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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Nahe Osten als Projektionsfläche

Ein Rundumblick über historische Projektionen von Antideutschen, Antiimperialisten, Antisemiten und Anderen

Artikel von Bernard Schmid in einer Überarbeitung für das LabourNet Germany vom 19.8.06

Seit nunmehr einer Woche schweigen die Waffen im Libanon und an der israelischen Nordgrenze. Vorübergehend oder dauerhaft ? Das wird die nähere Zukunft zeigen müssen. Andreas Zumach äußert in der 'taz' bereits den Verdacht, «dass der derzeitige Waffenstillstand nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm sein könnte» ( http://www.taz.de/pt/2006/08/19/a0051.1/text ) Dies hoffen wir natürlich für die Menschen dort, vor allem für die ZivilistInnen - im Libanon wie in Nordisrael - nicht. Gleichzeitig gibt es mächtige Kräfte, die vielleicht oder mit einiger Wahrscheinlichkeit kein Interesse an einer dauerhaften Waffenruhe haben dürften: Teile der US-Administration würden gerne den gesamten Nahen und Mittleren Osten militärisch umgraben und dabei namentlich das iranische Regime noch unterpflügen. Diese drängen ihren israelischen Verbündeten in eine eskalationsträchtige Richtung. Relevante Teile der israelischen Ökonomie hängen ihrerseits von der internationalen High-Tich-Industrie, in die sie intensiv eingeflochten sind, und darin namentlich ihrer Zulieferertätigkeiten für die US-Industrie ab. Ihre Kapitalakkumulation hängt häufig an jenen Fraktionen in der US-amerikanischen Ökonomie (Schwer-, Erdöl- und Rüstungsindustrie), die ökonomisch kein Interesse an Friedensschlüssen, wohl aber an der Führung von Kriegen haben. 

Die Bevölkerung Israels (der ihre Situation als jene von Insassen einer belagerten Festung präsentiert wird, was sie auch selbst bei einer Zunahme der Spannungen in der Region so erleben muss) wird dabei als Geisel einer Politik und Strategie genommen, die nur in die immer stärkere regionale Isolation, in sich verschärfende Konflikte mit den Nachbarländern und perspektivisch in die kriegerische Flucht nach vorn führen muss.

Auch die vermeintlich im Namen der «richtigen Religion» gegen die «weniger gute Religion» kämpfenden Kräfte, zu denen die Vordenker der islamistischen Bewegungen in der Region gehören, sind sicherlich nicht an einem dauerhaften Friedensschluss interessiert. Ihnen stellt sich jeglicher Konflikt nur als ein Aspekt des ewig währenden Kampfes zwischen Gut und Böse dar. Auch damit lässt sich natürlich dauerhaft kein friedliches Zusammenleben von Bevölkerungen organisieren. Glücklicherweise waren und sind diese Kräfte in allen arabischen Ländern nicht allein. Aber sie gehen sicherlich (politisch, nicht unbedingt militärisch) gestärkt aus kriegerischen Konflikten und Angriffen wie dem jüngst zu Ende gegangenen hervor. Jedenfalls dann, sofern sie sich - wie jüngst die Kämpfer der Hizbollah in den Augen breiter Kreise der libanensischen Bevölkerung wie auch der «arabischen Straße» - als (angesichts der Passivität der Armee des Libanon) «einzige Verteidiger» ihres von verbrechischen Angriffen bedrohten Landes darstellen können.

Aber uns soll es an dieser Stelle vor allem um die Diskussion über diese Ereignisse «bei uns», also insbesondere in den deutschsprachigen Ländern, daneben aber auch in den USA und Frankreich, gehen. Denn diese Diskussion ist keineswegs nur die Widerspiegelung der objektiven Tatsachen und Entwicklungen im Nahen Osten selbst. Häufig verschleiert die Wahrnehmung der Ereignisse außerhalb des Konfliktschauplatzes diese sogar weitaus mehr, als dass es sie enthüllen oder erklären würde.


Geht es um die Sache selbst? Um das, was Viele unbedingt in bzw. hinter der Sache sehen wollen? Oder aber um das, was Andere darin ihrerseits erblicken und darüber sagen - ohne dass sich die streitenden Parteien dann allzu lang mit der Wirklichkeit aufhielten? Manchmal dienen Konflikte und politische Vorgänge, die anderwo stattfinden, zu Hause vor allem als Projektionsfläche. Auf ihr werden eigene Streitigkeiten, eigene Unsicherheiten oder eigene (ideologische oder psychologische) Bedürfnisse sichtbar gemacht. Mit der Realität draußen in der Welt hat das dann nur noch bedingt zu tun, auch wenn es diese Realität außerhalb der Köpfe der Diskutierenden natürlich gibt. Auch darf nicht jeglicher Bezug zum tatsächlichen Geschehen fehlen. Sonst würde die Projektion ja auf Dauer nicht funktionieren, sondern sich als bloß selbstbezogenes Reden herausstellen und blamieren. Aber die Streitenden nehmen in der Regel von dieser Wirklichkeit nur noch das wahr, was durch die Filter ihrer Wahrnehmung hindurch passt.

In besonderem Maße gilt das anscheinend für Kriege und politische Entwicklungen im Nahen Osten. Oftmals nimmt der Beobachter die dortige Wirklichkeit durch ein Raster wahr, das die Interpretation und oft auch schon die bloße Wahrnehmung der Tatsachen vorab bestimmt. Hängt doch diese Tatsachenwahrnehmung in hohem Maße bereits von dem Standpunkt ab, den der Betrachter sich wählt. Dabei können in Wirklichkeit durchaus mehrere Aspekte gleichzeitig einen Teil der Realität abbilden, ohne dass sich «die Wahrheit» bereits darin erschöpfen würde. Antisemitische oder rassistische Thesen sollen an dieser Stelle ausdrücklich von jeglichem Wahrheitsanspruch ausgenommen werden. Aber ansonsten öffnen die unterschiedlichen Wahrnehmungsraster durchaus - jedes für sich - einen Blick auf ein Teilsegment der Wahrheit. Ärgerlich ist hingegen, dass jede Teilwahrheit ihre jeweilige Anhängerschaft um sich zu scharen scheint, die den jeweils anderen ihre (als ausschließlich betrachtete) Erkenntnis um die Ohren hauen möchte.


Kap. 1: Standpunkte und Wahrnehmungsfilter

Kap. 2: Historische Deutungsmuster bei den Konfliktparteien selbst

Kap. 3: Besondere Aufmerksamkeit in Europa

Kap. 4: «Antideutsch» mit fliegenden Fahnen für den Krieg

Kap. 5: Andere Länder, andere Debatten


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