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Updated: 18.12.2012 15:51
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»Ein klares Nein, wenn es nötig ist«

Kritiker des GEW-Vorstandes fordern Positionierung gegen »Hartz IV« und »Bologna-Prozeß«. Ein Gespräch mit Benjamin Ortmeyer

Benjamin Ortmeyer ist Dozent am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main und war bis 2008 Vorstandsmitglied der GEW in Frankfurt

Sie werfen der GEW vor, in zentralen gesellschafts- und bildungspolitischen Fragen klare Positionierungen zu vermeiden. Was sind für Sie die gravierendsten Beispiele?

Meine zentrale Kritik an der GEW ist es, kein deutliches Nein zu den Hartz-IV-Gesetzen ausgesprochen zu haben. Obwohl diese Gesetze einen entscheidenden Beitrag zur staatlich geförderten Kinderarmut leisten. Bildungspolitisch ist vor allem fatal, daß der »Bologna-Prozeß« zum marktgerechten Umbau der Hochschulen nicht eindeutig abgelehnt wird. Zudem sollen auf diesem Gewerkschaftstag wichtige kontroverse Debatten in der GEW, z.B. zum wiedererstarkenden Nationalismus und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit inklusive der Nutzung eines vormals »arisierten« Hauses in Hamburg, ausgespart werden.

Ihnen wurde das Rederecht zu diesen Fragen von den Delegierten verwehrt. Ist das ein Ausdruck von mangelndem Interesse oder von Demokratiedefiziten in der Gewerkschaft?

Da spielen alte Rechnungen eine Rolle, die man mit mir als Kritiker meint noch offen zu haben. Außerdem haben ja die Stimmen von weniger als zehn Prozent der Delegierten ausgereicht, um meinen Beitrag zu verhindern, da ich dieses Mal kein ordentlicher Delegierter bin. Das ist zwar satzungsgemäß, dient aber sicherlich nicht der demokratischen Kultur. Ich bin seit 38 Jahren Mitglied in verschiedenen DGB-Gewerkschaften und habe so etwas schon öfter erlebt.

Welche Hauptaufgaben der GEW sehen Sie in den aktuellen Auseinandersetzungen?

Bildungspolitisch sollten wir den Unterschied zwischen Bildung als allgemeinem Menschenrecht im Geiste des Humanismus und reiner Ausbildung zu arbeitsmarktkompatiblen Fachleuten in den Fokus der Diskussion stellen. Und es bräuchte eine Besinnung auf gewerkschaftliche Primärtugenden: für Gerechtigkeit eintreten, dies klug zu tun, mutig dabei zu sein und nicht feige umzufallen, wenn es Gegenwind gibt. Das heißt: ein klares Nein, wenn es nötig ist.

Welche Rolle kann die GEW abgesehen von der Tarifpolitik in der sich verschärfenden Wirtschaftskrise spielen?

Natürlich muß sich gerade eine im Bildungssektor tätige Organisation wie die GEW als Teil einer gesamtgesellschaftlich aktiven Gewerkschaftsbewegung verstehen. Kein Erzieher und kein Lehrer kann isoliert in seinem Bereich der verheerenden staatlich gesteuerten Verarmungspolitik wirksam entgegentreten. Die Pädagogen spüren die Auswirkungen dieser Politik unmittelbar, sowohl bei den Eltern als auch bei den Kindern und Jugendlichen. Das muß aus dieser Perspektive in soziale Bewegungen eingebracht werden.

Es gibt bei vielen DGB-Gewerkschaften eine deutliche Tendenz zum Schulterschluß mit der SPD angesichts des Bundestagswahlkampfes. Sehen Sie diesen Trend auch bei der GEW?

Es ist eine Tatsache, daß es zwischen den Spitzen aller DGB-Gewerkschaften und der SPD seit Jahrzehnten ein mehr oder weniger enges Verhältnis gibt, sei es durch personelle Verquickungen oder durch die immer noch weit verbreitete Illusion, daß mit der SPD alles ein bißchen weniger schlimm wird als mit der CDU. Das gilt auch für die GEW. Ich halte das für einen Fehler. Die Gewerkschaften können nur stark sein, wenn sie sich von Parteipolitik weitgehend emanzipieren.

Es ist bekannt, daß die Zusammensetzung der Delegierten bei Gewerkschaftstagen oft nicht repräsentativ für die Stimmung an der Basis ist. Wie schätzen Sie die Atmosphäre in der Organisation ein?

Ich sehe besonders bei den im Bundesausschuß der Studentinnen und Studenten (BASS) in der GEW Organisierten eine ausgesprochen positive Entwicklung, die sehr wichtig für die Zukunft der Gewerkschaft sein wird. So haben in Hessen die Proteste an den Unis zur Abschaffung der Studiengebühren geführt und nicht etwa die Kungelei mit irgendwelchen Parteien. Ich merke auch, daß es gerade beim BASS noch grundsätzliche Kritik an den Verhältnissen gibt und weniger das angepaßte Verhalten von gewerkschaftlich sozialisierten Funktionären. Allerdings sind die Wirkungsmöglichkeiten dieser Gruppen innerhalb der GEW bislang minimal. Doch um diese aktiven Studenten zu unterstützen, deswegen bin ich hier.

Interview von Rainer Balcerowiak, erschienen in junge Welt vom 27.04.2009

Siehe auch:

Anträge (zur Tagesordnung / Tischvorlagen) und Bemerkungen zum Gewerkschaftskongress der GEW in Nürnberg 25. - 29. April

"Die nachfolgenden drei Anträge (zur Tagesordnung, zum Leit-Antrag des Hauptvorstandes und zu einem Antrag des LV Hessen) sind Vorschläge an Delegierte des GEW-Kongresses. Auch wenn der gesamte Geschäftsbericht und alle Anträge durchgesehen wurden, macht es wenig Sinn, auf alle Kritikpunkte einzugehen. Die Dynamik solcher Kongresse verbietet dies. Auf einem Vorbereitungstreff am 19.3.2009 in Frankfurt am Main wurde diskutiert, sich auf drei, vier Punkte zu konzentrieren, die leicht verständlich und schon hinreichend vordiskutiert sind. 1. Keine Wahlkampfreferate der "Spitzenkandidaten" der Parteien ohne Möglichkeit zur Gegenrede, Nachfrage und Kritik! Das ist eine demokratisch-gewerkschaftliche Selbstverständlichkeit! 2. Keine Vertuschung gewichtiger innergewerkschaftlicher Debatten (Deutschlandlied, Ro 19, Geschichtsrevisionismus) 3. Ein klares NEIN zu Hatz IV als Basis gewerkschaftlichen Selbstverständnis. Da manche Delegierte dies und das möglicherweise nicht präsent haben, wurden im Anhang Schlüsseldokumente in Auszügen zusammengestellt, die im Ganzen ja auch vor dem Kongress noch eingesehen werden können." Diskussionsvorlage zum Gewerkschaftstag von Benjamin Ortmeyer pdf-Datei


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