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Updated: 18.12.2012 15:51
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Arbeitspsychologie : Die erschöpfte Republik

Immer mehr Beschäftigte kommen mit der modernen Arbeitswelt nicht mehr zurecht - sie scheitern regelrecht an deren zerstörerisch wirkenden Ansprüchen auf Selbstverwirklichung, die die Unternehmen für ihre Ziele ausbeuten. Allein im Jahre 2006 beliefen sich die Kosten unserer Gesellschaft , seelisch Kranke gesundheitlich wieder her zu stellen auf 26,7 Milliarden Euro, wie das Statische Bundesamt zuletzt errechnet hat. (siehe Frankfurter Rundschau externer Link)

Zur Vertiefung möchte ich einfach ein wenig an Hintergrund für diese aktuelle Entwicklung durch die Anforderungen unserer modernen Gesellschaft einbringen :

Der Titel dieses Artikels in der FR lehnt sich an an die Aufsehen erregende Streitschrift von Alain Ehrenberg "Das erschöpfte Selbst" Depression und Gesellschaft in der Gegenwart.

Ehrenberg erläutert wie die Ansprüche an die modernen Menschen, die als "Eigenverantwortung", "Selbstverwirklichung" , Erfolg und Glück daherkommen und in den modernen kapitalistischen Gesellschaften von jeder und jedem übernommen werden ( müssen ), oft zum Scheitern verurteilt sind. Die Menschen reagieren dann mit innerer Leere , mit Depression, Antriebslosigkeit oder auch Suchtverhalten.

In Frankreich wurde dieses Buch zum Bestseller (vgl. www.perlentaucher.de/buch/19067.html externer Link auch www.zeit.de/2004/42/st-ehrenberg externer Link sowie www.single-generation.de/frankreich/alain_ehrenberg.htm externer Link)

Die EU hatte in einem Bericht die Depression zu der aktuellen Volkskrankheit erklärt. (siehe z.B. www.welt.de/gesundheit/article3273000/Depressionen-bald-Volkskrankheit-Nummer-eins.html externer Link)

Es kann auch ausführlicher erklärt werden : So kommt es leicht dazu, dass der Mensch bei objektiv nicht vorhandenem Handlungsspielraum in einen sich selbst bestätigenden Prozess der "erlernten Hilflosigkeit" gerät. Hilflosigkeit entsteht also in einer Situation, die nahelegt, dass Handeln entweder gar nicht möglich ist oder ohne jede Folge bleibt. Es entwickelt sich so ein Teufelskreis, an dessen Ende eine manifeste Depression ( o.ä. ) wahrscheinlich ist. Der kranke Mensch glaubt nun nicht mehr, dass er sein Leben kontrollieren kann.....

Ein Ausweg kann sein, die soziale Umwelt verstehen zu lernen und mit ihr aktiv umzugehen - so kann der damit "neu" geschaffenen Situation ein Sinn zugeschrieben werden - ein "Kohärenz-Sinn" ( im englischen : sense of coherence bzw. kurz "SOC" ) (siehe dazu www.gutearbeit-online.de/archiv/beitraege/2006/2006_10_hien_depressionen.pdf externer Link pdf Datei)

Demgegenüber will die Bundesanstalt für Arbeitsschutz ( BAuA ) mit einer neuen Studie zu der Erkenntnis gelangen, dass bei den arbeitsbedingten Ursachen von Depression nur die objektiv bewertete Arbeitsintensität , nicht aber der Tätigkeitsspielraum eine Rolle spielen. Das heißt : Je höher die objektive Arbeitsbelastung ist, desto häufiger treten sowohl Depressionen als auch depressive Verstimmungen bei den Beschäftigten auf. (siehe dazu http://idw-online.de:80/pages/de/news379319 externer Link)

Das soll wohl heißen, ob Autonomie-Spielraum oder nicht die Arbeitsbelastung wird entscheidend.

Aber nicht nur im so verkürzt wahrgenommenen Hartz-IV-Spektrum wurde die "Eigenverantwortung" zu einer zentralen Chiffre für den Wertewandel - und die soziale Seite des Menschen zur gesellschaftlichen Verantwortung wurde vernachlässigt . ( vgl. z. B. : "Verantwortungsbereitschaft der Menschen -eine vernachlässigte Ressource ? externer Link)

Als Antwort auf diese Situation machten sich in den Gewerkschaften zunächst vor allem Betriebsräte an diese so pardoxen Anforderungen des Arbeitslebens, das einerseits mehr Freiheit versprach, aber gleichzeitig es den Unternehmen ermöglichte mehr Druck auf die Beschäftigten auszuüben, indem sie diese Freiheit für ihre Ziele in Dienst stellte. (vgl. hierzu z.B. Wilfried Glißmann / Klaus Peters "Mehr Druck durch mehr Freiheit" - Die neue Autonomie in der Arbeit und ihre paradoxen Folgen ( 2001 ) - oder auch www.cogito-institut.de externer Link)

Man konnte es auch kurz auf den Nenner bringen "Herrschaft durch Autonomie" ( z.B. Dieter Sauer "Arbeit im Übergang")

Ja, es war die Boomphase der IT-Industrie, in der diese neue Kultur der Selbstbestimmung wegweisend wurde und die tradierte kollektive Interessenvertretung überflüssig machte bzw. zu machen schien.

Jedoch mit bzw . nach der "New-Economy-Krise" wurden die Arbeitsbedingungen weniger komfortabel und es wurde um diese Selbstbestimmungs-These etwas stiller.

Mittlerweile stehen - gerade auch für die diesbezüglich oft wegweisenden IT-Beschäftigten - individuelles Interessenhandeln und kollektive Interessenwahrnehmung zunehmend weniger im Widerspruch zueinander. Das Interesse an Selbstbestimmung und gemeinschaftlicher Selbstverwirklichung in der Arbeit steht nach wie vor hoch im Kurs. Aber gerade an diesem Punkt erleben sich - inzwischen - die Beschäftigten häufig im Konflikt mit der Shareholder-Value-Orientierung und den damit verbundenen Kostensenkungsstrategien der Unternehmen. Dazu kommt ein gestiegenes Interesse, die "Übergriffe" der Arbeit auf das Leben jenseits der Arbeit zu begrenzen. ( siehe "Theoretisch bin ich frei" www.isf-muenchen.de/pdf/FlyerTheoretischbinichfrei.pdf externer Link pdf Datei sowie weitere Veröffentlichungen von Andreas Boes www.isf-muenchen.de/mitarbeiter/3/Andreas-Boes externer Link

Und der Wahnsinn der Kostenfrage

Angesichts der enormen Kosten, die diese zunehmenden psychischen Krankheiten verursachen - man spricht von 26,7 Milliarden Euro allein im Jahr 2006 - greift man sich nur an den Kopf, wenn die Unternehmen ,die mit ihrem "puren" Gewinnstreben ( allein der Shareholdervalue gilt ) diese Kosten auf der einen Seite verursachen, gleichzeitig auf der anderen Seite jedoch von der Politik immer mehr ganz allgemein von diesen Kosten entlastet werden.

Hier ist dringend schon deshalb eine Umkehr geboten, dass die Unternehmen diesen Wahnsinn ihrer menschenverachtenden "Ausbeutung" wenigstens auch wieder als Gesundheitskosten selbst und direkt zu spüren bekommen.

Volker Bahl, 18.07.2010


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