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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Eine Europäische Wirtschaftsregierung (Juni 2011) - Wird damit das sog. "Europäische Sozialmodell" endgültig beerdigt? Gehen wir einmal etwas zurück, bevor wir die aktuelle Situation um die "Europäische Wirtschaftsregierung", wie sie jetzt über Europa installiert wird, betrachten - und schauen auf die Entwicklung dieser für die soziale Gerechtigkeit in Europa bisher so unsäglichen Perspektive. Sie ist nur keine neue Erscheinung, sondern eine konsequente Weiterentwicklung des europäischen neoliberalen Elite-Projektes gegen die Mehrheit in Europa - nach dem klaren "Non" in den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden zur Europäischen Verfassungsentwicklung. (Zu einem Überblick siehe den Weg vom "Entwurf" http://www.nachdenkseiten.de/?p=182 über das "Non" aus Frankreich (und den Niederlanden) http://www.nachdenkseiten.de/?p=594 bis hin zu der dann "von oben" einfach durchgedrückten Verfassung http://www.nachdenkseiten.de/?p=2509 und dann auch der unterschiedlich gemessenen "Politikverdrossenheit" in Deutschland und Frankreich (merke: ein Volk, das weniger gefragt wird, ist weniger "verdrossen") http://www.nachdenkseiten.de/?p=8742#h10 und nicht zuletzt bei Labournet http://www.labournet.de/diskussion/eu/non-soli.pdf sowie http://www.labournet.de/diskussion/eu/charta-non.html und noch http://www.labournet.de/internationales/fr/eurefend.html) So stelle ich an den Anfang eine kleine "Übersicht" zur ökonomisch-institutionellen Entwicklung von 2009 (April), "Deutschland als "Spielverderber" für ein europäisches Sozialmodell - Und kein Weg zum solidarischen "Nordischen Modell" - mit stärkerer Gleichheit. (http://www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/bahl2.html) Mit Blick auf die europäischen Institutionen darf dabei auf die Seite 3 f. verwiesen werden, wo dieses "deutsche Modell" mit seinen Exportüberschüssen durch Lohndumping speziell gewürdigt wurde: "Die "negative Integration" in Europa - und Deutschland als der Taktgeber für die Spirale nach unten". Der ökonomische Druck aus Deutschland wird durch die institutionellen Vorgaben der EU einfach weiter verstärkt und institutionell festgeschrieben. Fritz Scharpf, der Direktor des Max-Planck-Institutes für Gesellschaftsforschung in Köln gab dieser neoliberal einseitigen Fixierung der EU-Institutionen mit ihrer ökonomischen Dynamik auf das möglichst niedrigste Niveau die wenig schmeichelhafte Bezeichnung "negative Integration". (http://www.boeckler.de/163_91911.html ) Nur seine Forderung nach einer dringenden politischen Umkehr verhallte ungehört - im Gegenteil, wie wir dann noch sehen werden, wurde dieser Weg in erschreckender Einfalt weiter beschritten. Ja, die Hilflosigkeit selbst des europäischen Parlamentes angesichts dieses "In-Beton-Gießen" des neoliberalen Dogmas durch die europäischen Regierungschefs wurde im letzten europäischen Wahlkampf deutlich, als Jo Leinen ( MdEP ) in einer Diskussion mit Fritz Scharpf zu dem Eingeständnis gelangte: "Wir brauchen den Druck der Straße" - wenn wir zu einem sozialen Europa gelangen wollen. (http://www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/bahl3.html) Wie soziale Grundrechte der deutschen Verfassung dann systematisch ausgehebelt werden, das hat Martin Höpner - ebenfalls vom Kölner Max-Planck-Institut - ausführlicher dargestellt (ders. u.a. "Die politische Ökonomie der europäischen Integration", insbesondere S. 11 und 23 ff. - sowie http://www.boeckler.de/32014_94475.html und http://www.boeckler.de/pdf/impuls_2009_05_4-5.pdf ) Dieser schlichterdings angepeilten Beseitigung von wichtigen sozialen Grundrechten in der deutschen Verfassung (Grundgesetz) gab dann auch das das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, seinen Segen, indem es nach dem neoliberalen Dogma diese Versenkung der Grundrechte im besten "Orwell`schen New-Speak" zum "neuen" europäischen Sozialstaat umdefinierte. (http://www.nachdenkseiten.de/?p=4043#h21 ) Zur jetzigen Diskussion um eine europäische Wirtschaftsregierung Die Eurokrise hat in der letzten Zeit dann den Druck auf die in der EU fehlende gemeinsame Wirtschaftspolitik erhöht - aber nicht in einer Umkehr, sondern nur weiter wie bisher auf dem eingeschlagenen Weg der sozialen Spirale nach unten. Mit dem Philosophen Jürgen Habermas führt das zu einem zunehmenden Demokratieverlust, der "jede demokratische Glaubwürdigkeit zerfressen muss". Konzentriert auf das Verfahren bedeutet das: "Die Regierungschefs wollen sich jedes Jahr gegenseitig über die Schulter schauen, ob denn die Kollegen den Schuldenstand, das Renteneintrittsalter und die Deregulierung des Arbeitsmarktes, das Sozialleistungs- und das Gesundheitssystem , die Löhne im öffentlichen Sektor, die Lohnquote, die Körperschaftssteuer und vieles mehr an die Vorgaben des Europäischen Rates angepasst haben". Und Habermas findet zu Recht, dass all diese Empfehlungen die deutsche Handschrift tragen. Ja, er findet sogar, "es spitzt sich immer stärker auf einen unverhohlenen Führungsanspruch eines europäischen Deutschlands in einem deutsch geprägten Europa zu" (vgl. Jürgen Habermas in der Süddeutschen Zeitung vom 7. April 2011 http://www.nachdenkseiten.de/?p=9130#h06 ) Die europäischen Kollegen (= EGB) auf ihrem Kongress in Athen stellten sich diesem Druck nach unten mit dem Slogan entgegen: "Wir wollen nicht am deutschen Wesen genesen" (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9467#h02 ) Allen Vorschlägen zum Trotz die Staatsverschuldung nicht dem Diktat der Finanzmärkte zu überlassen - und so den Druck in die soziale Verelendung zu erhöhen - sondern durch sog. "Eurobonds" bei einem Zinssatz von 2 bis 3 Prozent zu stabilisieren, wurde schon in dem ausführlichen Beitrag zur Eurokrise verdeutlicht - immer wieder mit Gustav Horn und Heiner Flassbeck (http://www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl4.html). Damit wurde diese finanztechnische Frage, wie der in Brüssel angestrebte Stabilitätsmechanismus (ESM), der den im Mai 2010 vereinbarten Rettungsfonds im Jahr 2013 ablösen soll, die Spekulation gegen den Euro beenden kann, schon beantwortet. (Siehe auch noch Stephan Schulmeister "Ist der Euro noch zu retten" http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/ist-der-euro-noch-zu-retten/ oder auch noch einmal Heiner Flassbeck im "Kontext-TV" http://www.nachdenkseiten.de/?p=9583#h01 ) Im besonderen zu Spanien hat die mögliche Alternative zum jetzigen "verordneten" Sparkurs der DGB deutlich gemacht (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9607#h03 ). Wer jedoch an dem bisherigen Sparkurs festhält , nimmt den Zusammenbruch der Eurozone in Kauf! Das Gleiche kann mit inzwischen schon verschärften Akzent mit Niels Kadritzke bei Griechenland beobachtet werden. (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9602 ) So können wir uns also wieder auf die institutionelle Verfahrensseite konzentrieren - eben jene im Moment zu etablierende "Europäische Wirtschaftsregierung". Sah es dafür doch zunächst noch nach einem fairen Aushandeln aus, da die französische Finanzministerin Lagard vorgeschlagen hatte, dass bei den "ökonomischen Ungleichgewichten" unter dem Dache des gemeinsamen Euro auch die durch eine Lohndumpingstrategie von Deutschland erreichten Exportüberschüsse - und damit Wettbewerbsvorteile - politisch angegangen werden müssten. (http://www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/lohn_bahl.html) Der politische Druck aus Deutschland - jener von Habermas beanstandete unverhohlene Führungsanspruch eines "europäischen Deutschland in einem deutsch geprägten Europa" - ließ jedoch diese allseitige ökonomische Betrachtung - sowohl der Überschüsse als auch der Defizite (deutsche Überschüsse werden eben zu den Schulden der anderen http://www.nachdenkseiten.de/?p=9555#h08 ) - ins Leere laufen - und führte zu jener Merkel - Sarkozy-Initiative, für die der Deutsche Gewerkschaftsbund nur noch die Bezeichnung einer "Teufelsspirale der sozialen Kälte" für angemessen fand (http://www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl2.html) Die IG Metall hat sich diese "Europäische Wirtschaftsregierung" - vor allem mit den beiden Projekten eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des "Euro-Plus-Paktes" - genauer angesehen und kommt zu dem Schluss: Mit der Europäischen Wirtschaftsregierung - wie sie auch von den Gewerkschaften gefordert wird - haben diese beiden Projekte nicht das geringste zu tun. Die geplanten Massnahmen wollen den gefährlichen einseitigen deutschen Sparkurs auf die EU übertragen und alle Krisenlasten in der Eurozone auf Arbeitnehmer, Rentner und sozial Schwache abwälzen. Die Europäischen Gewerkschaften müssen jetzt die geplanten Eingriffe in die Tarifautonomie verhindern. Lohnpolitische Koordinierung in der Eurozone darf allein von den Gewerkschaften selbst durchgeführt werden. (IG Metall, "Wirtschaftspolitische Informationen Nr.3 vom 18.Mai 2011 "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit und Europäische Wirtschaftsregierung: IG Metall gegen europäische Lohnkontrolle" - http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-0A456501-47620116/internet/style.xsl/wirtschaftspolitische-informationen-843.htm ) Dabei wird auch festgehalten, dass der ursprüngliche "Plan für Wettbewerbsfähigkeit" jetzt zwar den neuen Namen "Euro-Plus-Pakt" trägt, aber im Kern trotz aller Änderungen des ursprünglichen Merkel-Sarkozy-Planes der alte Inhalt geblieben ist: Die hoch verschuldeten Staaten werden strengen Sparauflagen unterworfen, sie müssen die Sozialleistungen kürzen und sollen die Lohnkosten verringern. Vorbild für die gewünschte Lohnzurückhaltung soll dann der öffentlich Sektor werden. 1933 war noch ein "Ermächtigungsgesetz" erforderlich..... Der damit einhergehende Entmachtung der nationalen Parlamente wird, so kann konstatiert werden, in Deutschland kaum Widerstand entgegengesetzt. Dieses "Abnicken andernorts gefasster Vorentscheidungen" (Jürgen Habermas a.a.o.) scheint einem substanzlos, rückgratlosen Bundestag gar kein Problem mehr zu sein. So steckt der europäische Einigungsprozess, der immer schon über die Köpfe der Bevölkerung hinweg betrieben wurde, heute in der Sackgasse. Die politischen Eliten setzen jedoch ungerührt ihr Eliteprojekt und die Entmündigung der europäischen Bürger fort. (Jürgen Habermas) Ganz im Gegensatz dazu steht die öffentliche Meinung zu Europa: "Mehr als jeder zweite Europäer sieht in der "Armutsbekämpfung und der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung" - gemäß dem Eurobarometer der EU-Kommission - die oberste Priorität für die EU. Dieser Punkt liegt in den Umfragen meilenweit vor den anderen Zielen der EU." (Siehe S.2 unten bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=9152 ) Blickt man jedoch auf diese aktuelle Agenda der EU, so muss man erkennen, dass gerade dieses Thema, welches den Europäern am meisten am Herzen liegt, im politischen Europa gar nicht vorkommt. Im Gegenteil, die verordneten Sparanstrengungen nehmen eine Zunahme der Armut und der sozialen Ausgrenzung billigend in Kauf , um - für diese Eliten anscheinend oberste Priorität - die Stabilität der Finanzmärkte nicht zu gefährden. DGB: Eurozone auf des Messers Schneide Etwas pointierter noch nimmt sich der DGB deshalb noch dieser so gefährlich dramatischen Entwicklung an : Europa braucht einen Kurswechsel, denn Europa befindet sich am Scheideweg : Ein Festhalten an den bisherigen Maßnahmen zugunsten der Marktkräfte wird die Stabilität des Eurosystems massiv gefährden. Und so fährt der DGB fort: Die Überschussländer, allen voran Deutschland, müssen mit der Austrocknung des Niedriglohnsektors, der Ausweitung der öffentlichen Investitionen und nicht zuletzt über höhere Löhne ihre Binnenmärkte ankurbeln. Und in direkter Umkehrung der bisherigen deutschen Dominanz in der EU durch Antreiben einer Spirale nach unten wird gefordert: Das größte Überschussland der Eurozone trägt die Hauptverantwortung für die konjunkturelle Belebung im Euro-Raum. (Siehe http://www.nachdenkseiten.de/?p=9620#h03 ) Eine Initiative aus Österreich hat sich den Protest gegen die "Europäische Wirtschaftsregierung" auf die Fahnen geschrieben (Link "Europäische Wirtschaftsregierung" anklicken, um zum Protestmail zu kommen: http://www.ksoe.at:80/gp/index.php?option-com_content&task-view&id-249&Itemid-28 ). Dabei wird auch diese Aktion dann durch einen Aufsatz zur "Europäischen Wirtschaftsregierung" (http://www.beigewum.at/wordpress/wp-content/uploads/Kurswechsel-1-2011-Klatzer-Schlager.pdf ) mit all ihren - schon großenteils erwähnten - Gefahren unterlegt. Es könnte ja sein, dass der so ersehnte "Druck von der Strasse" (= aus dem Internet) das Europäische Parlament in Richtung eines Kurswechsels handlungsfähig macht. Die Bereitschaft jedenfalls wird von dort schon signalisiert. (Siehe Sven Giegold zur Europäischen Wirtschaftsregierung http://http://www.sven-giegold.de/2011/pakt-fur-wettbewerbsfahigkeit-bundesregierung-legt-axt-an-europaische-integration/ ) Ein Post-Skriptum noch: Ach weißt du, ich liebe ja so die "Bilder" aus Märchen und Sagen so - und bei diesem - bisher leider noch vorherrschenden - neoliberalen Diktat aus Deutschland fällt mir gerade aus den "Märchen aus tausend und einer Nacht" "Sindbad, der Seefahrer" ein - seine fünfte Reise - erinnerst du dich ? Falls nicht, sei sie dir kurz erzählt: Also Sindbad trifft auf einer Insel , auf der er wieder einmal schiffbrüchig gestrandet ist, einen "Alten", der ihm bedeutet, ihn doch "Huckepack" zu nehmen. Gutmütig, wie er ist, tut er das - und soll es ewig bereuen, denn dieser Alte auf seinen Schultern drangsaliert und steuert ihn, wohin er immer will - ihn dabei heftig mit seinen Bocks-Füssen traktierend - selbst im Schlaf noch. Sindbad leidet höllisch unter diesem "Alten vom Meer" - oder auch Scheich ael-Bahr genannt. Na ja, schau mer mal, wie das in der EU weitergeht!???............... Mehr noch nach dem Muster des "Alten vom Meer"? Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 2.06.2011 |