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Updated: 18.12.2012 15:51
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Marseille / Korsika: Marseille / Korsika: Der Streik um die SNCM endet mit einer Niederlage

Privatisierung "wie in einer Bananenrepublik" (Zeitschrift Politis )

Der Konflikt um die in Marseille ansässige Schifffahrtsgesellschaft SNCM ( Société nationale Corse - Méditerranée ) endete am Donnerstag mit der Beendigung des Streiks, ohne dass die hinter dem Ausstand stehenden Forderungen erfüllt worden wären. "Spätestens am (heutigen) Freitag" sollten die Fährverbindungen mit Korsika, die - zahlenmäßig vor dem Schiffsverkehr von und nach Algerien rangierend - das Hauptgeschäft der SNCM bilden, wieder aufgenommen werden.

Am Donnerstag früh ließ die CGT von ihr organisierten Streikenden über die Wiederaufnahme der Arbeit, nach 22 Streiktagen, abstimmen. Die "postkommunistische" Gewerkschaft CGT bildet mit Abstand die stärkste Organisation der abhängig Beschäftigten bei der öffentlichen Transportgesellschaft SNCM. Die den Streikenden von ihr zur Urabstimmung vorgelegte Frage - Entweder "Ja zur Wiederaufnahme der Arbeit und Nein zum Konkurs" oder "Nein zur Wiederaufnahme der Arbeit und Ja zum Konkurs" - enthielt einen impliziten, aber unverkennbaren Hinweis auf die Stimmpräferenz der OrganisatorInnen der Befragung. Dagegen verweigerte die Führung der CGT-Seeleutegewerkschaft bei der SNCM jeden offiziellen Aufruf zu eine bestimmten Stimmabgabe. Auch Jean-Paul Israel, der landesweite Generalsekretär der CGT-Seeleute, enthielt sich jeder offiziellen Empfehlung für das Votum, ließ seinen Standpunkt aber ebenfalls durchblicken: "Wenn man in einem Unternehmen ist, kann der Kampf weitergehen. Wenn das kein Unternehmen mehr gibt, was dann..."

Das Votum fand unter dem Druck einer eindeutigen, von der Regierung (und der von ihr eingesetzten SNCM-Direktion unter Bruno Vergobbi) ausgehenden Erpressung statt: Entweder würde die Arbeitsniederlegung beendet, oder es würde zum Ende dieser (laufenden) Woche das Konkursverfahren für die SNCM eröffnet. Am Ende wirkte die Drohung mit der Konkurseröffnung, die das Risiko beinhaltet hätte, die 2.360 bestehenden Arbeitsplätze bei der SNCM allesamt vernichtet zu sehen.

Die Urabstimmung fand am Donnerstag Vormittag an Bord des Fährschiffs Méditerranée (Mittelmeer) statt, das seit dem 20. September durch die Streikenden besetzt war und im Marseiller Hafen lag. Aus diesem Anlass wurde nicht (wie oft in französischen Streikversammlungen) mit erhobener Hand, sondern in geheimer Wahl per Bulletin abgestimmt. Die Abstimmung endete mit einer "überwältigenden Mehrheit" (so die Formulierung in einem Radiobericht) für die Beendigung des Streiks. Konkret stimmten zwischen 87 und 88 Prozent einer Wiederaufnahme der Arbeit zu. Die GewerkschafterInnen hatten zu der Vollversammlung, bei der die Urabstimmung stattfand, auch einen Rechtsanwalt eingeladen, der den Anwesenden genau auseinandersetzen sollte, was die durch die Regierung für die nächsten Tage angedrohte Konkurseröffnung für die Beschäftigten bedeutet.

Positionen der unterschiedlichen Gewerkschaften

Die CGT war die treibende Hauptkraft hinter dem Ausstand, der am gestrigen Donnerstag endete. Ihre Bezirkssektion im Département von Marseille gehört zu den gegen die aktuelle CGT-Führung oppositionellen Verbänden, deren Mehrheit teils zu radikaleren Basiskräften und teils zu den orthodoxen Kommunisten (die gegen die "reformistische Aufweichung" ihrer post-realsozialistischen Partei kämpfen) gehört.

Am Vortag hatten kleinere, minoritäre Gewerkschaften vor ihr für die Wiederaufnahme der Arbeit plädiert. Die eher populistische FO, Force Ouvrière (die bei der SNCM vorwiegend die Schalterangestellten und kaum das "schwimmende" Personal an Bord der Schiffe repräsentiert), die christliche CFCT (die lediglich die Bordoffiziere vertritt) und eine weitere "Offiziersgewerkschaft" riefen ab Mittwoch zur Beendigung des Streiks auf. Damit erhielten sie breiten Raum in den Medien eingeräumt, etwa im laufenden Infoprogramm des öffentlichen Rund-um-die-Uhr-Sender "Radio France Info", was den Eindruck eines "Abbröckelns der Streikfront" erwecken sollte. Die beiden Bordoffiziers-Gewerkschaften hatten freilich bereits am Freitag voriger Woche das Gespräch mit den privaten Übernehmern der SNCM akzeptiert. - Dagegen hatten, neben der CGT, in den letzten Tagen noch die korsisch-nationalistische Gewerkschaft STC sowie die Transportgewerkschaft der CFDT (die in Opposition zu ihrer rechtssozialdemokratischen Verbandsspitze steht) den Ausstand unterstützt.

Der korsisch-nationalistische Gewerkschaftsverband STC ( Syndicat des travailleurs corses ) bzw. dessen Seeleutegewerkschaft ließ am Donnerstag die CGT vor seinen eigenen Leuten abstimmen. Im Anschluss rief auch die STC-Seeleutegewerkschaft im weiteren Verlauf des Donnerstag dazu auf, die Arbeit wieder aufzunehmen, aber erklärte sich "von der CGT verraten". Dabei handelt es sich freilich um einen taktischen Winkelzug, der allein der CGT den schwarzen Peter zuschieben soll. Tatsache ist, dass es eher die Auswirkung der knallharten Erpressung mit der Konkurseröffnung (und nicht so sehr der subjektive Wille der CGT) ist, der den überwiegenden Teil der Ausständischen für die Beendigung des Streiks und die Arbeitsaufnahme stimmen ließ.

Privatisierung "wie in einer Bananenrepublik"

Mit dem Ergebnis des über dreiwöchigen Streiks ist der Regierungsplan, wie er den Beschäftigten am 5. Oktober vorgeschlagen wurde, faktisch angenommen worden. D.h. er konnte durch die Erpressung mit der Konkursdrohung gegen den Willen einer breiten Mehrheit der Beschäftigten durchgesetzt werden. Der französisch-amerikanische Investmentfonds "Butler Capital Fonds" (der dem Finanzinspektor, und ehemaligen Studienfreund von Premierminister Dominique de Villepin, Walter Butler gehört) wird damit 38 Prozent der Anteile an der SNCM übernehmen. Die private Firma Connex, Ableger des Véolia- (ehemals Vivendi-)Konzerns, die einem persönlichen Freund von Präsident Jacques Chirac namens Henri Proglio gehört, wird ihrerseits 28 Prozent übernehmen. Der Staat behält einen Kapitalanteil von 25 Prozent, den er nach derzeitigen Äußerungen "vier bis fünf Jahre" zu behalten verspricht. Damit soll er zusammen mit den 9 Prozent der Kapitalanteile, die den Beschäftigten als Streuaktienbesitze übergeben werden sollen, eine "Sperrminorität" gegen eine eventuelle Zerschlagung der Gesellschaft bilden können - vorübergehend.

Angesichts der Tatsache, dass so offenkundig persönliche Spezis von Präsident Chirac und Premierminister de Villepin bedient werden, qualifizierte die linke Wochenzeitung " Politis " vom 13. Oktober diesen Privatisierungsplan als "einer Bananenrepublik würdig".

Andere Brennpunkte

Ein weiterer Konfliktpunkt bei der SNCM, der bisher nur durch allgemeine Versprechungen seitens der Regierung "gelöst" ist, betrifft die Forderung der Gewerkschaften, die geplante Einrichtung eines französischen Billigflaggenregisters im Mittelmeer zu verhindern. Die Einrichtung eines solchen Billigflaggenregisters, unter Rückgriff auf bis zu 75 Prozent Arbeitskräfte aus "Drittländern" (außerhalb der EU) mit Beschäftigungsbedingungen wie in ihren Herkunftsländern, ist unter dem Namen "Registre international français" (RIF) vorgesehen. Die Regierung hat sich bisher lediglich dazu verpflichtet, in dieser Sache "Gespräche" mit den hinter dieser Idee stehenden Reedereiverbänden anzustrengen.

Nach wie bestreikt ist in Marseille unterdessen das Metro- und Busliniennetz der städtischen Verkehrsbetriebe (RTF). Die RTM-Beschäftigten hatten sich im Zuge des Konflikts um die SNCM, zunächst aus Solidarität, in den allgemeinen Ausstand zahlreicher Branchen in Marseille eingereiht. Derzeit führen sie ihren eigenen Arbeitskampf fort, mit Lohnforderungen sowie zur Abwehr drohender Privatisierungstendenzen auch bei den Marseiller Verkehrsbetrieben.

Bernhard Schmid (Paris). 13. Oktober 05


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