11. Nebenwirkungen eines PSA-Jobs
"Maatwerk ist ein sozial verantwortungsbewusstes
Unternehmen: Die Mitarbeiter und das Management schöpfen ihre Motivation
und Inspiration nicht alleine aus ihrem finanziellen Erfolg, sondern genauso
aus den dauerhaften Wiedereingliederungsresultaten. Es ist das Bestreben von
Maatwerk, Menschen, die nicht aus eigener Kraft einen Platz auf dem (regulären)
Arbeitsmarkt finden können, den Rücken zu stärken."
[1]
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir gesehen,
wie das mit der Motivation, Inspiration etc. bei Maatwerk aussah. Das Problem
für die ehemaligen "Beschäftigten" - besser gesagt Opfer
- von Maatwerk und anderen PSA mit der Kündigung oder Insolvenz keinesfalls
besteht aber auch darin, dass die "Zwangsdeportation zu MATWERK"
(Frank Adler, Magdeburg) oder zu einer anderen PSA auch im Nachhinein keinesfalls
den Rücken stärkt.
In Kapitel 6 bereits war davon
die Rede, dass der erfolgslose "Ausflug" zur PSA nach der Kündigung
fatale Folgen haben kann. Sie alle kulminieren in der Aussage "Wäre
ich lieber arbeitslos geblieben":
- "... Petra Dohmen ahnte schon seit langem, dass Maatwerk in Schwierigkeiten
steckt. Sie war seit August bei der Personal Service Agentur in Aachen als
Leiharbeiterin angestellt. Seitdem hatte Maatwerk keinen einzigen Job für
sie. Ihr Lohn kam nie pünktlich. Dazu schickte ihr Maatwerk mal einen
Verrechnungsscheck, mal musste sie das Geld bar abholen. (...) Petra Dohmen
über ihre Zeit als Leiharbeiterin: "Im Rückblick auf die
letzten Monate muss ich heute sagen: Wäre ich lieber arbeitslos geblieben,
beim Arbeitsamt war ich wenigstens aufgehoben. Ich hatte einen Ansprechpartner.
Und ich bekam auch - obwohl ich in Belgien lebe - mein Geld pünktlich.""
[2]
Die Wahl hat man leider in den seltensten Fällen
(siehe Kapitel 2) und die Folgen sind vielfältig.
Dies können erstens drohende Sperrfristen sein:
- "
als Grund der Kündigung hat Maatwerk
einer Mitarbeiterin vom A-Amt telefonisch in meinem Beisein verraten, dass
ich nicht vermittelbar bin, da ich einen zu hohen Stundenlohn habe. Das hat
mir auch Frau [XY] im Maatwerk-Büro persönlich gesagt, als ich dort
meine Arbeitsbescheinigung abgeben musste. Heute habe ich von einer Mitarbeiterin
des A-Amtes erfahren, dass in dieser Arbeitsbescheinigung als Kündigungsgrund
genannt wird, dass ich zwei Arbeitsstellen abgelehnt hätte, die mir von
Maatwerk angeboten worden sein sollen und dass ich hierzu noch einen Brief
von der Leistungsabteilung erhalten werde, dass ich mich dazu rechtfertigen
muss!" (Informant 15).
Dies hatte schwerwiegende Folgen:
"... Das A-Amt lässt sich von den Berichten und Beschwerden eines
Arbeitnehmers mit Durchblick, also mir, nicht belehren und vertraut lieber
dem Arbeitgeber, der supertollen Personalserviceagentur und bereitet mir persönlich
bis heute, 2 Monate nach der Kündigung ein Problem nach dem anderen.
Nach der Androhung einer Sperrfrist, weil ich angeblich bei "Maatwerk"
mehrere Arbeitsstellen abgelehnt haben soll und einer Aufforderung im Amt
zum Schreiben einer persönlichen Stellungnahme, dass ich wirklich arbeiten
will, weil ein Maatwerk-Mitarbeiter, ohne mich zu kennen in meiner Arbeitsbescheinigung
geschrieben hat: "Herr XY ist nicht vermittelbar!", war ich nun,
heute zu einer Anhörung wegen "Verspätet angezeigter Arbeitsaufnahme"
mit der Androhung, zu Unrecht erhaltene Leistungen sowie von der "Bundesanstalt
für Arbeit" entrichteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen
erstatten zu müssen im Amt, weil "Maatwerk" keinerlei Plan
hat, wann sie einen Arbeitnehmer zu welchen Konditionen einstellten und falsche
Angaben macht. Die wissen es aber tatsächlich nicht, für meine 7-wöchige
Tätigkeit habe ich bis heute 6 ( davon 3 korrigierte ) Lohnabrechnungen
erhalten, und meine Lohnsteuerkarte befindet sich seit dem 01.12. wieder/noch
zur Korrektur in der Maatwerk-Geschäftsstelle Z...." (Informant
15, neu)
Dies können aber auch - wie von Informant 15 angesprochen - verwaltungstechnische
Probleme und finanzielle Probleme sein:
- "... Maatwerk meldete mich ohne mein Wissen beim AA Dortmund ab,
seitdem kämpfe ich einen verbitterten Kampf gegen diese "Sekte".
Bislang ist nicht ein Schreiben von mir von der PSA Maatwerk beantwortet worden.
Maatwerk behauptete zunächst ich hätte meine Arbeit dort am 29.10.03
aufgenommen, nach 4 Wochen hieß es dann, ich hätte in der Zeit
vom 02.12. bis 05.12.03 dort gearbeitet. Ich warte seither vergebens auf meine
Arbeitsbescheinigung, stehe seit mittlerweile 3 Monaten ohne Einnahmen da.
Da AA Dortmund kann meinen Antrag auf ALG nicht bearbeiten, weil eben die
Arbeitsbescheinigung fehlt...." (Informant 21)
- "... An ihrem Geburtstag am 08.01.2004 bekam [meine Frau] dann
ihre Kündigung zum 18.01.2004. Heute haben wir den 12.02.04 und meine
Frau hat immer noch nicht ihre Bescheinigung fürs Arbeitsamt somit bekommt
sie leider erst zum 31.03.04 ihre Bezüge vom Arbeitsamt. Für mich
scheint Maatwerk das allerletzte zu sein und müßte verboten werden...."
(Informant 25)
Wer aber von Maatwerk gekündigt wird, weil sie/er nicht vermittelt werden
kann, ist dennoch erst mal seinen Vermittlungsgutschein los!
- "... und was am Schlimmsten ist: um einen Vermittlungsgutschein
zu erhalten, muss man hierzulande zuvor 3 Monate arbeitslos gewesen sein,
das ist das Gesetz. Also kann ich frühestens im neuen Jahr so weit gelangen,
wie ich bereits im Sommer 2003 vor meiner Gastrolle bei Maatwerk war
"
(Informant 15)
Auf jeden Fall bedeutet ein vermittlungsloser Ausflug zur PSA den Verlust
an Lohn und Lohnersatzleistungen:
PSA sind für das Arbeitsamt einfach nur ein Verschiebebahnhof, um Langzeitarbeitslose
aus der Statistik zu drängen und die ALG-/Alhi-Leistungen abzusenken ,
denn nach drei Monaten in einer PSA wird das ALG auf der Grundlage des PSA-Lohnes
neu berechnet.[3] Dies wissen auch die Gewerkschaftsfunktionäre,
geben es aber erst nach der Maatwerk-Pleite zu, wie der ver.di-Bezirksvorsitzende
aus Gelsenkirchen: "Für die davon betroffenen Arbeitslosen sei dies
"eine absolute Katastrophe". Obwohl sie in den PS-Agenturen
"weit unter Tarif und weitgehend ohne die üblichen sozialen Arbeitnehmerrechte"
beschäftigt waren, stünden sie nun erneut vor dem Aus und erhielten
anschließend weniger Geld als zuvor. "Diese Art der Demotivierung
ist kaum wieder gutzumachen", sagte Gottschalk." [4]
Die erfolgslose Zwangsarbeit bei einer PSA bedeutet aber auch einen
irreparablen Schaden im Lebenslauf
- ".. Nun bin ich erneut arbeitslos, habe wieder
die Rennerei mit den Anträgen, muss mich überall wegen einer weiteren
Kündigung rechtfertigen (Informant 15)
- "... Fazit: Totale Abzocke des Arbeitsamtes und Arbeitnehmer und
Arbeit findet man über Maatwerk auch nicht. Eher habe ich das Gefühl,
das es nur schadet, dort angestellt zu sein...." (Informant 25)
Eine Pleite wie die von Maatwerk kumuliert die "Nebenwirkungen"
der Unfähigkeit von PSA und Arbeitsamt:
- "Man sagte uns dann doch endlich mal das Insolvenz angemeldet ist,
was man bereits aus den Medien wußte und das es nun zur Zeit keine Geldzahlungen
gibt in das mit dem Insolvenzgeld noch dauert. Frühestens Ende März.
Es wurde uns gesagt damit wir sofort Geld vom Arbeitsamt bekommen müssten
wir Kündigen. Man ist so über den Tisch gezogen worden die letzten
Monate, das ich nur sagte "Müssen tue ich gar nichts und kündigen
schon gar nicht". Desweiteren erwarte ich diese Ansagen von unserem Insolvenzverwalter
und nicht von einer noch Mitarbeiterin die zu nichts weisungsbefugt ist, von
der ich jetzt auch nicht weiß, welche Interessen sie jetzt nocht verfolgt.
Es tun sich einfach Abgründe auf, unfaßbar. Unsere Lst-Karten 2003
bekamen wir unausgefüllt. Lst-Karte 2004, sagte sie, würden wir
wohl erst einmal nicht kriegen, da Maatwerk die Abrechnungsstelle nicht bezahlt
hätte. Ihr Tipp war, dass wir uns schon mal eine Ersatzkarte holen
sollten. FRECHHEIT!
Ich möchte einfach noch mal drum bitten, dass auch in der Öffentlichkeit
klar gemacht wird, wie es jetzt finanziell für uns aussieht. Denn
es fühlt sich überhaupt keiner zuständig, Sozialamt vergibt
Termine im März, erzählt einem, die Miete sei zu hoch, Auto nein
usw. Die scheinen nicht zu verstehen, dass wir jetzt schnell eine Stelle brauchen
oder die uns Geld vorstrecken, denn uns steht ja der Lohn zu . Da soll ich
mich jetzt um ne neue Wohnung bemühen ?!? Ich bin alleinerziehend und
seit zwei Monaten kein Geld und keinen Interessiert es. Ich finds einfach
unfaßbar, dass man uns so hängen läßt..." (Informant
27)
- "Ich fange mal am besten bei der Insolvenzmeldung an. Ich hatte
es Mittwochs aus der Zeitung entnehmen dürfen, dass Maatwerk Insolvenz
angemeldet hat. (aus der Zeitung, super!) Ich hatte meine Beraterin angerufen,
die mir gleich gesagt hat, dass sie sich grade arbeitssuchend bemeldet hat.
Ich habe mich auch noch beim AA Wolfenbüttel sofort arbeitssuchend gemeldet!
Das Arbeitsamt Braunschweig (Bundesagentur für Arbeit *lol*) versicherte
eine schnelle Bearbeitung der Insolvenzgeld-Anträge am Freitag. Ich wohne
in Wolfenbüttel. Also bin ich am Montag zum Arbeitsamt in Wolfenbüttel.
"Da können wir Ihnen nicht helfen, wenden Sie sich bitte an das
AA-Braunschweig!" Ok, der Insolvenzgeldantrag ist nun ihn Braunschweig
und weil bereits 2 Monate Gehalt ausstanden, fragte ich wie es mit einen Vorschuß
auf das ausstehende Geld aussieht. "Da müssen Sie zum Sozialamt!"
Das merkwürdige war, mir hatte man in Wolfenbüttel bereits das Arbeitslosengeld
für den 18. (Meldung der Arbeitslosigkeit) bis zum 29. Februar angeboten!
Heute (Dienstag) habe ich eine Arbeitsfreistellung von Maatwerk erhalten und
diese natürlich beim AA WF abgegeben und gleich nochmal wegen dem Vorschuß
gefragt! "Kein Problem, aber ich kann heute kein Scheck mehr ausstellen,
weil es schon nach 12 Uhr ist (es war 12:10 UHR!). Kommen Sie morgen in Zimmer
XXX mit Ihrem Personalausweis." Heute Nachmittag rief mich das AA an.
"Wir können Ihnen keinen Vorschuß gewähren, weil Sie
erst heute eine Freistellung von der Arbeit eingereicht haben!" Super...
Wenn ich eine Familie ernähren müßte, wär ich ausgerastet!..."
(Informant 37)
- "... Denn unser Geld für Januar haben wir immer noch nicht
erhalten... Wie wir nun Miete etc. zahlen sollen ist im Moment noch ungeklärt,
denn selbst das Arbeitsamt ist im Moment total mit dieser Situation überfordert.
Zusatz: Komischerweise erhielt ich bereits einen Tag nach Eintreffen der Kündigung
ein Stellenangebot vom Arbeitsamt!!!!!! Und heute eine Einladung von meiner
zuständigen Berufsberaterin vom Arbeitsamt zu einem Gespräch über
meine berufliche Situation...." (Informant 30)
- "Der Chef unserer Agentur von Maatwerk versucht, uns unter Androhung
von Abmahnungen zum Arbeiten zu bewegen. Was sollen wir tun?"
(Informant 29 fünf Tage nach der Insolvenz)
- "...Zu der Insolvenz möchte ich noch anmerken, daß ich
bis heute nicht von Maatwerk schriftlich habe. Andere, die noch dort angestellt
sind, haben gestern Post mit einer Erklärung bekommen. Ich nicht. Wahrscheinlich
bin ich schon aus der Erfassung raus. Ich werde morgen mal dort anrufen und
blöd nachfragen. Denn schließlich fehlt mir für Januar und
Anfang Februar auch noch mein Geld..." (Informant 34)
- "Die ehemalige Mitarbeiterin Carola Schmidt (Name von der Redaktion
geändert) wollte sich gestern die Bescheinigung über ihre Verdienste
bei Maatwerk abholen. "Aber die Mitarbeiter sind total verunsichert
und machen gar nichts mehr", sagt sie. "Nicht einmal die
Lohnsteuerkarten für 2003 und 2004 wollen sie herausgeben."
Bis Mitte Februar war die 48 Jahre alte Frau als kaufmännische Angestellte
für ein halbes Jahr bei Maatwerk beschäftigt. Doch vermittelt wurde
sie in dieser Zeit nicht. "Man hat mir eine Liste mit allen Berliner
Call-Centern in die Hand gedrückt - das wars." 841 Euro erhielt
sie im Monat. Jedoch für Januar und Februar steht das Gehalt noch aus."
[5]
- "Die rund 10.000 Beschäftigten des insolventen Personaldienstleisters
Maatwerk müssen weiter auf ihre Januargehälter warten. Schuld ist
laut Insolvenzverwalter Gert Weiland die Bundesagentur für Arbeit, die
bislang nicht habe klären können, welche ihre Niederlassungen zuständig
sei." [6]
"... Nachdem man nun diesen Job nehmen mußte (denn was hätte
man denn für eine Wahl gehabt)..." (Informant 27) ... steht man
ganz schön beschissen da. Der Begriff paßt, denn das war und ist
ein organisierter Beschiss zu Gunsten der Statistik auf Kosten nicht nur der
betroffenen Menschen! Welche Schlüsse ziehen wir daraus?
Anmerkungen
1) Entnommen der Unternehmenshomepage http://www.maatwerk.com
2) "Maatwerk in Insolvenz. Rückschlag
für Hartz-Reform". Text
der Sendung in Frontal21 von Maja Helmer und Marcus Lindemann am 17.02.2004
3) Vgl. "Call a Leiharbeiter. Mithilfe
der neuen Personal-Service-Agenturen (PSA) werden geregelte Beschäftigungsverhältnisse
durch Leiharbeit ersetzt". Artikel
von Harald Rein in Jungle World vom 27. November 2002 sowie "Verarmung
und Repression." Artikel von Harald Rein und
Christa Sonnenfeld über Hintergründe und Auswirkungen erzwungener
Leiharbeit, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs-
und Gewerkschaftsarbeit, 2/03
4) "Wolfgang Gottschalk: Maatwerk-Insolvenz
"übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen"" Ver.di-Melldung
vom 17.02.04
5) "Krisengipfel bei Maatwerk. Leiharbeiter
bekommen ihre Unterlagen nicht ausgehändigt." Artikel
in Berliner Morgenpost vom 19.02.2004
6) "MAATWERK-PLEITE: Insolvenzverwalter
kritisiert Bundesagentur für Arbeit." Artikel
in Spiegel Online vom 19.2.04