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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Nahe Osten als Projektionsfläche

Ein Rundumblick über historische Projektionen von Antideutschen, Antiimperialisten, Antisemiten und Anderen

Artikel von Bernard Schmid in einer Überarbeitung für das LabourNet Germany vom 19.8.06

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Kap. 3: Besondere Aufmerksamkeit in Europa

Diskussionen über Kriege und politische Vorgänge im Nahen Osten stoßen in Europa auf ein hohes Maßan Aufmerksamkeit. Überdurchschnittlich hohe Aufmerksamkeit - so monieren jedenfalls einige Kritiker (>> http://www.diepresse.at/Artikel.aspx?channel=m&ressort=g&id=575602&archiv=false ) - wenn man im Vergleich etwa an jene denke, die den Toten in der sudanesischen Kriegsprovinz Darfur oder im indisch-pakistanischen Konflikt um Kaschmir zuteil werde. Die Gründe dafür sind in einem Bündel aus Motiven zu suchen.

In Deutschland oder Österreich beinhaltet der Blick auf den Konflikt im Nahen Osten wohl immer auch einen Blick in den Spiegel der eigenen Nationalgeschichte - da ein Teil der frühen Bewohner Israels deshalb in diesen Staat gegangen ist, weil vom damaligen Großdeutschland aus der Versuch gestartet wurde, die europäischen Juden zu vernichten. Anderswo auf dem Kontinent, etwa in den südeuropäischen Ländern wie Italien und Griechenland, ist die Aufmerksamkeit aber kaum weniger intensiv. Neben der relativ unmittelbaren Nachbarschaft im Mittelmeerraum spielt hier auch eine wichtige Rolle, dass das historische Palästina, das heutige Israel und auch Teile des Libanon als das «heilige Land» betrachtet werden. Dieses glaubt man aus den Bibelerzählungen der eigenen Kindheit doch intim zu kennen, so dass man sich bewusst oder unbewusst den dortigen Ereignissen in besonderer Weise verbunden glaubt, gemessen jedenfalls an Vorgängen anderswo in Asien oder in Afrika.

Nicht zuletzt spielen auch weitere objektive Faktoren, wie die besonders intensive Verwicklung internationaler Großmächte und besonders der USA - als Hauptstütze der israelischen Politik - sowie die hohe Bedeutung der Nahostregion für die Rohstoffversorgung Europas, eine Rolle für die Beobachter. Und auch die Präsenz sowohl der seit Jahrhunderten bestehenden jüdischen Gemeinden, als auch einer (im Vergleich zu anderen internationalen Großregionen) relativ beträchtlichen Anzahl von Einwanderern aus arabischen oder moslemisch geprägten Ländern in Europa trägt sicherlich mit zu der Aufmerksamkeit bei.

Deutschland und Österreich: extreme Polarisierung

Am polarisiertesten, verglichen mit wohl allen anderen außerhalb der Konfliktregion selbst gelegenen Ländern, verläuft die Debatte über den Nahostkonflikt und den Libanonkrieg vermutlich in den deutschsprachigen Ländern. Dies hat natürlich unmittelbar mit der gemeinsamen Geschichte Deutschlands und Österreichs, insbesondere auch während ihres Zusammenschlusses im so genannten «Großdeutschen Reich» und unter dem Nationalsozialismus, zu tun. Unweigerlich dient diese historische Realität vielen Streitenden und Diskutierenden als Projektionsfläche, vor welcher die aktuellen Vorgänge diskutiert werden. So suchen sich manche Deutschen (oder Österreicher) historische Entlastung, in ihrem Wunsch nach einer «endlich wieder normalisierten Nation» ohne die Identifikation störende Erinnerung, indem sie sich nunmehr lauthals darauf berufen, dass «die Juden und Israelis ja auch Verbrechen begehen... und wir uns deshalb nicht immer unsere Geschichte vorhalten lassen müssen». Andere versuchen sich dagegen gerade dadurch ein reines Gewissen und einen ungestörten Bezug zur Nation zu verschaffen, dass sie sich demonstrativ auf die Seite Israels stellen und dadurch glauben, ja nunmehr «zu den Guten zu gehören». Von dem zu reden, was wirklich im Nahen Osten passiert, ist angesichts dieser starken projektiven Bedürfnisse gar nicht so einfach.

«Polarisiert» bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass es in Deutschland (oder Österreich) die heftigsten Zusammenstöße zwischen Regierungs- und Oppositionslager hinsichtlich ihrer Position zu den Konflikten im Nahen Osten gäbe. Im Gegenteil fällt diese in den deutschsprachigen Ländern deshalb relativ schwach oder unbedeutend aus, weil die allertiefsten Gräben im Lager der üblichen Kritiker der Regierungspolitik und/oder der herrschenden Gesellschaftsordnung selbst klaffen. Linke oder sozialpolitische Opponenten, die sonst regelmäßig gegen Regierungsbeschlüsse oder konservative Vorhaben und erst recht gegen rechtsradikale Umtriebe protestieren, sind sich in dieser Debatte plötzlich nicht mehr grün. Ja, beschimpfen einander mitunter unumwunden (je nach Position und Wortwahl) als Nazis [1] oder zumindest als Anhänger einer den Nazis ähnlichen Ideologie, als Kollaborateure der Herrschenden, als Kriegstreiber und Schreibtischtäter. In abgeschwächter Form und mit geringerer verbaler Härte durchzieht dieser Streit fast alle üblicherweise als progressiv geltenden Milieus. Zunächst erfasste er die publizistische Szene und die außerparlamentarische Linke, hat nun aber inzwischen auch, beispielsweise, die Linkspartei.PDS erreicht (>> http://www.linxxnet.de/aktuell/07-08-06_offener-brief-israel.htm ). Die Berliner 'tageszeitung', taz, früher das Debattenforum der gesamten alternativen Linken und heute eher der grünen Partei nahe stehend, dokumentiert in den letzten vier Wochen Beiträge absolut konträren Inhalts (>> http://www.taz.de/pt/2006/07/22/a0032.1/text  ; http://www.taz.de/pt/2006/08/09/a0168.1/text ). Inmitten dieses heftigen ideologischen Disputs traut sich der größte Teil der im weiteren Sinne links Politisierten nicht mehr, überhaupt noch Position zu beziehen, sondern zieht sich vielmehr - Zweifel gegenüber allen Streitparteien und geäußerten Positionen vorbringend - auf eine relative Passivität zurück. Im Umkehreffekt dominieren dann natürlich die eher problematischen Kräfte und Aussagen zum Beispiel viele Anti-Kriegs-Demonstrationen.

Darin unterscheidet sich die Situation in den deutschsprachigen Ländern erheblich von jener, die beispielsweise in den USA oder in Frankreich anzutreffen ist. Dort ist die Auseinandersetzung um die Positionierung zu den Kämpfen im Nahen Osten im Wesentlichen (auch wenn diese Feststellung leicht vergröbernd ist) eine Links-Rechts-Auseinandersetzung (vgl. unten). Jedenfalls in dem Sinne, dass auf der einen Seite des aktiv ausgetragenen Streits - auf der Straße jedenfalls - linke Protestler zu finden sind, auf der anderen Seite vor allem konservative Vertreter des Establishments stehen, wobei die sozialdemokratischen Parteien in beiden Fällen eher der zweiteren Position zuneigen. In Wirklichkeit liegen jedoch auch hier die Dinge ein wenig komplizierter. Doch betrachten wir uns zunächst die Situation in den deutschsprachigen Staaten.

Von den Stolpersteinen und Fallstricken der linken Kritik an Israel in Deutschland

Historisch betrachtet, überwog in der Nachkriegszeit unter den nachwachsenden deutschen Linken zunächst klar eine pro-israelische Haltung. Dabei spielte nicht nur das Mitgefühl mit den in Israel wohnenden Überlebenden oder vor dem Holocaust Geflohenen eine Rolle, sondern auch, dass von offizieller westdeutscher Seite her längere Zeit noch keine zwischenstaatlichen diplomatischen Beziehungen zum Staat Israel aufgenommen wurden.

Die Bundesrepublik leistete zwar ab den fünfziger Jahren so genannte «Wiedergutmachungszahlungen» an Israel, die auch im doppelten Sinne des Wortes aufgefasst wurden. Also in dem Sinne, dass es sich um Reparationen für begangene Verbrechen handele - aber auch dass deren Folgen dadurch «wieder gut gemacht» würden, sprich dass man sich seine Eintrittskarte zur Aufnahme in den Club der zivilisierten Nationen und seine Akzeptanz damit erkaufen könne. In diesem Sinne wirkte auch der deutliche Philosemitismus der ansonsten nationalistischen und autoritären Springerpresse. Aber diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden erst im Jahr 1965 aufgenommen, in demselben Jahr, in dem die Zahlungen infolge des 1952 in Luxemburg unterzeichneten «Wiedergutmachungsabkommens» ausliefen (mit Ausnahme der Rentenzahlungen an persönlich Geschädigte u.ä.). Bis dahin hatten zweifellos Vorbehalte im Weg gestanden, die mit der Präsenz zahlreicher alter Nazis in Wirtschaft, Verwaltung und Justiz der westdeutschen Nachkriegsjahre zusammen hingen. Man denke nur an den berüchtigten Hans Globke, der einstmals juristischer Kommentator der Nürnberger Rassengesetze gewesen war und die Sondergesetze zur Enteignung und Entrechtung der Juden in der besetzten Slowakei ausgearbeitet hatte, und 1953 dann zum Kanzleramtsminister unter Bundeskanzler Konrad Adenauer aufstieg. Erst in diesem Jahr 2006 bekannt wurde (>> http://de.today.reuters.com/news/newsArticle.aspx?type=worldNews&storyID=2006-06-07T132939Z_01_HAG748545_RTRDEOC_0_USA-DEUTSCHLAND-EICHMANN-ZF.xml ) im Übrigen, dass westdeutsche Stellen in den späten fünfziger Jahren vom Aufenthaltsort des NS-Massenmörders Adolf Eichmann wussten und diese Informationen auch an die amerikanische CIA weitergaben - beide Dienste aber übereinkamen, diese Nachrichten nicht an Israel weiter zu geben. Im Hintergrund stand der Wunsch, zu verhindern, dass durch einen spektakulären NS-Prozess die Aufmerksamkeit auf den Schreibtischtäter im westdeutschen Kanzleramt gelenkt werde. 1960 dann schafften es die Israelis auch allein, Eichmann in Argentinien gefangen zu nehmen. Die Episode wirft ein recht bezeichnendes Schlaglicht auf die Hintergründe der damaligen Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten.

Doch in vielen Fällen idealisierten die deutschen Nachwuchslinken dabei den israelischen Staat und nahmen ihn als ein falsches Idyll wahr, im Sinne eines verwirklichten wahren Sozialismus im Kibbuz. Von den militärpolitischen und geostrategischen Zusammenhängen der Region wusste man oft nur wenig. Und generell waren internationale Themen damals weitgehend unterbelichtet. Deshalb wurde die bis dahin vor allem moralisch und emotional begründete Näheposition zu Israel auch empfindlich erschüttert, als um die Mitte der 60er Jahre erstmals internationale Themen und Dritte-Welt-Solidarität in die bis dahin relativ heile Welt der Linken im westdeutschen Wohlstandsstaat hereinbrachen: Demonstration gegen den Schah-Besuch in Westberlin, Vietnamkrieg, Faszination für die Kulturrevolution in China (oder was man aus der Ferne für deren Realität hielt). Ein Teil der sich radikalisierenden Linken vollzog deshalb innerhalb kürzester Zeit einen scharfen Paradigmenwechsel, beschleunigt infolge der israelischen Stärkedemonstration im Sechs-Tage-Krieg von 1967. Erstmals wurde damals das Problem der palästinensischen Flüchtlinge wahrgenommen.

Ein damals Beteiligter schrieb dazu (>> http://www.trend.infopartisan.net/trd0905/t250905.html ) einige Jahre später im Rückblick, nachdem er (aufgrund einer in der Palästinasoldarität angetroffenen Unsensibilität gegenüber dem Holocaust - aber in Wirklichkeit wohl auch aufgrund des totalen Scheiterns der maoistischen Partei, der er angehört hatte) bereits wieder mit dem neuen Paradigma gebrochen hatte: «In den frühen 60er Jahren spielte Israel für die fortschrittliche bzw. demokratische Bewegung in Deutschland ungefähr die Rolle, die in den späten 60er Jahren China spielte: Israel galt als besonders demokratisches Land, als sozialistisches Ideal mit seinen Kibbuzim und als Bastion des Antifaschismus. Viele junge Deutsche sind aus antifaschistischer Einstellung heraus nach Israel gegangen, haben in den Kibbuzim gearbeitet und dies als einen Beitrag zum Kampf gegen den Faschismus verstanden. Die Positionen der arabischen Staaten gegenüber Israel wurden entweder nicht zur Kenntnis genommen oder für Relikte des Antisemitismus gehalten, das Schicksal des palästinensischen Volkes war vollkommen unbekannt, und auch der Befreiungskampf der Algerier hat an dem blinden Fleck im Auge der demokratischen Jugend in Deutschland gegenüber den Problemen der arabischen Welt nichts geändert. (...) In keinem Land Europas war die Identifikation von Antifaschismus und pro-israelischer Haltung derart stark. Das begann sich erst 1967 während und nach dem Krieg zu ändern, wobei die Berichterstattung der Springerpresse eine gewisse Rolle spielte, vor allem ihr Versuch, pro-israelische Sympathien in Deutschland gegen die schon ziemlich entfaltete antiimperialistische Bewegung zu mobilisieren. Dieser Prozeß des Umdenkens ging aber sehr langsam vor sich. (...) Am 5.6.1967 befanden sich Tausende von Studenten auf dem Campus der Freien Universität Berlin. Sie protestierten gegen die Erschießung Benno Ohnesorgs, der bei einer Demonstration am 2. Juni gegen den Schah in Berlin den Tod gefunden hatte. Als die Nachricht vom Ausbruch des Krieges eintraf, bildeten sich um die wenigen arabischen Studenten Diskussionstrauben. Die arabischen Studenten fanden weder Gehör noch Verständnis, sondern ertranken fast in einem Meer an Feindseligkeit. »  (Peter Tautfest; der einstige linke Aktivist ist im Januar 2003 verstorben.)

Ein Teil der linken Außerparlamentarischen Opposition (APO) vollzog aber nun in dieser Frage einen schnellen, abrupten und oftmals kaum reflektierten Kurswechsel. Das Ergebnis war, dass die einstmals in hohem Maße moralisch begründete Haltung der Verbundenheit mit Israel nunmehr im Nachhinein von manchen Protagonisten als eine Art Missbrauch ihrer Gefühle empfunden wurde. Diese Form von emotionalem Betrug, so das subjektive Empfinden bei manchen, habe sie damals blind für die «Opfer der Opfer» (so lautete ein seinerzeit ziemlich beliebter Ausdruck) werden lassen. Die daraus erwachsenden moralischen Bauchschmerzen und der Versuch, das Ruder der eigenen Orientierung möglichst schnell herum zu werfen, endeten häufig in Verrenkungen und Gestikulationen, die den eigenen Gewissensbissen Genüge tun sollten. Durch schrille Töne sollte das bisherige historische Schuldgefühl, das nun durch neue Schuldgefühle (bezüglich der eigenen vorherigen Haltung) angegriffen wurde, übertönt oder abgewehrt werden. Daher rührt der, u.a. von Kritikern dieser Umorientierung wiederum benutzte, Begriff der «Schuldabwehr».

Nur so ist eine Wahnsinnstat zu erklären, zu der in keinem der Nachbarländer Vergleichsmöglichkeiten gefunden werden können. Wie durch das Buch von Wolfgang Kraushaar 'Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus' (>> http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=6022&count=280&recno=10&type=rezbuecher&sort=jahr&
order=down&geschichte=75
) im Juli 2005 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, hatten Angehörige einer linken Splittergruppe am 9. November 1969 eine Bombe in einem jüdischen Gemeindezentrum in Westberlin deponiert. Der mutmaßliche politische Hintermann des - gescheiterten - Anschlags, der Aktivist und Anführer der «Haschrebellen» Dieter Kunzelmann hatte damals die Zielsetzung formuliert, die Linke müssen ihren «Judenknax» überwinden. Also einen «Knacks» oder Schuldkomplex, der mit der deutschen Geschichte und dem Holocaust zusammen hänge. In Detailfragen ist das Buch von Kraushaar umstritten - aber unstrittig ist, dass es diesen Attentatsversuch einer Splittergruppe, die sich nach einer Guerillabewegung im lateinamerikanischen Uruguay als «Tuparamos Westberlin» bezeichnete, tatsächlich gegeben hat. Dass der größte Teil der damaligen Linken und der APO nicht dahinter stand, sondern weitaus mehr eine «faschistische Provokation» vermutete, und dass nach Kraushaars Enthüllungen ein Agent Provocateur des Verfassungsschutzes den Sprengkörper zur Verfügung gestellt hatte, ändert daran nichts.

«Endlösung» im Libanon ?  

Nicht mit potenziell tödlichen Konsequenzen einher gehend, aber ebenfalls politisch desaströs waren spätere Tendenzen, in einem politischen Spannungsmoment wie auf dem Höhepunkt der israelischen Invasion im Libanon (1982) das Vokabular des NS und des Holocaust auf die israelische Kriegsführung und die mit ihr verbundenen Massaker anzuwenden. In mindestens zwei linken Medien, in der Revue 'Pardon' im Juli 1982 und in der linken Monatszeitung AK (damals 'Arbeiterkampf', später 'Analyse und Kritik') im September 1982, wurde in diesem Zusammenhang die Formulierung von der drohenden «Endlösung der Palästinenserfrage» benutzt. Israel war damals im Libanon einmarschiert, um die im Süden des Landes sitzende Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) zu vertreiben, deren Führung infolge der Belagerung von Beirut in die tunesische Hauptstadt Tunis ausgeflogen wurde. In diesem Kontext hatte Israel eine zweimonatige Hungerblockade über Westbeirut, wo die Palästinenser dominierten, verhängt und im September 1982 von den verbündeten christlich-rechtsradikalen Milizen der libanesischen «Falange» (arabisch Kataeb) ein Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila anrichten lassen. Dort starben rund 2.000 Menschen, in «Vergeltung» für die Tötung des libanesisch-christlichen Präsidenten Baschir Gemayel, der aus den Reihen der Falange kam. Ein verbrecherisches Massaker, aber mitnichten eine «Endlösung», da dieser auf der Wannsee-Konferenz benutzte Begriff für das Vorhaben der planmäßigen Auslöschung einer gesamten Bevölkerungsgruppe als solche steht.

Dass dieser Begriff dennoch in linken Medien auftauchte, war zweifellos nicht antisemitisch, also durch Abneigung und Hass gegen Juden, motiviert. Es handelte sich vielmehr um den Versuch, die radikale Kritik und Empörung über die Vorgänge in einem besonders durchschlagkräftigen Begriff zu bündeln. Der benutzte Begriff sprach in diesem Falle dem Staat Israel die stärkste moralische Dimension seiner Eigendefinition - die Berufung auf die Staatsgründung infolge von Judenverfolgung und Holocaust - ab und stellte dessen Sichtweise auf sich selbst radikal in Frage. Deshalb schien er von besonderer Wirkung zu sein. Auch der linke deutschjüdische Poet Erich Fried reagierte um dieselbe Zeit ähnlich, indem er in einem Gedicht folgende Zeilen schrieb: «Die kommen immer wieder, die sind immer noch da / Ich habe Hitler gesehen / Er rief Shalom und spielte Holocaust / Im Libanon.» Dennoch war der historische Vergleich nicht nur in der Sache falsch, sondern er hatte objektiv zur Wirkung, in Deutschland die historische Realität des Holocaust zu relativieren, ja ihre Aufrechnung gegen aktuelle Verbrechen des «Staats der Opfer» möglich zu machen. Wer also in Deutschland «endlich nichts mehr von den Verbrechen gegen die Juden hören» wollte, brauchte sich nur darauf zu berufen.   

Rechtsradikale Judenhetze unerheblich?

In den Jahren nach 1968 und noch bis circa 1989 war der «Antiimperialismus» eine wesentliche Komponente der Kritik, die durch die (radikale) Linke an der herrschenden Gesellschaftsordnung vorgebracht wurde. Dies in dem Sinne, dass man in der Linken davon ausging, die herrschende Weltwirtschaftsordnung habe einerseits dafür gesorgt, dass die Menschen in den westlichen Industrieländern (den «Metropolen») aufgrund der Überausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften in den ehemaligen Kolonien und Dritte-Welt-Ländern einige soziale Zugeständnisse erhielten. Dadurch werde die «soziale Frage» in den Kernländern des Kapitalismus ruhig gestellt. Andererseits aber erlaube es die Tatsache, dass die «Dritte Welt» in Bewegung gekommen war - etwa im Zusammenhang mit den Entkolonialisierungskämpfen wie in Algerien, oder dem Vietnamkrieg -, von dort her die herrschende Weltordnung aufzubrechen. Die radikaleren Strömungen, von wesentlichen Teilen der APO bis hin zur RAF, verstanden es als ihre Aufgabe, diesen Impuls «in die Metropolen» zu holen. Ähnlich, wie US-amerikanische Linke (agitatorisch zugespitzt) während des Vietnamkriegs die Parole ausgaben: «Bring the war home!» 

Ab den 80er Jahren fing diese Vision an, zunehmend in Frage gestellt zu werden. Die große Welle der Entkolonialisierung war vorbei, und die Regime in den dabei entstandenen jungen Staaten hatten sich in der Regel stabilisiert. Der «emanzipatorische Überschuss» an sozialen Veränderungswünschen, die mit der Entkolonialisierung verknüpft wurden und der über die pure Staatsgründung hinaus reichten, war oftmals verpufft. Überdies begann ab Mitte der 80er Jahre der Zusammenbruch des «realsozialistischen Lagers», das bis dahin ein objektiver Bündnispartner für die frisch entkolonialisierten Staaten (von neu geknüpften Wirtschaftsbeziehungen bis zur gemeinsamen Stimmabgabe in den UN-Generalversammlungen) gewesen war und es ihnen oft erlaubte, den wirtschaftlichen Anpassungszwängen des Weltmarkts ein Stück weit zu entfliehen. Der ökonomische Zwang des Weltmarkts war dabei durch politische Bündnisse, zwischenstaatlichen Handel (oftmals mit Subventionen für die ärmeren Länder verbunden) und die Einbindung in den Comecon als «zweiten Weltmarkt» ersetzt worden. Sicherlich war auch dies nicht immer nur zum Vorteil der Dritt-Welt-Länder, da auch der sowjetische Block nicht uneigennützig handelte. Aber die Konkurrenz zwischen zwei rivalisierenden Gro b blöcken mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen hatte den frisch unabhängigen Ländern doch einen größeren Spielraum verschafft. Dieser war 1989 verschwunden.

Gleichzeitig setzte innerhalb der europäischen Linken ein massiver Abschied von der «antiimperialistischen» Weltsicht und die Suche nach neuen Orientierungspunkten ein. Begonnen hatte dieser Prozess schon früher, da die platteste Form des «Antiimperialismus» - eine binäre Sichtweise, die die Welt in Nord und Süd als Böse-Gut-Schema einteilte und innerhalb der «unterdrückten Länder» überhaupt nicht zwischen progressiven und reaktionären Kräften unterscheiden mochte - schon 1979 ihren Super-GAU erlebt hatte. Damals hatte man binnen weniger Monate den wirklichen Charakter des zu Anfang jenes Jahres gestürzten Regimes von Pol Pot in Kambodscha, und des frisch an die Macht gekommenen Khomeini-Regimes im Iran erfahren. Darum auch taumelte der westdeutsche Maoismus um dieselbe Zeit in eine tödliche Krise. Andere, intelligentere Varianten desselben politischen Ansatzes überlebten noch länger. Aber mit dem Ende der bipolaren Weltordnung kamen auch sie auf den Prüfstand. In der Linken der deutschsprachigen Länder bildete zudem die kritische Aufarbeitung der vergangenen «Sündenfälle» im Hinblick auf die Wahrnehmung der israelisch-arabischen Konflikte - wie etwa die «Endlösung der Palästinenserfrage» - einen Katalysator bei diesem Wandel der grundsätzlichen Weltsicht.

Übrig geblieben ist, jedenfalls in den deutschsprachigen Ländern, ein im Vergleich zu den radikaleren Linksströmungen der 70er und 80er Jahre recht klägliches Häufchen von sich primär «antiimperialistisch» bestimmenden Gruppen und Publikationsorganen. Durch den teilweisen Einfluss auf die Berliner Tageszeitung 'junge Welt' verfügt diese Strömung jedoch immer noch über einen nicht unbeträchtlichen publizistischen Einfluss.

Die politische Schwierigkeit, die Wirklichkeit im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt ausschließlich durch das Prisma des Imperialismus - also der internationalen Ordnung, der Hierarchien zwischen Nord und Süd - zu betrachten und dabei andere Faktoren völlig unberücksichtigt zu lassen, zeigen die jüngsten Äußerungen der «Antiimperialistischen Koordination» (AIK). Diese relativ kleine Gruppierung, die in Österreich ansässig ist, dürfte den Resten der einstmals mächtigen «antiimperialistischen» Unterströmung ihren (inhaltlich) zugespitzesten Ausdruck verleihen. In einer Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), die in ihrer Mehrheit weitaus nuanciertere Positionen vertritt, während ein neostalinistischer Minderheitsflügel den Positionen der AIK nahe steht, schreibt (>> http://www.kommunisten.at/article.php?story=20060802004204333 ) die Koordination Anfang August dieses Jahres: «Dass allein die (Anm. d. Verf.: rechtsradikale) FPÖ die Forderung nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen erhebt, wird hier zur willkommenen Ausrede für die De-facto-Deckung Israels und seiner Kriegsverbrechen. Unter 'rechts' wird im Allgemeinen die Verteidigung der sozialen Ungerechtigkeit, der Chauvinismus, die Herrschaft der Eliten verstanden. So ist die israelische Apartheid gegen die Palästinenser der Inbegriff von 'rechts', genauso wie seine imperialistischen Unterstützer in den USA und in Europa.» Im Anschluss wird dann über einen Bündnispartner ausgesagt: «Dieser kümmert sich tatsächlich wenig (um) schal gewordene Demarkationen zwischen links und rechts, deren Denominationen aber allesamt den Zionismus und das American Empire anerkennen und aktiv verteidigen.»      

Die Motive der «Antiimperialisten» decken sich durchaus nicht mit denen der österreichischen Rechtspopulisten und Rechtsradikalen von der «Freiheitlichen Partei» FPÖ. In ihrem Text wird die Situation Israels und der Palästinenser vor allem durch das Raster des europäischen Kolonialismus sowie des Vergleichs der Situation von Israelis und Palästinensern mit dem Nebeneinander von Schwarzen und Weißen in Südafrika betrachtet. Völlig abgesehen von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Darstellung, muss sie doch in jedem Falle als Motivation der Autoren ernst genommen werden: Sie analysieren die Situation im Nahen Osten tatsächlich durch diesen historischen Vergleich. Darum kann man ihnen auch keinen Hass auf die Bewohner Israels «als Juden» unterstellen, da sie ihre Situation ähnlich wie jene der Europäer in der französischen Siedlungskolonie Algerien oder der Weißen in Südafrika - deren Gegner jene auch nicht zu vernichten, sondern neue Beziehungsformen mit ihnen und zwischen den Bevölkerungen zu erzwingen suchten - wahrnehmen. Aber als vollkommen blind muss ihr Auge dort erscheinen, wo nicht einmal mehr wahrgenommen wird, dass andere, in diesem Falle zum Beispiel die österreichischen Rechtsradikalen, völlig andere Betrachtungsweisen und Motive haben und die Einwohner Israels eben sehr wohl in erster Linie als «Juden» wahrnehmen.

So hat der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider - der ehemalige Chef der oben zitierten FPÖ, der sich allerdings inzwischen von ihr mit einer eigenen Partei (dem «Bündnis Zukunft Österreich» BZÖ) abgespalten hat - wenige Tage später klar gestellt, wie er die Dinge sieht. Er warf Israel vor (>> http://www.networld.at/index.html?/articles/0631/16/147478.shtml , http://www.ots.at/presseaussendung.php?schluessel=OTS_20060809_OTS0188&ch=politik ), nach dem Prinzip «Auge um Auge, Zahn um Zahn» vorzugehen, bezog also seine Kritik tatsächlich auf Sätze aus dem Alten Testament und damit nicht auf eine konkrete Politik von heute, sondern auf das Judentum und seine Glaubenssätze «an sich». Ferner attackierte Jörg Haider den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien, Ariel Muzicant - den er bereits früher aus anderen Motiven angegriffen hatte - als «einen jener zionistischen Provokateure im Westen». Sein Parteivorsitzender in der Steiermark, Gerald Grosz, forderte nach dem Tod eines österreichischen UN-Soldaten im Südlibanon durch israelischen Beschuss «ein Wort des Bedauerns und der Verurteilung durch die Kultusgemeinde». Damit kritisierten die beiden BZÖ-Politiker eben nicht nur eine konkrete Politik im fernen Nahen Osten, sondern richteten ihre Kritik in einer Weise an die in Österreich lebenden Juden, als ob diese in irgend einer Form für die Politik der israelischen Entscheidungsträger verantwortlich seien. Auch wenn die IKG-Funktionäre diese sicherlich verbal unterstützen mögen, sind sie für diese Politik genauso wenig verantwortlich wie alle anderen Befürworter des israelischen Vorgehens außerhalb dieses Staates. Insofern ist klar, dass das Vorgehen der Rechtspopulisten antisemitische Reflexe widerspiegelt oder bedient. Vor diesem Hintergrund die notwendigen Abgrenzungen als «schal gewordene Demarkationen» nach Rechts abzutun, zeugt von einer tatsächlichen Blindheit für Gefahren.

In abgeschwächter Form, aber mit ähnlicher inhaltlicher Grundausrichtung kommentiert auch der regelmä b ige Leitartikelautor Werner Pirker das Geschehen im Nahen Osten in der 'jungen Welt' . Ohne die Nähe der schiitischen Hizbollah-Bewegung zum iranischen Regime und andere kritikwürdige Punkte zumindest zu thematisieren, bezeichnet Pirker (>> http://www.jungewelt.de/2006/08-05/066.php ) in einer Schwarz-Weiß-Sicht auf Gut und Böse im Libanonkrieg die islamistische Miliz umstandslos als «lebendigsten Teil der libanesischen Demokratie, de(n) sich auf die Masse der Unterprivilegierten stützenden nationalen Widerstand». Kurios ist ferner, wie Pirker die Rolle Russlands darstellt. Unkommentiert gibt er auf der Seite Eins der Zeitung als oberste Nachricht zu Protokoll (>> http://www.jungewelt.de/2006/07-21/055.php): « Mit scharfen Worten kritisierte Russland Israel. Dessen Gewalt im Libanon mit Hunderten von Toten und Hunderttausenden Flüchtlingen gehe 'weit über die Grenzen einer Antiterroroperation hinaus'. Das russische Außenministerium forderte einen sofortigen Waffenstillstand.» Nicht erwähnenswert findet der Journalist dabei, dass Russland in den letzten 12 Jahren in Tschetschenien in einer Weise wütete, die sogar das israelische Vorgehen im Libanon noch in den Schatten stellt. Des Rätsels Lösung liegt darin begründet, dass Pirker, der vor 1987 Korrespondent der damaligen KPÖ-Zeitung 'Volksstimme' in Moskau war und als russophil gelten muss, von der Wiederauflage einer «antiimperialistischen Allianz» wie zu sowjetischen Zeiten träumt. Mit dem Unterschied, dass es sich damals um «Realsozialisten» und arabische Linksnationalisten handelte, aber heute um ein nicht-sozialistisches autoritäres Regime in Russland und um islamische Fundamentalisten bzw. (im Falle der Hizbollah eher) Islamo-Nationalisten handeln würde.   

Weiter zu Kap. 4: «Antideutsch» mit fliegenden Fahnen für den Krieg

Anmerkungen

1) Beispielsweise bezeichnet Ivo Bozic, Mitarbeiter der Berliner Wochenzeitung Jungle World, die Artikel einer eher von antiimperialistischen Sichtweisen dominierten Berliner Tageszeitung als "täglich den neuesten Nazi-Scheiß aus der jungen Welt " (vgl. http://planethop.blogspot.com/2006_08_01_planethop_archive.html , Eintrag vom 06. August). Was die junge Welt zum Thema schreibt, ist zum Teil erheblich kritikwürdig und wird in diesem Artikel im Nachfolgenden noch kritisiert werden. Naziideologie aber ist es allemal NICHT.

 


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