus, das eine Diskussion über Ängste, Schwächen, die eigen Lebenssituation möglich gemacht wird.
Zuerst Nachfragen: Sind die neuen Managementtechniken der "indirekten Steuerung" eher aus einer defensiven Abwehrreaktion auf die Rebellion gegen die Rigidität der Fabrikarbeit entstanden - also zur Eindämmung der neuen Individualität - oder eher eine aktive Antwort auf die Trägheiten, Passivität, Rigidität der alten Fabrik und des bisherigen ArbeiterInnenverhaltens, das den Flexibilitätsanforderungen nicht mehr genügte?. Etwas müßige Frage; beide Elemente haben eine Rolle gespielt und waren in ihrem wechselseitigen Verhältnis der Motor für die "neue Selbstständigkeit".
Bei dem Stufenmodell der Sozialpartnerschaft muss berücksichtigt werden, dass es hier auch innere Widersprüche, gerade in den Stufen 2 und 3 gibt. Die Etablierung von Markbeziehungen zwischen autonomen Unternehmensteilen führt teilweise zu chaotischen Beziehungen, zu einem "Egoismus" der einzelnen Teile, die für das Ziel des Geamtunternehmens kontraproduktiv sein können. In der Tat entstehen in den modernen Unternehmen so etwas wie "War Lords". Die Widersprüche werden von den "dezentralen Chefs" artikuliert, die ihre Claims verteidigen und gegen andere stärken. Diese Entwicklungen führen durchaus dazu, dass an Reformierungen des Systems von "command and control" gebastelt wird. Es sind teilweise durchaus Re-Zentralisierungstendenzen zu erkennen.
Auf den Unternehmer im eigenen Kopf scheint es durchaus unterschiedliche Reaktionsweisen zu geben. In den großen druchrationalisierten und hoch-effizienten Unternehmen wie IBM scheinen die Beschäftigten die "indirekte Steuerung" als Gewalt zu erleben, auf die sie mit Krankheit, Angst, psychosomotischen Störungen reagieren. Anders bei den jungen Internet-Klitschen, wo die Entgrenzung als Fun-Veranstaltung erlebt wird. Hier sind zwie Aspekte zu bedenken. Zum einen sind die Belegschaften in den Internet-Klitschen relativ jung, auch was die Dauer des "Erwerbslebens" angeht, so dass von daher Burning-out-Symptome selten sind. Vor allem aber sind diese betriebe im Vergleich zu IBM u.a. eben absolut unproduktiv und ineffizient. Die Arbeits- und Leistungsvedichtung, die "Selbstrationalisierung" ist hier so gut wie gar nicht ausgeprägt.
Die Diskussion kreiste vor allem um das Thema "Solidarität". Dabei wurde betont, dass eine Neufundierung von solidarischem Verhalten nicht nur für den Angestelltenbereich zentral sei, sondern gleichermaßen den ArbeiterInnenbereich und die Gesamtgesellschaft berühre. Gerade wenn die Macht des Kapitals inzwischen auf die Psyche durchgreift, bekommt eine "neue Wertedebatte" eine enorme Bedeutung. Das betrifft zum einen eine gesellschaftliche Diskussion um (soziale) Gerechtigkeit, aber auch eine gesamtgesellschaftliche Debatte um und über Arbeit, zumal die "neue Selbstständigkeit", die (scheinbaren) Autonomiegewinne in der Arbeit teilweise durchaus als Fortschritt erlebt werden ("Diese Arbeit hat auch einen eigenen Reiz, einen eigenen Kitzel").
Dabei ist der Kampf um die Grenze der Arbeit schwer zu verorten. Bei den Gewerkschaften kommt zur Mutlosigkeit in der Frage der Arbeitszeitverkürzung auch eine gehörige Portion Ratlosigkeit. Einerseits können Betriebsräte nicht als "Tarifpolizei" auftreten, die (kollektiv-vertragliche) Arbeitszeitvereinbarungen gegen die Beschäftigten durchsetzen, andererseits können sie die Leute auch nicht vor sich selbst schützen. Im übrigen ist die Arbeitszeitverkürzung zu recht diskreditiert. Sie ist von und mit den Gewerkschaften als gewaltige Intensivierung, Verdichtung und Flexibilisierung durchgesetzt worden, so dass heute AZV sofort auf berechtigte Skepsis stößt. Wenn das Wesen des Unternehmers im eigen Kopf das Konkurrenzverhalten im Betrieb, die Kommunikationslosigkeit und das individuelle Leiden ist, dann stellt sich natürlich die Frage, ob der Betrieb noch der Ort ist, wo neue Formen von Kollektivität, Kommunikation und gemeinsamen Erfahrungen organisiert werden können. Wenn es darum geht, "geschützte Räume" zu organisieren, wo angstfrei kommuniziert werden kann, sie ist die Frage, ob das die Betriebe selbst sein können.
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