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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Der Nahe Osten als Projektionsfläche Ein Rundumblick über historische Projektionen von Antideutschen, Antiimperialisten, Antisemiten und Anderen Artikel von Bernard Schmid in einer Überarbeitung für das LabourNet Germany vom 19.8.06 zurück zu Vorwort und Gliederung Kap. 2: Historische Deutungsmuster bei den Konfliktparteien selbst Auch die Konfliktparteien selbst operieren im Übrigen mit ihren jeweiligen historisch-politischen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmustern. Der Standpunkt, den große Teile des Publikums in den arabischen Ländern einnehmen oder jedenfalls bis zur Blütephase islamistischer Bewegungen eingenommen haben, sieht ungefähr so aus: Ihm erscheinen die Bewohner Israels in erster Linie als Europäer, die sich im Zeitalter des Kolonialismus, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf einem Stück vorderasiatischen Landstrichs niedergelassen und einen Gro b teil der ursprünglichen Bewohner von dort vertrieben haben. Die historische Rolle der Shoah dabei wird tendenziell als eher geringfügig betrachtet, zumal die Besiedlung des historischen Palästina durch aus Europa kommende Juden (in der Absicht, dort einen eigenen Staat zu gründen, welche durch die Balfour Declaration von 1917 unterstrichen wird) bereits im frühen 20. Jahrhundert begonnen habe, also noch vor der Machtübernahme Adolf Hitlers. Oder aber man erkennt ihr eine stärkere Bedeutung zu, vertritt aber die Ansicht, dass die Araber im Nahen Osten nicht an der Vernichtung der europäischen Juden schuldig seien, Europa aber die Folgen des Holocaust auf ihrem Rücken bewältigt habe, statt einen Nationalstaat für die Juden innerhalb Europas zu schaffen. Die Rolle des Staates Israel wird vor allem vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erfahrungen der Region mit den europäischen Kolonialmächten betrachtet, und Israel gilt überwiegend als ein «weißer» Staat in einer mehr oder minder unterjochten, auf alle Fälle benachteiligten Umgebung. Vergleiche werden bevorzugt zur europäischen Siedlungskolonie im damaligen «französischen Algerien» von vor 1962 sowie zum Staat der Weißen in Südafrika während der Apartheid-Ära gezogen. Soweit die gängige Optik in vielen arabischen Städten und Staaten. Ursprünglich ging es den Vertretern dieses Standpunkts nicht oder kaum um die jüdische Religion oder eine vermeintliche jüdische «Rasse». Zum ersten Punkt hätten sie geantwortet, dass man selbst - mehrheitlich moslemischen Glaubens - kein besonderes Problem mit der jüdischen Religion als «Buchreligion» habe, und im Übrigen habe man vor der Blütephase des europäischen Kolonialismus Jahrhunderte lang mit Juden in den Kernländern des Islam zusammen gelebt. Tatsächlich enthält die moslemische Lehre keinen Anreiz zu besonders intensiver Missgunst gegen die Juden aus religiösen Gründen - im Gegensatz zum Vorwurf an die «Gottesmörder», der in früheren Jahrhunderten im Christentum weit verbreitet war, aber nach dem Holocaust durch die christlichen Kirchen weitgehend aus ihrer Vorstellungswelt gestrichen worden ist. Und tatsächlich flohen die Juden aus dem Spanien von 1492, das vom Katholizismus zurück erobert worden war und durch die Inquisition heimgesucht wurde, zusammen mit den Moslems nach Nordafrika oder in das damalige Osmanische Reich und lebten dort Jahrhunderte lang mit ihnen zusammen. Es existierten dort einige Diskriminierungen gegen Juden und andere Nichtmoslems, die aber harmlos waren im Vergleich zu den Exzessen der Inquisition und die keiner spezifischen Verfolgung, sondern dem Überlegenheitsdünkel der dominierenden Religion entsprangen. Zum zweiteren Punkt hätte man zur Antwort bekommen (und erhält sie auch heute noch), man selbst gehöre ja als Araber zur «semitischen Rasse» und könne daher nicht Antisemit sein. Dies ist zwar insofern falsch, als der in Europa entstandene und historisch geprägte Begriff des Antisemitismus sich explizit ausschließlich auf die Juden bezieht und vom antiarabischen Rassismus deutlich unterschieden werden muss. Aber subjektiv ist der Einwand oftmals ehrlich gemeint, in dem Sinne, als dass man die Juden tatsächlich keiner anderen «Rasse» zurechnet als sich selbst; der Begriff «Semiten» bezeichnet freilich keine solche, sondern eine Sprachengruppe. In jüngerer Zeit, vor allem seit dem Aufstieg von radikal islamistischen Parteien in den letzten 20 Jahren, jedoch hat auch eine Fülle von (im engeren Sinne) antisemitischen Verschwörungstheorien in die Darstellung der Rolle Israels seitens vieler arabischer Bewegungen oder Publikationsorgane Eingang gefunden. Oftmals wurden diese Theorien - oder Bruchstücke davon - aus Europa importiert, wo sie in früheren Jahrzehnten gängig waren und später infolge der Shoah mehr oder weniger tabu geworden sind, jedenfalls nicht mehr allzu offen ausgesprochen werden können. Die relativ rationalen Vorstellungen früherer säkular-nationalistischer oder linksnationalistischer arabischer Bewegungen werden dabei durch obskurantische Diabolisierungstendenzen verdrängt, die man mit Hilfe solcher Verschwörungstheorien unterfüttert. Um die militärische Stärke des - von seiner räumlichen Ausdehnung her relativ kleinen - Staates Israel und seine Unterstützung durch einen Großteil des Westens zu erklären, wird auf die Vorstellung des «internationalen Zionismus» als eine Art Weltverschwörung (die auch die westlichen Länder im Griff habe) zurückgegriffen. Das Grundsatzprogramm (>> http://www.palestinecenter.org/cpap/documents/charter.html ) der 1987 gegründeten palästinensischen Hamas, das im darauffolgenden Jahr angenommen wurde, wird beispielsweise stark durch solche Vorstellungen geprägt: Demnach haben die Juden in Europa etwa «die Französische und die Kommunistische Revolution» und die beiden Weltkriege angezettelt (Artikel 22 : The powers which support the enemy ). Auch und besonders im Iran sind ähnliche Thesen zum Teil des politischen Denkens, in diesem Falle staatsoffiziell, geworden. Auf israelischer Seite spielten und spielen die Traumata, die aus der Verfolgungsgeschichte des jüdischen Volkes und dem Holocaust erwachsen, eine zentrale Rolle für die politische Selbstsicht. Ihre Bindungskraft als Fundament der israelischen Gesellschaft hat zwar insofern abgenommen, als die Erinnerung daran einerseits für die jüngeren Generationen nicht mehr so unmittelbar präsent ist - und andererseits viele Neueinwanderer nach Israel in den letzten Jahrzehnten nicht aus Europa und unter dem Eindruck der Judenvernichtung dorthin kamen. Eine starke Minderheit der Einwanderer nach Israel kam etwa seit den sechziger Jahren aus arabischen Ländern, nachdem die dortigen jüdischen Bevölkerungsgruppen in einigen dieser Staaten (vor allem im Zuge des israelisch-arabischen Krieges von 1967) als «potenziell auf der Seite des Feindes stehend» schikaniert und unter Druck gesetzt wurden. So verließ eine Mehrheit der dort lebenden Juden nach 1967 infolge von Schikanen oder Vertreibung Tunesien, wo aber auch heute noch einige Tausend Juden leben. Viele Neueinwanderer der letzten Jahre nach Israel kamen freilich direkt aus den USA (was für viele der besonders fanatischen Siedler gilt), oder aber flohen nach 1990 vor dem Durcheinander und der ökonomischen Misere in der untergehenden Sowjetunion. Nicht alle dieser verschiedenen Neuzuwanderer sind also selbst von der Erfahrung der europäischen Judenvernichtung geprägt, wie es für viele der unmittelbar nach 1945 Eingewanderten, aber auch für (zumindest ältere) Juden aus der ehemaligen UdSSR gilt. Trotzdem sind die Erfahrungen von Verfolgungen, Pogromen und Diskriminierungen - auch über den Holocaust hinaus - zentral für die Geschichte des jüdischen Volkes, und flossen daher auch in das Selbstverständnis Israels ein. Etwa auch in der Form, dass wir «in jeder erdenklichen Auseinandersetzung die Stärkeren sein müssen, um nie wieder Opfer zu werden». Nahezu idealtypisch brachte der ehemalige israelische Justizminister von der liberal-sakülaren Partei Shinui, Tommy Lapid, die israelische Sicht auf die eigene Position auf den Punkt, als er am 23. Juli 2006 an der Diskussionssendung von Sabine Christiansen im ARD teilnahm: «Wenn Menschen uns sagen, dass sie uns vernichten wollen, wir glauben ihnen. Als Hitler geschrieben hat in 'Mein Kampf', dass er uns vernichten will, haben wir es nicht geglaubt. Ich habe heute Ihr Holocaust-Monument hier in Berlin besichtigt. Wenn Sie verstehen möchten, was in Israel vorgeht, müssen Sie verstehen, dass wir keine Risiken eingehen können. Es gab sechs Millionen Tote in Auschwitz, jetzt leben sechs Millionen Menschen in Israel. Und der Präsident des Iran hat versprochen und die Hisbollah ebenfalls versprochen, uns zu vernichten. Und wenn man uns vernichtet, dann werden Sie ein Problem haben, noch einen solch großen Platz zu finden mitten in Berlin.» Auch in der innenpolitischen Auseinandersetzung in Israel werden die aus dieser Geschichte rührenden Traumata angerufen, und mitunter als Waffe im ideologischen Kampf eingesetzt. Dies gilt vor allem für die Rechtsnationalen und Nationalreligiösen, aber es trifft nicht auf sie allein zu. Schon im Dezember 1948 verglichen jüdische Kritiker der rechtsnationalistischen Strömung im neu gegründeten Staat Israel die dort entstandene Herut-Partei (Freiheits-Partei), den Vorläufer des späteren Likud Blocks, in einem Leserbrief an die 'New York Times' (>> http://www.libertypost.org/cgi-bin/readart.cgi?ArtNum=153252 ) «in Organisation, Methoden, politischer Philosophie und sozialem Tonfall» explizit mit Nationalsozialisten und Faschisten. Zu den Unterzeichnern zählten Hannah Arendt und Albert Einstein. Sie nahmen Bezug auf ein von paramilitärischen Einheiten der Herut-Partei (Irgun) in dem arabischen Dorf Deir Yassin im April desselben Jahres verübtes Massaker (>> http://de.wikipedia.org/wiki/Deir_Yassin ), bei dem gut 100 Menschen getötet wurden und das den Auftakt zur Vertreibung der altansässigen Bevölkerung noch vor Beginn des israelischen Unabhängigkeitskrieges bildete. Die Kritik daran ist berechtigt - aber eine Parallele zu den Methoden der Nationalsozialisten und damit auch zur Planung und Durchführung des Holocaust zu ziehen, war und ist falsch. Denn es ging dabei um die Eroberung von Land als Hauptzweck. Dagegen war bei der Shoah die angestrebte Auslöschung einer ganzen Bevölkerungsgruppe nicht einem Hauptzweck als (verbrecherisches) «Mittel» untergeordnet, sondern die Vernichtung selbst stellte den Zweck an sich dar. Auch wurden mehrere Hunderttausende arabische Einwohner im Zuge der Aufteilung des historischen Palästina vertrieben, aber nicht angestrebt, ihre gesamte Bevölkerungsgruppe physisch auszulöschen. Einsatz von Erinnerung als politische Waffe Ein extremes, aber folgenschweres Beispiel des Appells an historische Traumata für aktuelle politische Zwecke lieferte die Mobilisierung der israelischen Rechten und extremen Rechten in den Jahren 1994 und 1995 gegen den damaligen Premierminister Yitzhak Rabin. Den Hintergrund dafür bildete, dass Rabin im September 1993 dem - unter Israelis wie unter Palästinensern umstrittenen, und viele essenziele Streitfragen ausklammernden - Grundsatzabkommen von Oslo zugestimmt hatte. Häufig wurde Rabin dort nicht nur als «Verräter» beschimpft, sondern massenhaft auf Plakaten in SS-Uniform dargestellt, was für nichts Anderes stand als für die Aussage, dass er (durch das Abkommen mit den Palästinensern) die Vernichtung des jüdischen Volkes zu Ende führe. Die Stimmung wurde damals derart aufgeheizt, dass Rabin im November 1995 durch einen jüdischen Rechtsextremisten, Ygal Amir, ermordet wurde. Einige Monate später wurde der rechte Gegner des Oslo-Abkommens Benjamin Netanyahu, der sich von diesem Plakatmotiv distanziert, aber an allen entsprechenden Demonstrationen teilgenommen und keine von ihnen wegen entsprechender Sprechchöre vorzeitig abgebrochen hatte, zum Ministerpräsidenten gewählt. (Die Bombenanschläge der Hamas zu jener Zeit hatten dabei ebenfalls mitgewirkt.) Die Abbildung aktueller Geschehnisse auf die Folie der historischen Erinnerung kann jedenfalls auch als politische Waffe dienen. Netanyahu selbst, inzwischen auf eine Rechtsaußenposition in der israelischen Politik gewandert und Oppositionsführer an der Spitze des Likud-Blocks, hat sich übrigens während des jüngsten Libanonkriegs ebenfalls wieder durch die Anrufung historischer Parallelen hervorgetan. In einem BBC-World-Interview vom 7. August verglich er (>> http://www.berlinkontor.de/article9124.html ) den Libanon mit Nazideutschland, Israel mit Großbritannien während des Zweiten Weltkrieges und die Bombardierungen von heute mit denen von damals. Der einzige Unterschied sei, behauptete Netanyahu, dass «die Bomber 1941-43 von Propellern getrieben waren, und heute von Düsen getrieben sind», und dass damals noch keine «Propaganda-TV-Kameras» die Weltöffentlichkeit mit Bildern versorgt hätten. Weiter zu Kap. 3: Besondere Aufmerksamkeit in Europa |