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Updated: 18.12.2012 15:51
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And the winner is?

Geißler, Grönemeyer und andere G-Fragen

Mit den Demonstrationen und Blockaden rund um die bestumzäunte Diaspora der Welt, in der sich Gläubige aus Nationen, die um ihren Gläubigerstatus bangen, trafen, mochten deutsche Gewerkschaften sich nicht gemein machen. Ihre Unterschrift fand sich lediglich unter dem Kreis der InitiatorInnen (IG Metall) bzw. UnterstützerInnen (GEW, ver.di) des G8-Gegengipfels, der unter dem Titel »Alternativgipfel« vom 5.–7. Juni parallel zu den Blockaden stattfand. Mit dieser Parallelaktion waren geneigte TeilnehmerInnen schon organisatorisch vor jene unglückliche Entscheidungsalternative gestellt, die in der Folge auch die Grundlage für die Trennung zwischen legitimem und illegitimem Protest bildete und als solche die öffentlichen Debatten beherrschte. Immer noch gibt es eine Sucht nach dem »Positiven«, die sich der hilflosen Distanzierung von einer Kritik verdankt, auf die keine unmittelbaren Handlungsanweisungen folgen. Und immer noch werden diese mit der Wahl zwischen dem alten elterlichen Argument »Mach’s doch erstmal besser« oder der Logik des Kalten Kriegs: »Geh’ doch rüber, wenn’s Dir hier nicht passt« gekontert. Als verantwortungsvoll gilt solcher Protest, so der Tenor der Berichterstattung während des Gipfels, wenn den Regierenden »machbare«, und darunter werden in der Regel mehrheitsfähige Alternativen verstanden, präsentiert werden können. Doch nicht nur in der bürgerlichen Presse, auch in den Versammlungen der Erwerbslosen- oder Sozialhilfeinitiativen, der gewerkschaftlichen Linken oder der globalisierungskritischen Bewegung bildet die Annahme, dass »machbare Alternativen« eine Frage von (zu beschaffenden) Mehrheiten seien und umgekehrt: Mehrheiten ein Indikator für realitätstüchtige Politik, die Grundlage für die Bewertung vernünftiger und unvernünftiger Protestformen.

Als verantwortungslos jedenfalls gilt dagegen die Haltung, sich dieser Form von »Forderungskanonisierung« zu verweigern. Dass diese Haltung als »destruktive Kritik« denunziert werden konnte, hängt maßgeblich damit zusammen, dass nach ihren Gründen nicht gefragt, die vorgefertigte Schablone – Gewalt sei Selbstzweck – stattdessen für den Inhalt genommen und unterstellt wurde, dass es keine vernünftigen Gründe gebe, sich am diskursiven Wettbewerb um Gestaltungsmodelle nicht zu beteiligen. Seltsam nur, dass auch die positiven Rezepte, deren massenhaftes Vorhandensein einerseits konstatiert [1], von deren Vorhandensein andererseits offenbar die Öffentlichkeit erst noch überzeugt werden müsse (Peter Wahl für attac), in der Presse kaum diskutiert wurden – ob das auf das Konto der Dominanz zerstörerischer Gewalt geschrieben werden kann?

Letzteres habe jedenfalls, so der Tenor nicht nur in der öffentlichen Presse, sondern auch in Kommentaren aus der Linken, die Anliegen der globalisierungskritischen Bewegung – die Präsentation von Alternativen für mehr Gerechtigkeit und Demokratie – desavouiert und überhaupt erst ermöglicht, dass diese Anliegen mit Gewalt gleichgesetzt werden konnten. Wie sehr sich auch die Linke damit die Raster einer Gewaltdefinition vorgeben lässt, die die Legitimität von Gewalt offenbar nur in ihrer verselbständigten staatlichen Form kennt, ohne die demokratietheoretisch mehr als legitime Frage nach den Gründen für die Verkehrung der Volkssouveränität in ein staatliches Gewaltmonopol zu stellen, geschweige deren hohen Aufklärungsgehalt als Konter in der öffentlichen Diskussion zu nutzen, wird an einem Positionspapier zweier Vorstände der Rosa Luxemburg Stiftung deutlich.[2] Wie schon die ohne Not aktivierte Distanzionitis der attac-Sprecher unmittelbar im Anschluss an die samstägliche Demonstration, in der sich Peter Wahl und Werner Rätz die von der FR bereitgestellten Schuhe der Meinungskollektivhaft für G8-Gegner anziehen und sich für Dinge entschuldigen, die sie gar nicht, die Steinewerfer zum Teil und die agents provocateurs des Rechtsstaats zu anderen Teilen zu verantworten hatten (FR, 4. Juni), laufen Lutz Brangsch und Michael Brie bereitwillig in die intellektuelle Falle der Gleichung von Verantwortungsbewusstsein und »gewaltfreiem« sozialen Protest (wohlwissend um die zunehmende Kriminalisierung von Protestformen durch den Gesetzgeber oder per Ermächtigung an ihm vorbei während der letzten Wochen, in denen mehr als deutlich wurde, wer definiert, was als gewaltfrei zu gelten hat) und beten den Pressetenor nach: »Sieg der Unvernunft«. Nur konsequent fordern sie dann, wie unzählige Generationen mehrheitsbesorgter Partei-Linker vor ihnen, einen harten Trennungsstrich zwischen sich und dem gewaltbereiten Feind...

Diese Unterscheidung lebt von der nicht weiter ausgeführten Annahme, dass es sich beim Kampf um die offenbar erstrebenswerte »Wortführerschaft« (Brangsch/Brie) um eine vernünftige Form handele und dass dabei Punkte bei den »Herrschenden« – dahingestellt, ob die G8 dieser Rolle gerecht werden und überhaupt adäquate Adressaten sein können – ebenso wie in der amorphen Masse »Öffentlichkeit« gemacht werden könnten. Letzteres immer unter dem Vorbehalt, dass dieser Kampf nicht kontaminiert ist mit Formen der »Gewalt«, sondern den so genannten Regeln des rationalen Diskurses folgt, dessen heruntergekochte Variante derzeit als Rede von der »Kraft des besseren Arguments« kursiert. Hier ist neben der Erinnerung an die skeptische Frage Marx’ zur Form, in der die Vernunft existiert und dazu, wer sie wie definiert, die Lektüre eines Portraits zweier Aktivisten der G8-Gipfelei, Thomas Mirow als Staatssekretär des Finanzministeriums und Thomas Seibert als Vertreter von medico international, aufschlussreich.[3] Thomas Mirow begegnet dort dem Anliegen von Kirchenleuten, die ihm vor dem Gipfel den Einsatz der Regierung für »Gläubigermitverantwortung« und den Verzicht auf »illegitime Schulden« antragen, indem er auf den »fehlenden Glauben« an die »Praktikabilität der Implementierung des Konzepts illegitimer Schulden« bei »uns im Finanzministerium« verweist. Die Abhängigkeit der vermeintlich mit der Autonomie politischer Gestaltungsfähigkeit begabten Vertreter der Staatsmacht von vorgängigen gesellschaftlichen und damit auch ökonomischen Auseinandersetzungen und deren eigene Einsicht in die Grenzen des guten Arguments könnte besser nicht umschrieben werden. Denn die Frage wäre hier in der Tat: »Nach welchen Kriterien soll zwischen legitimen und illegitimen Schulden entschieden werden, und von wem?« (Mirow) Die Meinungsumfragen von infratest dimap indes bestätigen den Unglauben des Wahlvolks in die autonome Gestaltungskraft der politischen Kaste und deren Demonstration eines freien Willens. Unter 40 Prozent glaubten in der Sonntagsumfrage vor dem Gipfel, dass die G8-Regierungen in der Lage seien, eine Änderung der Klimapolitik herbeizuführen oder Hunger und Armut zu beseitigen.

Wie wenig Regierungen über jene vielbemühte politische Gestaltungskraft verfügen, solange ihre Perspektive sich an die »Beschaffung von liquiden Mitteln fürs Wachstum« (Mirow über die Funktion von Risiko-Kapital) heftet, wird auch an einem der zentralen G8-Themen deutlich: Weder beim Frühjahrstreffen von IWF, Weltbank und G7-Finanzministern noch jetzt beim G8-Gipfel gelang es, selbst vollkommen unverbindliche ›Eingriffe‹ wie einen freiwilligen Verhaltenskodex für das Management von Risikokapital als eine bescheidene Form der Schaffung von mehr Transparenz auf den Finanzmärkten mit der »Kraft des besseren Arguments« auf die Tagesordnung oder gar durchzusetzen. Eine Kraft, die sich in diesem Fall aus dem ureigensten Interesse von Regierenden und Kapitalvertretern an stabilen ökonomischen Entwicklungen und der Angst vor unkontrollierbaren Finanz-Krisen speist, noch ohne dass wir hier über all das, was sich verschämt unter dem Mäntelchen der »sozialen Gestaltung der Globalisierung« versteckt, reden würden.

Es sei wiederum dahin gestellt, was »Wortführerschaft« mit gesellschaftlicher Emanzipation gemein hat und ob die allseits zitierte »Hegemonie in der Gesellschaft«, um die es beim Gegengipfel gegangen sei (Uli Brand in seinem Kommentar für links-netz, ak und Sozialismus), unter dem Gesichtspunkt einer gesellschaftlichen Demokratisierung eine erstrebenswerte Perspektive sein kann. Aber mit dieser schlichten Gegenüberstellung von konstruktiver inhaltlicher Diskussion und »physischer Gegengewalt gegen die Staatsgewalt« haben auch Teile der Linken Anschluss gefunden an die öffentlich-rechtliche Presse, die wiederum völlig vergessen zu haben scheint, warum sie vierte Gewalt genannt wird, und dass dies irgendetwas mit einem berechtigten Misstrauen in die drei anderen Gewalten – die Definition, Ausübung und Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols – zu tun haben könnte. Dass dies wiederum seinen Grund in einer verkehrten Welt haben könnte, da doch eben dieser Staat zugleich nichts als Garantie, Resultat und Ausführung des allgemeinen Willens des Souveräns sein soll, ist kein bildungspolitisches Allgemeingut mehr. Oder wird aus anderen Gründen unterschlagen.

Vielleicht auch aus dem Grund, dass sich hinter der verinnerlichten Gewaltdebatte auch auf der Linken ganz gut verstecken lässt, wie sich die Ergebnisse der Gegengipfelei, der Blockaden und Demonstrationen bewerten lassen. Zehntausend Antikapitalisten hätten WASG und Linke am 2. Juni mobilisiert, prächtig und kämpferisch sei die Stimmung gewesen, so reklamiert die WASG/Linkspartei in einer Pressemeldung vom 10. Juni ihr Eigentum an der Teilnehmerschar und suggeriert, dass es sich um eine breite antikapitalistische Bewegung insgesamt handele. Von der größten globalisierungskritischen Massenmobilisierung, die es in Deutschland je gegeben habe, spricht Werner Rätz begrifflich vorsichtiger in einer attac-Pressemeldung vom 8. Juni.

Waren die Aktionen so »wirkungsvoll« in Bezug auf die »Zwecke einer globalen Bewegung für eine gerechte Welt«, wie Lutz Brangsch/Michael Brie meinen? Hat die Globalisierungskritik »einen tüchtigen Schritt nach links gemacht« und wurde »vom Establishment mehr denn je aufgenommen«, wie Uli Brand euphorisch schreibt? Waren sie ein »voller Erfolg«, der die »politische Landschaft verändert hat«, wie Werner Rätz resümiert? Und was ist mit dem Hohelied anlässlich des breiten Bündnisses, das sich auch im Anschluss an die Gewaltdebatten nicht habe spalten lassen? Was ist aus dem Anspruch geworden, »gesellschaftliche Allianzen gegen neoliberale Politik« zu bilden, für die attac vor einem halben Jahr noch heftig die Gewerkschaften umworben hatte?

Zu diesen und anderen Fragen haben wir in diesem express ein Gespräch mit Mag Wompel, Werner Sauerborn, Henning Süssner und Andreas Köppe, Teilnehmern des Forums »Gewerkschaften im globalen Kapitalismus« auf dem Alternativengipfel. Werner Sauerborn gehörte auch zu den InitiatorInnen des Aufrufs »Gegen Standorterpressung und Lohndumping: Gewerkschaften auf die globale Bühne«, der der einzige aus dem gewerkschaftlichen Spektrum bleiben sollte, in dem zur Beteiligung an Protesten aufgerufen wurde (s. express, Nr. 1/2007).

Kirsten Huckenbeck

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6/07


(1) Thomas Fischermann: »Die Weltverbesserer. Globalisierungskritiker entwickeln wichtige ökonomische Ideen – man hört nur kaum davon«, in: Die Zeit, 6. Juni 2007, S. 25

(2) Vgl. Lutz Brangsch/Michael Brie: »In der Sackgasse – oder: Mittel beherrschen Ziele. Eine gescheiterte Strategie«

(3) Die Zeit: »Die Mobilmacher. Staatssekretär Thomas Mirow tut alles für den G8-Gipfel, der Alt-Sponti Thomas Seibert alles dagegen«, Dossier, Nr. 23 vom 31. Mai 2007


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