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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ein sozialeres Europa : "Wir brauchen den Druck der Strasse"

Der SPD-Europa-Politiker Jo Leinen und der Politikwissenschaftler Fritz W. Scharpf diskutieren externer Link über das unterschiedliche Niveau der Sozialsysteme in Europa, die Möglichkeiten einer EU-Sozialpolitik und die sozialpolitische Macht des Europäischen Gerichtshofes. Es ist ein interessantes "Highlight" in der journalistischen Landschaft, dass Sabine Herre hier einen Vertreter des Europäischen Parlamentes in der Gestalt des Jo Leinen und den prominenten Kritiker der bisherigen Praxis eines sozialen Europa ( das "Europäische Sozialmodell" ist eine Illussion ) vor der Europawahl zusammengeführt hat.

Um es gleich vorneweg zu nehmen, für mich fehlt als zentraler Aspekt die Ökonomie. Hier hätte z.B. noch ein Heiner Flassbeck, Gustav Horn oder Michael Dauderstädt in diesem Fragenkomplex dazu gehört. So beschränkt sich das ganze auf die Institutionen (Rechtsetzung und Rechtsprechung in Europa) zwischen dem Juristen Jo Leinen und dem Politikwissenschaftler Fritz W. Scharpf. Aber das ist schon interessant genug.

Na ja, das bei Jo Leinen der Stabiltäts- und Wachstumspakt (Paul Krugman: "Eine Dummheit") als Vorbild (!) für ein Sozialprotokoll hingestellt wird , bringt schon ein Stück von diesem Manko. Nun dieses Sozialprotokoll hatte Fritz Scharpf in einem Buch schon vor 10 Jahren als notwendige Ergänzung für Europa vorgeschlagen - und es steht auch heute wieder in den Sternen.

So bleibt die Forderung der (deutschen) Gewerkschaften nach einem sozialeren Europa zunächst einfach weiterhin ein "Traum", zu dem anscheinend das Europaparlament wenig beizutragen vermag - wenigstens auf absehbare Zeit.

Verzeihung, wenn ich dies jetzt einfach ein wenig zuspitze, diese Wahlkampffloskel der SPD für ein "Soziales Europa" zu stehen, kommt mir vor, wie wenn ein Impotenter verspricht, er würde doch noch einmal ein Kind zeugen. Wie "mächtig" das EU-Parlament gegen über der aktuellen Rechtsprechung des EuGH ist, die die marktradikale EU-Verfassung zum Hebel nimmt, um mit der Freiheit der Unternehmer alles an sozialen und Arbeitnehmer rechten auszuhebeln, hat Anne-Cecil Robert in ihrem Artikel "Die Klempner von Europa" systematisch beschrieben.

Nur auch hier ist das Verfahren so komplex, dass bis zum schlichten Ergebnis der absoluten Ohnmacht des Parlamentes gegenüber Kommission und EuGH auf der Grundlage dieser alle nationalen Grundrechte aushebelnden EU-"Verfassung" viele Winkelzüge verfolgt werden müssen
(siehe Monde Diplomatique vom März 2009 externer Link). So versucht sich in dieser Frage auch Jo Leinen einfach aus der Schlinge zu ziehen, indem er meint, so würde er den EuGH nicht abqualifizieren, obwohl er vorher gesagt hat, dass diese Urteile nicht zu akzeptieren sind.

Um die Bedeutung dieses EuGH auf die Arbeitnehmer-Rechte - insbesondere sein zentrales Herzstück die Tarifautonomie - konkreter zu begreifen, sollte man eben wieder einmal einen Blick in dieses Werk von Martin Höpner u.a. "Die politische Ökonomie der europäischen Integration" werfen - und dort gerade die S.23 ff. ) - oder auch kurz : www.boeckler.de/32014_94475.html externer Linkund www.boeckler.de/pdf/impuls_2009_05_4-5.pdf externer Link pdf-Datei.

So bleibt eben als Fazit, dass allein die "Spirale nach unten" für das soziale Europa der mögliche Weg wird. Dies hat Scharpf dann als "negative Integration" bezeichnet - und aus dieser doch mehr zum Elend neigenden sozialen Perspektive weist uns Jo Leinen keinen praktikablen parlamentarischen Weg in Europa. So erscheint es dann schon etwas hilflos, wenn als "letzter Ausweg" dann nur noch der "Druck der Straße" - seligen Andenkens an "Container-Jo" in der Anti-Atomkraftbewegung - für Jo Leinen heute bleibt.. Aber wer sich noch für die ökonomische Dimension, die hier ja ausgespart wurde, interessiert, der sei auf die von Deutschland ausgehenden - für die soziale Dimension so schädlichen - ökonomischen Ungleichgewichte hingewiesen. www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/bahl2.html

Erst mit dieser Gesamtschau bekommt man doch m.E. ein "Gesamtbild" des gegenwärtigen "Sozialen Europa".

P.S.: Und es muss immer wieder daran erinnert werden, dass diese marktradikale EU-"Verfassung", die die Basis für den Schrecken des Sozialen in Europa geworden ist, nicht zuletzt auch von der SPD durch die Parlamente - am Bürger vorbei - gehievt wurd. Vorher hatten die Plebiszite in Frankreich und den Niederlanden ein "No" gebracht. Dies macht wieder so deutlich dass das bisherige Projekt Europa ein Projekt der neoliberalen Eliten von Politik und Wirtschaft gegen die Bevölkerung ist - wenigstens bisher ! Worauf dann zuletzt sogar Habermas nach dem irischen Votum dagegen hinwies.

Kommentar von Volker Bahl vom 4.6.09


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