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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Gesunde Unternehmen, gesunder Konsum, gesunde Menschen? Symbolische Gesundheit und postfordistische Produktionsverhältnisse Von Regina Brunnett Dem Thema Gesundheit begegnet man überall - in den zahllosen Ratgebern zu Ernährung, innerer Balance oder Fitness, in Massenmedien und Supermarktregalen: Den radikalen Kahlschlag des Gesundheitssystems begleitet ein wachsender Markt für Gesundheitsprodukte und -angebote. Doch was "ist" Gesundheit? Für die traditionelle Medizin scheint die Antwort eindeutig: Gesund ist der Mensch dann, wenn er/sie nicht krank ist, wenn Organe und/oder Psyche funktionieren: Krankheit und Gesundheit sind demnach objektive Gegebenheiten. Dieses Konzept von Gesundheit hat jedoch im selben Maße an Bedeutung verloren, wie die symbolisch-kulturelle Bedeutung von Gesundheitspraktiken und -konsum wächst. Was wiederum kein Zufall ist, sondern, wie Regina Brunnett zeigt, aus der Transformation von Produktionsbedingungen, Arbeitsformen und Subjektmodellen im Postfordismus resultiert. Seit den 1970er/1980er Jahren ist das biomedizinische Gesundheitskonzept in die Krise geraten. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die drastische Zunahme chronisch-degenerativer Krankheiten - Krankheiten also, die weder eindeutige Auslöser haben, noch durch medizinische Therapien geheilt werden können. Angefochten wurde das biomedizinische Paradigma aber auch und vor allem durch die politischen Gesundheitsbewegungen der 1970er/1980er Jahre, die die Schulmedizin als reduktionistisch und entfremdend kritisierten. Seit dieser Zeit ist nicht nur die Wertschätzung von Gesundheit gestiegen (Gesundheit als Wert rangiert in Meinungsumfragen hierzulande unangefochten auf Platz eins), sondern es hat sich auch ein boomender Gesundheitsmarkt für Produkte und Dienstleistungen etabliert. Grundsätzlich gilt: Gesundheit "ist" nicht (nur), sondern wird als soziale und kulturelle Konstruktion (auch) produziert und angeeignet. Und diese Aneignungsformen haben sich - nicht zufällig - seit den 1970er Jahren eklatant gewandelt. Die Hegemonie des biomedizinischen Paradigmas als "funktionierender Maschinenkörper" ist mittlerweile abgelöst worden: Ob in medizinischen Fachzeitschriften, in Konzepten für "gesunde Gefängnisse" oder in neuen Konzepten des Arbeitsschutzes - geradezu euphorisch wird von dem "neuen ganzheitlichen Bild" des Menschen gesprochen. (1) Die staatliche Deregulierung von Arbeitsschutz als Verpflichtung von Unternehmen gegenüber ArbeitnehmerInnen wird begleitet von Neukonzeptionen betrieblicher Gesundheitspolitik, die den Schwerpunkt der Interventionen von der Schnittstelle Mensch-Maschine auf die Schnittstelle Mensch-Mensch verlagern. Ganzheitlichkeit wird so zu einem Schlüsselkonzept für den faktischen Abbau des gesetzlichen Rechts auf Arbeitsschutz. Der systemische Ansatz des modernen Gesundheitsmanagements (GM) geht davon aus, dass motivierte und gesunde ArbeitnehmerInnen Bedingung für gesunde = wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen sind. In einer bizarren Reihung werden Depression, Selbstvertrauen, Arbeitsmotivation oder Kooperationsbereitschaft der ArbeitnehmerInnen so zu Indikatoren für den Gesundheitszustand eines Unternehmens. Die Konzentration auf psychosoziale Aspekte von ArbeitnehmerInnen-Gesundheit führt außerdem dazu, dass körperliche Aspekte von Gesundheit und Arbeitsschutz immer weniger interessieren. Der Widerspruch zwischen Arbeit und Gesundheit taucht in Konzepten des Gesundheitsmanagements überhaupt nicht mehr auf. Das bedeutet jedoch einen fundamentalen konzeptionellen Bruch mit dem Leitgedanken des Arbeitsschutzes, wonach Arbeit im Kapitalismus Menschen potenziell Schaden zufügt. Ganzheitlichkeit von Gesundheit war bis in die 1990er Jahre eine politische Forderung, die nicht nur von Gesundheitsbewegungen, sondern auch von Arbeitsschutzakteuren (Berufsgenossenschaften, Gewerkschaften, Unternehmerverbände etc.) artikuliert wurde. Als Gegenentwurf zu den reduktionistischen Konzepten der Bio-Medizin lieferten ganzheitliche Gesundheitskonzepte einen Ansatzpunkt, gleichzeitig für eine stärkere Orientierung auf die Bedürfnisse der Subjekte und für die Veränderung sozialer (Arbeits-)Verhältnisse einzutreten. Die Gesundheitsbewegungen trieben auf diese Weise die Erosion der Definitionsmacht bio-medizinischer Sichtweisen und damit letztlich auch die politische und ökonomische Vereinnahmung alternativer Gesundheitskonzepte voran. Dennoch sind die hier skizzierten Veränderungen weder allein in der Nische der Gesundheitsbewegungen entwickelt, noch umgekehrt von "von oben" aufgepfropft worden. Vielmehr waren und sind sie eingebettet in einem strukturellen Wandel der Formen, in denen Menschen sich Körper und Gesundheit aneignen. Die Popularität von Jogging oder Körpertherapien deutete bereits in den 1980er Jahren auf einen neuen Gesundheitskult hin. Individualistische Gesundheitskonzeptionen erfuhren eine Aufwertung - besonders in jungen, städtischen Mittelklassen, wie eine Untersuchung in der Schweiz Anfang der 1980er Jahre zeigte (2): Angehörige der urbanen Mittelklassen werteten ihre Gesundheit in hohem Maß als integralen Bestandteil ihrer individuellen Lebensentwürfe und ihres Lebensstils. Symbolische Gesundheit als Lebensstil Diese Verbindung von Gesundheit mit Praxen der Selbstdarstellung und -verwirklichung lässt sich als "symbolische Gesundheit" bezeichnen, denn Körper und Gesundheit erhalten dadurch bestimmte symbolische Funktionen. Was als symbolisierungsfähig in Frage kommt, hängt dabei von kulturellen Codes ab: Vitamintabletten oder Yoga sind dann zur Symbolisierung des Selbst und des eigenen Lebensstils geeignet, wenn entsprechende kulturelle Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sie als solche entziffern. "Symbolische Gesundheit" ist außerdem ein Konzept, das dem traditionellen Verständnis von Gesundheit als "Gebrauchswert" gegenüber steht. Die Aneignung von Gesundheit als Gebrauchswert zeigt sich z.B. in Sichtweisen, die die Resistenz gegen Beschwerden und Schmerzen hoch bewerten, "zuviel auf seine Gesundheit zu achten" als überflüssigen Luxus ansehen oder die Schicksalhaftigkeit von Krankheit in den Vordergrund stellen ("was will man machen"). Gesundheit wird in dieser Konzeption also über die körperliche Funktions- und Leistungsfähigkeit bestimmt. Die bereits erwähnte Schweizer Umfrage aus den 1980er Jahren fand das Gebrauchswert-Konzept vorrangig in städtischen Arbeiterklassen und ländlichen unteren sozialen Klassen, z.B. bei BäuerInnen. Sich Körper und Gesundheit als Gebrauchswert anzueignen, entsprach deren objektiven materiellen Lebensbedingungen, d.h. der Notwendigkeit einer exzessiven Vernutzung körperlicher Arbeitskraft. Der Verlust von Gesundheit war unter diesen Bedingungen deshalb stets - trotz sozialer Sicherungsmechanismen - mit einer potenziellen Existenzgefährdung verknüpft. Stellt man etwas schematisch "Gebrauchswert" und "symbolische Gesundheit" gegenüber, so zeigt sich, dass das Ausmaß des Körperbewusstseins und damit der Grad der Aneignung von Gesundheit als symbolischer Gesundheit in dem Maße gewachsen ist, wie Körper strukturell aus der existenziellen Notwendigkeit ihrer unmittelbaren Reproduktion als Arbeitskraft freigesetzt werden. In dem Maße, wie im Rahmen immaterieller Arbeit statt rein körperlicher Arbeitskraft nunmehr intellektuelle, affektive und soziale Fähigkeiten als Ressourcen von Wertschöpfungsprozessen erschlossen werden, setzt ein Prozess der Produktion und Konsumption von Gesundheit als immaterielles Produkt, d.h. als Gefühl von Wellness, Eigenmächtigkeit etc. ein. Gesundheit und Körper werden dadurch als "symbolische Produkte" hergestellt und symbolisieren ihrerseits Humankapital, das für Individuen und das Kapital eine notwendige Ressource bildet. Die Freisetzung von Körpern aus dem Produktionsprozess ist also ironischerweise die strukturelle Grundlage für die Warenförmigkeit von Gesundheit; also dafür, dass Gesundheit zu einem kulturellen Bedürfnis geworden ist, welches ähnlich wie "Freizeit" wesentlich über den Konsum symbolisch aufgeladener Produkte befriedigt werden kann. Aloe Vera, Tae Bo, Wellness Ein Indiz für die kulturelle Bedeutung von symbolischer Gesundheit ist der Boom des Gesundheitsmarktes seit den 1980er Jahren. Dieser Markt verknüpft Bedürfnisse nach Gesundheit mit der Produktion von Lebensstilen; und diese Verknüpfung hat zur Folge, dass ständig neue Gesundheitsprodukte auf den Markt gebracht und konsumiert werden (man erinnere sich z.B. an die Aloe-Vera-Welle vom vorletzten Jahr, Tae Bo (3) vom vorvorletzten Jahr, Wellness-Getränke vom letzten Jahr). Die neuen Gesundheits(konsum-)praktiken setzen ein individualistisches Gesundheitsbewusstsein, einen gewissen ökonomischen Wohlstand und eine Bereitschaft, individuell in Gesundheit zu investieren, voraus. Gleichzeitig sind so genannte alternative Gesundheitsverfahren weniger an der Beseitigung von pathologischen Erscheinungen als vielmehr an der Aktivierung von Selbstheilungskräften orientiert. Sie verlangen von den Einzelnen eine gesteigerte Selbstbeobachtung und eine z.T. drastische Umstellung der Lebensgewohnheiten. Die Bereitschaft dazu wird von Einzelnen und der Gesellschaft als Bereitschaft zu Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverantwortung gewertet. Yoga oder autogenes Training symbolisieren also (auch) die Fähigkeit zur Stressbewältigung und darüber hinaus der Selbstveränderung. Umgekehrt symbolisieren diese Praktiken aber auch das positive Erleben des eigenen Selbst, d.h. Gefühle von Entspannung, Selbstsorge oder Wohlbefinden können durch den Konsum von Gesundheitsgütern und durch bestimmte Gesundheitspraktiken angeeignet werden. Als kulturelle Produkte sind diese Gefühle und Wahrnehmungen Marktveränderungen zugänglich. Das ermöglicht eine eklatante Ausweitung des Gesundheitsbegriffs auf immer weitere Konsumgüter und deren Vermarktung als zugleich emotionale wie effektive Selbstsorge. Schon mit einer Tasse ayurvedischen Tees, einem biologischen Haarwaschpräparat, Sekunden-Entspannungsübungen und Kurz-Akkupressur ist es möglich, so das imaginäre Versprechen, "sich gut zu fühlen" und "Verantwortung für sich zu übernehmen". Die Expansion des Gesundheitsmarktes speist sich also auch aus der Sehnsucht nach ganzheitlicher Gesundheit. Im Zuge eines neuen Schubs der Kommodifizierung ist Gesundheit auf diese Weise zu einer privilegierten Anlage- und Verwertungssphäre des Kapitals avanciert, die ausgesprochen produktiv ist. So wird dem Gesundheitssektor trotz wirtschaftlicher Rezession ein ungebrochen hohes Wirtschaftswachstum prognostiziert. Im Zuge der zunehmenden Inwertsetzung der subjektiven Fähigkeiten von Menschen, ihrem so genannten "Humankapital", ist auch ganzheitliche Gesundheit ins Zentrum makroökonomischer Überlegungen gerückt. Die Erschließung psychosozialer Potenziale als Basisinnovation könnte die nächste "lange Welle der Konjunktur" (4) auslösen. Dieser Prozess wird angetrieben durch "das Streben nach einer ganzheitlich verstandenen Gesundheit". (5) Imaginationen neoliberaler Ganzheitlichkeit Gesundheit wird gegenwärtig nicht zufällig in neoliberaler Manier zu Humankapital, d.h. zu subjektiven Fähigkeiten wie Kreativität, Innovation oder Partizipation in Beziehung gesetzt. Allerdings handelt es sich dabei um eine hochgradig imaginäre Beziehung, denn kulturelle und ökonomische Leitbilder, z.B. des unternehmerischen Subjekts, das beständig ökonomisch kalkulierend, aktiv und vorsorgend agiert, spiegeln nicht faktische Subjektivitäten, sondern vor allem kulturelle Vorstellungen von Subjektivität wider. Symbolische Gesundheit trifft sich mit diesen Leitbildern in der Konzentration auf die individuellen Veränderungspotenziale des einzelnen Menschen. Stressbewältigungskurse, Coaching oder Wellness-Wochenenden versprechen, gesellschaftliche Leitbilder mit tatsächlicher Subjektivität in Übereinstimmung zu bringen und damit auch Widersprüche zwischen gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensverhältnissen und Subjekten zu versöhnen. Dass dies imaginär ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass psychische und psychosomatische Erkrankungen als Folge der verschlechterten Arbeitsverhältnisse, die sich z.B. durch gestiegenen Zeitdruck, erhöhtes Arbeitsvolumen und -dichte oder wachsender Angst um den Arbeitsplatz oder bereits erfolgten Arbeitsplatzverlust auszeichnen, eklatant im Anstieg begriffen sind. All dies heißt jedoch nicht, dass auf symbolische Gesundheit einfach verzichtet werden könnte - denn sie bietet tatsächlich kulturell anerkannte Möglichkeiten zur emotionalen und körperlichen Entlastung und Reproduktion. Insofern kann symbolische Gesundheit helfen, die Einschränkung der (ökonomischen und sozialen) Möglichkeiten zur aktiven Gestaltung von Lebensverhältnissen zu kompensieren. Doch der symbolische Gehalt von Gesundheitspraktiken könnte langfristig dadurch untergraben werden, dass es nicht gelingt, die mit diesen Praktiken verbundenen imaginären Versprechen für die Subjekte auch wirklich einzulösen - ein Prozess, der durch den sukzessiven Kahlschlag sozialer Sicherungssysteme verstärkt wird, insofern die Notwendigkeit der privaten Investition in Gesundheit zwar aus ökonomischen Gründen steigt, sinkende Lebensstandards andererseits aber breiten Schichten genau dafür die finanzielle Grundlage entziehen. So geraten Arbeits- und Lebensverhältnisse und die Versprechen symbolischer Gesundheit als kulturelle Aneignungspraxis in zunehmendem Maße in Widerspruch zueinander. Möglicherweise also wird die neoliberale Hegemonie "ganzheitlicher Gesundheit" dadurch gefährdet, dass sich die Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit, Selbstverwirklichung und Emanzipation durch den Konsum von Gesundheitsgütern und die Ausübung individualisierter Gesundheitspraxen nicht erfüllen lässt. Und daraus könnte nicht zuletzt ein Potenzial für eine Re-Politisierung von Gesundheit erwachsen, die über die neoliberale Aneignung von Gesundheitskonzeptionen hinausweist. Erschienen in: Fantômas 7: ideologische zäsuren. körper, glaube, raum vom vom Sommer 2005 Regina Brunnett, lebt in Hamburg, promoviert an der Universität Hamburg, forscht und schreibt zu Gesundheit, Gesundheitspolitik und Arbeitsschutz. Anmerkungen: 1) S. Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung (Hg.), Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik. Vorschläge der Expertenkommission , Gütersloh 2004 2) Buchmann, Marlis, Karrer, Dieter und Meier, Rosemarie, Der Umgang mit Gesundheit und Krankheit im Alltag , Bern und Stuttgart 1985 3) Tae Bo wurde - laut Fach-website fitness.com - zum Synonym für die gesamte Gattung "Kampfsportaerobic". Dieser Trend sei aus der Fitness-Szene nicht mehr wegzudenken und gehöre in das umfassende Trainingsangebot eines jeden Centers. 4) Die entsprechende von Nikolai M. Kondratieff begründete makroökonomische Theorie basiert auf der Annahme, dass diese langen Wellen jeweils auf Basisinnovationen gründen, wie z.B. mikroelektronische Entwicklungen und Informationstechnik. 5) Vgl. Leo Nefodiow, zit. in: Sauer, Herbert (Hg.), Betriebliches und Persönliches Gesundheitsmanagement , Stuttgart 2002, S. 75 |