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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Nahe Osten als Projektionsfläche

Ein Rundumblick über historische Projektionen von Antideutschen, Antiimperialisten, Antisemiten und Anderen

Artikel von Bernard Schmid in einer Überarbeitung für das LabourNet Germany vom 19.8.06

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Kap. 5: Andere Länder, andere Debatten

Die Antideutschen, so viel dürfte klar geworden sein, sind weit entfernt davon, ihrem ursprünglichen Anspruch auf radikale Kritik der gesellschaftlichen Ideologien auch nur entfernt gerecht zu werden. Sie sind im Gegenteil zu den vielleicht affirmativsten Vertretern des liberal-konserativen Mainstreams im Gesamtwesten geworden - wobei sie ihn mit der Besonderheit repräsentieren, dass sie den deutschsprachigen Ländern einen Rückstand an pro-amerikanischen und bürgerlichen Elementen attestieren. So können sie vermeintlich als besonders auf der Höhe der Zeit erscheinen. Zugleich manipulieren sie, auch wenn sie beileibe nicht die einzigen sind, vielleicht mit am ungeniertesten die geschichtliche Erinnerung, um sie zur Waffe in der aktuellen politischen Auseinandersetzung und für aktuelle Kriege zu machen.

Dass die Ängste und Traumata jüdischer Menschen inner- und au b erhalb Israels vor dem geschichtlichen Hintergrund wohl verständlich sind, ist richtig. Aber gerade die Antideutschen schüren, manipulieren, instrumentalisieren mit am hemmungslosesten solche Ängste, um sie für billige außenpolitische Propaganda zu nutzen. Auf einer in Österreich und Berlin beheimateten Homepage, auf der einige jüdische Menschen und eine relativ große Anzahl antideutscher Autoren schreiben, liest man etwa in einem Beitrag vom 03. August dieses Jahres (>> http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cgi?target=home&Param_Kat=33&Param_RB=45&Param_Red=6218 ) folgende Zeilen über die internationale pazifistische Frauengruppe jüdisch-arabischen Ursprungs 'Frauen in Schwarz': «Sie modernisieren die alte Ritualmord- und Brunnenvergiftungsverleumdung und beschuldigen Israel - ohne jeglichen Beweis - 'Phosphorbomben, Gas, Splitterbomben, etc' zu verwenden. Es folgt die übliche Mantra der antiisraelischen Propaganda, mit der die Leser nicht ermüdet werden sollen.» Vorwürfe an Israels Armeeführung, verbotene Munition wie beispielsweise Phosphor und Splitterbomben zu verwenden und dadurch libanesische Zivilisten zu töten, hatte auch bspw. die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhoben. Dies mit antisemitischen Ritualmord- und Brunnenvergifterlegenden gleich zu setzen, ist schlicht und einfach Übelkeit erregend.

Aber wie sieht es in anderen Ländern als Deutschland und Österreich aus, wie steht es um die dortigen Debatten? Ziehen wir an dieser Stelle die Beispiele der USA und Frankreichs heran: Nicht nur, weil sie zu den stärksten westlichen Mächten zählen, sondern gerade auch deshalb, weil diese beiden Staaten auf der internationalen Bühne mit am intensivsten mit dem Fortgang des Libanonkrieges befasst waren. Die USA und Frankreich sind es, die über die Abfassung der UN-Resolution 1701 (die dem jüngsten Krieg ein Ende setzen und die Stationierung von ausländischen Truppen im Südlibanon sowie die Entwaffnung der Hizbollah vorsieht) verhandelten und sie dem UN-Sicherheitsrat vorlegten. Frankreich, das bereits bisher die UN-Truppe im Libanon (Unifil) leitete, sollte zunächst deren Oberkommando übernehmen. Ob es dies nun tut, ist derzeit jedoch fraglich - nach dem jüngsten Rückzieher Chiracs, der statt der ursprünglich vermuteten 2 bis 5.000 französischen Soldaten im Augenblick nur noch 200 zusätzliche Soldaten zur Unifil beitragen möchte, zumindest bis deren Einsatzprofil näher geklärt ist. Schließlich spielten auch noch sprachliche Gründe für die Auswahl der Situation in den USA und Frankreichs eine Rolle[10].

USA: Linke gegen US-Patronage für den Krieg - teils hemdsärmelig

Vor allem in den USA lässt sich von einer eher klassischen Polarisierung zwischen außerparlamentarischem Protest und politischem Establishment (Regierungslager zuzüglich eines Teils der US-Demokraten) sprechen. Hier beziehen sich die aktiv Stellung nehmenden Linken i.d.R. darauf, dass das politische Establishment der Vereinigten Staaten weitgehend die offizielle israelische Politik unterstützt, und hängen daran ihren Protest auf. Ihrer Auffassung nach macht sich die US-Administration und ein Teil der politischen Klasse des Landes der Unterstützung für Kriegsverbrechen schuldig, die angeprangert werden müssen.

Da solcherart eine mehr oder minder eindeutige Positionierung möglich oder erforderlich erscheint, ist der Umgang mancher US-amerikanischen Linken mit Israel und dem Nahen Osten bisweilen auch ziemlich hemdsärgelig. So wird bei manchen Demonstrationen mit Genozidvorwürfen, die auch bei aller berechtigten Kritik an den israelischen Militäreinsätzen weder haltbar sind noch von historischer Sensibilität gegenüber der Erinnerung an den realen Völkermord der Shoah zeugen, nicht gespart.

Hinzu kommt, dass Teile der US-amerikanischen Radikalopposition dazu neigen, die eigene Regierung und ihre Verbündeten als quasi allmächtig hinzustellen, indem diese hinter nahezu jedem Übel auf der Welt vermutet werden. Das ist zwar als vehemente Selbstkritik gegenüber der Politik der eigenen Nation ansatzweise sympathisch, schärft die damit verbundenen Analysen aber nicht immer. Schlie b lich veröffentlichte das bekannte linksradikale US-Magazin 'Counterpounch', das gewöhnlich für gute Recherche und investigativen Journalismus bekannt ist, Ende Juli dieses Jahres einen Text (>> http://www.counterpunch.org/shamir07292006.html ) des angeblichen israelischen Dissidenten Israel Shamir. Doch hinter dem Pseudonym verbirgt sich kein Radikaloppositioneller in Israel, sondern ein berüchtigter Fälscher und nicht-jüdischer Antisemit, der vor wenigen Jahren in Schweden unter dem bürgerlichen Namen Jöran Jermas (>> http://www.freitag.de/2006/06/06061502.php ) gemeldet war, aber auch noch unter anderen Namen auftritt.

Frankreich: Historische Frontenwechsel und aktuelle Sympathien

In Frankreich ist die Ausgangslage insofern ein wenig komplizierter, als hier ein (in der gaullistischen Tradition stehender) Teil der konservativen Rechten seit den späten sechziger Jahren nicht mehr auf einem entschieden pro-israelischen Kurs fährt bzw. fuhr.

Das gesamte konservative Lager war in den fünfziger Jahren strikt pro-israelisch ausgerichtet, wie im Übrigen zu jener Zeit auch die extreme Rechte um Jean-Marie Le Pen. Denn zu jener Zeit führte Frankreich seinen Kolonialkrieg in Algerien (1954-62), wobei Israel der wichtigste geostrategische Verbündete im Mittelmeerraum war. Beide Länder (neben Großbritannien) griffen 1956 Ägpyten an, das den Suezkanal nationalisiert hatte und die algerische Nationale Befreiungsfront politisch sowie mit Waffen unterstützte. In derselben Phase gab Frankreich, mit US-amerikanischer Billigung, auch die Technologie für die Atombombe an Israel weiter. Auch die extreme Rechte unterstützte diese außenpolitisch motivierte Positionierung, die zumindest einen Teil des französischen Rechtsextremismus auch später noch deutlich geprägt hat. Jean-Marie Le Pen, der Ende der fünfziger Jahre infolge einer Erkrankung ein Auge verlor und bis in die späten siebziger Jahre deshalb eine Augenbinde trug (inzwischen hat er sie durch ein Glasauge ersetzt), ließ sich laut seinen Biographen Gilles Bresson und Christian Lionet damals gerne mit dem israelischen General und Haudegen Moshe Dayan - der ebenfalls eine Augenbinde hatte - vergleichen. Deshalb wurden die französischen Rechtsextremen keineswegs weniger antisemitisch, nur gingen sie nunmehr zu der Position über, dass eine «heilsame» Trennung von der jüdischen Bevölkerung in Europa dadurch stattfinden könne, dass diese Israel als ihr neues Vaterland erkenne und längerfristig dorthin abwandere. Militärisch könne ihre Nation zugleich zu einem wichtigen Verbündeten werden. Erst in den neunziger Jahren wurde diese traditionelle Positionierung in einem Teil der französischen extremen Rechten durch eine Ablehnung der israelischen Politik abgelöst, die zum Teil deutlich antisemitisch motiviert ist. Also nach dem Ende des Kalten Krieges, infolge dessen Le Pen seine bis dahin (aufgrund des Primats des Antikommunismus) bewahrte pro-atlantische Orientierung aufgab. Nach wie vor koexistieren aber beide Orientierungen innerhalb des ideologischen Konglomerats, das die französische extreme Rechte ausmacht und innerhalb dessen oft gegensätzliche weltanschauliche Bezüge (katholische Fundamentalisten und neuheidnische Rassebiologen, Monarchisten und militante Neonazis...) anzutreffen sind.

Aber die konservative Rechte hatte, aus wiederum rein außenpolitischen Motiven, ihre Präferenzen schon früher abgeändert. Nachdem Präsident Charles de Gaulle in die unvermeidlich gewordene Unabhängigkeit Algeriens eingewilligt hatte, und nachdem sich für Frankreich gleichzeitig der Verlust an Sympathien und Einfluss in vielen der frisch entkolonisierten Länder Afrikas und Asiens abzeichnete, vollführte die gaullistische Regierung einen Kursschwenk. Im israelisch-arabischen Krieg von 1967 verminderte sie ihre bis dahin deutlichen pro-israelischen Sympathiebekundungen, und in den Jahren danach nahmen die (post)gaullistischen Regierungen wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu manchen arabischen Regimen - vor allem zum Irak - neu auf. Die Sozialdemokratie und die Wirtschaftsliberalen (unter Alain Madelin, der in den 90er Jahren das Modell Silvio Berlusconis nach Frankreich zu importieren versuchte) galten, und gelten auf der Diskursebene bis heute, als stärker pro-atlantisch und pro-israelisch als der gaullistische Konservativismus.

Diese Periode der gaullistischen Politik ist allerdings heute faktisch zu Ende: 1991 nahm Frankreich am US-geführten Golfkrieg gegen seinen ehemaligen Verbündeten Irak teil. Zwar versuchte Chirac durch seine Rundreise durch die Region - vor allem Ägypten und Palästina/Israel - vom April 1996, nochmals symbolisch an die alten Glanzzeiten anzuknüpfen und sich besonders auch als Freund der Palästinenser darzustellen. Der Versuch, darauf aufbauend wieder eine stärkere Rolle zu spielen und in Afrika und Asien eigenständig neben den USA aufzutreten, war jedoch nicht besonders von Erfolg gekrönt. Chiracs Versuche wurden eher als lächerliche Eskapaden betrachtet, zumal Frankreich sich unter seiner Präsidentschaft seit 1995 real (in seiner Militärdoktrin) wieder stärker denn je an die NATO annäherte, aus der de Gaulle 1966 noch ausgeschert war. In der Vorphase des Irakkriegs 2002/03 verlieh Chirac der Pariser Au b enpolitik nochmals einige gaullistische Akzente und fand auch einigen Anklang in der UN-Generalversammlung mit der Rede seines damaligen Au b enministers Dominique de Villepin. Er konnte jedoch dadurch weder den durch die USA geplanten Krieg verhindern, noch real ein größeres Gewicht auf die Waagschale werfen.

Momentan befindet sich der konservative Mainstream gaullistischer Herkunft im vollen Umbruch, was die Außenpolitik und das Verhältnis zu den USA (und zu Israel) betrifft. Der größte Block innerhalb der Regierungspartei UMP, die im Jahr 2002 aus einer Fusion von (Neo)Gaullisten, Christdemokraten und Wirtschaftsliberalen entstand, schart sich um den wahrscheinlichen Präsidentschaftkandidaten Nicolas Sarkozy, der selbst aus dem ursprünglich gaullistischen Lager - dem früheren RPR - kommt. Sarkozy aber ist einer der am stärksten pro-atlantischen und pro-israelischen Politiker der französischen Parteienlandschaft. 2003 lehnte er, mit seiner Auffassung hinter den Kulissen bleibend, Chiracs Kurs während des Irakkriegs ab. Innenpolitisch, vor allem den Kommunitarismus und die politisch-soziale Rolle der Religionsgruppen betreffend, wie außenpolitisch, propagiert Sarkozy in den letzten drei bis vier Jahren lautstark eine Annäherung an das US-Modell. Seine erste Reise als Parteivorsitzender der UMP, zu dem er im November 2004 gewählt wurde, führte ihn im Dezember desselben Jahres nach Israel, und nachdem er im Juni 2005 wieder französischer Innenminister geworden war, empfing er die höchstrangigen Vertreter der israelischen Polizeiführung in seinem Ministerium. Um die Mitte Juli dieses Jahres kommentierte Sarkozy die begonnene israelische Militäroffensive im Libanon mit martialischen Sprüchen über die kurze Zeit, die Israel benötige, um «den Job zu beenden» und aufzuräumen.

Aus dem konservativen Lager gibt es daher derzeit nur sehr verhalten geäußerte Kritik am israelischen Vorgehen, auch wenn Frankreich sich darauf bedacht zeigte, nicht jeglichen Versuch einer eigenständigen Politik in der Region aufzugeben. Um einen Fuß in der Tür zu behalten, plädierte der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy Anfang August zunächst für eine diplomatische Einbeziehung des Iran in die Vermittlungsbemühungen zum Libanon. Aber Douste-Blazys zunächst getätigter Ausspruch über eine «stabilisierende Rolle des Iran in der Region» stieß auch im eigenen Lager auf Skepsis und böses Blut - so dass er ihn wenige Tage später abänderte  in die bloße Äußerung des Wunschs, der Iran möge nunmehr eine stabilisierende Rolle übernehmen, «statt eine destabilisierende Rolle zu spielen». Lediglich der Abgeordnete Nicolas Dupont-Aignan vom nationalkonservativen und EU-feindlichen Flügel der UMP, der vielleicht 5 Prozent der konservativen Sammlungspartei repräsentiert, äußerte sich entschieden ablehnend gegen das israelische Vorgehen und forderte eine härtere Position des offiziellen Frankreich dagegen. Ein Teil der extremen Rechten opponiert seinerseits gegen den israelischen Militäreinsatz, während ein anderer Teil ihn aus historischen Gründen (Algerienkrieg, Präsenz rechtsextremer französischer Söldner im Libanon des Bürgerkriegs während der 80er Jahre) befürwortet. Aber beide Unterströmungen sind damit in der Öffentlichkeit zur Zeit kaum zu vernehmen.   

Insofern bleibt das Protestieren gegen die Angriffe auf den Libanon auch hier der Linken, vor allem der KP und den Grünen sowie der radikaleren außerparlamentarischen Linken, überlassen. Ihr Protest war klar «nicht-völkisch», anlässlich einer Kundgebung vor der Pariser Oper Anfang August sprach etwa auch ein israelischer Kriegsdienstverweigerer, der von einem anwesenden Libanesen öffentlich umarmt wurden. Außenpolitisch oder auch antisemitisch motivierte Einwände gegen Israels Politik von weiter Rechts existieren zwar, widerspiegeln sich aber nirgendwo in Protesten auf der Straße. Den Interpretationsrahmen für den Protest gibt überwiegend die kritische Erinnerung an die eigene Rolle Frankreichs als Kolonialmacht, insbesondere in Algerien, ab. Die protestierende Linke sieht sich überwiegend in der Kontinuität zu den damaligen Widerständen gegen diese französische Politik. Darin sieht sie sich übrigens durch ein französisches Interview von Ariel Sharon bestärkt, der Ende 2001 selbst die Rolle des Staates Israel im Nahen Osten explizit mit dem einstigen Vorgehen Frankreichs in Algerien verglichen (>> http://www.lexpress.fr/info/monde/dossier/israelcrise/dossier.asp?ida=418845 ) hat.

Im Unterschied zu Deutschland, wo manche Kritik an Israel eher zur Entlasung der deutschen Nationalgeschichte vorgebracht wird - «Seht, die sind auch nicht viel besser als wir!» -, ist dieser selbstkritische Bezug auf die nationale Geschichte nicht geeignet, primär den Nationalismus im eigenen Land zu fördern.

ERGÄNZUNG

Zum Abschluss seien hier noch einige Links zu linken und/oder pazifistischen, teilweise binationalen (jüdisch-arabischen) Organisationen in Israel wärmstens zur Verwendung empfohlen:

Anmerkungen

10) Auf die Debatte in Ländern wie Italien und Griechenland wird daher in diesem Zusammenhang nicht eingegangen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass es ernsthafte Anzeichen auf eine sehr kritikwürdige Aktion von griechischen Linken (aus dem Umfeld der orthodoxen KP) gibt, die anscheinend meinten, in Athen das Denkmal für die Holocaustopfer zum Protest gegen den Libanonkrieg "umfunktionieren" zu müssen. Das ist tatsächlich inakzeptabel, da es keinen auch nur halbwegs direkten Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen gibt. Und selbst wenn Israel sich selbst als den "Staat der Opfer des Holocaust" definiert und man ihm dennoch in der aktuellen Auseinandersetzung die politische und/oder moralische Legitimation für sein militärisches Agieren im Libanon (und anderswo) absprechen möchte, so hat dies dennoch auf keinen Fall durch einen Angriff auf das Gedanken an die Opfer des Holocaust zu geschehen. Vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd7806/t447806.html


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