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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gewerkschaften unterschrieben Lohnkürzung - die Hälfte der Belegschaft nicht...

"Angefangen hat der Konflikt mit dem Entscheid des Kapitalbesitzers, seinen Profit zu vergrössern oder jedenfalls nicht zu vermindern und zu diesem Zweck die Ausbeutung der Arbeitskraft (es sind 68 ArbeiterInnen, davon 15 Frauen, die aus verschiedenen Ländern stammen, hier beschäftigt) einer neuen Arbeitsvermittlungsfirma, der Produktivgenossenschaft UCSA1, zu verpachten, deren Zügel sich in den Händen von Räubern befinden, die mit FIEGE vollkommen übereinstimmen. UCSA, die seit dem 15. Dezember formell die Produktivgenossenschaft RSZ New Project ersetzt, hat den Beschäftigten einen massiv schlechteren Vertrag vorgelegt, nämlich jenen für die Reinigungsangestellten ("contratto multiservizi") anstelle des Vertrages für das Transportwesen. Mit dieser Niederträchtigkeit wären die Löhne von gegenwärtig sieben Euro (netto) auf fünf Euro pro Stunde und die Wochenarbeitszeit von 40 auf 24 Stunden gesenkt - und so die schwarz gearbeitete Zeit verlängert worden. Am 15. und 16. Dezember streiken alle 68 Arbeiterinnen und Arbeiter vereint gegen diese Absichten" - so beginnt der (übersetzte) Bericht "Die zwanzig Tage eines beispielhaften Arbeiterkampfs beim Logistikmulti FIEGE in Brembio" von operaicontro.it von Anfang Januar 2010.

Die zwanzig Tage eines beispielhaften Arbeiterkampfs beim Logistikmulti FIEGE in Brembio

Angefangen hat der Konflikt mit dem Entscheid des Kapitalbesitzers, seinen Profit zu vergrössern oder jedenfalls nicht zu vermindern und zu diesem Zweck die Ausbeutung der Arbeitskraft (es sind 68 ArbeiterInnen, davon 15 Frauen, die aus verschiedenen Ländern stammen, hier beschäftigt) einer neuen Arbeitsvermittlungsfirma, der Produktivgenossenschaft UCSA, zu verpachten, deren Zügel sich in den Händen von Räubern befinden, die mit FIEGE vollkommen übereinstimmen. UCSA, die seit dem 15. Dezember formell die Produktivgenossenschaft RSZ New Project ersetzt, hat den Beschäftigten einen massiv schlechteren Vertrag vorgelegt, nämlich jenen für die Reinigungsangestellten ("contratto multiservizi") anstelle des Vertrages für das Transportwesen.

Mit dieser Niederträchtigkeit wären die Löhne von gegenwärtig sieben Euro (netto) auf fünf Euro pro Stunde und die Wochenarbeitszeit von 40 auf 24 Stunden gesenkt - und so die schwarz gearbeitete Zeit verlängert worden. Am 15. und 16. Dezember streiken alle 68 Arbeiterinnen und Arbeiter vereint gegen diese Absichten.

Nachdem das Dreigespann CGIL-CISL-UIL die Vorschläge des Unternehmens unterschrieben hat, lädt es am Mittwoch, 30. Dezember die ArbeiterInnen zu einer Versammlung ein. Nach den Drohungen und Erpressungen von FIEGE und UCSA und nach den vom Dreigespann geschürten Ängsten ist die Versammlung gespalten: Die eine Hälfte weigert sich, das Abkommen zu unterschreiben, die andere hingegen stimmt ihm zu. Die 35 ArbeiterInnen, die sich weigern, sich den Strick selber um den Hals zu legen, vollbringen eine grossartige Tat: Sie beschliessen eigenmächtig zu streiken, und zwar sofort. Das Ziel ist klar: Arbeit zu den bisherigen Bedingungen, keinerlei vertragliche und lohnmässige Verschlechterungen, keine einzige Entlassung, keine Versetzungen (versteckte Entlassungen) ...

Um etwa 14 Uhr, kaum haben sie die Versammlung verlassen, gehen sie zum Vorplatz und blockieren die Ein- und Ausfahrt der Lastwagen. Unverzüglich rufen die Chefs des Unternehmens Polizei und Carabinieri. Als diese vor Ort eintreffen, drohen und erpressen sie die ArbeiterInnen, indem sie sie anschreien und einschüchtern, sie würden ihre Arbeit und damit die Aufenthaltsbewilligung verlieren. Dann verlangen sie, dass sie ihre Ausweise vorzeigen. Die ArbeiterInnen lassen sich davon nicht beeindrucken. Entschlossen setzen sie die Blockade fort. Verstärkung erhalten sie von Fulvio, dem lokalen Koordinator des SLAI COBAS, der sich ihnen anschliesst. Nachdem sie eingesehen haben, dass die Drohungen ihre Wirkung verfehlen, entschliessen sich die über vierzig Polizisten und Carabinieri zum Angriff: Sie lassen die Schlagstöcke auf die ArbeiterInnen niederprasseln und versuchen, sie vom Werktor wegzuzerren.

Das Ergebnis dieses Gewaltakts sind zwei verletzte Arbeiterinnen und fünf verletzte Arbeiter, von denen vier in die Notfallklinik gebracht werden müssen. Dennoch gelingt es den Arbeiterinnen und Arbeitern, die Lage im Griff zu behalten und erneut das Tor zu besetzen. Kurz darauf erfolgt ein weiterer Angriff der Bullen, die blind vor Wut sind und nicht davor zurückschrecken, zwei Arbeiterinnen mit Handschellen ans Tor zu fesseln und schliesslich den Arbeiter Miri und den Gewerkschafter Fulvio zu verhaften.

Als sie von der Polizeigewalt gegen die ArbeiterInnen und von den Verhaftungen hören, eilen zahlreiche GenossInnen aus der Stadt und den umliegenden Dörfern herbei. Zusammen mit den Arbeiterinnen und Arbeitern ziehen sie vor das Polizeipräsidium von Lodi und verlangen die Freilassung der Verhafteten. Die Nachricht verbreitet sich, dass die beiden am folgenden Tag im Schnellverfahren abgeurteilt werden sollen. Darauf verabredet man sich für den nächsten Morgen um 6 Uhr vor dem "Megacenter" von FIEGE.

Am Donnerstag, 31. Dezember finden sich zur vereinbarten Stunde, zusammen mit den kämpfenden Arbeiterinnen und Arbeitern, über 40 GenossInnen aus den nahe gelegenen Städten und aus Mailand ein. Der Streikposten ist entschlossen, keine Lastwagen einfahren zu lassen. Diese müssen auf den Parkplätzen bleiben. Es werden Spruchbänder aufgehängt: "Alla crisi dei padroni rispondiamo con la lotta" (Auf die Krise der Unternehmer antworten wir mit dem Kampf).

Der Zugang zum Logistikzentrum ist geschlossen und sieht verlassen aus. Polizei und Carabinieri tauchen auf und verschwinden wieder. Einigen Arbeitern, die den Vertrag unterzeichnet haben, einigen Angestellten und dem Chef von FIEGE wird erlaubt, hineinzugehen. Der Streikposten ruft alle auf, sich dem Streik anzuschliessen und ihre Solidarität zu zeigen: gegen den niederträchtigen Vertrag, gegen die Verhaftungen und die Polizeiknüppel des vergangenen Abends. Um 11 Uhr erreicht der an Zahl und Begeisterung angewachsene Zug das Gerichtsgebäude und dringt trotz der anwesenden Polizei ein. "Fulvio libero, Miri libero" (Fulvio frei! Miri frei!) hallt es durch die Gänge des unfreundlichen Ortes. Nach der rechtskräftigen Feststellung der Verhaftung sollen die Genossen freigelassen werden. Der Prozess werde am 23. Januar 2010 stattfinden.

Beflügelt von der Freilassung der Verhafteten, bildet sich ein spontaner Umzug zur Präfektur, wo ein Treffen zwischen den Unternehmern und den Gewerkschaften stattfinden soll, einschliesslich SLAI und Arbeiterdelegation von FIEGE. Der Demonstrationszug durchquert verschiedene Strassen und macht das Vorgefallene bekannt. Es werden Sprechchöre zur Unterstützung des Kampfes und zur Klassensolidarität gerufen. Gegen 14 Uhr treffen Miri und Fulvio ein. So kann sich auch Fulvio der Verhandlungsdelegation anschliessen. Das Ergebnis dieses Tages ist eine klare Verstärkung des Kampfes. Das Treffen in der Präfektur schliesslich benützen die staatlichen Organe einzig dazu, jegliche Verantwortung auf das Unternehmen abzuwälzen, um sich so vom üblen Ruf reinzuwaschen, den sie sich mit dem Polizeieinsatz eingehandelt haben.

Am Montag, 4. Januar 2010 beginnt um 5.30 Uhr die Blockade der ein- und ausfahrenden Lastwagen, eine halbe Stunde, bevor die erste Schicht zu arbeiten anfängt. Zusammen mit den Arbeiterinnen und Arbeitern sind über 100 GenossInnen aus den umliegendenden Dörfern und Städten sowie aus Mailand, Turin, Parma, Brescia... anwesend. Die Staatsgewalt lässt sich kaum blicken. Mit dem Beschluss zur Aussperrung fährt das Unternehmen die gleiche Linie.

Um die Solidarität mit dem Streik auszuweiten, verschiebt sich ein grosser Teil der Besetzer nach Lodi, wo ein Demonstrationszug vom Gerichtsgebäude bis zur Präfektur zieht. Dort hält er sich etwa eine Stunde auf, um den Passanten den Verlauf des Kampfes zu erklären. Fernsehen und Lokalzeitungen tauchen am Streikposten beim Platz vor dem FIEGE-Logistik­zentrum auf, filmen und machen Interviews.

Am Nachmittag nimmt die Besetzung vor dem Werktor wieder zu. Klar gibt es nun die Aussperrung, aber wenn auch nicht zahlreich, so kommen doch immer wieder volle und leere Lastwagen an. Die LKW-Fahrer hören sich die Gründe des Kampfes an, solidarisieren sich und verschenken Gebäck und Wein. Einige nähern sich den Feuertonnen, trinken Tee und mischen sich unter die Besetzer. Aus den umliegenden Dörfern kommen alte Leute und junge GenossInnen mit Brennholz vorbei. Bevor es dunkel wird, beschliesst die Versammlung aller vor Ort Anwesenden, den Streikposten "wenigstens bis 23 Uhr" aufrechtzuerhalten. Treffpunkt am nächsten Morgen um die gleiche Zeit.

Während diese Beschlüsse gefasst werden, ruft auf dem Handy der Anwalt der UCSA an und will wissen, ob die Bereitschaft zu Verhandlungen bestehe, sofort und unter der Bedingung, dass der Gaunervertrag vollumfänglich in Kraft trete. Es ist noch nicht 18 Uhr. Wenn jetzt die Besetzung auf­gegeben würde, so wahrscheinlich die Überlegung des Unternehmers, wäre es möglich, die am meisten eingeschüchterten ArbeiterInnen anzurufen und mit ihrer Hilfe eine schöne Menge an Waren abzufertigen.

Die Antwort der Arbeiterinnen und Arbeiter erfolgt einstimmig und unmittelbar: Hier sind wir und hier bleiben wir bis zum Sieg! Das Gefühl, den Unternehmer in die Knie gezwungen zu haben, steht allen Anwesenden ins Gesicht geschrieben. Es dauert nicht lange, da sind die Chefs von FIEGE und UCSA bereits vor Ort. Die Arbeiterdelegation und die Koordinatoren des SLAI begeben sich mit ihnen in die Firmenbüros. Nach etwa einer halben Stunde kommen sie wieder heraus, in der Hand eine Erklärung, aus der einzig hervorgeht, dass es keine Entlassungen gibt. Die gesamte Thematik werde morgen Nachmittag wieder aufgenommen. Aber um welche Zeit? Zuerst um 19 Uhr, dann um 17 Uhr und schliesslich um 15 Uhr. Die Unternehmer wollen die Sache abschliessen, zuviel Geld verlieren sie, die Eile hat sie gepackt.

Am Dienstag, 5. Januar um die vereinbarte Zeit ist der Streikposten wieder bereit. Auch wenn es weniger sind, die Entschlossenheit ist dieselbe wie in den vorausgegangenen Tagen, wenn nicht grösser. Die Lastwagen kommen an und fahren gleich wieder weg. Polizei und Carabinieri verhalten sich gleich wie gestern. Die Blockade ist allmählich dichter. Arbeiterinnen und Arbeiter, die den Vertrag unterzeichnet haben, zeigen sich mit ihren KollegInnen. Gegen 17 Uhr kommen die Unternehmer und die Gewerkschaften CGIL und CISL, die unweigerlich mit dem Ruf "Vergogna" (Schande) empfangen werden. Zu ihnen stösst die Arbeiterdelegation, zusammen mit den Koordinatoren des SLAI. Vom Vorplatz aus wird die Verhandlung mitverfolgt und von Sprechchören "Se non cederà, il presidio proseguirà" (Wenn nicht nachgegeben wird, wird die Besetzung weitergehen), "Se ci sono i disoccupati, la colpa è dei padroni e non degli immigrati" (Wenn es Arbeitslose gibt, ist es die Schuld der Unternehmer und nicht der Einwanderer) sowie einem Hupkonzert begleitet.

Nach nicht einmal einer Stunde ist die Sitzung beendet. Der Gaunervertrag ist vollkommen nichtig. Für alle gilt wieder alles wie vor dem 15. Dezember, und: Darüber hinaus gilt von heute an, jedoch rückwirkend auf den Tag der Anstellung, unwiderruflich der Landesvertrag für das Transportwesen. In den sieben Jahren Tätigkeit des "Megacenters" von FIEGE und den Produktivgenossenschaften wurde durch Nichteinhaltung des Landesvertrages - über diese Ungesetzlichkeit hinaus - den Arbeiterinnen und Arbeitern etwa 3 Euro pro Stunde entzogen.

Wer seit einigen Jahren unter diesen Bedingungen arbeite, dem muss nun das unrechtmässig Vorenthaltene zurückerstattet werden, und das sind schnell einmal mehrere tausend Euro.

Es ist ein Sieg der Würde, der Entschlossenheit, des Klassenbewusstseins und der Einheit. Eine konkrete Praxis all jener, die sich heute auf den Kampf gegen die Ausbeutung und gegen jede Art von Spaltung beziehen, angefangen von der erzwungenen Emigration und dem Kampf gegen den imperialistischen Krieg.

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In der Nähe vom Brembio, einer Ortschaft ungefähr 10 km südlich von Lodi, inmitten von Autobahn, Staatsstrasse 9 und Eisenbahnlinie Bologna-Mailand, ist 2002 eines der zahlreichen Zentren des deutschen Logistikmultis FIEGE eingerichtet worden, für die Einlagerung und den Umschlag von Waren aller Art. Das Gründungsjahr von FIEGE ist 1873. Seither hat das Unternehmen in Zentral- und Osteuropa, aber auch in China Fuss gefasst. FIEGE Italien hat 1995 die Gesellschaft Borruso geschluckt und zählt heute 14 Logistikzentren mit 1100 Vollzeitbeschäftigten. Der Standort Brembio verfügt über 32'000 m2 überdachte Flächen, mit Ausbaumöglichkeit bis zu 80'000 m2, vollständig mit Sprechfunk ausgerüstet, Sprinkleranlagen und Bahnanschluss. Die Logistikplattform von Brembio hat einen täglichen Warenumschlag von über 1000 Tonnen.

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Übersetzung eines Berichts auf www.operaicontro.it


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