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Updated: 18.12.2012 15:51 |
LVV-Beschluss zu Ro19 – ein Paradigmenwechsel in der GEW [*] In der Debatte um den Erwerb des Hauses Rothenbaumchaussee 19 von einer jüdischen Erbengemeinschaft im Jahre 1935, dessen erneute Aneignung nach 1945 und den Schlussfolgerungen, die heute daraus zu ziehen sind, sind viele historische Details zutage gefördert worden, die in ihrem sachlichen Gehalt weitgehend unstrittig sind. Die der LVV vorausgehende ausführliche Diskussion über die Konsequenzen, die in der GEW heute zu ziehen sind, hat dem Landesverband weder innergewerkschaftlich, noch nach außen geschadet. Im Gegenteil, es ist vielen Mitgliedern, SympathisantInnen und Beobachtern von außen deutlich geworden, dass die GEW in Hamburg – anders als viele andere Organisationen, wie z.B. die an der Zwangsarbeit beteiligten Unternehmen oder traditionsreiche Fußballverbände – die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte ernst nimmt. Dagegen haben der Beschluss der LVV und die Debatte während und nach der Versammlung einen Verlauf genommen, der den Landesverband über lange Zeit schaden könnte. Oberflächlich ist dies vor allem an der Personalisierung der Debatte, den persönlichen Anwürfen von beiden Seiten und der hohen Dichte an formalistischen Argumenten erkennbar. Ein typisches Beispiel dafür ist, dass das eigentlich schon seit Martin Walsers Attacken gegen Ignatz Bubis im Jahre 1998 verbrannt gewähnte Schlagwort „Moralkeule“ mehrfach bemüht wurde. Der Begriff unterstellt sowohl eine Instrumentalisierung, als auch grundsätzlich eine Austauschbarkeit von Opfern und Tätern, vor allem aber führt er hin zu einer Metaebene, auf der man lange und fruchtlos über die Art und Weise des Diskutierens und das reine oder strapazierte Gewissen reden kann – und damit nicht mehr über die eigentlichen politische Inhalte. Auch der Bericht über die LVV in dieser Zeitschrift unterstreicht mit seinen Fotos und Zitaten eher den Eindruck einer Art Familienkrachs als einer Debatte, in der es um zwei nicht vereinbarende – um nicht zu sagen: antagonistische – politische Positionen geht. Das Ergebnis hat dann auch sowohl innerhalb der Gewerkschaft, als auch in der Öffentlichkeit eine ganz andere Wirkung als die vorangegangene Debatte entfaltet: Der Landesverband steht letztlich als winklig-opportunistischer Verein da, der gerade so viel Sühne leisten will, wie er bereit ist aus seinem Vermögen zur Verfügung zu stellen. Bezeichnenderweise ist auch die öffentliche Rezeption der LVV-Debatte und –Beschlüsse, so peinlich sie für die GEW auch waren, in der GEW überwiegend personalisiert (Wer hat warum Informationen weitergegeben? Wer reagiert warum so?), nicht aber vorrangig inhaltlich oder politisch betrachtet worden. Es entsteht der Eindruck, die GEW Hamburg wolle die mit dem Besitz des Hauses Rothenbaumchaussee 19 verbundenen Probleme schlichtweg aussitzen. Der innergewerkschaftliche Konflikt und die Folgen des Beschlusses werden die Organisation in den nächsten Jahren jedoch weiter begleiten und zwar auf eine Weise, die sie schwächen wird. Die Gründe für diese Annahme liegen in dem jeweiligen Denkmuster der beiden vorgebrachten Positionen. Es trennt die beiden Positionen bei der Einschätzung des Erwerbs nämlich vor allem die Bedeutung, die dem politischen System des deutschen Faschismus beigemessen wird. Während die eine Seite die Erhebung des rassistischen Antisemitismus zur Staats-doktrin (1935 wurden auf dem 7. Reichsparteitag der NSDAP die Nürnberger Rassengesetze beschlossen) und den sich schnell entwickelnden faschistischen Terror als Hintergrund für den Verkauf des Hauses sehen, versucht die andere Seite, anhand verschiedener Rahmenbedingungen wie z.B. der Zustand des Immobilienmarktes 1935 oder die Biographien der Verkäufer – aber eben nicht die politische Herrschaft der NSDAP – nachzuweisen, dass der Erwerb des Hauses in Ordnung geht. Lässt man einmal die Vermischung von finanziellen und inhaltlichen Aspekten zunächst beiseite, dann steht damit nicht nur die Frage, welche moralische und politische Bedeutung die Sühne von Unrecht aus der Nazizeit hat, sondern letztlich auch die Rolle des Antifaschismus zur Debatte. Das vorherrschende Denkmuster in der GEW war in den letzten Jahrzehnten, vor allem aber nach 1968, der Antifaschismus, der einen allgemein anerkannten Konsens über gemeinsame Annahmen und Vorstellungen widerspiegelte: die Solidarität mit den Opfern, die kritische Verarbeitung einer verdrängten und verschwiegenen Vergangenheit als Voraussetzung für die Erkenntnis der Gegenwart, die rückhaltlose Aufklärung aller Taten und Zusammenhänge und die Verpflichtung zur Sühne. Dieser Konsens schloss sowohl Verpflichtung zur Zusammenarbeit aller Demokraten gegen Militarisierung und Repression, als auch die Erkenntnis vom Klassencharakter des Faschismus in Erinnerung an die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 mit ein. Daraus erwächst ein besonderer Anspruch an antifaschistisches Handeln der Gewerkschaft. Auf dieser Grundlage hat die GEW lange Zeit klare Antworten für ihr politisches Handeln gefunden und Entschiedenheit und Kraft gezogen. Ein Denkmuster, das sowohl einen Konsens widerspiegelt, als auch die Grundlage für Analyse und Tat bildet, nennt man gemeinhin ein Paradigma. Verlässt man dieses, dann liegt ein Paradigmenwechsel vor. Indem der Gedanke aufgegeben wird, dass eine Gewerkschaft eine wie auch immer geartete Arisierung in ihrer Geschichte aufklären muss, dass sie nicht von dieser profitieren darf und dass sie alles daransetzen muss, diese zu sühnen, nimmt sie einen solchen Paradigmenwechsel vor. In vielen gängigen Debatten wird dies als Zeichen von Modernität gedeutet, in unserem Falle ist es ein historischer Fehler und eine gefährliche Schwächung. Die Gefahr liegt dabei nicht abstrakt in der Aufgabe von Kampfpositionen und erst recht nicht darin, dass die Beschäftigung mit diesen Fragen uns vom „Tagesgeschäft“ abhält, sondern in dem Verlust an politischer Klarheit in der Auseinandersetzung mit einem zunehmend nach rechts rückenden Staatsapparat: Abbau der betrieblichen Demokratie, soziale Ausgrenzung immer größerer Menschengruppen, Militarisierung der Außenpolitik und Aufblähung der Rüstungsausgaben, Abbau der Bildungshaushalte und Privatisierung. Im übrigen sei hier betont, dass die GEW zur Zeit nicht in angemessener Weise politisch und gewerkschaftlich auf die Bildungspolitik des CDU-Senates reagiert. Hat doch die Frühjahrs-LVV nicht einmal einen Beschluss zur Entwicklung einer Kampagne bis zu den nächsten Bürgerschaftswahlen im Februar 2008 zustande gebracht. In diesem Zusammenhang sollte der Eindruck vermieden werden, als diente die Ro19-Debatte als Rechtfertigung für diese Situation. Hinzu kommt, dass die rechtfertigende Einbeziehung finanzieller Erwägungen die Situation der GEW nicht geklärt, sondern vielmehr dramatisch verschlimmert hat. Das liegt an den unklaren, widersprüchlichen und in der Tendenz eher verschleiernden Beschlüssen, Argumentationsweisen und Aussagen. Einerseits wird anerkannt, dass es so etwas wie eine moralische Verpflichtung gibt und gleichzeitig sollen in einer unausgewiesenen Prioritätensetzung die aktuellen gewerkschaftlichen Zielsetzungen höher zu bewerten sein als diese moralischen Verpflichtungen. Mit dem gefassten LVV-Beschluss werden die Verpflichtungen nämlich unter der Hand durchaus anerkannt, aber eben nur ein bisschen: An der Sache sei zwar was dran, unter anderem gebe aber das Verhalten der Opfer selbst Grund zur Annahme, dass wir höchstens ein wenig Schuld hätten. Deshalb sind wir bereit einen Fond einzurichten, aus dem jährlich eine Summe von bis zu 10.000 Euro zur Unterstützung antifaschistischer und antirassistischer Initiativen innerhalb und außerhalb der GEW-Hamburg ausgezahlt werden kann. Wir erklären uns also bereit, etwa 6,5% der Mieteinnahmen an Ro19 zu spenden, die wir ansonsten aber gerne behalten möchten. Das Resultat des Paradigmenwechsels ist also vor allem ein unglaubwürdiges Handeln. In der Argumentation der Befürworter eines weiteren Verbleibens des Hauses im GEW-Besitz wird überdies die positive Auswirkung und Notwendigkeit der Mieteinnahmen für unsere Handlungsfähigkeit herausgestellt. Gleichzeitig werden aber die finanziellen Schwierigkeiten verschwiegen, die aus den Schulden für die Renovierung des Curiohauses im Jahre 1997 resultieren. Die Rückzahlung kostet uns jährlich an die 400.000 Euro Zinsen und zwar die nächsten 21 Jahre – zuzüglich zu den Zahlungen der vergangenen zehn Jahre! – vorausgesetzt in diesem Zeitraum fällt keine einzige Reparatur an und es wird weiterhin keine Abschreibung getätigt. Während die Kredit gebende Bank rund drei Jahrzehnte lang mit Zinseinnahmen versorgt wird, ist zumindest bis heute der GEW kein Cent Gewinn zugegangen; die Einnahmen reichten bislang knapp für den Schuldendienst. Nach zehn Jahren Verlusten und fehlender Abschreibung sind wir jetzt zum ersten Mal in einer Jahresbilanz auf plusminus Null angekommen. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass sich an diesem Zustand etwas ändern wird. Bei einer anderen Verwendung der bestehenden Werte könnte die GEW leicht den Mietverlust durch Ro19 ausgleichen. Beraten und beschlossen wurde also nicht eine ohnehin längst überfällige Revision der finanziellen Versorgung der GEW, sondern eine Einzelfalllösung, nämlich ausschließlich in Bezug auf Ro19 und das auch nur temporär. Der Mietvertrag mit der Uni für dieses Haus läuft nur noch rund vier Jahre, für die Zeit danach gibt es noch keine Lösung. Anstatt also – ausgehend von einer ausgewiesen politisch-moralischen Entscheidung – die eigenen Finanzen rückhaltlos zu prüfen und eine wie auch immer geartete Rückerstattung in die Wege zu leiten, wird versucht gleichzeitig Rechtsnachfolgerin des Nationalsozialistischen Lehrerbundes und unschuldig an der Arisierung zu sein, auf einen rechtmäßigen Erwerb des Hauses zu pochen und trotzdem großzügige Spenden zu geben, den antifaschistischen Konsens in einem Paradigmenwechsel aufzugeben und gleichzeitig der Unterstützer von antifaschistischen und antirassistischen Initiativen sein zu können. Selten ist so viel für so wenig aufgegeben worden. Und selten ist es so vorhersehbar, wie wenig haltbar diese gewählte Positionierung sein wird: Das Problem Ro19 wird in der kommenden Zeit in verschärfter Form wiederkehren. Die GEW muss sich also in den nächsten zwei Jahren neu entscheiden, damit rechtzeitig vor dem Auslaufen des gegenwärtigen Mietvertrages die Zukunft von Ro19 geplant werden kann. Man stelle sich nur vor, die Immobilie Ro19 wird 2011 mit Gewinn verkauft - nach der bisher geführten Diskussion ein unmoralisches Geschäft. Der Landesverband sollte also die Diskussion wieder aufgreifen und den LVV-Beschluss revidieren. Dass dies formal möglich ist, wurde vor wenigen Jahren am Streikbeschluss der LVV erprobt. Der wurde wenige Monate, nachdem er gefasst war, durch die Vertrauensleuteversammlung wieder kassiert. Die seit der LVV ausgehobenen Schützengräben sollten verlassen werden und die GEW sollte den schleichenden Paradigmenwechsel wieder rückgängig machen. Artikel von Uwe Post und Uli Ludwig, unter einem anderen Titel erschienen in der hlz (Hamburger Lehrerzeitung der GEW Hamburg) Ausgabe Juni / Juli 2007 |