Home > Diskussion > Arbeitsalltag: Arbeitszeit > Ladenschluss > baluff
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Verkehrte Welt

Kommentar von Peter Baluff zur Ladenschlussdebatte

Verkehrte Welt. Während 800 geladene und Hand verlesene Gäste auf der 50 Jahr Feier der Mitbestimmung (welcher ?) der Bundeskanzlerin artig Applaus spendet, weil sie nicht direkt die Abschaffung der Mitbestimmung fordert, sondern feststellt, dass, so lange sie niemanden ernstlich "weh tut" und den Standort Deutschland nicht gefährdet, ruhig noch so lange bestehen bleiben kann, bis eine Arbeitsgruppe aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft im Konsens etwas anderes beschließt, hat in Rheinland-Pfalz die "unrasierte Leberwurst" (KONKRET-Zitat) in Übereinstimmung mit der Gewerkschaft ver.di beschlossen, den Ladenschluss auf 22:00 h auszudehnen. Und wie immer dient als Begründung: "es hätte auch noch schlimmer kommen können."

Dabei ist das Ladenschlussgesetz die Geschichte von dem "Kuckuck und dem Ei". Ursprünglich in den 50er Jahren von der Adenauer-Regierung zum Schutz des Mittelstands verabschiedet, ist Politik und Wirtschaft in den 80er Jahren dazu über gegangen, dieses Gesetz zu einem Arbeitnehmerschutzgesetz umzufirmieren, mit dem Hinweis "jetzt kämpft ,mal schön dafür ?"

Das hatte 2 Vorteile: erstens konnte man das Ladenschlussgesetz für alt und überholt erklären und zweitens die Gewerkschaften prügeln, die für den Fortbestand von alt und überholt eintraten und demzufolge selbst alt und überholt waren. Es kam die erste "Aufweichung", nämlich der "lange Donnerstag" mit einer Öffnungszeit bis 21:00 h. Anstatt Gelassenheit an den Tag zu legen, gaben die Gewerkschaften (damals hbv und DAG) bis zuletzt die Parole aus, die Verlängerung zu verhindern. Dies alles gegen die öffentliche Meinung aus Presse, Politik und Wirtschaftsverbänden, aber auch gegen Gewerkschaftsmitglieder aus anderen Fachbereichen, die, wenn sie im Schichtdienst arbeiten, einer Verlängerung der Ladenschlusszeit etwas abgewinnen können. Ergebnis dieser Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft war ein spätöffnungsbedingter Zuschlag. In den 90er Jahren wurde dann die werktägliche Arbeitszeit (einschl. Samstag) auf 20:00 h ausgedehnt, nur die Sonntagsruhe, mit all' ihren Ausnahmeregelungen, wurde eingehalten. Auch hier der "Kampf bis zur letzten Minute", aber bei Beginn der Auseinandersetzung war schon allen Beteiligten klar, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen war und es demzufolge wieder auf Zuschläge hinaus läuft.

Interessant ist, dass die Arbeitgeberverbände die Zuschläge immer mit den normalen Gehaltserhöhungen verrechnen konnten, d.h. es wurden "Pakete" beschlossen, deren Volumen sich aus Zuschlägen und linearer Erhöhung ergaben, oftmals mit 2 jähriger Laufzeit, was die tatsächliche Erhöhung unter 2 % drückte. Interessant ist ebenfalls, dass zeitgleich mit der Verlängerung der Ladenschlusszeit die Diskussion über eine Verkürzung der individuellen Arbeitszeit eingestellt wurde. Zwischenzeitlich hat die überwiegende Zahl der im Handel Beschäftigten eine Verkürzung der Arbeitszeit erfahren, aber nicht freiwillig und nicht mit Lohnausgleich, sondern sie wurden von Vollzeit auf Teilzeit, schlimmsten Falls auf 400 € degradiert.

Jetzt soll das Ladenschlussgesetz gänzlich abgeschafft werden, bzw. in Länderhoheit gelegt werden. Gewerkschaften sind gut beraten, wenn sie sich in diese Diskussion nicht einmischen, weil

  • die Kauf- und Warenhäuser untereinander die Diskussion führen, ob sich eine Verlängerung überhaupt lohnt. Bei realistischer Einschätzung ist davon auszugehen, dass, abgesehen von einigen Ballungsgebieten, es bei den alten Öffnungszeiten bleibt.
  • ein "Nebenkriegsschauplatz" für die Gewerkschaften weg fällt und sie sich noch einmal um das Wesentliche kümmern können.
  • die Diskussion über die Verrechnung von Gehalt und Zuschlägen unterbleibt. Selbst auf die Gefahr, dass die Manteltarifverträge gekündigt werden und die Zuschläge bei Neuabschluss zwischen 18:30 h und 20:00 h weg fallen, bleiben die Nachtarbeitszuschläge ab 20:00 h. Da gibt es nichts zu verrechnen, die waren schon immer da. Ein "echter" Tarifabschluss mit mindestens einer "3" vor dem Komma wäre dann anzustreben.
  • die Verkürzung der Wochenarbeitszeit könnte dann wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wer eine 35 Std. Woche hat (bei vollem Lohnausgleich) und Teilzeitbeschäftigte entsprechend weniger, kann auch durchaus mit weniger Arbeitszeitvolumen zu ungünstigeren Zeiten arbeiten.
  • es durchaus auch Personengruppen geben kann, denen diese Arbeitszeit "liegt".

Und noch eine Bemerkung zum Schluss: Die Abschaffung des Ladenschlussgesetz mit dem Sozialabbau gleich zu setzen ist "etwas daneben". Soziale Standards zu verteidigen und gegen Sozialabbau zu kämpfen (bspw. Hartz IV) hat für viele Menschen etwas mit "überleben" zu tun, die Auseinandersetzung über die Abschaffung des Ladenschlussgesetzes lenkt gerade von diesem "Überlebenskampf" ab. Es wird Zeit, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen.

Die LabourNet-Redaktion würde mit diesem Text gerne eine Diskussion über die ver.di-Strategie anstossen!


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang