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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Hyundai-Präsident, die Gewerkschaften und die Linke

..."Nur dass unsere prekär Beschäftigten in Seoul und Ulsan "nicht reguläre Arbeiter" heißen. Die Zeit der großen Erfolge der außerparlamentarischen Linken ist auch in Südkorea längst vorbei, wie zuletzt die Mobilisierungsversuche gegen das Freihandelsabkommen mit den USA im vergangenen Jahr gezeigt haben. Und natürlich gibt es auch in Südkorea den Versuch des Aufbaus einer neo-sozialdemokratischen Linkspartei durch Nordkorea nahe stehende "Altlinke" und Gewerkschaftsfunktionäre der KCTU. Doch scheint die Democratic Labour Party (DLP) ihren Höhepunkt bereits überschritten zu haben. Nach dem viel umjubelten Erfolg bei den Parlamentswahlen 2004 erlitt sie bei den Präsidentschaftswahlen Mitte Dezember 2007 eine herbe Niederlage und steckt seitdem in einer Existenzkrise. Um all das geht es in dem folgenden, nicht langweiligen Interview mit einem der prominentesten Vertreter der südkoreanischen radikalen Linken, Won Youngsu" - ein Auszug aus der Einleitung zu dem Interview "Das Ende einer Dekade" von Rosso mit Won Youngsu (das am 9. Februar 2008 in einer gekürzten Fassung in der Jungen Welt erschienen war).

Das Ende einer Dekade

Südkorea und die südkoreanische Linke scheinen meilenweit weit entfernt, nicht nur geographisch, sondern auch politisch. Da genügt schon die Erinnerung an militante Streiks und Massendemonstrationen. Doch bei näherem Hinsehen sind die Unterschiede weit weniger groß als angenommen: Korea war bzw. ist, genau wie Deutschland bis 1990, geteilt und Südkorea (wie die BRD) kapitalistischer Frontstaat im Kalten Krieg, der in Ostasien noch nicht ganz zu Ende ist. Die nachholende Industrialisierung hat Südkorea bereits vor Jahren in die OECD geführt. Neoliberale Politik, Flexibilisierung, Umstrukturierung und Outsourcing der Produktion ist dort ebenso Alltag wie hier. Nur dass unsere prekär Beschäftigten in Seoul und Ulsan "nicht reguläre Arbeiter" heißen. Die Zeit der großen Erfolge der außerparlamentarischen Linken ist auch in Südkorea längst vorbei, wie zuletzt die Mobilisierungsversuche gegen das Freihandelsabkommen mit den USA im vergangenen Jahr gezeigt haben. Und natürlich gibt es auch in Südkorea den Versuch des Aufbaus einer neo-sozialdemokratischen Linkspartei durch Nordkorea nahe stehende "Altlinke" und Gewerkschaftsfunktionäre der KCTU. Doch scheint die Democratic Labour Party (DLP) ihren Höhepunkt bereits überschritten zu haben. Nach dem viel umjubelten Erfolg bei den Parlamentswahlen 2004 erlitt sie bei den Präsidentschaftswahlen Mitte Dezember 2007 eine herbe Niederlage und steckt seitdem in einer Existenzkrise.

Um all das geht es in dem folgenden, nicht langweiligen Interview mit einem der prominentesten Vertreter der südkoreanischen radikalen Linken, Won Youngsu.

Eine auf 14.500 Zeichen gekürzte und redigierte Fassung des Interviews mit ihm erschien in der Wochenendbeilage der "jungen Welt" vom 9.2.2008 unter dem Titel "Die radikale Linke in Südkorea ist schwach und zersplittert". Hier die Originalversion mit gut 21.900 Zeichen.

Zur Person: Won Youngsu gehörte 1999 zu den Mitbegründern der südkoreanischen, marxistischen Gruppe Power of Working Class (PWC), die auf dem linken Flügel des unabhängigen und kämpferischen Gewerkschaftsbundes KCTU und in der linken Intelligenz über großes Ansehen und eine starke Verankerung verfügen. Seine politische "Laufbahn" begann Anfang der 80er Jahre in der Studentenbewegung. Nach einer kurzen Inhaftierung verlagerte sich seine Aktivität in die Arbeiterbewegung. Ende der 80er Jahre übersetzte er zahlreiche Werke von Marx, Engels und Lenin ins Koreanische. Seit Ende der 90er Jahre arbeitet er als Forscher im unabhängigen, linken Korean Institute for Labor Studies and Policies (KILSP) und darüber hinaus in der internationalen Solidaritätsarbeit. Von 2004 bis 2006 war er Herausgeber der von PWC herausgegeben Zeitung "Power of Working Class". Seitdem ist er wieder einfaches Mitglied und widmet sich der politischen Bildungs- und Forschungsarbeit. Er ist - nach eigener Aussage - ein dem Stalinismus kritisch gegenüberstehender, undogmatischer Marxist.

Das Ende einer Dekade

Interview mit Won Youngsu zur Lage in Südkorea nach den Präsidentschaftswahlen

Rosso Vincenzo

Der (neo)konservative Kandidat und ehemalige Vorstandsvorsitzende von Hyundai Construction and Engineerring, Lee Myung-bak von der Grand National Party (GNP), erhielt bei den Präsidentschaftswahlen am 19.Dezember 2007 48,7% der Stimmen und nächster Präsident Südkoreas. Wie war das möglich?

"Das hat, kurz gesagt, etwas mit Wirtschaft und nicht mit Politik oder Demokratie zu tun. Lee Myung-baks Sieg war seit langem erwartet worden. So wie eine nicht aufzuhaltende Flut, gegen die niemand Widerstand zu leisten wagt."

Warum?

"Zwei Hauptfaktoren führten zu seinem scheinbar überwältigenden Sieg. Eine ist die grauenhafte wirtschaftliche Lage im unteren Teil der Gesellschaft. Auch wenn die noch amtierende Regierung von Roh Moo-hyun behauptet, dass es um die Wirtschaft nicht schlecht bestellt sei, fühlt der größte Teil der Mittelschicht und der Arbeiterklasse, dass die Situation noch schlechter ist als während der so genannten ,IWF-Krise' von 1997-99.

Der andere Faktor ist die Unbeliebtheit von Roh's Regierung, die eine Kombination von wirtschaftlichen Reformen (das heißt neoliberalen Reformen) und politischen Reformen versucht hat. Jedenfalls ist sie mit den letzteren gescheitert, während sie bei den ersteren erfolgreich war.

So war Roh's Politik und Regime für die einfachen Leute ein Desaster. Infolgedessen stürzte die ehemals astronomisch hohe Zustimmungsrate von Präsident Roh von über 90% kurz nach seinem Impeachment-Verfahren im Jahr 2004 auf weniger als 10% in diesem Jahr ab. Roh's Don Quichotte-artiger Rede- und Handlungsstil mag als Hauptgrund dafür genannt werden, aber der wahre Grund liegt tiefer.

Seine Versuche, die demokratischen Reformen durchzuführen, scheiterten angesichts des reaktionären Widerstandes der Hanara-Partei (Grand National Party) und der reaktionären Medienhysterie unglücklich. Eines der offenkundigsten Beispiele dafür ist sein fehlgeschlagener Versuch das allseits bekannte National Security Law abzuschaffen. Das misslang obwohl es de facto toter Buchstabe war und er dabei über massive Unterstützung verfügte. Außerdem verabschiedete sich Roh von seiner anfänglich sozialdemokratischen oder zumindest populistischen Haltung und übernahm, im Namen der Realpolitik, pro-neoliberale, pro-imperialistische und Pro-US-Positionen.

Auf diese Weise brach seine Wählerbasis rasch in sich zusammen. Vor diesem Hintergrund war sogar die regierende United New Democratic Party (UNDP) gezwungen zu Präsident Roh auf Distanz zu gehen, um als Partei zu überleben. Die demütigende Niederlage seines Kandidaten Chung Dong-young war somit unvermeidlich. In jedem Fall ist, wie ich bereits sagte, die wirtschaftliche Lage der Hauptgrund für dieses Wahlergebnis.

Die wirtschaftliche Situation in Südkorea ist durch eine mehrfache Polarisierung der Ökonomie und der Klassenstruktur gekennzeichnet und schafft große Mengen an Gelegenheitsarbeitern, die prekär beschäftigt und unterbezahlt sind. Auch die Selbständigen wurden vom wirtschaftlichen Abschwung hart in Mitleidenschaft gezogen, während eine kleine Anzahl an Chaebols (Großkonzernen) die Früchte der Prosperität genießt.

In diesem Kontext setzen rückständige Teile der Arbeiterklasse und vor allem ein Großteil der Mittelschicht ihre letzte Hoffnung auf Lee Myung-bak, der den Mythos des Bulldozers für das Wirtschaftswunder in den 70er Jahren geradezu personifiziert. Es gelang ihm, trotz einer Reihe von Finanzskandalen, dieses Image aufrechtzuerhalten."

Wieso hat ihm der Korruptionsverdacht nicht geschadet?

"Viele Leute denken, dass er korrupt ist, aber die meisten von ihnen scheren sich nicht darum. Ihnen geht es nur darum, ob er die Wirtschaft wieder in Gang bringen kann... Auch wenn er korrupt ist, ist er in der Lage die Wirtschaft voran zu bringen. Das war die vorherrschende Logik des allgemeinen Empfindens. Diejenigen, die Lee gegenüber kritisch eingestellt waren, entschieden sich eher dafür, nicht zur Wahl zu gehen, als für andere Kandidaten zu stimmen. Das ist der Grund warum bei diesen Wahlen die bislang höchste Rate an Wahlverweigerung registriert wurde. (Rund 30%. Das ist die niedrigste Beteiligung an einer Präsidentschaftswahl überhaupt.) Auch wenn Lees Stimmenanteil beeindruckend erscheint, stellt seine aktuelle Stimmenzahl gerade mal ein Drittel der gesamten Wählerschaft dar. Dies wird eine der Quellen der bald zu erwartenden politischen Instabilität der neuen Regierung sein."

In der heißen Phase des Wahlkampfes erklärte einer der beiden gewerkschaftlichen Dachverbände, die FKTU, nach einer umstrittenen Umfrage unter ihren Mitgliedern ihre Unterstützung für Lee Myung-bak. Ein Chefmanager, der als Hardliner bekannt ist und "der Bulldozer" genannt wird, unterstützt von einem Teil der Gewerkschaften... Warum?

"Historisch war die FKTU ein Produkt der antikommunistischen Politik im Kalten Krieg. Sie war nie eine unabhängige Organisation der Arbeiterklasse. Vielmehr war sie ein politisches und organisatorisches Instrument der reaktionären Militärdiktatur zur Unterdrückung des Arbeiterwiderstandes.

Seit Ende der 80er Jahre stand sie einem wachsenden Widerstand von unten gegenüber und schließlich entstand eine unabhängige und demokratische Gewerkschaftsbewegung als ihre Rivalin. Eine Bewegung, die im historischen Großen Arbeiterkampf von 1987 kulminierte und in der darauf folgenden Gründung der KCTU 1995.

Angesichts des rivalisierenden Gewerkschaftsbundes ging die FKTU-Führung in die Hände eines gemäßigt reformistischen Flügels über. Wobei auch die Reformer weiterhin für die Zusammenarbeit mit der Regierung und den Arbeitergebern eintraten. Daher spielte die FKTU, obwohl sie offiziell der größte Gewerkschaftsbund ist, in den letzten zwei Jahrzehnten bei den Arbeitskämpfen nur eine untergeordnete Rolle. Nachdem sie ihre Beziehungen zur Regierung formal abgebrochen hatte, verfolgte sie einen Zickzackkurs, unterstützte Kim Dae-jung und verfolgte eine unabhängige Politik in Opposition zur (mitte-linken, KCTU nahen) Democratic Labour Party (DLP).

Wie auch immer, bei diesen Wahlen bot sich der FKTU eine hervorragende Gelegenheit den neokonservativen Kandidaten zu unterstützen, ohne irgendeine interne oder externe Kritik befürchten zu müssen. Während des Wahlkampfes forderte die FKTU-Führung eine schriftliche Entschuldigung von der DLP, weil diese die FKTU als gelbe Gewerkschaft bezeichnet hatte.

In Anbetracht der möglichen FKTU-Unterstützung schickte der DLP-Vorstand ihr diese Entschuldigung. Als die Nachricht allerdings bekannt wurde, gab es an der DLP- und der KCTU-Basis einen Sturm der Entrüstung über die DLP-Führung. Aufgrund des wachsenden Protests zog die DLP-Führung ihre Entschuldigung zurück und verlor damit einen möglichen Verbündeten. Für die FKTU-Führung eine prima Gelegenheit für politische Manöver. Nach der Umfrage unter ihren Mitgliedern beschloss die FKTU-Spitze Lee Myung-bak zu unterstützen. Das war keine wirkliche Überraschung!"

Einst wurde die Republik Korea als ökonomischer "Tigerstaat" bezeichnet. Dann kam die asiatische Finanzkrise von 1997/98. Wie sieht die wirtschaftliche und soziale Situation - über das hinaus, was Du bereits gesagt hast - heute aus?

"In wirtschaftlichen Krisenzeiten werden die Lasten der Krise immer der Arbeiterklasse und der Mittelschicht aufgebürdet. Zu Anfang der 2000er Jahre zeigte die Wirtschaft einen kurzen Aufschwung, aber die wirtschaftliche und soziale Basis war sehr stark polarisiert und von einer Mittelschicht war nichts zu sehen. Prekär Beschäftigte und Gelegenheitsarbeiter wurden zur Mehrheit der erwerbstätigen Bevölkerung. Eine vielfältige Klassenpolarisierung drängte die Mehrheit der arbeitenden Menschen an den Rand der Gesellschaft. Diejenigen, die einen Arbeitsplatz besaßen, lebten unter der ständigen Drohung von Umstrukturierungen. Was dazu führte, dass die Mehrheit der Leute die wirtschaftliche Instabilität am eigenen Leib spürten. Die einzige Ausnahme bildete eine Handvoll Superreiche. Diese Instabilität und Angst ist das Bollwerk von Lee Myung-baks Massenunterstützung. Da es ein Mythos ist, der auf keinem faktischen Beweis beruht, sondern auf der Sehnsucht der Leute, erweist sich sein Image als ein fähiger Wirtschaftskapitän als unbesiegbar. Diese traurige und politisch gefährliche Tatsache zeigt wie tief die ökonomische Unsicherheit in das Massenbewusstsein eingedrungen ist."

Das zu Ende gehende Jahr 2007 war durch große Mobilisierungen gegen das Freihandelsabkommen mit den USA und durch bedeutende Arbeitskämpfe, wie die Auseinandersetzung bei E-Land und den Kampf der Metallarbeiter, gekennzeichnet. Es hat den Anschein als gäbe es einen Neuaufschwung der sozialen und Arbeiterbewegung nach einem Niedergang in den letzten Jahren. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Kämpfen?

"Im Gegensatz zu dem Eindruck, den man im Ausland vom Kampf gegen das Freihandelsabkommen zwischen Korea und den USA gewinnt, war es ein Misserfolg. Die erwartete Auswirkung des Freihandelsabkommens ermutigte verschiedene Kräfte und Bewegungen sich zusammenzuschließen, aber eine schwache Führung und das interne Gebaren der Bewegung sorgten dafür, dass der Elan verloren ging, der nötig gewesen wäre, um die Verhandlungen über das Abkommen scheitern zu lassen.

Die von der pro-nordkoreanischen, nationalistischen Tendenz dominierte Führung der Bewegung vermied die direkte Konfrontation mit der Regierung von Roh Moo-hyun. Der jüngste Kampf bei E-Land ist bedeutend, stellt aber keinen Neuaufschwung der Arbeiterbewegung dar. Vielmehr repräsentiert er die fortwährende Not und generelle Krise der Bewegung.

Insbesondere die gemäßigte Führung der KCTU hat es versäumt, die volle Unterstützung der befristet Beschäftigten bei E-Land zu organisieren. Die wirtschaftliche Krise führt zu einer Polarisierung unter den Arbeitern, indem sie die Zahl der an den Rand gedrängten und nur befristet beschäftigen Arbeiter steigen lässt.

Seit Beginn der Wirtschaftskrise wurden die Arbeiterkämpfe nicht von gewerkschaftlich organisierten regulär Beschäftigten, sondern von ungeschützten, befristet Beschäftigten angeführt. Andererseits dachte die gemäßigte KCTU-Führung, sie könnte eine Lösung finden, um einen Kompromiss mit dem neoliberalen Roh-Moo-hyun-Regime zu schließen."

Im Januar 2000 gründete ein beachtlicher Teil der KCTU-Aktivisten die Democratic Labor Party (Minju Nodong-dan), die bei den Parlamentswahlen vom 15.April 2004 mit 2,77 Millionen Stimmen (13,0 %) drittstärkste Karft wurde und 10 Sitze in der Nationalversammlung errang. Trotz der großen Mobilisierungen in diesem Jahr bekam der Spitzenkandidat der DLP, Kwon Young-ghil, nun allerdings nur 712.000 Stimmen (3,0 %). Das ist weniger als bei den vorangegangenen Präsidentschaftswahlen im Dezember 2002 als er 957.000 Stimmen (3,9 %) erreichte. Kannst Du dieses Ergebnis erklären?

"In der vom Kalten Krieg geplagten Politik Südkoreas war der Spielraum für radikale Politik oder politische Bewegungen gering. So hinderte der Antikommunismus die Arbeiter- und Volksbewegung, trotz heldenhafter Kämpfe, daran eine langfristige Arbeiterpolitik zu entwickeln.

Die Bildung der Democratic Labour Party (DLP) war eine der Lehren, die aus dem Generalstreik im Winter 1996/97 gezogen wurden. In der Anfangszeit war das Leben für die DLP sehr hart, aber während des Impeachment-Verfahrens gegen den Präsidenten schufen eine explosive Wut unter den Massen und die überwältigende Unterstützung für Roh Moo-hyun einen gewissen Spielraum für fortschrittliche Politik. Dadurch gelang der DLP der Sprung in die institutionelle Politik.

Nach dem der Großteil der nationalistischen Tendenz der Partei beigetreten war, beherrschte der Kampf zwischen den Fraktionen um die Hegemonie die interne Auseinandersetzung. In den letzten Jahren gab es immer wieder dieselben Versäumnisse und Fehlschläge, was dazu führte, dass die Partei ein Menge Chancen verspielte, um Stimmen zu sammeln und Wahlen zu gewinnen. Die Präsidentschaftswahl war, offen gesagt, eine schlimme Niederlage für die DLP. Nicht nur wegen ihrer geringen Stimmenzahl von 712.000 Stimmen, was weniger ist als die Mitgliederzahl der KCTU von 800.000 und weniger als das Ergebnis von Moon Kook-hyun, einem neuen Gesicht mit der Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung .

Sondern vor allem weil der Wahlkampfslogan ,Für die Bundesrepublik Korea!' inmitten der Kontroverse um die wirtschaftliche Lage völlig deplaciert war. Die Linke innerhalb der DLP hat diese Parole kritisiert, aber die Mehrheit stellte sich jeder Kritik gegenüber taub. In gewisser Hinsicht war der Wahlkampf der DLP beinahe ein politischer Selbstmord.

Du sprichst von "Versäumnissen und Fehlschlägen" der DLP, die sich immer wieder wiederholten. An was denkst Du da?

"Nun, am Anfang war die pro-nordkoreanische Tendenz mit dem Aufbau einer politischen Partei nicht einverstanden, weil von ihrem Standpunkt aus die Partei im Norden bereits existierte und wir im Süden eine nationale Front wie die Nationale Befreiungsfront (FNL) in Vietnam bräuchten.

Als die Partei allerdings mit ihrer Verwurzelung in der Arbeiterklasse bzw. der Gewerkschaftsbewegung Gestalt annahm, änderten sie ihre Position, strömten in großem Umfang in die DLP und übernahmen bald die Kontrolle über sie, indem sie zur stärksten Fraktion wurden.

Einer der bedeutendsten Fehlschläge war das Wahlfiasko in Ulsan, einer historischen Arbeiterstadt und einem Mekka der südkoreanischen Arbeiterbewegung. Im Jahr 2000 lehnte der Kreisverband Ulsan der DLP, der mehrere hundert Mitglied zählt, die Forderung der Automobilarbeitergewerkschaft Hyundai Motors Trade Union (mit 40.000 Mitgliedern) ab, einen Arbeiterkandidaten aufzustellen. Sie präsentierte stattdessen einen Kandidaten der nationalistischen Tendenz und verlor die Wahl. Damit war auch die Chance verspielt, einen Arbeiter in die Nationalversammlung zu wählen."

Wie wertet die DLP ihre jetzige Niederlage aus?

"Im Anschluss an die Wahlen nahm die Polemik über die Führung des Wahlkampfes an Schärfe zu und machten Gerüchte über eine mögliche Spaltung der Partei die Runde. Nach langen Debatten und zum Teil heftigen persönlichen Beschimpfungen beschloss das DLP-Zentralkomitee am 19.Januar 2008 mit 161 von 272 Stimmen bis zum nächsten Parteitag eine Notstandsführung einzusetzen und wählte mit 171 gegen 77 Stimmen die DLP-Abgeordnete und ehemalige Gewerkschaftsführerin Shim Sang-jung übergangsweise zur Vorsitzenden. Sie war im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen dem DLP-Kandidaten Kwon Young-ghil bei den internen Vorwahlen unterlegen und wird dem linken Parteiflügel zugerechnet. Shim wurde als die einzige Option für das Überleben der Partei betrachtet

Die Zukunft der Partei ist allerdings nach wie vor ungewiss. Der Unmut und die Sabotage des pro-nordkoreanischen Flügels ist ein Problem für sie, da sie innerhalb der Partei nur über die Unterstützung einer Minderheit verfügt. Wie auch immer, angesichts der anstehenden Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr wirkt die interne Auseinandersetzung zwischen Karrieristen um die sicheren Listenplätze einer Spaltung ironischerweise eher entgegen. Die DLP hat damit geprahlt, dass sie die drittstärkste Partei sei.

Drittstärkste Partei war sie, allerdings nur mit zehn Sitzen im Parlament, während die beiden großen Parteien - die Regierungs- und die wichtigste Oppositionspartei - jeweils über mehr als hundert Abgeordnete verfügen. Darüber hinaus gewann die DLP in 250 Direktwahlkreisen gerade mal zwei Sitze. (Und einen davon verlor sie hinter wegen Unregelmäßigkeiten im Wahlkampf hinterher wieder, so dass sie nur noch mit 9 Abgeordneten dastand.)

Auch wenn sie die drittstärkste Partei ist, besitzt sie nur sehr wenige Kandidaten, die ein Direktmandat erringen können. Im Augenblick ist die Mehrheitstendenz, aber auch der Teil der DLP-Linken, der auf einem Bruch mit der pro-nordkoreanischen Tendenz bestand, marginalisiert und scheint die Partei unter Shims symbolischer Führung geeint. Dennoch haben in den letzten Wochen Hunderte Mitglieder die Partei verlassen. Diese Gruppen und Individuen sagen, dass sie ein Komitee gründen wollen, um eine neue Partei aufzubauen. Sie attackieren Shims Führung wegen ihres nicht vollzogenen Bruchs mit den Nationalisten und unterhalten enge Kontakte zu den linken Kräften außerhalb der DLP. Im Augenblick ist die Situation noch unklar.

Die Gruppen und Einzelpersonen, die sich von der DLP abgespalten haben, sind alles andere als homogen und streiten untereinander darüber, welche Art von Partei sie aufbauen wollen, wer Mitglied sein soll usw. Entscheidend für den weiteren Verlauf wird sein, wie viele Sitze sich die DLP bei den kommenden Wahlen trotz ihres armseligen Ergebnisses bei den Präsidentschaftswahlen und den zunehmenden internen Konflikten sichern kann. Es ist im Augenblick schwer da genaue Prognosen abzugeben, weil es sehr wahrscheinlich eine Wählerwanderung geben wird, aber die DLP wird intern und extern ihre bisher schwerste Krise erleben.

Weil die DLP im Gegensatz zu einer äußerlichen Stärke nach wie vor sehr viel instabiler und zerbrechlicher ist als eine voll entwickelte politische Partei. Darin spiegelt sich in gewissem Maße die strukturelle Instabilität der südkoreanischen Politik wider."

Welche Perspektiven haben die fortschrittlichen und sozialistischen Kräfte in Südkorea?

"Lee Myung-bak's Triumph war erwartet worden. Dennoch ist er ein Schock für die fortschrittlichen Kräfte in Südkorea. Die DLP ist keiner Weise eine sozialistische Partei, vielleicht noch nicht mal eine sozialdemokratische. Daher steht, trotz der ausschließlichen Unterstützung durch die Arbeiter- und die Volksbewegung, die Vorherrschaft der pro-nordkoreanischen nationalistischen Tendenz massiv unter Druck. Gleichzeitig ist die radikale Linke, die der DLP kritisch gegenübersteht, schwach und zersplittert."

Kannst Du das konkretisieren?

"Außerhalb der DLP gibt es die Gruppe Power of Working Class (PWC), der ich angehöre, und andere linke Gruppen (z.B. die Socialist Party of Korea, die bei den Parlamentswahlen 2004 0,2% der Stimmen errang), inklusive ultralinker sektiererischer Kleingruppen. Einige dieser Gruppen (auch die PWC) wollen eine Arbeiterpartei aufbauen, während andere dagegen sind. In jüngster Zeit wurden die meisten von ihnen ziemlich marginalisiert und machen interne Krisen durch. Sie alle standen der DLP und ihrem Wahlkampf kritisch gegenüber. Seit die DLP nach den Wahlen selbst in die Krise geriet, stehen die linken Gruppen vor der Frage, wie die Krise der Bewegung überwunden und eine ernsthafte Alternative zur DLP geschaffen werden kann, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten untereinander gibt.

Die nicht der DLP angehörenden Gruppen haben sich am Freitag, den 18.Januar 2008 zu einer Konferenz getroffen, um die Lage zu diskutieren. Dort wurde ebenfalls der Vorschlag gemacht eine antikapitalistische, sozialistische Partei aufzubauen und viele Teilnehmer stimmten der Gründung einer alternativen Partei zur DLP zu. Über den Weg dahin und die Beteiligten gibt es allerdings noch einigen Diskussionsbedarf.

Die Konferenzteilnehmer einigten sich darauf die Initiatorengruppe aufrechtzuerhalten und konkretere Vorschläge zu erarbeiten. Wie viel daraus wird lässt sich im Augenblick schlecht sagen, auch wenn die objektiven Voraussetzungen und die Atmosphäre für eine vereinigte linkssozialistische Partei vorhanden sind. Und die Krise der Massenbewegung, einschließlich der KCTU ist aufgrund der großen Müdigkeit / Erschöpfung der Führung und der Aktivisten an der Basis sowie der jüngsten Misserfolge gegenüber den neoliberalen Angriffen nicht leicht zu überwinden, auch wenn es heldenhafte Kämpfe und Teilerfolge gegeben hat. Die Arbeiter- und die Massenbewegungen müssen sich jedoch selbst als eine Alternative zum Neoliberalismus etablieren.

Sowohl innerhalb als auch außerhalb der institutionellen Politik ist unter der Regierung Lee Myung-baks eine Neuausrichtung unvermeidlich. Weil seine Wahl das Ende einer Dekade sozialliberaler Herrschaft in Südkorea bedeutet. Und speziell die zu hohen Erwartungen an die neue Regierung werden Präsident Lee Myung-bak aller Voraussicht nach stark unter Druck setzen. Anstatt zu wirtschaftlicher Prosperität und politischer Stabilität wird das zu noch größerer Instabilität der politischen Ökonomie des südkoreanischen Kapitalismus und zu einer neuen Phase von Klassenkämpfen führen. Die Volksbewegung und die sozialistische Politik werden von diesen zu erwartenden Turbulenzen unter dem Neoliberalismus nicht frei sein und noch stärker vor der Herausforderung stehen, eine sozialistische Alternative dazu zu schaffen."

Vorbemerkung und Einfügungen in Klammern: * Rosso

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://www.freewebtown.com/antifauni/ Rubrik "Aktuelles" bzw. die regelmäßig erneuerten Artikel, Übersetzungen und Interviews dort). Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen per Mail an: negroamaro@mymail.ch


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