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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Gewerkschaften verlieren vor dem Obersten Verwaltungsgericht gegen Demontage des Kündigungsschutzes

Am Mittwoch (19. Oktober), nur fünf Tage nach der Anhörung, hat der Conseil d'Etat, das französische Oberste Verwaltungsgericht, sein Urteil über die Verordnungen der Regierung de Villepin vom 2. August gefällt. Damals, mitten im Hochsommer und während der Urlaubspause, hatte der Premierminister unter Rückgriff auf den Mechanismus der "ordonnances" (eine Art Notverordnung mit Gesetzeskraft, aber ohne Mitspracherecht des Parlaments) eine Serie von "Reformen" im Arbeitsrecht vorgenommen.

Mehrere Gewerkschafts-Dachverbände, beginnend mit der CGT Mitte August, haben seit dem Spätsommer den Conseil d'Etat gegen die Notverordnungen angerufen. Konkret attackierten sie zwei Punkte in den neuen Bestimmungen: Den " Contrat nouvelle embauche " (CNE, "Neueinstellungsvertrag"), der es den kleineren und mittleren Betrieben bis zu 20 Beschäftigten ermöglicht, einen Beschäftigten während der ersten zwei Jahre des Arbeitsverhältnisses ohne Begründung zu entlassen. Und zweitens die neue Regelung, wonach (zwischen August 2005 und dem Jahresende 2007 eingestellte) Lohnabhängige unter 26 Jahren bei der Berechnung der Personalstärke eines Betriebs oder Unternehmens nicht berücksichtigt werden. Diese Bestimmung hat vor allem dort Relevanz, wo die Frage ihrer Einbeziehung oder Nichtberücksichtigung bei der Berechnung der Personalstärke darüber entscheidet, ob bspw. ein Comité d'entreprise (grobe Entsprechung zum deutschen Betriebsrat, in Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten) eingerichtet wird oder ob die Gewerkschaften teil-freigestellte Vertrauensleute (ab 50 Beschäftigten) bestimmen dürfen.

Das oberste Verwaltungsgericht hat beide Bestimmungen als rechtmäßig abgesegnet. Zur Frage der Möglichkeit, einen per CNE eingestellten Beschäftigten (in den ersten beiden Jahren) ohne Benennung eines Kündigungsgrunds zu entlasen, erklärte der Conseil d'Etat: Unabhängig von der (ansonsten bestehenden, aber durch den CNE beiseite geschobenen) Pflicht, einen konkreten Kündigungsgrund zu benennen, sei die Macht des Arbeitgebers noch immer durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs eingeschränkt und werde auf diesem Wege durch die Arbeitsgerichte kontrolliert. Das bedeutet, dass künftig ein Arbeitgeber, der einen CNE mit dem Beschäftigten abgeschlossen hat, grundsätzlich das Recht hat, "seinen" Beschäftigten (in den ersten beiden Jahren) jederzeit zu kündigen - aber dieses Recht nicht im juristischen Sinne "missbrauchen" darf. Rechtsmissbrauch liegt insbesondere vor, wenn der Entscheidung des Arbeitgebers illegitime, verbotene Gründe (bspw. eine rassistische oder homophobe Diskriminierung) zugrunde liegen und diese sich nachweisen lassen, oder wenn die Entscheidung nachweisbar grob willkürlich ausfiel. An dieser Schranke wird die nunmehr im Rahmen des CNE grundsätzlich anerkannte Vollmacht des Arbeitgebers, jederzeit zu entlassen, weiterhin zu messen sein.

Zur Frage der Nichtberücksichtigung der unter 26jährigen Beschäftigten bei der Berechnung der Personalstärke hatten die Kläger vor allem geltend gemacht, diese Neuregelung widerspreche dem Inhalt mehrerer EU-Richtlinien. Darüber zu urteilen, hat sich der Conseil d'Etat jetzt für unzuständig erklärt. Er verwies die Sache (per Richtervorlage) an den Europäischen Gerichtshof EuGH, der über die Einhaltung des europäischen Gemeinschaftsrechts zu wachen hat.

In ihren ersten Reaktionen zeigten sich die Gewerkschaften enttäuscht, doch hatten sie das Ergebnis erwartet, da der für ihre Klage zuständige Berichterstattung des Gerichts (in seinem Vortrag vom vorigen Freitag, 14. Oktober) die Abweisung der Beschwerden gefordert hatte. Normalerweise folgen die obersten Richter dem Beschlussvorschlag des vorher ernannten Berichterstatters. Die CGT kritisierte, der Entscheidung lägen "eher politische denn juristische Begründungen" zugrunde. Die CFDT ihrerseits erklärte ihre Absicht, nunmehr vor den Arbeitsgerichten im vom Conseil d'Etat vorgebenen Sinne (d.h. im Rahmen der Rechtsmissbrauchs-Kontrolle) gegen Entlassungen von CNE-Beschäftigten zu klagen und dadurch Präzendenzurteile zu erwirken, auf die sich Lohnabhängige künftig stützen können.

Mittlerweile hat die Zahl der abgeschlossenen Arbeitsverträge des Typs "Neueinstellungsvertrag" (CNE) die 100.000-Marke überschritten. Allein im Monat September 2005 wurden nach Regierungsangaben 73.000 solcher Arbeitsverträge "neuen Typs", ohne spezifischen Kündigungsschutz (außer der Schranke des Rechtsmissbrauchs, s.o.) in den ersten beiden Jahren, abgeschlossen.

Und die politischen Reaktionen von Gewerkschaftsseite?

Aber wie steht es um "politische" Reaktionen von gewerkschaftlicher Seite, d.h. um ihre eventuellen Bemühungen um eine breite gesellschaftliche Mobilisierung gegen die ergangenen "Reformen"?

Auf dieser Ebene ist - um es ehrlich zu sagen - in absehbarer Zeit nicht viel zu erwarten, nachdem der landesweite Aktionstag der Gewerkschaften vom 4. Oktober (eine Million DemonstrantInnen auf dem Asphalt) ein Erfolg gewesen war. Zu Anfang dieser Woche haben die fünf großen Gewerkschaftsbünde gemeinsam beschlossen - nichts zu beschließen. Der einzige Dachverband, der sich im Prinzip für die Festlegung eines neuen Aktionstags mit Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen aussprach, war die CGT. Aber auch die Führung der "postkommunistischen" CGT handelt aus offenkundig taktischen Motiven: Sie ist um Profilierung bemüht, da ihre Führung sich vor dem kommenden Kongress (vom 24. bis 28. April 2006 in Lille) auf eine schwierige Wiederwahl vorbereiten muss. Nachdem die CGT und ihr Umfeld auf den Demonstrationen vom Anfang des Monats allein 70 bis 80 Prozent der Protestzügen stellten, könnte der Dachverband auch allein zumindest spürbar aktiver sein, als er es derzeit auf landesweiter Ebene ist.

Nach der erfolgreichen Kraftprobe des 4. Oktober hätte normalerweise ein gemeinsames Treffen der Gewerkschaftsverbände noch im Laufe der ersten Oktoberwoche stattfinden sollen. Es war vorläufig abgesagt worden, nachdem Premierminister Dominique de Villepin in seiner Fernsehansprache vom Donnerstag, 6. Oktober (als Reaktion auf die Protestzüge zwei Tage vorher) ankündigte, die gewerkschaftlichen Dachverbände treffen zu wollen - aber einzeln. Nachdem die großen Dachverbände sich nun Anfang dieser Woche mit Verzögerung doch noch konzertiert haben, steht vorerst keinerlei gemeinsames Mobilisierungsdatum auf dem Kalender. Allein die nicht zu dem Treffen eingeladenen Gewerkschaften - wie der Zusammenschluss der alternativen Basisgewerkschaften (vor allem SUD), Union Solidaires, und ansatzweise auch der reformistische Zusammenschluss UNSA und die Lehrergewerkschaft FSU - bemängelten im Anschluss das Fehlen jedes konkreten Datums für weitere Aktionen auf der Straße.

Das nächste Datum für Protest auf dem Asphalt wird damit voraussichtlich der 19. November sein. An diesem Tag, einem Sonnabend, soll frankreichweit für den Erhalt der öffentlichen Dienste und gegen Privatisierungsdrohungen demonstriert werden.

Sollten also jene Unkenrufe (zunächst vor allem von bürgerlicher Seite), die warnten oder aber schadenfroh feststellten, der 4. Oktober habe nur ein "Ritual" ohne Konsequenzen dargestellt, doch Recht behalten? Es scheint in jedem Fall, als seien die Führungen der großen Gewerkschaftsverbände dazu bereit, die zum Ausdruck gekommene Mobilisierungsdynamik wirkungslos verpuffen zu lassen.

Bernhard Schmid (20. Oktober)


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