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Updated: 18.12.2012 15:51
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Zur Volksverhetzung durch Wolfgang Clement

Eine Zwischenbilanz

Nachdem die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister und (seit dem 8. Dezember 2005) jetzigen Aufsichtsratsmitglied im Dienstleistungskonzerns Dussmann (Jahresumsatz 1,2 Milliarden Euro), Wolfgang Clement, ablehnte, wendeten sich einige der Anzeigeerstatter an die nächst höhere Zuständigkeit - die Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Wie ein erster Bescheid zeigt, bestätigt diese die von der Staatsanwaltschaft angeführten Ablehnungsgründe.

Armin Kammrad, 28.12.2005

Obwohl es sich bei Volksverhetzung um eine Straftat nach StGB § 130 handelt, wäre es falsch, die Angelegenheit rein juristisch zu werten. So kann die ablehnende Haltung von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft Berlin nicht getrennt vom sonstigen politischen Umgang mit der Clement`schen "Parasiten-Kampagne" gesehen werden. Umgekehrt sollte die herrschende Politik ebenfalls mit juristischen Argumenten angegangen werden. Dazu gehört natürlich vor allem, daran festzuhalten, dass es sich bei der Clement´schen Kampagne tatsächlich um Volksverhetzung handelt - auch wenn Staatsanwaltschaft dies bestreitet.


Zur politischen Seite

Am 21.12. billigte nun auch mehrheitlich der Bundesrat die präventive Überwachung von Post- und Telekommunikation durch das Zollkriminalamt. Damit kann ohne gerichtlichen Beschluss und ohne ausreichenden Anfangsverdacht eine Totalüberwachung wegen sog. "Schwarzarbeit" durchgeführt werden. Dies mag verfassungswidrig sein, wie z.B. die Linksfraktion im Bundestag meint. Allerdings hat der Clement´sche Hetzreport bereits in diesem Punkt Vorarbeit geleistet: Dort werden permanent Praktiken gegen ALG II-Bezieher propagiert, die größtenteils von der Rechtsprechung bereits als rechtswidrig eingestuft wurden (1). Eine Überwachung von jeden ALG II-Bezieher ist damit gesetzlich möglich. Schließlich kennt die Clement'sche Ideologie nur verdächtige ALG II-Bezieher und ein soziales Umfeld, was bewusstes "Parasitentum" unterstützt.

Die Aufhebung des Grundrechtsschutzes im Falle von Arbeitslosigkeit geht allerdings noch weiter. So teilte Kornelia Müller, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, am 15.12. in einer Pressemitteilung mit: "Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales Gerd Andres billigte gestern in der Fragestunde ausdrücklich die Durchsuchung der Wohnung von Menschen, die ALG II beziehen, auch ohne Vorliegen eines konkreten Grundes als allgemeine Maßnahme durch die Arge und den Zoll. Er befürwortete darüber hinaus, dass die Arge ihre Aufgabe an Privatunternehmen übertragen kann und sieht darin keine Verletzung ihrer hoheitlichen Aufgaben."(2)

Hier werden nicht nur die Kompetenzen des Zolls auf den "Staatssicherheitsdienst" der ARGE ausgedehnt, sondern zusätzlich auf bezahlte "Einbrecher" privater Schnüffelunternehmen. Es überrascht deshalb nicht, dass der selbe Gerd Andres am 2.11. bezüglich einer kleinen Anfrage von Petra Pau rechtliche und dienstrechtliche Schritte gegen den Clement´schen Hetz-Report definitiv ablehnte, "weil keine Notwendigkeit für solche Schritte" bestünde (3). Es würde "niemand in seinen Rechten verletzt" und " kein genereller Verdacht geäußert - das Gegenteil ist ausdrücklich der Fall - und rechtmäßige Ansprüche auf Leistungen der Grundsicherung werden selbstverständlich in keiner Weise in Frage gestellt" (3). Gerd Andres meint ferner, dass die "in der Praxis recherchierten Fälle von Sozialmissbrauch" eine Verallgemeinerung gerade verbieten würde, wobei die hetzerische Darstellung im Clement´schen Report ang. "sachgerecht", "lebensnah" und in "angemessener Form" wäre (3).

Dieser Argumentation bedient sich weitgehend auch die Staatsanwaltschaft Berlin. Auch sie erklärte mir gegenüber, dass es vorrangig um das "offenkundige() Interesse() des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft in der Sache selbst, nämlich ungerechtfertigte Staatsausgaben zu vermeiden", und nicht um Volksverhetzung ginge (4). Rechtfertig also der Zweck die Mittel?

Schließlich läuft die erklärte Absicht ang. "ungerechtfertigte Staatsausgaben zu vermeiden" parallel mit einer immer totaleren Entrechtung von ALG II-Beziehern. Deren Grundrechtschutz wird Stück um Stück beseitigt.

In diesem Punkt scheint Einigkeit zwischen der Regierung als Exekutive und der Staatsanwaltschaft als Exekutive zu bestehen. Im Schutz dieser Ideologie können selbst Müntefering und Frau Merkel gegen die Opfer der Arbeitslosigkeit ungehemmt vorgehen. "Volksverhetzung" soll es deshalb nicht sein, da derjenige, der sich alles gefallen lässt, bis hin zu der völligen Streichung jeglicher Unterstützung, natürlich kein "Parasit" im Clement´schen Sinne (5) ist. Natürlich lässt sich das Ganze auch genau anders herum betrachten: Mit Volksverhetzung versucht die Regierung nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe für etwas verantwortlich zu machen, was eigentlich der regierenden Politik selbst anzulasten ist - hohe Staatsausgaben wegen wachsender Arbeitslosigkeit und verfehlter Arbeitsmarktpolitik.

Zum historischen Hintergrund

Hier gibt es eigentlich zwei geschichtliche Ansatzpunkte: einen, der über fünfzig Jahren zurückliegt, und einen relativ jungen.

Es war der deutsche Faschist Arnold Rosenberg, der bereits 1931 in seinem "Mythos des 20.Jahrhunderts" Juden als "Verschwörer", "Schädlinge" und "Parasiten" bezeichnete. Er bediente damit einen Antisemitismus, der sich einspannen ließ, "alles Übel den Juden" anzudichten. Soll diese Zeit tatsächlich der Vergangenheit angehören, so passt es folglich nicht, wenn wieder bestimmte Gruppen von Menschen für soziale Missstände verantwortlich gemacht werden, die eigentlich die Leidtragenden sind.

Bedauerlicherweise klingt es wieder durch die Lande, dass "Ausländer unsere Arbeitsplätze" bedrohen und deshalb "abgeschottet" werden müssen, obwohl die wirklich Bedrohung von deutschen und internationalen Konzernen und einer Regierung ausgeht, die sich ausschließlich deren Rendite-Interessen verschrieben hat. Betrachtet man das aktuelle "Ausländerrecht", was eigentlich ein Ausländer-Unrecht ist, so lässt sich der Tatbestand der Volksverhetzung schon seit längerem in Deutschland feststellen. Wandert bald das Sozialrecht auch in die Abteilung "Strafrecht", wie es mit dem Ausländerrecht bereits geschehen ist?

Die jüngere Vergangenheit markiert wohl ein relativ bekannter Ausspruch des früheren Bundeskanzlers und jetzigen Mitglieds beim russischen Erpresserkonzern Gasprom, Gerhard Schröder, aus dem Jahre 2001. Als er von der Bild-Zeitung gefragt wurde: "Es gibt 4 Millionen Arbeitslose und fast 600.000 offene Stellen. Was stimmt da nicht?", antwortete Herr Schröder: "Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft" (Bild v. 05.04.2001). Damit wurde, wie bereits traditionell der ausländische Arbeiter, nun der deutsche "Faulenzer" als Ursache für Arbeitsplatzabbau und hohe Arbeitslosigkeit geboren.

Diese Ideologie war allerdings keine Erfindung des früheren Bundeskanzlers. Bereits in der sog. "Lissabon-Agenda" kamen die maßgeblichen Kräfte auf EU-Ebene überein, dass Prinzip von "Fordern und Fördern" verbunden mit der verstärkter Forderung nach "Eigenverantwortung von erwerbsfähigen" Arbeitslosen zu favorisieren, wie es dann in der neuen Sozialgesetzgebung (SGB II § 1) für Deutschland seinen gesetzlichen Niederschlag fand. Anfang 2004 unterstrichen Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Tony Blair in einer gemeinsamen Erklärung diese sozialpolitische Zielrichtung angesichts europaweit wachsender Arbeitslosenzahlen (6). Nicht zuletzt auch deshalb ist die Sozialgesetzgebung z.B. in Deutschland und Frankreich im Prinzip sehr ähnlich.

Der ökonomische Hintergrund der Erfindung des "Faulenzers" als Übeltäter, besteht jedoch vor allem darin, dass die WTO-Verträge von 1994/95 nicht die versprochene "Sicherung der Vollbeschäftigung und eines hohen und ständig steigenden Umfangs des Realeinkommens" (7) brachten. Um von dieser asozialen Wirtschaftspolitik jedoch nicht abzurücken, machte man deren Opfer zu "Tätern". Aber auch die Täter erklärten sich zu "Opfer".

So war die Regierungspolitik von Rot-Grün davon gekennzeichnet, dass man nun Sozialsysteme an die "Herausforderung der Globalisierung" anpasste. Bundeskanzler Schröder erschien so manchen Leichtgläubigen als "Retter", obwohl er maßgeblicher Akteur einer Globalisierung war, dessen Pfründe er nun in der Leitung des deutsch-russischen Gaspipeline-Konsortiums NEGP für sich ernten will. "Ich habe schon in der Vergangenheit das Projekt politisch unterstützt", erklärte Herr Schröder - unerwartet ehrlich - am 12.11.2005 gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". Die Faulenzer-Kampagne war ein wesentlicher Teil seiner Karriere - klar, dass bei solchem üppigen Lohn für die Politik einige der jetzigen Regierungsmitglieder eifrig Herrn Schröder zu imitieren versuchen.

Einmal vorrangig politisch gesehen, ist bereits die von Gerhard Schröder propagierte Faulenzer-Kampagne typisch für Volksverhetzung. Macht sie doch die Opfer zu den eigentlichen "Tätern". Predigt sie doch öffentlich eine Ideologie, welche Existenzängste dorthin zu lenken versucht, wo die eigentliche Existenzbedrohung gar nicht herkommt. Auch wenn Wolfgang Clement sein Ministerium eigenverantwortlich leitete, so wurde er doch von Gerhard Schröder höchstpersönlich für diese Aufgabe ausgewählt. "Herr und Knecht" sitzen nun dort, wo sie hin wollten - in gut dotierten Positionen der Kapitalseite.

Inhaltlich lässt sich der "Faulenzer im sozialen Netz" recht bruchlos in einen "Parasiten" verwandeln, denn er "kostet nur und tut nichts" Dass er aufgrund von Arbeitslosigkeit gar nichts tun kann, wir auszublenden versucht. So behauptet auch Herr Clement im seinem Hetz-Report, dass "jeder Verantwortung für sich selbst übernehmen kann" (Vorwort, S.2), was dem Grundtenor der antisozialen Politik von Gerhard Schröder entspricht. Den Schröder'schen "Faulenzer" stellt er nun als "Sozialbetrüger" dar, der anderen ihre Unterstützung wegnimmt (a.a.O.), obwohl offiziell eine Politik der Arbeitsplatzvernichtung ohne Abstriche forciert wird. Als Abhilfe werden rechtswidrige Praktiken gegen ALG II-Berechtigte propagiert und von der herrschenden Politik auch praktiziert. Typisch für Volksverhetzung ist auch der Versuch Arbeitslose immer rechtloser zu machen - allerdings scheitert dies stellenweise am Widerstand des demokratisch und sozial orientierten Teils in der Bevölkerung und an der Rechtsprechung.

Zur juristischen Seite

Die Argumente der Staatsanwaltschaft Berlin beruhen vor allem auf unbewiesene Einschätzungen und einer falschen Gewichtung der Hetze gegen ALG II-Berechtigte.

Richtig ist zwar, dass die Straftat "Volksverhetzung" nicht als erweiterter Ehrenschutz verstanden werden kann, dass die Bezeichnung "Parasiten" allerdings nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und Ausdruck von Volksverhetzung ist, belegt schon die Rechtsquelle, auf welche sich die Staatsanwaltschaft selbst wiederholt bezieht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53.Auflage, § 130, Rdn.13, S.866 und Rdn. 12a). Warum der Clement' sche Report und die von ihm öffentliche geäußerte Ideologie nicht den "Kernbereich" der "Persönlichkeit von ALG II-Berechtigten" treffen soll (4), ist nicht nachvollziehbar und hat nur den Charakter einer unbewiesenen Behauptung.

In diesem Punkt wird sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Generalstaatsanwaltschaft besonders auf eine "Gesamtschau" bei der Beurteilung abgestellt. Anders wie von Seiten der Politik, wird jedoch nicht bestritten, dass Herr Clement von "Parasiten" sprach.

Inhaltlich spitzt sich die juristische Wertung allerdings auf das zu, was die Generalstaatsanwaltschaft "ergänzend" anmerkt (8). Diese sieht den Tatbestand der Volksverhetzung nicht gegeben, weil nicht "Teile der Bevölkerung" angegriffen werden" (a.a.O.). Um dies zu bestreiten, zitiert die Generalstaatsanwaltschaft zwar die Charakterisierung durch Tröndle/Fischer, jedoch unvollständig:

So ist korrekt, dass die Straftat nach StGB § 130 (Volksverhetzung) den Angriff auf eine "Personenmehrheit" meint, "die aufgrund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale als unterscheidbarer Teil von der Gesamtheit der Bevölkerung abgrenzbar" ist (8), allerdings heißt es in der zitierten Quelle kurz danach, dass zu dieser Personenmehrheit "auch Bevölkerungsteile" gehören, "die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder durch soziale oder wirtschaftliche Verhältnisse als besondere Gruppe erkennbar sind" (9). Arbeitslose gehören demnach eindeutig zum letztgenannten Bevölkerungsteil.

Allerdings lehnt die Generalstaatsanwaltschaft eine Ermittlung wegen Volksverhetzung nicht deshalb ab, weil Arbeitslose als solche nicht Ziel von Volksverhetzung sein könnten, sondern weil "die vom Beschuldigten bezeichnete Gruppe als Teil aller Arbeitslosen nicht abgrenzbar" sei (8). Die von Herrn Clement als "Parasiten" bezeichneten 10 bis 20 Prozent, wären als nicht eindeutig im Heer der Arbeitslosen auszumachen. Mit diesem juristischen Kunstgriff versucht die Generalstaatsanwaltschaft offensichtlich Schwächen ihrer unteren Behörde auszubügeln. Allerdings läuft diese ergänzende Argumentation nun darauf hinaus, dass für diese, "nicht abgrenzbaren" 10 bis 20 Prozent die Bezeichnung "Parasit" scheinbar durchaus statthaft sei.

Der juristische Knackpunkt liegt allerdings ganz woanders: Es stimmt, dass Wolfgang Clement (und mit ihm im Chor noch viele andere Politiker) nur "von sicherlich über zehn Prozent». (Peter Clever in der "Passauer Neuen Presse" am 19.10.2005) sprachen. Um diese zu ermitteln wurden jedoch alle ALG II-Bezieher des "Sozialmissbrauchs" (Clever) oder des "Parasitentums" (Clement) verdächtigt.

So erklärte nun auch Gerd Andres in der bereits erwähnten Antwort auf eine schriftliche Anfrage (3), dass für die, der Clement'schen Charakterisierung zugrunde liegenden Telefonaktion, ca. 396 000 Datensätze von Bedarfsgemeinschaften überprüft wurden. "Nach diesen Stichproben und Anrufaktionen der Bundesagentur für Arbeit kann vermuten werden, dass die Arbeitslosigkeit derzeit um mindestens 10 Prozent überschätzt wird. Die Anrufaktion deutet auch darauf hin, dass es nicht wenige Leistungsbezieher gibt, bei denen weitere Nachforschungen - z.B. zu Schwarzarbeit - angezeigt sind" (3). Die neuen gesetzlichen Überwachungskompetenzen für den Zoll (vgl. oben 2), sollen wohl diese "Lücke" schließen.

Dass zunächst eine ganze, sozial und wirtschaftlich eindeutig abgrenzbare, Bevölkerungsgruppe verdächtigt wird, um dann einzelne "schwarze Schafe" auszuwählen, ist im Übrigen typisch für Volksverhetzung. Die Nazis gingen bezüglich der Juden in Deutschland grundsätzlich nicht anders vor. Ein extremes, aber anschauliches Beispiel ist die sog. "Reichskristallnacht" 1938. Damals inszenierte Josef Goebbels als ang. "Antwort" auf die Ermordung des deutschen Botschafters, Ernst von Rath, durch den Juden Heinrich Grünspan in Paris, ein Pogrom an der jüdischen Bevölkerung. Für die Tat eines Einzelnen, machte er so alle verantwortlich.

Gerade weil es keine für Außenstehende erkennbare Unterscheidung innerhalb der ALG II-Bezieher gibt, und der Clement'sche Report durch bewusst gewählte Unbestimmtheit in der Typisierung (vgl. 1, S.11) ein nicht fassbares Bedrohungsszenario konstruiert (vgl. 1, S.10), handelt es sich hier eindeutig um Volksverhetzung. Denn wenn jeder Arbeitslose theoretisch ein "Parasit" sein kann, bedeutet dessen Ausrottung eine Möglichkeit der Reduzierung der Gefahr. Im Übrigen richten sich alle Maßnahmen gegen ang. "Sozialmissbrauch", wie oben erwähnt, immer gegen alle ALG II-Bezieher. Es gibt für die Betroffenen keine Möglichkeit, sich durch irgendein Verhalten dem Verdacht zu entziehen, mensch gehöre nicht zu den "verdammten" 10 Prozent. Wohl nicht zufällig kam die Clement' sche Hetze in NPD-Kreise (vgl. "Deutsche Stimme") auch gut an.

Zum weiteren Verfahren

Nachdem auch die Generalstaatsanwaltschaft eine strafrechtliche Ermittlung abgelehnt hat, bleibt nur noch die Klage beim zuständigen Gericht (sog. "Klageerzwingungsverfahren" nach StPO § 172). Dies kann jedoch teuer werden, werden doch eine anwaltliche Vertretung und noch einige andere kostspielige Voraussetzungen verlangt. Prozesskostenhilfe kann bereits im Vorfeld versagt oder bei Abweisung durch das Gericht völlig entfallen. Anders wie im Sozialrecht ist hier alles verdammt teuer. Schließlich können nur Personen des betroffenen Personenkreises, also ALG II-Berechtigte, überhaupt Beschwerde beim Gericht gegen die Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft einlegen.

Abgesehen von allen möglichen Kosten und juristischen Hürden, ist gerade bei "Volksverhetzung" durch Politiker wahrscheinlich, dass gerichtlich auch dann kein Erfolg zu erzielen ist, wenn juristisch sogar Volksverhetzung angenommen werden könnte. Ein maßgeblicher Grund ist, dass es einerseits an der personellen Eindeutigkeit bezüglich des durch diese Straftat Verletzten mangelt, andererseits um eine Straftat handelt, der durch entsprechende Politik begegnet werden könnte. Volksverhetzung durch führende Politiker ist bis heute weitgehend ein juristischer Graubereich.

Grundsätzlich sind Gerichte tatsächlich keine Art "Ersatzinstanz" für menschenwürdige Politik. Selbst das Bundesverfassungsgericht verteidigt Grundrechte nur bei Selbstbetroffenheit, d.h. es schützt Grundrechte, setzt diese jedoch niemals anstelle der Politik durch. Deshalb sollte sich die Enttäuschung über die Justiz - meiner Ansicht nach - auch in verstärkter Grundrechtswahrnehmung ausdrücken. Dies bedeutet vor allem jede Form von Zusammenarbeit mit denen aufzukündigen, welche von und mit Volksverhetzung gegen Arbeitslose Politik machen wollen.

Trotz all dieser Einwände, will ich jedoch nicht grundsätzlich von einer Klage abraten. Vielleicht gibt es den Richter, der auch gegen die Volksverhetzung von Herrn Clement Recht spricht. Nur für diese Möglichkeit fand ich in der gesamten bisherigen Rechtsprechung nichts, was mich berechtigt hoffen lassen könnte.

Allerdings fängt der Kampf gegen die Rechtsentwicklung in Deutschland erst an. Niemand sollte deshalb enttäuscht sein, wenn der Versuch mit Strafanzeigen gegen die Volksverhetzung von Arbeitslosen vorzugehen, beim ersten Anlauf noch nicht den erhofften Erfolg bringt. Immerhin wurde Strafanzeige gestellt, was zeigt, dass die herrschende Politik auch mit rechtlichem Widerstand rechnen muss.

Anmerkungen und Quellen:

1) eine ausführliche Analyse habe ich in meiner Strafanzeige vorgenommen (vgl. http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/zwang/clementanzeige.pdf pdf-Datei

2)  http://www.linksfraktion.de/presse/mitteilungen/view_html?zid=420 externer Link

3) Deutscher Bundestag, Drucksache 16/48

4) Schreiben Staatsanwaltschaft Berlin v. 07.11.2005

5) Ausdrücklich sprach Wolfgang Clement von "Parasiten" in der "Chemnitzer Freien Presse v. 22.10.2005 und im Report S.10

6) Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung 18.02.2004

7) WTO-Übereinkommen, Präambel, BGBl 1994 II S.1625

8) Schreiben Generalstaatsanwaltschaft Berlin v. 08.12.2005

9) vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53.Auflage, § 130, Rdn 4


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