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Updated: 18.12.2012 15:51
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Rechtmäßigkeit des CNE (Aushebelung des Kündigungsschutzes): Französische Regierung versucht gerichtliche Kontrolle zu verhindern. Dieser Versuch scheitert anscheinend

Am vergangenen Freitag hatte der Pariser Appellationshof (= Berufungsgericht, das in zweiter Instanz für Zivil- und Arbeitsrechtssachen zuständig ist) über ein brisantes Dossier zu urteilen. Dieses wurde umso explosiver dadurch, dass die Regierung im Vorfeld diese gerichtliche Kontrolle auszuschalten versucht hatte.

In dem Verfahren ging es faktisch um die Rechtmäßigkeit des CNE ( Contrat nouvelle embauche oder « Neueinstellungsvertrag »). Wir erinnern uns: Dieser neuartige Arbeitsvertrag wurde durch eine Regierungsverordnung vom 02. August 2005, mitten im Hochsommer und per «Überraschungsangriff», eingeführt. Er enthält eine zweijährige Probezeit, während dieser Periode von 24 Monaten ab Begründung des Arbeitsverhältnisses gilt der Kündigungsschutz nicht. Ein CNE kann für neu eingestellte Lohnabhängige in kleinen und mittelständischen Unternehmen (bis zu 20 Mitarbeiter/inne/n) abgeschlossen werden. Der Versuch der Regierung, denselben Mechanismus auch für die unter 26jährigen in Gestalt des CPE ( Contrat première embauche oder « Ersteinverstellungsvertrag ») einzuführen, scheiterte im April an massiven Protesten. Ein ähnliches Projekt der Aushebelung des Kündigungsschutzes in Deutschland scheint ja durch Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst, am 14. September, aufgegeben worden zu sein (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,437162,00.html externer Link).

Ursache des Rechtsstreits

Verschiedene Arbeitsgerichte hatten in den vergangenen Monaten (trotz der Bestimmungen zur Aushebelung des Kündigungsschutzes) Entlassungen, die im Rahmen eines CNE vorgenommen worden waren, für unrechtmäßig erklärt. In der Regel taten sie dies aufgrund der Theorie vom «Rechtsmissbrauch»: Demnach erhält der Arbeitgeber durch den CNE zwar grundsätzlich das Recht zum jederzeitigen Abbruch des Beschäftigungsverhältnisses; er kann dieses Recht jedoch «missbräuchlich» nutzen, etwa aufgrund eines Entlassungsgrundes, der auf einer (grundsätzlich rechtswidrigen) Diskriminierung basiert. «Rechtsmissbrauch» liegt demnach auch vor, wenn der Arbeitgeber durch eine Entlassung bindende Vorschriften und gesetzliche Bestimmungen (etwa zur Bezahlung von Überstunden, Krankenheitszeiten u.a.) zu umgehen versuchte.

Am weitesten ging früh das Arbeitsgericht von Longjumeau (südlich von Paris). Am 21. Februar 2006 hatte es zum ersten Mal - und als erstes Gericht - einen Arbeitgeber wegen missbräuchlichen Abbruchs eines CNE verurteilt. Daran war u.a. bemerkenswert, dass zu dem Zeitpunkt ein Arbeitgeber dem Laiengericht (dem jeweils zur Hälfte gewählte Vertreter der Lohnabhängigen und der sog. Arbeitgeber angehören) vorsaß. Am 28. April 2006 folgte eine weitere Entscheidung. Darin wurde ein Arbeitgeber verurteilt, der eine Beschäftigte ohne Angabe von Gründen (wozu der CNE ihm grundsätzlich das Recht gibt), aber de facto infolge von erkrankungsbedingten Fehlzeiten gefeuert hatte. (Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/junge29.html ) In allen beiden Entscheidungen nahm das Arbeitsgericht es sich heraus, die Regierungsverordnung von August 2005 zur Einführung des CNE für nichts rechtswirksam zu erklären: Diese verstoße gegen höherrangiges Recht, so befanden die Richter, da die Verordnung nicht mit der ILO-Konvention Nr. 158 vereinbar sei. Diese Konvention der International Labour Organisation (ILO), die auch durch Frankreich ratifiziert worden ist, sieht vor, dass die abhängig Beschäftigten über ausreichenden Kündigungsschutz verfügen müssen. Die Einfügung einer Probezeit in den Arbeitsvertrag ist demnach zulässig, aber nur bei einer « vernünftigen Dauer », so die allgemein gehaltene Formulierung in der internationalen Norm. Eine zweijährige Dauer falle nun aber auf keinen Fall mehr unter diese Formulierung, befanden die Richter in Longjumeau.

Unverhohlener Trick der Regierung: Aushebelung der Gerichtskontrolle angestrebt

Am vorigen Freitag ging es nun genau um die Berufungsverhandlung zu der Entscheidung vom 28. April 2006, die in Longjumeau fiel.

Das Pariser Revisionsgericht wäre normalerweise dafür zuständig gewesen, das Urteil der dortigen Arbeitsrichter auf seine Rechtmäßigkeit hin zu untersuchen. Doch im Vorfeld hatte die Staatsgewalt durch ein ungeschminktes Manöver versucht, diese gerichtliche Kontrolle zu umgehen. Am 13. September wurde durch einen Bericht der Pariser Abendzeitung ' Le Monde' bekannt, dass der Präfekt (d.i. der juristische Vertreter des Zentralstaats in einem Département, d.h. einem der 100 französischen Verwaltungsgerichte) in der Bezirkshauptstadt Evry aktiv geworden war. «Auf Verlangen des Arbeits- und Sozialministeriums in Paris hin» hatte der Präfekt, in dessen territorialen Zuständigkeitsbereich Longjumeau fällt, einen Antrag beim zuständigen Staatsanwalt am Pariser Berufungsgericht gestellt. Es handelte sich um einen Antrag auf Abweisung der gerichtlichen Kompetenz, d.h. der (im Gegensatz zu den Richtern, im Prinzip an Weisungen aus dem Justizministerium gebundene) Staatsanwalt sollte dafür plädieren, dass das Berufungsgericht nicht für die Verhandlung zuständig sei. Vielmehr sollte dieses Verfahren an die Verwaltungsgerichtsbarkeit übergeben werden.

Die Motive der Regierung

Dahinter steht folgendes

  • Vordergründig beruft sich der Präfekt (und hinter ihm die Regierung Dominique de Villepins!) darauf, dass ein «normales» Gericht nicht dafür zuständig sei, eine Regierungsverordnung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dies stehe nur den Verwaltungsgerichten zu, da es sich von der Rechtsform her um einen Verwaltungsakt (und nicht um ein Gesetz) handelt.

    Anders hätte es von vornherein ausgesehen, wäre der CNE nicht auf dem Wege der Notverordnung - mitten im Hochsommer... - eingeführt worden, sondern durch ein ordentliches Gesetz. In einem solchen Falle kann das zuständige Gericht zwar nicht das Gesetz als solches für unrechtmäßig erklären und aus dem Verkehr ziehen (dies kann nur das Verfassungsgericht, und in Frankreich auch nur vor dessen Verkündung im Amtsblatt und nicht mehr hinterher). ABER das Gericht kann sich über die Vereinbarkeit zwischen unterschiedlichen Normen, die alle grundsätzlich anwendbar sind, aussprechen. Und so können die Richter jederzeit sagen, dass zwar das entsprechende Gesetz im Prinzip anwendbar sei, aber eine (von Frankreich ratifizierte) internationale Norm höherrangiges Recht darstelle und deswegen bevorzugt Anwendung finden müsse.

    Aber die juristische Konstruktion des Präfekten (und mit ihm der Regierung) ist schon sehr merkwürdig. Denn eine Regierungsverordnung hat einen geringeren juristischen Wert als ein Gesetz, das vom Parlament diskutiert und verabschiedet worden ist. Folgt man der Regierung, so hätte die Ausschaltung des Parlaments (durch den Rückgriff auf die Notverordnung) und die Benutzung einer gegenüber dem Gesetz «niederrangigen» Rechtsnorm also der Regierung erlaubt, was dem Gesetzgeber selbst nicht möglich ist: Eine Kontrolle der Vereinbarkeit mit internationalen Rechtsnormen zu vermeiden. Der allein handelnden Regierung wäre zugänglich, was ihr im Zusammenspiel mit der demokratischen Kontrollen durch das Parlament verschlossen bleiben müsste: Eine seltsame Logik.
  • Im Hintergrund steht aber etwas völlig Anderes, das mit der rein juristischen Logik nicht so viel, dafür eher etwas mit der Abschätzung politischer Kräfteverhältnisse zu tun hat. Denn beim Gang über die Verwaltungsgerichte erhoffte sich die Regierung, dass sie (aufgrund der Zusammensetzung des höchsten Verwaltungsgerichts bzw. der politischen Positionen der dort sitzenden Richter) auf Wohlwollen für ihren CNE hoffen könne. Bei der «normalen» Gerichtsbarkeit hingegen hegte sie eine solche Erwartung nicht gleichermaßen.

    In der Tat hatte der Conseil d'Etat, das französische oberste Verwaltungsgericht, im Oktober 2005 eine Stellungnahme über die Regierungsverordnung zum CNE abgegeben. Damals hatten die Gewerkschaftsverbände gegen die Verordnung vom 02. August 2005 geklagt, und nach nur kurzer Anhörungs- und Beratungszeit, verloren (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/bs211005_1.html ) . Hingegen hat der Kassationshof, also der für Zivil-, Straf- und Arbeitsrechtssachen zuständige oberste Gerichtshof Frankreichs, im März 2006 (in anderer Sache) geurteilt, dass ILO-Konventionen wie andere internationale Normen grundsätzlich im französischen Rechtsverkehr unmittelbar anwendbar seien. Da sie höherrangige Normen darstellen, haben sie ggf. Vorrang vor Gesetzen oder Rechtsverordnungen, die von ihrem Inhalt abweichen. Auf dem Wege der «normalen» Gerichtsbarkeit konnte die Regierung sich daher erst einmal keinen Erfolg für ihr Anliegen, den CNE vor der Rechtskontrolle zu retten, versprechen. Bei den Verwaltungsgerichten schon, in der (seit Oktober vorigen Jahres: begründeten) Hoffnung, dass ungünstige Urteile niederer Instanzen im Endeffekt durch das oberste Verwaltungsgericht «korrigiert» würden.

Und schließlich versprach die Regierung sich schlicht und einfach einen Aufschub, also Zeitgewinn durch ihr Agieren. Da die Arbeitsgerichte (folgt man der Argumentation des Präfekten von Evry) künftig bei Verfahren über den CNE nicht mehr an der Rechtmäßigkeit der Verordnung zur Einführung des CNE kritteln könnten, sondern diese Frage den Verwaltungsgerichten vorlegen müssten, hofft die Regierung dadurch Zeit schinden zu können. Spätestens bis zur nächsten Wahl, damit der CNE nicht vorher «fällt», wie es im Falle eines negativen Urteils des Kassationshofs wohl unumgänglich wäre...

Ergebnis und nähere Aussichten

Vielleicht wider Erwarten, folgte der Staatsanwalt am Pariser Berufungsgericht jedoch dem Ansinnen des Präfekten von Evry (und der Regierung) nicht. Er plädierte vielmehr vor den Richtern dafür, dass diese, und mit ihnen also die «normale» Gerichtsbarkeit, für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von CNE-Kündigungen zuständig seien. Der Weg über die Verwaltungsgerichtsbarkeit würde sich damit erübrigen.

Die Richter könnten der Position des Staatsanwalts folgen, zumal wohl eher kaum zu erwarten ist, dass sie sich selbst die Zuständigkeit absprechen (wer macht das schon gern?). Ihr Urteil setzten sie jedoch bis zum 20. Oktober zur Beratung aus. Dann wird man Genaueres wissen.

Falls der Präfekt von Evry dann mit seinem Antrag auf Nichtzuständigkeits-Erklärung verliert, kann er immer noch das «Tribunal des conflits» anrufen. Dieses «Konfliktgericht» ist dafür zuständig, Kompetenzstreitigkeiten zwischen der «normalen» und der Verwaltungs-Gerichtsbarkeit zu regeln. (Beide sind in Frankreich organisatorisch getrennt. Das rührt daher, dass früher die Verwaltungsgerichtsbarkeit als internes Kontrollorgan in den Staatsapparat selbst inkorporiert war. Erst im späten 19. und im 20. Jahrhundert wurde es als externes Kontrollorgan aus dem Staatsapparat gelöst und in ein gerichtsförmiges Organ umgewandelt wurde. Das oberste Verwaltungsgericht heißt noch heute Conseil d'Etat, d.h. «Staatsrat»; dies rührt daher, dass es sich früher um ein Beratungsorgan des Monarchen, später unter der Republik der Regierung handelte. Erst im Laufe der Geschichte wurde es in ein Gericht umgewandelt. Aber noch heute kann die Regierung sich, außerhalb von Prozessen, beim «Staatsrat» Rechtsgutachten einholen, wie es früher einmal der klassischen Funktion des Gremiums entsprach.) Am 20. Oktober wird der Streit über die rechtlichen Bewertung des CNE also noch nicht vom Tisch sein.

Die Gewerkschaften verfolgen diese Angelegenheit aus nächster Nähe. Drei Gewerkschaftsbünde (CGT, CFDT und FO) haben sich - neben der anfänglich entlassenen Lohnabhängigen als ursprünglicher Klägerin - als Nebenkläger in das Kündigungsverfahren eingeschaltet. Aufgrund der hohen juristischen und politischen Bedeutung des Verfahrens beobachten sie den Prozess und äußern sich auch öffentlich dazu (die CFDT etwa in 'La Tribune' vom 22. Septemner, die CGT und FO in 'L'Humanité' vom 15. September).

Der gewerkschaftliche Dachverband FO («unpolitisch»-populistisch ausgerichtet) hat seinerseits bereits die ILO (International Labour Organisation) zu der Frage eingeschaltet.

Vor einem Ende des CNE?

Die Frage wird also sein, ob die Rechtsstreitigkeiten zum CNE noch vor oder erst nach den nächsten Wahlen im Frühjahr 2007 zum Abschluss kommen. Eine Niederlage der Regierung, die den CNE de facto wertlos machen würde, bliebe nicht ohne politische Konsequenzen für diese.

Bereits jetzt aber ist zu konstatieren, dass die Beliebtheit des CNE bei den Unternehmen spürbar zurückgegangen ist. Jammern doch die Arbeitgeber über die «Rechtsunsicherheit», die mit den ganzen Verfahren und (entgegen ihren Erwartungen) dann doch erfolgenden Verurteilungen in Kündigungsprozessen einhergeht. Die geforderte «Rechtssicherheit» bedeutet also aus ihrer Sicht nicht viel Anderes, als die offene Legalisierung von Unternehmer-Willkür...

Nach einer Statistik der Wirtschaftszeitung 'La Tribune' vom 22. September ist die Zahl von CNE-Abschlüssen in den letzten Monaten kontinuierlich zurückgegangen. Die Zahl der durch die Arbeitgeber deklarierten «Einstellungsabsichten», die die Rechtsform des CNE benutzten, betrug im Januar dieses Jahres noch 63.500. Im März betrug sie demnach 52.800, im Juni 33.900. Im Juli wurden demnach 28.900 CNE (voraussichtlich) abgeschlossen, im August dieses Jahres «nach vorläufigen Schätzungen» nur noch 22.000. Das sind immer noch zu viele, aber die Entwicklung der Zahlen zeugt von einem Niedergang des Rechtsinstruments CNE.

Bernard Schmid, Paris, 25.12.2006


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