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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Nahe Osten als Projektionsfläche

Ein Rundumblick über historische Projektionen von Antideutschen, Antiimperialisten, Antisemiten und Anderen

Artikel von Bernard Schmid in einer Überarbeitung für das LabourNet Germany vom 19.8.06

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Kap. 1: Standpunkte und Wahrnehmungsfilter

Nehmen wir den Standpunkt des Antisemiten: Für ihn sind die Einwohner und Entscheidungsträger Israels in erster Linie Juden, denen er von vornherein alles Üble und Niederträchtige zutraut. Also können sie auch nur von vornherein an allen negativen Entwicklungen die Schuld tragen. Und wenn eine tatsächlich oder vermeintlich kritikwürdige politische Entscheidung in Israel diese Einschätzung zu bestätigen scheint, so kommt das Ressentiment ungeniert zum Vorschein, das bis dahin ohnehin immer latent vorhanden war. Besonders beliebt beim Antisemiten sind in diesem Fall (geht es etwa um Kritik an einem Militäreinsatz) Vokabeln wie «alttestamentarische Rachsucht» oder auch scheinbar harmlose Floskeln wie «Auge um Auge, Zahn um Zahn», die jedenfalls klar machen sollen, dass es sich bei den umstrittenen politischen Entscheidungen nur um eine Manifestation jüdischer «Wesenseigenschaften» an und für sich handele. Mögen diese nun in Charakteristika der jüdischen Religion oder gar in vermeintlichen «Rassemerkmalen» gesucht werden, fest steht für alle Anhänger solcher Pseudoerklärungen, dass es unwandelbare jüdische «Wesenszüge» gebe, die sich über 5.000 Jahre hinweg geradlinig von den ersten Kapiteln der Bibel bis in die heutige Periode verfolgen lassen. Wo also das Wörtchen «alttestamentarisch» im Zusammenhang mit der israelischen Politik fällt, ist grundsätzlich höchste Vorsicht angebracht. Wo es dem Sprecher nicht um eine «Rassen»logik bestellt ist, dürfte es ihm zumindest darum gehen, die konfessionnelle Überlegenheit des Christentums über die jüdische Religion zu zeigen, da das Neue Testament für das Aufkommen der Idee göttlicher Vergebung stehe. (Diese konfessionelle Logik, und nicht ein Antisemitismus als «Rassen»ideologie, motivierte wohl den Christdemokraten und Ex-Minister Norbert Blüm, als er im Jahr 2002 kritikwürdige Äußerungen abgab - in denen er Israel u.a. eine «alttestamentarische» Logik attestierte.) 

Nehmen wir den Standpunkt des typischen europäischen oder nordamerikanischen Konservativen: Für ihn sind die Einwohner und Entscheidungsträger Israels in erster Linie «Weiße» (da mehrheitlich aus Europa stammend) und die Bewohner eines relativ wohlhabenden «zivilisierten Landes» inmitten einer «Dritten Welt», die er als mehr oder minder barbarische Umgebung wahrnimmt. Rund herum wohnen Leute, die zumindest grundsätzlich im Verdacht stehen, das christliche Abendland, die bestehende Weltwirtschaftsordnung oder die «westliche» Demokratie abzulehnen. Daher müssen sich die Menschen auf der belagerten Wohlstandsinsel notgedrungen ständig gegen ihre von purer Böswilligkeit erfüllten Nachbarn schützen, so wie auch Europa oder Nordamerika sich am besten vor ihren verbarrikadieren würde. Auf ein paar Verluste bei den «Unzivilisierten» kommt es dabei nicht an. Da der Staat Israel in seinen Augen zudem für militärische Stärke und ihren erfolgreichen Einsatz gegenüber einer Umgebung aus verachtungswürdigen Feinden steht, bietet er hinreichend Identifikationsmöglichkeiten.

Nehmen wir den Standpunkt des deutschen oder europäischen Philosemiten, der zeigen möchte, dass er durch die von ihm gezogenen Lehren der Geschichte geläutert worden ist: Ihm wiederum erscheinen die Einwohner Israels vor allem als Juden, die grundsätzlich seiner Sympathie bedürfen und die er bevorzugt als Opfer einer jahrhundertelangen Geschichte von Verfolgung, Diskriminierungen und Pogromen wahrnimmt. Die Nachbarn Israels stehen auch in seiner Auffassung leicht im Verdacht, ihm grundsätzlich und aus eigener Böswilligkeit heraus feindselig gegenüber zu stehen. Dabei ist aber in seinen Augen nicht - wie in jenen des Konservativen - entscheidend, dass es sich bei diesen Nachbarn um niedere Barbaren handele, sondern dass sie jenem Volk gegenüber stehen, das so häufig in seiner Geschichte Opfer geworden ist. Im Unterschied zum Konservativen ist es nicht die Antipathie für die benachbarte «Dritte Welt», sondern die grundsätzliche Sympathie für die Juden als solche und ihren Staat - der auch dessen Entscheidungsträger und ihre jeweilige Politik einschließt: right or wrong, their country -, die seine Anschauung prägt.

Nehmen wir schließlich den Standpunkt des Antikolonialisten, in jüngerer Zeit auch Antiimperialist genannt: In seinen Augen wiederum sind die Einwohner Israels nicht in erster Linie Juden, sondern vor allem «Weiße». Auch er betrachtet Israel und sein geographisches Umfeld, indem er verbrecherische Aspekte der europäischen Geschichte im Hinterkopf behält. Dabei handelt es sich allerdings nicht in erster Linie um die Judenverfolgung und die Shoah, sondern um die mehrere Jahrhunderte währende Kolonialgeschichte in Afrika, Asien und Lateinamerika. In seinen Augen wiederholt die Art und Weise der israelischen Staatsgründung, aber auch die aktuelle Politik Israels gegenüber den Palästinensern in den noch immer besetzten Gebieten und gegenüber den arabischen Nachbarländern - etwa dem Libanon - in vielen Punkten das, was zum Beispiel die französische Kolonialpolitik in Algerien ausgezeichnet hat. Sein Standpunkt ist am leichtesten anschlussfähig an die in arabischen Ländern wohl verbreiteste Sichtweise.

Sicherlich gibt es auch Schnittmengen, Mischformen zwischen diesen unterschiedlichen «Idealtypen» bzw. Rollenmustern oder Sonderformen. So kann der europäische oder nordamerikanische Konservative mitunter pro-israelisch, aber zugleich Antisemit oder zumindest Anhänger eines christlichen, religiös motivierten Antijudaismus sein. Dies gilt beispielsweise für die Evangeliken, die in der US-amerikanischen christlichen Rechten stark verankert sind: In ihrer Ideologie muss Jerusalem Schauplatz des (in der biblischen Apokalypse beschriebenen) Endkampfs zwischen Gut und Böse sein. Und damit es so weit kommt, gilt es ein «Israel in den biblischen Grenzen» herzustellen, damit die Prophezeiung der Bibel auch eintreten kann. Doch - Pech nur für die Juden - jene, die Christus dabei nicht als den wahren Messias erkennen, werden dann nebenbei untergehen... (Vgl. dazu http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23322/1.html ) Auch kann der konservative oder wirtschaftsliberale Verteidiger der westlichen Wohlstandsfestung bisweilen (statt «pro-israelisch») auch «pro-arabisch» sein. Vor allem aus außenpolitischen Motiven oder insbesondere, wenn er einen erheblichen Teil seines Geldes mit (dem Einfädeln von) Rüstungsexporten in arabische Staaten verdient. Man denke beispielsweise an einen Jürgen Möllemann, der genau auf diesem Sektor wirtschaftlich aktiv war, und gleichzeitig auch noch gerne die Wählerstimmen der Antisemiten zugunsten seiner bürgerlichen Partei eingesammelt hätte.

Weiter zu Kap. 2: Historische Deutungsmuster bei den Konfliktparteien selbst


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