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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Kein langer Riemen! ver.di erklärt ihre Grundsätze – ohne Widersprüche, Realitäten und Handeln für die Aktiven! »Der verdi-Gewerkschaftsrat hat am 18.3.2010 eine Grundsatzerklärung der Gewerkschaft verabschiedet.« So steht’s in der ver.di-Mitgliederzeitung Publik vom April 2010. Verabschiedet! Abschied wohin? Abschied von wem oder was? Alles nur eilige Formulierung oder doch tiefgründiger? Offensichtlich sollte mit dieser Grundsatzerklärung ein Jahr vor dem nächsten Bundeskongress dem beklagten bzw. hie und da heftig kritisierten Fehlen einer Programmdebatte die Energie und Begründung genommen werden. Aufgrund von Erfahrungen mit dem z.T. auch politisch destruktiven Umgang mit Programmdebatten in Gewerkschaften und politischen Gruppen habe ich viel Verständnis für eine eher thesenhafte Formulierung eigener Standpunkte. Die halte ich gerade auch in einer politisch heterogenen Einheitsgewerkschaft für einen sinnvollen und nachvollziehbaren Umgang. Kontroverse Diskussionen über Widersprüche, Notwendigkeiten und Perspektiven gewerkschaftlichen Handels scheinen mir derzeit angebrachter als zeit- und kräfteraubende politische Auseinandersetzungen, die nicht nur unterschiedliche, sondern miteinander nicht bzw. kaum vereinbare politische Positionen zum Ausgangs- und Zielpunkt haben. Wem nützen da irgendwelche Mehrheitsentscheidungen? Zumal sich diese erfahrungsgemäß danach eher in Ordnern, Sonntags- und 1. Mai-Reden sowie wissenschaftlichen Arbeiten wiederfinden als in gewerkschaftlicher und betriebsrätlicher Praxis. Trotz allen Verständnisses für eine kurzgefasste Grundsatzerklärung – »lesbar und zugespitzt, kein langer Riemen«, so Frank Bsirske, zitiert in den ver.di-news für Aktive – stellen sich einige kritische Fragen fast von selbst. Warum steht unter »Unsere Leitbilder« nichts Konkretes, sondern eher Wolkiges zur Mitbestimmung und zur Demokratisierung der Wirtschaft? Wer soll nach all den Erfahrungen mit bisherigen Mitbestimmungsträgern und -gremien nach den ver.di-Vorstellungen zukünftig am Arbeitsplatz, im Unternehmen und in multinationalen Konzernen mitbestimmen? Was versteht ver.di unter Demokratisierung der Wirtschaft? Mir scheinen die Ausführungen zu Mitbestimmung und Demokratisierung der Wirtschaft eher eine der deutschen Gewerkschaftsgeschichte geschuldete Reminiszenz, denn eine mit politischer Überzeugung und Nachdruck vertretene Forderung zu sein. Lieber Wolken und Weihrauch als Umgang mit den Mühen unübersichtlicher Ebenen? Welchen gewerkschaftlichen Würdeträgern sind diese geschuldet? In den Widersprüchen müssen sich täglich die gewerkschaftlich(!) Aktiven denkend und handelnd bewegen. Dazu gehören die Wirtschafts- und Finanzkrisen ebenso wie die Ursachen und Folgen der Globalisierung sowie die nationalen und internationalen kapitalistischen Konkurrenzen. Die in der Grundsatzerklärung erwähnte »gerechte Weltordnung«, »Solidarität« der »nationalen und internationalen Gewerkschaftsbewegung«, »alle Menschen sollen..., haben... müssen... sind...« lesen sich ohne hier fehlende Handlungsperspektiven bzw. -ideen allzu süffig und oft gehört, nicht falsch, sondern richtig – und dennoch hinterlassen sie ein schales Gefühl. Wo ist die aktive Internationale der arbeitenden Menschen und ihrer Gewerkschaften gegen die Internationale der Kapitalien und Konzerne? Wo ist sie in der Diskussion, in der Praxis? Wo steht dazu etwas in der ver.di-Grundsatzerklärung! Sympathisch finde ich, dass sich ver.di explizit an den universellen Menschenrechten, den Werten der emanzipatorischen Aufklärung orientiert, sich zu einer unabhängigen und (partei-)politisch autonomen Gewerkschaft erklärt. Letzteres wird in den nächsten Jahren zu verteidigen sein. Gegen Ansprüche von EsPeDe und der Partei »Die Linke«. Die postulierte innergewerkschaftliche Demokratie werden die Mitglieder und lokalen/regionalen Basisorganisationen leben und verteidigen müssen. Ohne Demokraten keine Demokratie – auch nicht in den Gewerkschaften. Der Schlusssatz soll wohl ein Aufruf sein: »Wir laden dazu ein, sich mit uns gemeinsam für diese Werte und Leitbilder einzusetzen und die Zukunft zu gestalten.« Ja, klar! Muss sein! Die Erfahrungen spiegeln aber noch immer – fast möchte ich sagen leider – eher alte Lieder wider: »Uns hilft kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun – Wir müssen es schon selber tun!« Auf, Kolleginnen und Kollegen! Für unsere Interessen und Rechte! Für die Menschenrechte! Für die Demokratie – die Herrschaft des Volkes! Hier und weltweit! So wäre es auch verständlich. anton kobel Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/10 |