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Updated: 18.12.2012 15:51
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Schluss mit der Kopfgelderpressung der Türkei!

Weder einen Cent noch eine Sekunde für das türkische Militärs!!

Seit geraumer Zeit sind zwei Begriffe in der deutschsprachigen Öffentlichkeit täglich präsent, ein Ende ist nicht abzusehen: „die Türken“ in Deutschland und „die Türkei“.

Von FAZ bis taz und in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft gibt es einerseits „die Türken“, die als objektivierte Gestalt in vielfältigen Formen als rassistische Stereotypen vorkommen: „kriminelle Jugendliche“, „Kopftuchfrauen“ und zuletzt - dank Frau Kelek- als „Heiratsmigranten“. Im Gegensatz dazu gib es die Guten: die Multi-Kulti-Fraktion oder aufstiegsorientierte junge Migranten und Migrantinnen, die als Vorzeigetypen fungieren. Als moderne integrierte Jungunternehmer der Mittelschicht “Deutsch-Türken“ oder etablierte Berufs-Politiker, wie die Herren Cem Özdemir/Özcan Mutlu, gehören diese Idealtypen zu den Avantgarden bzw. Eliten der türkischen Communities. Sie kommen in der Öffentlichkeit als Wortführer einer Generation mit ihrem nützlichen Potential (Standortfaktor für Deutschland) vor, die um Anerkennung werben. U. a. solche Idealtypen diskutieren in den Talk-Shows mit „Experten“ der Mehrheitsgesellschaft über die Köpfe der Migranten und Migrantinnen hinweg. Als sogenannte Stellvertreter der türkischen Communities konnten sich zuletzt sowohl die ablehnenden als auch bejahenden Teile der Mehrheitsgesellschaft über ihr Objekt –„die Türken“- am 12. 07. 07 ein Bild in Berlin beim so genannten „Nationalen Integrationsgipfel“ [siehe dazu auch meinen Beitrag: "Das neue Zuwanderungsgesetz und die Gipfel-Show am 12. 07. 07 in Berlin"] machen. Bei dieser Treffen konnte man Eindrücke über die sogenannten „Türkenvertreter“ sammeln, die als fester Bestandteil der elitären türkische Communities in Deutschaland als geschmeichelte Gäste von Frau Merkel daran teilnahmen. Die Boykott-Fraktion bzw. die Türkei-Lobbyisten-Fraktion fühlte sich im Vorfeld der Gipfel-Show aufgrund der beschlossenen neuen Zuwanderungsgesetze beleidigt und protestierte gegen die Gipfel-Show vor dem Kanzleramt am gleichen Tag, wobei diese „mutig“ an die Bundesregierung ein Ultimatum stellten und als Helden ihrer Communities, ihre Interessen artikulierten.

Kurz nach dieser Gipfel-Show dominierte die „Republik Türkei“ als der Nationalstaat zwischen „Orient“ und „Okzident“ die Öffentlichkeit und den Alltag der „Auslandstürken“. Im Laufe der spannungsgeladenen Ereignisse in Ankara im Vorfeld der Parlamentswahlen und während der Wahlkampfphase hatten sowohl die Mehrheitsgesellschaft als auch die „Deutsch-Türken“ die Möglichkeit, sich ein Bild über ihr „Mutterland“ Türkei zu machen.

Die europäische Bevölkerung konnte ihre ambivalente Gefühle, Gedanken und verzerrten Bilder über den offiziellen EU-Kandidaten auffrischen und sich erneut neu positionieren.

Sowohl der sogenannte „Nationale Integrationsgipfel“ als auch die Wahlkampfphase in der Türkei boten genug Anlass über viele Themen, die die „Auslandstürken“ betreffen, zu sprechen. Sowohl die Gipfel-Show als auch die Ereignisse in der Türkei sind wochenlang nicht nur Thema in zahlreichen Publikationen und Kommentare in der deutschsprachigen Presse und der etablierten Politiker und Politikerinnen gewesen. Darüber hinaus wurde vieles in den Cafes und Moscheen, der „Auslandstürken“ kontrovers diskutiert. Über ein vergessenes Thema, die die „Auslandtürken“ direkt betreffen, wurde weder bei der Wahlkampfveranstaltungen in der Türkei noch im Rahmen der Berlin-Show gesprochen: „Bedelli Askerlik“, nämlich die Ersatzleistung für Wehrpflicht in der Türkei - kurz Kopfgelderpressung. Vor allem sind die Folgen für die Betroffenen, wenn er sich denn weigert, sich dieser Erpressung zu widersetzen, präker. Nach wie vor ist dies ein Tabuthema in der Türkei Darüber hinaus sind die Folgen dieser Kopfgelderpressung für „Auslandtürken“ auch in Deutschaland vielfältig spürbar. Dies ist u. a. unser Thema

Bevor wir auf dieses Tabuthema mit seinen vielfältigen Facetten im Folgenden eingehen, wollen wir besonders darauf aufmerksam machen: Die weitgehend marginalisierten Kriegdienstverweigerer in der Türkei stehen erneut unter Beschuss des Militärs, weil sich diese widerspenstige Aktivisten als „ungehorsame Soldaten“ gegen die Pläne der Militärs quer stellen und sich weigern Wehrdienst zu leisten. Sie brauchen insbesondere u. a. die Solidarität der „Auslandstürken“, die als „Privilegierte Türken“ ihre Haltung im Hinblick auf die Kopfgelderpressung der „Republik Türkei“ ihrerseits in Frage stellen müssten.

Türkisch für Anfänger

In der Türkei herrscht 15-monatige Wehrpflicht. Alle Männer sind ab 20. Lebensjahre verpflichtet ihre Dienst für das „Mutterland“ abzuleisten, der acht bis 15 Monate dauern kann. Es gibt weder ein Recht auf Verweigerung noch einen Zivildienst. Lebt ein türkischer Staatsangehöriger im Ausland, hat er bis zu seinem 38. Geburtstag die Wehrpflicht abzuleisten oder die Summe von 5100 Euro zu zahlen und 21 Tage in der Türkei unter militärischer Aufsicht abzusitzen. Überschreitet er die Altersgrenze von 38 Jahren, erhöht sich die Summe fürs Freikaufen auf 7.668 Euro. Nach dem Motto „je älter desto besser“ ist er mit über 40 Jahren dann 10.000 Euro wert. Jedenfalls muss er sich bis zu seinem 38. Geburtstag entscheiden, ob er sich dem Druck der „Republik Türkei“ beugt. Oder der „Auslandstürke“ kauft sich nicht frei und stellt sich quer.

Offiziell nennt man diese Problematik „Bedelli Askerlik“, Ersatzleistung für Wehrpflicht.

Für die Mehrheit der militarisierten Gesellschaft der Türkei ist die ganze Angelegenheit eher eine gewöhnliche Pflichterfüllung im Dienst des „Mutterlandes“. Man könnte denken, wo, bitte schön, ist das Problem, es geht hier doch um etwas Gutes, nicht um etwas Patriachialisches, sondern um etwas matriarchalisches. Ist man nicht den nationalistischen Wahnvorstellungen verfallen, ist es unschwer zu erkennen, dass das Wesen dieser Regelungen ein gewaltiger Erpressungsversuch ist. Es geht um die Militärlogik und die Regelungen der „Republik Türkei“, auch wenn es dabei ums „Mutterland“ „(Anavatan“) geht. Es geht schlicht ums Kopfgeld der „Auslandstürken“.

Militarismus in der Türkei

Seit der Gründung der „Republik Türkei“ im Jahre von 1923 ist das Militär alseine Über-Kaste, bzw. Über-Vater des Staates, sozusagen Herr der Lage und hauptsächlich damit beschäftigt, die demokratische Opposition im eigenen Land in Schach zu halten und im Notfall blutig zu zerschlagen. In diesem Sinne können politische Parteien seit 1950 Wahlen gewinnen und Koalitionen bilden oder mit absoluter Mehrheit die Regierungen bilden, aber sie können niemals den Staat übernehmen. Bis 1950 herrschte die CHP -Republikanische Volkspartei - in der Türkei. Seitdem das Einparteien-System abgeschafft wurde, müssen sich die Regierungen in der Hierarchie der Herrschaftsverhältnisse gewöhnlich dem Militär bzw. dem Generalstab unterordnen und ihr „Schicksal“ hängt davon ab, inwieweit sie die vorgegebenen Spielregeln der Militärs respektieren.

Dies betrifft sogar das Verfassungsgericht der Türkei. Nicht nur das Verfassungsgericht, sondern die wichtigsten Schaltstellen des Staates in Form von Judikative, Exekutive und Legislative werden von Militärs kontrolliert und beherrscht. Als ökonomische Basis für die Herrscher des Landes dient vor allem der Konzern OYAK mit Firmen und Banken. Die OYAK- Gruppe wird selbstverständlich bevorzugt behandelt. Die politischen Parteien dürfen die Militärdemokratie, als das wesentliche System in der Türkei an sich, keinesfalls in der Öffentlichkeit laut in Frage stellen oder kritisieren. Das ist verboten! Sie müssen im Wesentlichen nach den Kriterien und Diktaten der Militärs bewegen, sonst müssen sie gehen und ihnen droht Parteiverbot. Politische Verlautbarungen des Generalstabs gehört zum Alltag wie Luftatmen. In der Türkei ist der Staat nicht für die Bürger da, sondern umgekehrt: die Bürger und die politischen Parteien sind in erste Linie für den Staat und sein Militär da. Nach dieser Militärdemokratie ist auch die Gesellschaft organisiert und jedermann muss sich dementsprechend verhalten, sonst gibt es „unnötiger Ärger“.

Durch die regelmäßig ritualisierte Verlautbarungen des Militärs nach dem Motto; „wir sind von Feinden umzingelt, die die Türkei spalten wollen“ werden Feindbilder konstruiert. Diese Stereotypen dienen zur Auffrischung und Paralysierung des Gefühlzustandes der Bevölkerung. Die männlichen paranoiden Persönlichkeiten werden zu Zweck der Beseitigung von „feindlichen Objekten“ (Musa Anter) und „Fremdkörpern“ (Hrant Dink) eingesetzt.

Durch die hergestellten Angstzustände und Machtverhältnisse entstehen nicht wenige paranoide männliche Persönlichkeiten und weibliche Militärbegeisterte, die ihrerseits indoktriniert, das Militär als ihre Beschützer von Terrorismen und Islamismen betrachten.

In diesem Sinne sind viele der traditionell linken Aleviten und „internationalistische Linken“ von türkischem Nationalismus für die Interessen des Generalstabs lägst vereinnahmt.

" Her Türk Asker Dogar!"!

Der Wehrdienst wird in der türkischen Gesellschaft hochgehalten. Bereits in der Grundschule wird Kindern beigebracht, dass jeder Türke als Soldat zur Welt kommt! – („Her Türk Asker Dogar!“). Zum wichtigen Bestandteil des Sportunterrichts gehören auf Kommando strammstehen und marschieren. Für den Prozess der Sozialisation der Jungen wird der Wehrdienst als die wichtigste Stufe zum richtigen „Mannsein“ erachtet. Der Spruch „Askerligini yapmayan adamdan sayilmaz“ – („Wer seinen Wehrdienst nicht hinter sich hat, ist kein richtiger Mann!“ - hat in der türkischen Gesellschaft seinen festen Platz. Seitdem die PKK den Aufstand organisiert, sind die Beisetzungsrituale der „gefallenen Soldaten“ öffentliche Demonstrationen für die hochrangigen Militärs, die u. a. junge Männer für sich werben und zu den Racheakten gegen die "Terroristen" anstiften.

Fehlen die Militärs bei Beisetzungsritualen, wird die Kritik an Militärs über die Presse laut. Sind die hochrangigen Militärs zur Stelle, schreit die „hohe Nation“ nach Rache. Während die im Kampf „gefallenen Soldaten“ in der Öffentlichkeit schamlos als „Helden“ und „Befreier“ gefeiert werden, gelten die gefallenen Töchter und Söhne der kurdischen Mütter als „Ermeni Dölü“ – („Armenische Bastarde“). Teilweise brüsten sich die Eltern der „gefallenen Soldaten“: „Hoch lebe die Nation“ ist der Spruch des Beisetzungsrituals, den die Untertanen (die Mütter/Väter der „gefallen Soldaten“) gegenüber den Militärs öffentlich äußern- als Dank versteht sich. Wer dies im Namen der „gefallenen Soldatenfamilien“ nicht tut wird in der Öffentlichkeit diffamiert und es gibt einen Eklat.

Denn diese marginalisierten Eltern, die bei solchen schmerzvollen Trauer-Ereignissen - Abschiedsnahme von ihren "gefallenen Söhnen im Krieg gegen die PKK " - ihre Kritik gegen den Missbrauch ihrer Söhne durch die Militärs äußern, stellen sich damit gegen das Verständnis „Her sey Vatan icin“[1] („Alles für das Vaterland“) und gelten damit als Störfaktor für das öffentliche Bild des Militärs!

E-Mail- Putsch des Militärs und die Folgen für Parlamentswahlen

Laufen die gesellschaftlichen Prozesse trotzdem nicht nach der Laune des Militärs, das sich als „Garant der Republik Türkei“ bzw. des Schein-Laizismus versteht, kommt ein Putsch jederzeit in Frage. So hat das Militär mehrere Aufstände der Kurden nach der Gründung der „Republik Türkei“ für Demokratisierung des Landes niedergeschlagen. [2] Es gilt seit 1975 als Besatzungsmacht auf Zypern und verhindert damit jegliche Annäherung der „Türken“ mit den „Griechen“ auf der Insel. Da es über dem Parlament steht, hat es 1960, 1972, 1980 geputscht, wonach jegliche demokratische Entwicklung des Landes zunichte gemacht wurde. Seit 1984 hat das so genannte „Kurdenproblem“ tausende Menschen das Leben gekostet. Am 27.04.07 haben die Militärs per E-Mail „geputscht“ und machten somit unmissverständlich klar, wer der Boss ist: „Wer sich gegen das Verständnis des unantastbaren Führers Atatürk stellt, ist Feind der Republik Türkei, und so wird es auch bleiben.“ Der Generalstab meinte damit einen in der Türkei gebetsmühlenartig ritualisierten Spruch von „Atatürk“ („Vater der Türken“); „Wie erhaben ist es zu sagen: Ich bin ein Türke.“ Als Vorwand für diese E-Mail-Intervention galt die Trotz-Haltung der regierenden „Partei der Gerechtigkeit und Fortschritt“ (AKP), die im Parlament vor den Parlamentswahlen am 22. 07. 07 die absolute Mehrheit besaß.

Die AKP handelte in der Angelegenheit der Präsidentenwahl nicht den Erwartungen des Militärs entsprechend - und nominierte den Außenminister Gül zum Bundespräsidenten.

Diktiert vor allem durch die Militärs ging daraufhin die „hohe türkische Nation“ auf die Straße und folgte u. a. Baykals Appell. Laut Baykal, der als de zivil-politisch Arm des Militärs fungiert, sei die Türkei „eingekreist und belagert“ von der PKK, der EU und den USA. Die Türkei drohe, zur „Kolonie“ zu verkommen. Er werde dies zu verhindern wissen.

Durch solche Manipulationen der Pressearbeit des Militärs und der CHP nahe stehenden Journalisten ermutigt, folgte die Fortsetzung am 08. Juni 2007. Erneut meldete sich der Generalstab per E-Mail und rief die „hohe türkische Nation“ auf, „massenhaft Reflexe“ zu zeigen. „Die Erwartung (der Armee) ist, massenhaft Reflexe der türkischen Nation gegen die terroristischen Ereignisse zu zeigen.“ Dieser Aufruf des Generalstabs, die „hohe türkische Nation“ solle „massenhaft gegen den PKK-Terror“ vorgehen, ist insofern von neuer Qualität, als die Bevölkerung selber aufgerufen ist, aktiv gegen die von den Militärs als nicht die türkisch definierten Teile der Bevölkerung vorzugehen. Besonders gegen die Oppositionellen in den Provinzstädten der Türkei oder in den Ortschaften, in denen Kurdinnen und Kurden leben, ist seitdem ein Anstieg der offenen rassistischen Aggressionen des aufgehetzten Mobs zu verzeichnen. Lynchjustiz und Massaker aufgehetzter Massen sind durch die E-Mail der Paschas gedeckt. Diese Methode kennen wir bereits von faschistischen Parteien. Die gibt es zwar auch zahlreich in der Türkei, aber nicht nur die MHP-Faschisten stehen hinter den Militärs. Die CHP Führer Baykal machte im Rahmen des Wahlkampfeskein Hehl daraus, wie weit seine Positionen sich mit denen der MHP decken. Beide Parteien konkurrierten nicht im Wahlkampf.

Für die Ultra-Nationalsten der MHP hat sich die Strategie gelohnt. Zielscheibe dieser Parteien waren die AKP, Unabhängige Kandidatinnen der DTP und Öcalan. Insbesondere ging es bei diesen nationalistischen Parteien um den Plan, die „Rote-Apfel-Fraktion“ MHP, CHP und die militärnahe Bürokratie an die Macht zu bringen. Für die Partei der National-Sozial-Demokraten CHP nicht. Dennoch räumt Baykal nicht den Stuhl des Parteivorsitzenden. Nach dem CHP Debakel lässt er sich auch nach den Wahlen nicht beeindrucken und will den Stuhl des Vorsitzes der Partei nicht räumen. Hat er auch Paranoide oder die Militärs der Türkei können nicht auf ihn Verzichten? Jedenfalls ist er schließlich der verlässlichste „Zivilist“ bei der CHP für den Generalstab.

Herzlichen Glückwunsch an die Unabhängigen der DTP und die Kandidaten der „Linken“.

Eines steht auch fest: in der Frage des zukünftigen Staatspräsident ist es ein offenes Geheimnis, dass die Militärs und AKP im Vorfeld des Wahlkampfes geeint sind. Das Amt des Staatspräsidenten in Ankara wird auch in Zukunft von einem Politiker bekleidet werden, der den Militärs genehm ist, dessen Frau jedenfalls keine Turbanträgerin ist.

Das Türken-Problem

Tausende kurdische Zivilisten, Guerilleros und Soldaten haben bereits im Krieg der Militärs mit der PKK ihre Leben verloren. Dabei wir auf nichts Rücksicht genommen. So sind ca. 4000 Dörfer in Kurdistan sind entvölkert und tausende Hektar Wälder durch die „Dorfschützer“, Miliz und Militärs zerstört. Dies erinnert mithin an den Agent-Orange- Einsatz der USA im Vietnamkrieg. Leyla Zana äußerte am 18.07.07 in Diyarbakir im Rahmen einer Wahlveranstaltung für die Kandidaten und Kandidatinnen der „Tausend Hoffnung“ von DTP im Hinblick auf die kommende Parlamentperiode folgendes: „Zum letzten Mal reichen wir unsere Hand für den Frieden. Niemand soll mit unserer Würde spielen. Falls sie unsere gereichte Hand nicht annehmen, ziehen wir diese zurück“. In Wahrheit ist das so genannte „Kurden-Problem“ ein Konflikt, der in erste Linie der Machtstabilisierung der türkischen Militärs dient. Insofern ist das so genannte „Kurden-Problem“ tatsächlich ein „Türken-Problem“. Die Lage in dieser Frage spitzt sich weiter zu, die Gesellschaft zerfällt Schritt für Schritt in zwei Lager: Türken und Kurden, ein Bürgerkrieg ist somit in der Türkei nicht unmöglich. Die Mahnung von Leyla Zana in Diyarbakir ist auch in diesem Zusammenhang zu verstehen.

Es bedarf also keiner weiteren Ausführungen, wofür der türkische Staat das Kopfgeld von „Auslandstürken“ benötigten: den „Auslandstürken“ will die Türkei ab 38 Jahren nicht aus der türkische Staatsbürgerschaft entlassen, weil das Militär für die Kriegsführung gegen die Kurdinnen/Kurden als Machtstabilisierungsfaktor auf das Kopfgeld nicht verzichtet.

Das Serviceangebot für „Auslandstürken“: „Bedelli Askerlik“ in Burdur.

In den Schriften des Militärs oder des Innenministeriums ist im Zusammenhang mit der „Bedelli Askerlik“ immer die Rede von „hizmet“ („Service“). Für die herrschende Politik der Türkei gilt diese Kopfgeld-Prozedur als „Serviceangebot“ für ihre „Auslandstürken“. „Auslandstürken“, die ab der Altersgrenze von 38 Jahren als fahnenflüchtig gelten, gehören ebenso zu den Kunden des türkischen Militärs wie die willigen Türken. Je älter der Kunde, desto teurer ist der „hizmet“ bzw. Service. In dem Gebrüll in den Kasernen - wie etwa der paranoide Spruch am Anfang der Nationalhymne der „Republik Türkei“ „Korkma Sönmez… “ („Hab keine Angst vor dem Erlöschen (der Nation)“) bzw. „Türküm, Dogruyum..“ („Ich bin aufrechter Türke“) oder „Her sey Vatan icin.“ („Alles für das Mutterland“) - können sich heimattreue „Auslandstürken“ bestens wiederfinden. Der Mörder von Hrant Dink oder die Christenkiller von Malatya sind nicht nur mit dem „Tal der Wölfe“ im türkischen Fernsehen aufgewachsen, sondern auch mit entsprechendem Lehrstoff bereits in den Grundschulen vergiftet worden. Für die antimilitaristischen „Auslandstürken“ ist es eine politische und psychologische Belastung, es mit solchen Rassisten und Nationalisten in der Kaserne in Burdur auszuhalten. Während die heimattreuen „Auslandstürken“ ihre Kaserneausbildung bei der „Brigadekommandatur für Soldatenausbildung“ als Höhepunkt zum „Mannsein“ genießen dürfen und nach der Pflichterfühlung für das „Mutterland“ in den Internetforen ihre Erfahrungen stolz weitergeben, dürfte der Kasernenaufenthalt für die Marginalisierten eine Qual sein.

Für diejenigen Wehrpflichtigen, die im Endeffekt keine andere Alternative zu „Militärdienst mit Devisenzahlung“ („Dövizle Askerlik Hizmeti“) sahen, dürfte dir Burdur- Kaserne einer qualvolle Erfahrung sein: Inneres Exil als Fluchtort vor alltäglicher Folter?

Wie sollte man sich sonst gegen die täglichen ideologischen Indoktrinationen [3] durch die hochrangigen Militärs in der Kaserne Burdur wehren und sie nicht auf sich einwirken lassen? Nicht wenige „Auslandstürken“ der so genannten „zweiten Generation“, die nach dem Militärputsch vom 12. 09. 1980 nach Deutschland kamen, erfuhren die Allgegenwart des Militärs während der Militärherrschaft in den 80ern als jugendliche Gewalt durch die Soldaten. Der Aufenthalt in einer Kaserne ist deshalb für diese antimilitaristischen „Auslandtürken“ eine Situation, die als Folter zu bezeichnen kaum übertrieben wäre.

Seitdem „Auslandstürken ihren verkürzten Militärdienst in Antalya ableisten“ dürfen, müssen sich die heimattreuen „Auslandskunden“ nicht mehr darauf beschränken, die Heldengeschichten der Generäle über ihren Kampf gegen die „Terroristen“ in der Militärkaserne der Provinzstadt Burdur anzuhören oder sich nur mit Bauchtanzangeboten zu langweilen. Dieses attraktive Neu-Angebot kann für manchen „Auslandstürken“ „toll“ sein, jedenfalls ändern sich dadurch die Tatsachen nicht: „Bedelli Askerlik“ bleibt ein Erpressungsversuch und eine Zwangsmaßnahme des türkischen Staates und seines Militärs. Erpresst werden nicht nur jene „Auslandstürken“, die sich als stolze Türken begreifen, sondern auch die Kurden, Armenier, Süryanis, usw.. Auch sie werden als wehrpflichtige „Auslandstürken“ dazu gezwungen, finanzielle Mittel und Zeit zur Verfügung zu stellen. Für „so genannte Bürger“ - Begriff des Generalstabs für Kurden - stellt dieser „hizmet“ einen besonderen Zynismus und eine schmerzvolle Realität dar. Nicht wenige dieser Männer werden im Endeffekt in die Knie gezwungen, da sie keinen anderen Ausweg sehen, als dieses Kopfgeld als Preis ihrer Sehnsucht zu zahlen, ihrer Sehnsucht nach ihren Familienangehörigen, die in Kurdistan oder den Metropolen der Westtürkei leben. Für viele kurdische junge Männer außerhalb der Türkei stellen die Guerilleros der PKK als Anziehungskraft die alternative im Gegensatz zu Burdur dar.

Kriminalisierung der "Auslandtürken" oder türkischdeutsche Praxis

Solange der „Auslandstürke“ einen türkischen Pass besitzt, gilt auch selbst für den hier geborenen „türkischen Mann“ die Pflicht, den türkischen Militärs zu dienen.

Ist der „Auslandstürke“ nicht bereit, diese Kopfgelderpressung hinzunehmen, gilt es, den Antrag auf Einbürgerung möglichst rechtzeitig zu stellen. Dies muss im Idealfall geschehen, bevor er die magische Altersgrenze von 38 überschritten hat.

Konnte er sich nicht vom Kopfgeld rechtzeitig „befreien“ lassen, gehört er nach türkischer Gesetzgebung zur Kategorie der „Auslandstürken“, die als „fahnenflüchtig“ gesucht werden – auch nach 38 Jahren ununterbrochenen Aufenthalt in Berlin oder Bonn.

Der Ausbürgerungsantrag beim Türkischen Konsulat Hamburg, der im Endeffekt mit einer Entlassungsurkunde des türkischen Innenministeriums aus der türkischen Staatsbürgerschaft endet, ist für die „Auslandstürken“ der letzte Schritt zum Erhalt eines deutschen Passes. Diesen Antrag auf „Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit“ kann er erst dann stellen, wenn er davor die „Einbürgerungszusicherung“ der Einbürgerungsbehörde Hamburg hat.

Er muss beim Ausbürgerungsantrag dem „Generalkonsul“ die „Einbürgerungszusicherung“ vorlegen. Deshalb muss der „Auslandstürke“ zunächst die Hindernisse für den Erhalt der „Einbürgerungssicherung“ überwinden. Dann beginnt für die Betroffenen die Prozedur bzw. die Konfrontation mit der „Republik Türkei“ frontal.

Nun hat das Türkische Konsulat den „Kopfball“ der „Auslandstürken“ in der Hand.

Der „Generalkonsul der Republik Türkei“ teilt das Ergebnis seiner Entscheidung dann persönlich mit. Statt einer schriftlichen Antwort auf seinen Antrag bestellt er den „Auslandstürken“ per Brief in das Konsulat, um ihm eine schriftliche Erklärung zu verlesen. So erfährt der „Auslandstürke“ über das Konsulatspersonal, was die Türkei entschieden hat, ob er aus der Staatsbürgerschaft entlassen wird oder eben nicht. Im letzteren Fall wird er mit einem Dokument vom „Innenministerium der Türkischen Republik“ konfrontiert. Einen Blick darauf zu werfen ist erlaubt. In diesem „bildirim“ steht: „(Da) Herr X gemäß § 20 des Staatsangehörigkeitsrechts als fahnenflüchtig („Yoklama Kacagi“) gesucht wird, kann die Forderung (Ausbürgerung aus der türkischen Staatsangehörigkeit) nicht erfüllt werden. Liegt unserem Ministerium ein entsprechendes Dokument vor, das den Grund der Ablehnung aus der Welt schafft, steht der Erfüllung der Forderung nichts im Wege.“ Da es nicht erlaubt ist, dieses Dokument zu kopieren, bekommt man ein Ersatz-Dokument, das die Gründe der Ablehnung dokumentiert.

In dieser „Bescheinigung zur Vorlage bei der zuständigen Behörde“ liegt das „Schicksal“ des „türkischen Mannes“ aus der Perspektive der Türkischen Republik: „Hiermit bescheinigen wir, dass Herr X … gemäß Beschluss des türkischen Innenministeriums nicht aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen werden kann, da er wegen nicht geleistetem Militärdienst gesucht wird.“ Der Vize-Konsul signiert diese Bescheinigung und informiert damit den „Auslandstürken“ offiziell, dass er in der Türkei als fahnenflüchtig gesucht wird. In meinem Fall stellte ich dem Vize-Konsul die Frage: „Beyefendi, wie soll ich dieses Papier verstehen, bin ich nun für die Türkei kriminell?“ Beyefendi reagierte prompt: „Natürlich bist du kriminell. “ Ich reagierte meinerseits wütend, was ihm höchst respektlos erschien. So ergab sich in Anwesenheit anderer „Auslandstürken“ ein hitziger Wortwechsel zwischen dem verehrten Herrn Vize-Konsul und mir. In derart klaren Machtverhältnissen hat selbstverständlich der Gastgeber das letzte Wort: „Defol git burdan!“- „Hau ab hier!“. Eine typische Art der türkischen Bürokratie – auch in Hamburg.

Laut § 20 des Staatsangehörigkeitsrechts der Türkei gilt man de facto als illegal. Dies trifft auch die „Auslandtürken“, wenn sie weigern, die Kopfgelderpressung nicht hinnehmen oder nicht in der Lage sind das Kopfgeld zu zahlen. Der Grund der Ablehnung der Ausbürgerungsforderung durch das Innenministerium der Türkei lautet jedenfalls: „Als ein türkischer Mann bist du verpflichtet, dem ‚Mutterland‘ zu dienen. Du wirst solange nicht aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen, bis du das Kopfgeld bezahlst und 21 Tage unter der Militärherrschaft der Türkei verbracht hast.

So wird man einerseits als ein „fahnenflüchtiger“ gesuchte Mann vom Generalkonsulat der Türkei als „Krimineller“ gestempelt, wenn er sich weigert oder nicht in der Lage ich die Summe an das Militär zu überweisen, andererseits erhält der Betroffene, der „Kriminelle“, eine Urkunde persönlich von seinem Ermittler, das vom Herrn Vize-Konsul ausgestellt ist.

So kann ein „türkischer Mann“ jenseits der klischeehaften Projektionen in der Öffentlichkeit, halt „persönliche Probleme“ haben. So hat ein „türkischer Mann“ „persönliche Probleme“. Wie so eine Situation selbst nach 30 Jahren unterbrochen Aufenthalt zustande kommt, verdankt der „Auslandtürke“ den Zwangsidentität: Türke!

"Persönliches Problem" der "Auslandtürken"

Diese „persönlichen Probleme“ bringen zusätzliche Erschwernisse mit sich.

In der deutschen Gesetzgebung gibt zahlreiches Hindernis und bürokratischen Blockaden, die den Migranten das Leben erschweren. Ein „Auslandstürke“ kann keinen Antrag auf Einbürgerung stellen, wenn er Hartz-IV-Empfänger ist oder als hier Geborener wegen seiner Jugendsünden polizeilich registriert ist. Der Verlust des türkischen Passes als Voraussetzung für den Erhalt des deutschen Passes gehört dazu.

Da es keine doppelte Staatsbürgerschaft geben darf, gibt es zwar Ausnahmeregelungen in Hinblick auf die Einbürgerungsprozedur der zukünftigen „Neu-Deutschen“, jedoch nehmen die bürokratischen Maßnahmen der Behörden kaum Rücksicht auf die Betroffenen, die sich weigern, der Pflicht gegenüber ihrem „Mutterland“ nachzukommen. Da die Türkei den fahnenflüchtigen „Auslandstürken“ ab der Altersgrenze von 38 Jahren weder aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlässt, noch den Pass konsularisch verlängert, hat man plötzlich einen ungültigen türkischen Pass. Da ein ungültiger Pass auch mit deutscher Aufenthaltsberechtigung keine Bedeutung für die vielfältige Bürokratie hat, ist der Betroffene mit seinem Schicksal auf sich gestellt. Erteilt die Einbürgerungsbehörde nicht einen deutschen Pass, fehlt ihm, wie B. Brecht es einst formulierte, „Der edelste Teil eines Menschen“. Wie der Betroffene „Auslandstürke“ seine prekären Lebensverhältnisse ohne einen gültigen Pass meistert, was mit vielen Aufwand organisiert werden muss, ist nicht einfach. Die Konsequenzen einer ungewissen Alltagssituation dieser „Auslandtürken“ kann man zum Teil mit illegalisierten Flüchtlingen vergleichen, die dazu verdammt sind, mit trickreichen Überlebensstrategien den Alltag irgendwie zu meistern. Gnadenlos erpresst werden auch diejenigen „Auslandtürken“ von Innenministerium der Türkei, die weder finanziell in der Lage sind, das Geld für „Bedelli Askerlik“ -das Kopfgeld für die Militärs - zu zahlen, noch aufgrund gesetzlicher Hindernisse die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfühlen. Die „Illegalität“ für die Betroffenen kommt aber nicht nur deshalb zustande, weil er der Altersgrenze von 38 Jahren durch die „Republik Türkei“ nicht ausgebürgert wird, sondern auch deshalb, weil er durch die deutsche Gesetzgebung im Hinblick auf Einbürgerung dazu gezwungen wird.

Yasar beispielsweise kann selbst nach 30 Jahren ununterbrochenen Aufenthalt kein Antrag auf Einbürgerung stellen, weil er im Laufe seines Lebens ökonomisch und sozial irgendwann vom „Pech“ heimgesucht wurde. Da die gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf die Einbürgerung auf den ökonomisch nutzlosen Bevölkerungsteil keine Rücksicht nehmen, lebt Yasar deshalb seit 2 Jahren in Deutschland „illegal“. Einfach Pech gehabt!!?

Mit 11 Jahren kam er 1977 als Familiennachzügler nach Deutschland, seitdem lebt hier.

Er machte sein Abitur und studierte einige Semester bis er aufgrund einer seltsamen Krankheit das Studium abbrechen musste.

Nach verschiedenem beruflichem Werdegang landete er schließlich in der Gastronomie als Selbständiger. Selbstständigkeit als neue Abhängigkeitsform kam ihm nicht zu gute und wie es bei vielen im Bereich der Gastronomie der Fall ist, bildeten sich in der Zeit als Gastronom Schulden. Da er die Schulden nicht abtragen konnte und schließlich die „eidesstattliche Erklärung“ unvermeidbar wurde, wurde er ökonomisch aus dem Bahn geworfen. Hinzu kam der Scheidungsprozess, in dem er sich immer noch befindet.

Aus der Ehe von 1900 gingen zwei Kinder hervor, denen gegenüber Yasar unterhaltungspflichtig ist. Die Unterhaltungspflicht kann er jedoch trotz einer Ganztagsjob nicht in voller Höhe erfühlen. Deshalb verschuldet er über einen „Zuschuss“ vom Jugendamt, damit er seiner Unterhaltungspflicht nachkommen kann und die Kinder und seine Ehefrau nicht ökonomisch und sozial darunter leiden

Yasar selbst beschreibt seine Situation wie folgt: „Dies ist ein Werdegang, den ich, wie viele andere Menschen auch, tragen muss. Jedoch kommt zu alldem das Problem mit meiner Staatsbürgerschaft.

Ich stamme ursprünglich aus der Türkei. Bei uns gilt die Militärpflicht. Für im Ausland lebende türkische Männer gilt: der Wehrdienst muss bis zum 38. Lebensjahre abgeleistet werden (verkürzt auf einige Wochen nach einer Zahlung eines „Kopfgeldes“ in Höhe von bis zu € 10000.). Ich lebte jahrelang mit der Hoffnung, dieses „Kopfgeld“ würde abgeschafft werden. Diese Hoffnung wurde einerseits durch die Aufnahmebestrebungen der Türkei in die EU und andererseits durch vorhergehende Reduzierung des zu zahlenden Betrags genährt. Nichts von alldem traf ein.

Vor zwei Jahren wurde mein Pass vom türkischen Konsulat in Hamburg um drei Monate verlängert, mit dem Hinweis, ich solle die Medien hinsichtlich einer Bekanntmachung bzw. Gesetzesänderung verfolgen. Seit dem lebe ich in eine Grauzone. Nichts geschah.. Trotz unbefristetem Aufenthaltsstatus, was mir wenig nützt, da der legale Aufenthalt hier die Gültigkeit des Passes erfordert, lebe ich quasi illegal in Deutschland.

Eine direkte Abschiebung droht mir glaube ich nicht, zumindest wenn man der Auskunft eines Mitarbeiters des Bezirksamtes Glauben schenken darf. Mir droht lediglich ein Bußgeld in Höhe bis zu € 5000 für dieses „Vergehens“ falls man zufällig erwischt wird.

Ich würde gern die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen um aus diesem Dilemma herauszukommen. Jedoch gibt es etliche Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Einerseits lässt mich die türkische Seite nicht aus der Bürgerschat austreten, da der „Dienst am Vaterland nicht erfüllt ist. Andererseits ist der Austritt aus der jeweiligen Staatsbürgerschat jedoch Bedingung für die deutsche Seite zur Erlangung der hiesigen Bürgerrechte. Darüber hinaus muss man „solvent“ sein, heißt keine Verbindlichkeiten insbesondere dem deutschen Staat gegenüber haben.

So beißt sich die Katze in den Schwanz oder sollte man an die Schlange denken, die sich selbst auffrisst. Die Spirale dreht sich immer weiter.

Dies bedeutet im Alltag, dass man erforderliche Behördengänge einfach nicht macht, hofft in keine Verkehrskontrollen zu geraten. Wenn dies doch geschieht, zeigt man den Führerschein und hofft, dass alles glatt läuft, da man logischerweise den Pass nicht bei sich trägt. Meine Scheidung kann ich nicht durchführen, weil ich befürchte, dass vom Familiengericht beim Vorlegen des Passes zu Identifikation alles auffliegt. Ich bin froh, dass das türkische Konsulat mit der Ausländerbehörde keinen Informationsaustausch in dieser Hinsicht unterhält. An einem Urlaub außerhalb der Bundesrepublik ist nicht zu denken. So zieht sich dies wie ein roter Faden durch meinen Alltag.

Die Liste ließe sich weiter verlängern.

Albträume beschert mir der Gedanke, dass ich mich von meiner Mutter oder meinem siebzigjährigen Vater nicht verabschieden kann, wenn ihnen in der Türkei etwas passiert. Dies würde mich mein Leben lang verfolgen."

Ausblick oder Sackgasse

Die Kopfgeldpflicht endet auch nicht mit dem Erhalt des deutschen Passes.

Solange man nicht ausgebürgert ist, gilt die „Militärpflicht“, und damit bleiben die Erpressungsversuche der Türkei bestehen. Die Türkei gewährt trotz deutschen Passes nicht die Grenzpassage. Beabsichtigt der „Fahnenflüchtige“ die Türkei zu besuchen, kann er vom Flughafen aus in die Kaserne eingezogen werden.

Falls der „türkische Mann“ in der „neuen Heimat“ nicht rechtzeitig durch Einbürgerung den deutschen Pass erhält, findet er in der Regel eine „persönliche Lösung“ und überweist die Summe für sein „Befreiung“ im Endeffekt auf das Konto des türkischen Militärs. Hat er die Altersgrenze von 38 Jahren überschritten und ist danach eingebürgert, quält er sich zeitlang damit, ob er doch das Kopfgeld zahlt oder seinen „Schicksal“ akzeptiert. Pech gehabt oder von „Schicksal“ heimgesucht, muss der „Auslandstürke“ mit den Konsequenzen dieser Situation leben.

Er darf als Pechvogel nicht mehr von Mittelmeerurlaub in der Türkei träumen.

Betroffen sind nicht nur ursprünglich aus Anatolien stammende „Türken“ oder „Kurden“, die dem Männlichkeitswahn, wie „Erkek gib“ („wie ein Mann“) a la Türkisch, nicht verfallen sind und mit ihrer Haltung das ganze Gelaber mit Militärdienst und so was in seine Wesens- und Erscheinungsformen in Frage stellen oder sich, wie auch die Kriegdienstverweigerer in der Türkei, positionieren: zum Teufel mit Militarismus und „Militärdienst in der Heimat“. Betroffen in diesem Zusammenhang sind auch diejenigen Totalverweigerer aus allen „Herrenländer der Erde“, die glaubten in Deutschland einen Zufluchtsort gefunden zu haben. Nicht wenige solche Männer brachten sich als Flüchtlinge in den Zellen der Abschiebeknäste oder wie Kemal Altun beim Gerichtstermin in Hamburg „selbst um“, als Alternative zu der bevorstehenden Abschiebung, um die Qual solcher Militärkasernen in der „Heimat“ nicht zu spüren, die in den Zeiten des Militärputsches oder anderer Ausnahmezustände den Ausgangspunkt für blutige Gemetzel und Folter gegen tausende Oppositionelle bildeten und nach wie vor bilden.

Soweit uns bekannt ist, werden beispielsweise die wehrpflichtigen „Auslandsgriechen“ oder „Auslandiraner“ irgendwann so ab 40 mit Militärdienstpflichten in Ruhe gelassen.

Für die „Republik Türkei“ als EU- Kandidat gilt in diesem Fall: einmal Türke immer Türke.

Kurz: „Solange du das Kopfgeld nicht zahlst, quälen wir dich“, das ist die Position der Türkei. Für mich ist es eine Horrorvorstellung, diese ganze Prozedur über mich ergehen zu lassen. Politische, prinzipielle und menschliche Gründe sprechen einfach dagegen.

Da die „Republik Türkei“, als einer der aggressivsten Spätzünder unter den Nationalstaaten der jüngste Geschichte, sich erneut auf den Spuren der Jungtürken a la Talat Paschas bewegt und ihre türkischen Bürger und Bürgerinnen zu vampirartigen Gestallten umformt, könnte man die Mühe der einzelnen „Auslandtürken“ gegen die mächtigen türkischen Militärs als Beschäftigungstherapie eines Don Quichotte begreifen.

Das muss sich ändern. Es ist mühsam als Einzelner irgendwie Öffentlichkeit zu schaffen.

Der Kopfgeldpflicht nachzugeben, dazu unter Militär-Herrschaft zu dienen, um sich zu „befreien“, bedeutet, diesen Staat bzw. sein Militär aktiv zu unterstützen. Weder einen Cent noch eine Sekunde für diesen Staat und sein Militär, das ist meine Haltung.

Diese Kopfgeld-Problematik muß an die Öffentlichkeit und ist keine „private Angelegenheit“

In den 80er- und vereinzelt in den 90er Jahren gab es Kampagnengegen den Kopfgeldzwang. Damals organisierten fast alle aus der Türkei stammenden linken Organisationen Kampagnen gegen „Bedelli Askerlik“. Sie forderten die Reduzierung der Ersatzleistung für Wehrpflicht, also die Geldsumme des Kopfgeldes oder Abschaffung der Kaserne Aufenthalt in Burdur. Aktuell gibt es kaum „Auslandstürken“, die sich dagegen engagieren. Inzwischen scheint es, als ob die Betroffenen jeder politischen Richtung sich damit abgefunden haben. „Auslandtürken“, die sich gegen die Kopfgeldpflicht quer stellen, stoßen vereinzelt auf die Unterstützung engagierte Leute. Über die Kampagnen der Kriegdienstverweigerer in der Türkei kann man sich Informieren unter http://www.savaskarsitlari.org/ externer Link. Es gibt einen Verein der Totalverweigerer in Deutschland der sich mit den Kriegsdienstverweigerer in der Türkei solidarisiert: http://connection-ev.de externer Link. Eine langfristige Kampagne der „Auslandtürken“ gegen die Kopfgelderpressung der Türkei ist nicht nur eine solidarische Haltung für die vielfältigen Widerstandsformen der Kriegdienstverweigerer in der Türkei, sondern auch ein längst notwendiger Schritt für ihre eigenen Interessen und für die Interessen ihrer Kinder als „Auslandstürke“!!

Es fehlt an Mitstreitern! „Türkische Männer“ als Don Quichottes sind gesucht!!

Solidarität mit Halil Savda, Osman Murat Ülke und anderen Kriegdienstverweigerern!!

Gürsel Yildirim, 30.07.07, Hamburg

Email: guersel2@gmx.de


Anhang:

„Im Juli 2007 wurde der Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke aufgefordert, eine Haftstrafe von 17 Monaten und 15 Tagen anzutreten. Er war von 1996 bis 1999 bereits mehr als 23 Monate wegen seiner Kriegsdienstverweigerung inhaftiert. Im April 2007 wurde Halil Savda wegen seiner Kriegsdienstverweigerung in der Türkei zum zweiten Mal verurteilt. Die Strafe beläuft sich inzwischen auf 21 Monate. Er ist seit Dezember 2006 in Haft. Danach droht ihm erneute Einberufung und Strafverfolgung

Kriegsdienstverweigerer wie Osman Murat Ülke, Halil Savda und Mehmet Tarhan werden in der Türkei verfolgt und sehen sich einem Teufelskreis von Verhaftung, Verurteilung und Inhaftierung gegenüber. Sie gelten als Deserteure, erhalten keinen Pass und können noch nicht einmal ein Konto eröffnen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bezeichnete dies vor einem Jahr als "zivilen Tod" und forderte die Türkei zur Abhilfe auf. Geändert hat sich jedoch nichts. Zudem wird in der Türkei die öffentliche Kritik am Militär unter Strafe gestellt. So wurden Kriegsdienstverweigerer und JournalistInnen, die sich in der Türkei für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aussprachen, strafrechtlich verfolgt. In den Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union (EU) mit der Türkei ist die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern kein Thema. Das muss sich ändern. Wir rufen deshalb den EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn auf, von der Türkei einzufordern:

  • die Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen;
  • alle Strafverfahren gegen Kriegsdienstverweigerer einzustellen und inhaftierte Verweigerer aus der Haft zu entlassen;
  • alle Strafverfahren wegen öffentlicher Kritik am Militär einzustellen und die umstrittenen Paragrafen abzuschaffen;
  • eine Altfallregelung zu erlassen, damit bisherige Kriegsdienstverweigerer von der Ableistung der Wehrpflicht befreit werden.

Fordern Sie dies mit uns! Schreiben Sie online einen Brief an EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn. Ein Vorschlag liegt für Sie bereit. Wir leiten weiter“

(Quelle: http://connection-ev.de/aktion/index.html externer Link)


(1) Die Auftragsmörder von kurdischen Oppositionellen oder anderen „Fremdkörpern“ im Lande bedienten sich auch dieser Sprüche, wenn sie vor laufenden Kameras in das Gefängnis abgeführt werden oder auch vor den „hohen Richtern“ bei den Gerichtsprozessen der Türkei. Solche Figuren wie der Mörder von Hrant Dink oder andere Jung-Helden a la Polat (Figur vom „Tal der Wölfe“) sind nicht schwer zu finden. Wer nach getaner Arbeit – Mord an Oppositionellen – auf dem Weg ins Gefängnis den Spruch „Vatan Sagolsun“ vor laufenden Kameras loslässt, wird nicht so leicht als „Mörder“ abgestempelt. Falls nötig mischt sich der Generalstab öffentlich in die Ermittlungen des Staatsanwaltes ein und äußert sich auch direkt im Sinne der Anliegen dieser Mörder: „iyi cocuktur, – („ist ein netter Junge“). Dieser nette Junge, wie auch der Bombenleger von Semdilli/Kurdistan, muss sich nicht mehr davor fürchten, dass ihm seine Zukunft durch ein Gerichtsurteil geraubt wird. Er ist durch die Militärs höchstpersönlich signiert und gilt als Held der „hohen türkischen Nation“.

(2) U. a. nach der „Kocgiri Rebellion“ im Jahre 1938 verübten die türkische Militärs ihre blutigsten Massaker gegen die widerständigen Teil der kurdische Bevölkerung, die auf die Leugnung,- und Assimilationspolitik der „Republik Türkei“ reagierte. Darüber wird auch bis heute nicht in der Öffentlichkeit gesprochen. Genau so wie die Völkermorde gegen die Armenier, Süryanis, Ezidis in Anatolien und Mesopotamien vor 1923, gehört dieser Massaker zu den Tabuthemen in der Türkei.

(3) Etwa die Hälfte der Grundausbildung in Burdur besteht aus der obligatorischen Teilnahme an Vorträgen, die darauf bedacht sind, die im Ausland lebenden Türken im Sinne des Militärs ideologisch zu beeinflussen. Einige dieser Vorträge tragen den Titel: „Türkisch-armenische Beziehungen“, „Lobbyarbeit im Ausland“, „Nationalismus und Atatürk“, „Bürgerkunde für Doppelstaater“ etc.. Ebenso ist Pflicht an einer „Konsultation“ mit einem hochrangigen Soldaten und einer anschließenden anonymen Umfrage teilzunehmen, bei der es u. a. auch um die den Teilnehmern bekannten „feindlichen“ Organisationen oder Personen im Ausland geht. Freiwillige würden gar ermuntert, eigenständig einen Bericht über ein vorgegebenes Thema anzufertigen.


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