Home > Diskussion > Arbeitsalltag: Arbeitsorganisation > Gruppenarbeit > GA-Z | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Lean Production und Gruppenarbeit - über späte und doch unzureichende Einsichten Während die Gewerkschaften Gruppenarbeit seit den 80er Jahren als Mittel zur Humanisierung der Arbeitswelt bisher erfolglos und zunehmend leise forderten, kam der Anstoß diesmal von den (schlanken) Unternehmen, denn im Zeichen der Lean Production sind es Arbeitgeber und Gewerkschaften gleichermaßen, die sich betriebswirtschaftliche und zugleich soziale Vorteile versprechen. Da eine effiziente Techniknutzung nur durch eine breitere Nutzung des Arbeitsvermögens möglich erscheint, wird nun auf der Basis einer "Gestaltungspartnerschaft" (Bahnmüller 1996: 15) die "Rationalisierung durch Humanisierung" (Frieling 1993: 286) verfolgt. Dieser Konsens bestand nicht unwesentlich auf der Akzeptanz der Notwendigkeit der Standortsicherung und Wettbewerbsfähigkeit durch die Gewerkschaften. Entsprechend beinhalten die Musterbetriebsvereinbarungen sowohl der IG Metall als auch der damaligen IG Chemie-Papier-Keramik die Wirtschaftlichkeitsziele bzw. die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Auch in den Betriebsvereinbarungen zur Gruppenarbeit in der bundesdeutschen Automobilindustrie wurden Wirtschaftlichkeit und Humanisierung als gleichrangige Ziele verankert und damit das Streben nach permanenter Verbesserung des Produktivitätsniveaus zur Aufgabe aller ArbeiterInnen gemacht. So wird z.B. bei Opel Kaiserslautern Gruppenarbeit definiert als "eine Organisation und ein Prozeß, in dem die Mitarbeiter zusammenarbeiten, um die Ziele des Unternehmens gemeinsam zu erfüllen. Sie hilft, sich im Unternehmen auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren, stärkt die Verantwortlichkeit aller in bezug auf den Erfolg des Unternehmens und trägt zur Sicherung der Arbeitsplätze bei. Sie schafft einen flexibel einsetzbaren und vielseitig interessierten Mitarbeiterstab, steigert die Mitverantwortung eines jeden Mitarbeiters und fördert somit die Arbeitszufriedenheit."1 So konnten diese neuen Ansätze der Unternehmen als die Bestätigung einer ökonomischen Notwendigkeit zur Abkehr von tayloristisch-fordistischen Konzepten und zum schon länger behaupteten Ende der Arbeitsteilung sowie als der Beginn einer neuen Rolle der menschlichen Arbeitskraft interpretiert werden. Doch es kam anders, so z.B. bei Mercedes. Im Mai 1996 wurde in der Stuttgarter Vertrauensleutezeitung "Scheibenwischer" von Gruppenarbeit als einem "Auslaufmodell" gesprochen. Parallel dazu findet die Rücknahme der wenigen arbeitsorganisatorischen Experimente statt, etwa bei Planungen künftiger Montagen: "FTS-Systeme, Schleifen oder Boxenfertigung wie in Rastatt sind 'out', weil das Invest für solche Anlagen höher liegt, und zum anderen, weil aus einem klassischen Band mit MTM am meisten rauszuholen ist."2 Solche sukzessiven "Rückschritte" samt einer angeblichen, denn in den seltensten Fällen notwendigen "Renaissance des Fließbandes" (Schumann u.a. 1994: 242) sind aus allen Werken der Automobilindustrie, aber auch anderen Branchen bekannt. Aus diesen Erfahrungen heraus wird von allgemeiner Ernüchterung der Belegschaften gegenüber Pilotprojekten und neuen Kampagnen berichtet, denn die ArbeiterInnen wissen, daß "die Pilotgruppen heute als Modell funktionieren, wie in einem Schaufenster, damit die übrigen Arbeiter es sehen können. Intuitiv ist klar, daß viele der Freiheiten, die man sich jetzt herausnehmen kann, die aber nirgendwo schriftlich festgehalten sind, mit der Einführung der Gruppenarbeit in der ganzen Fabrik verschwinden werden" (Das verborgene Gesicht der Gruppenarbeit 1994: 8). Dabei waren mit Gruppenarbeit auch im Zeichen der Lean Production viele Humanisierungshoffnungen verbunden. Doch Prozeßzwänge der vor- und nachgelagerten Bereiche, Einbindung in Just-in-time sowie enge Vorgabezeiten führen zur Reduktion von Kompetenzerweiterung, Job-Rotation und Arbeitsanreicherung auf symbolische Kompetenzen (wie Urlaubsplanung etc.) sowie Re-Spezialisierung. Dieser Schein-Mitgestaltung bzw. Sachzwangverwaltung steht Überforderung durch zugewiesene Verantwortlichkeit ohne dazugehörige Kompetenzen, Einflußmöglichkeiten und Qualifikationen gegenüber. Unter dem Strich verbleibt für die ArbeiterInnen, daß die "Poren des Arbeitstages" immer mehr verschlossen werden. "Management by stress", diese Bezeichnung verwenden Parker und Slaughter3 synonym für Lean Production, erhöht die psychische und physische Belastung der Arbeitstätigkeit und statt Integration leistungseingeschränkter Beschäftigter erfolgt ihre sukzessive Ausgrenzung. Eine wichtige Rolle hierbei spielte die Art und Weise der Aufgabenerweiterung. Für das Unternehmen bedeutet sie eine geringere Vergütung bei Sicherstellung der Flexibilität des Arbeitseinsatzes. Schließlich gibt es bei Gruppenarbeit keine Stillstände und Pausen, denn immer ist etwas zu tun - vorausgesetzt, alle beherrschen möglichst viele Aufgaben in der Gruppe. Eine solche Aufgabenerweiterung ist aber auch eine Strategie der Einbindung: "... der Mitarbeiter (soll) umfassender in die Leistungsprozesse eingebunden werden und die wesentlichen Schnittstellen und Zusammenhänge auf diese Weise transparenter werden. Dem einzelnen wird so die Notwendigkeit seines Beitrages für das gesamte Unternehmen deutlich, was ihn motivieren soll, weniger zu fehlen." (Spies/Beigel 1997: 71)4 Gleichzeitig haben die Gruppen für diese rudimentäre Erweiterung der Zuständigkeiten immer weniger Zeit, da die Zeitvorgabe trotz Dispositionserhöhung und Anlernaufgaben gleich bleibt - erhöhter Zeitdruck und Hektik sind die Folge, denn "es heißt: 'Ihr seid für Qualität zuständig, macht bitte mehr Leistung, repariert und kontrolliert' - Aber mehr Zeit kriegen wir dafür nicht." (Ein Arbeiter, Opel Bochum, zitiert in Einenkel 1995) Ein anderer Arbeiter bei Opel Bochum beschreibt die Situation folgendermaßen: "Gruppenarbeit gleich mehr Aufgaben, gleich viele Leute, nicht mehr Zeit." (Ebd.; vgl. Wompel 1999) Zwar können in der Einführungsphase - je nach betrieblichen und individuellen Macht- und Handlungskonstellationen - einige Aspekte der Gruppenarbeit (z.B. die Reduktion der persönlichen Führungsmacht des Meisters) von einzelnen ArbeiterInnen durchaus und zeitweise als spürbare Arbeitsverbesserung empfunden werden. Dabei verhält sich der kurzfristige Erfolg oft proportional zu den Mängeln der ehemaligen Arbeitssituation. Die kurzfristig entlastenden Effekte der Ausschaltung des ,Nasenfaktors" des Meisters werden jedoch langfristig durch die Verlagerung von Kontrolle und Konflikten in die Gruppen hinein aufgehoben. Diese interne Kontrolle wird ergänzt um eine externe durch Visualisierung und Standardisierung der Operationen, wodurch die Kontrolle keinesfalls schwächer, nur indirekter wird. Zunehmende Entsolidarisierung, Anwesenheits- und Leistungsdruck sowie Leistungskontrolle innerhalb der Gruppen zählen zu den Folgen. Dabei möchten die ArbeiterInnen sich solidarisch verhalten und nicht auf Kosten anderer konkurrieren und viele leiden darunter, daß durch Gruppenarbeit unter diesen Bedingungen "die schlechten Seiten im Menschen aktiviert werden" (ein Arbeiter, Mercedes Bremen).5 Ein Gruppensprecher im gleichen Werk sagte bei einem Bildungsurlaub zu Gruppenarbeit: "Samstag, Sonntag ärgere ich mich und nehme mir vor, mich solidarischer zu verhalten. Aber am Montag gehe ich durchs Werkstor, und die Ellenbogengesellschaft regiert." Wenn die Autoren der MIT-Stude sagen, Lean Production gebe den ArbeiterInnen "die Möglichkeit, ihr Umfeld ständig zu kontrollieren, und den Ansporn, den Arbeitsablauf reibungsloser zu gestalten" (Womack u.a. 1991: 106), so empfinden es diese weniger als "Möglichkeit" oder "Ansporn" und eher als Zwang. Dabei ist dieser Arbeitsdruck "das vitale Werkzeug des Managements, sowohl was die Überwachung der Arbeit betrifft, als auch das Ziel, das gesamte Personal dazu zu zwingen, das System aufrechtzuerhalten. Der Druck, dem sowohl die Beschäftigten als auch das Management ausgesetzt sind, ist weder zufällig, noch ein Nebenprodukt des Systems, das eliminiert werden kann." (Parker/Slaugter 1994: 83) Das Arbeitstempo ist dabei auf optimale Bedingungen ausgerichtet. Abweichungen vom geplanten Standard, ob körperliche oder Materialprobleme (z.B. diejenigen eines Arbeiters bei Opel Bochum: "Wenn sich eine Schraube verkantet, komm ich nicht mehr mit.") - jede kleinste Abweichung gefährdet das überspannte System. Allerdings wird so oder so der Arbeiter dafür verantwortlich gemacht. Das früher als unmenschlich bezeichnete REFA-System der Arbeitsbewertung erscheint deshalb vielen im nachhinein als "ein gewisser Schutz vor Selbstausbeutung" (ein Betriebsrat, BMW Dingolfing) und als eine feste Orientierungsgröße, die nun vermißt wird. Bei so verstandener Arbeitsorganisation, die lediglich einer breiteren Nutzung des Arbeits-vermögens und der Schließung von Produktivitätslücken dient, kann m.E. kaum von einer Humanisierung durch Gruppenarbeit gesprochen werden. Die negative Arbeitssituation verstärkt sich zudem sukzessive entlang der Zulieferpyramide und es scheint eine Hierarchisier-ung der Arbeitsbedingungen stattzufinden. Angeblich strukturinnovative Gruppenarbeit, die dem Anspruch der Selbstorganisation am nächsten kommt, wird nicht zufällig nur aus "High-Tech"-Bereichen (z.B. Roth 1996: 145 f.) oder ausschließlich für die ca. 8% der "Systemregulierer" berichtet (z.B. Schumann/Gerst 1996). Es handelt sich hierbei um schon immer entspanntere und priviligierte Arbeitsbereiche oder gar "Vorführ-Inseln" (ein Betriebsrat, Mercedes Bremen): "Konzernweit auffallend bei der Auswahl von Projekten war von Anfang an, daß es vornehmlich Bereiche traf, in denen schon vorher flexibel gearbeitet wurde, Projekte in der mechanischen Fertigung z.B. haben stark Vorrang vor der Bandarbeit. Dort, wo abwechslungsreichere Arbeit dringend vonnöten wäre, hat man sich vielfach um die Abkehr vom Taylorismus gedrückt, schwache Versuche in Richtung Arbeitsanreicherung an Bändern werden jetzt eher wieder zurückgeschraubt." (Ein Vertrauensmann, Mercedes Mannheim) Doch selbst in Montageboxen mit großen Umfängen empfinden die ArbeiterInnen keine Entstandardisierung oder gar die von Schumann/Gerst (1996: 19) konstatierte "Reprofessionalisierung". Zudem muß angemerkt werden, daß auch die Systemregulierer und ähnliche Funktionen, denen Aufgabenanreicherung, Funktionsintegration sowie Ausweitung der Handlungs- und Entscheidungsspielräume bescheinigt werden, nach Aussagen eines Betriebsrats (Mercedes Bremen) nicht alle Qualifikationen umsetzen können, wenn "aus 'alten' Facharbeitern, z.B. Instandhaltern, per 'Integration' Produktionsarbeiter werden. Gehen Qualifikationsmerkmale verloren, dann auch die Lohnhöhe. Und die alten Produktionsarbeiter bekommen per Schnelldurchlauf eine oft ungenügende Qualifizierung verabreicht! Das Ganze dient oft nur dem Lohnabbau bei den Facharbeitern. Schwächere, Ältere werden ausgegrenzt - und zwar vorher. Und in der Montage in Großserie herrschen 'der alte Taylor und seine Helfer' wie die Feudalisten!"6 Von einigen Industriesoziologen wurden Kriterien für die Unterscheidung der Gruppenarbeit zwischen einem toyotistischen und einem "deutschen Modell von Gruppenarbeit" (Benz-Overhage 1993) genannt, wie z.B. die - kaum vorhandene - Entkopplung von enger Taktbindung. Antoni (1996) macht die Möglichkeiten der Selbststeuerung, den Wegfall des Vorarbeiters und eine veränderte Meisterrolle zu Kriterien dafür, daß in der BRD keine Adaption japanischer Modelle stattfindet, sondern ein Kompromißweg eingeschlagen würde zwischen dem skandinavischen und dem japanischen Modell. Auch hier muß - zumindest für die Automobilindustrie - festgestellt werden, daß diese Kriterien nicht oder nicht mehr vorliegen. Und Minssen (1993) schließlich spricht von einer "Abkehr von den rigiden Prinzipien des Taylorismus", wenn sich die Umsetzung in drei Elementen vom japanischen Organisationsprinzip unterscheidet: Verpflichtung zur Integration leistungsschwächerer Beschäftigter, Wahl des Gruppensprechers durch die Gruppe und die Orientierung der Gruppengespräche nicht nur an Produktivitätserfordernissen, sondern auch an sozialen und qualifikatorischen Elementen. Auch diese Elemente sind zumindest nach und nach dem Primat der Wettbewerbsfähigkeit zum Opfer gefallen, sofern sie anfangs intendiert bzw. festgeschrieben waren. Von einer Abkehr vom Taylorismus im Sinne einer Aufhebung der Arbeitsteilung kann bei der vorgestellten Praxis der Gruppenarbeit keine Rede sein, denn die Arbeitsteilung ist nicht nur als optimale zeitliche und methodische Durchdringung der Arbeit inhärent geblieben. Sie ist allenfalls modifiziert sowie flexibilisiert und subtiler sowie flexibel und integrativ geworden. Vielmehr wurde die Arbeitsteilung als die Tennung von schöpferischer und ausführender Tätigkeit verschärft bzw. als strengere Kontrolle über die Ausführung jedes Arbeitsschrittes gesteigert und vertieft. Die von Parker und Slaughter (1993: 52) in den japanischen Automobilwerken in den USA und Kanada beobachtete und zumindest für die deutsche Automobilindustrie übertragbare Tendenz geht dahin, "jede Bewegung der Beschäftigten genauer denn je zuvor festzulegen. Das Management by Stress überwindet den Taylorismus nicht, sondern vertieft ihn noch." Einerseits bestehen nach wie vor rigide Ausfüh-rungsvorgaben, die nun lediglich unpersönlich, in Form von Sachzwängen der Material- und Datenflüsse vermittelt werden. Durch fehlende Einflußmöglichkeiten steigt das Gefühl des Ausgeliefertseins. Andererseits werden selbst rudimentäre Formen der Gruppenarbeit am Fließband erkauft durch die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse innerhalb der Zulieferpy-ramide - die Arbeitsteilung wird zudem "fremdvergeben" und damit auch diejenigen, gepufferten Tätigkeiten ohne Taktbindung, die älteren und/oder leistungsgewandelten ArbeiterInnen zur Verfügung standen. Deshalb kann m.E. behauptet werden, daß durch Gruppenarbeit und Lean Production die Arbeitsteilung auf einer höheren und für die Unternehmen flexibleren wie effektiveren Ebene perfektioniert wurde. Eine wichtige Rolle hierbei spielt der Kontinuierliche Verbesserungsprozeß (KVP). Zum bestehenden Leistungsdruck kommt hier steigender Druck zur Rationalisierung in Eigenregie hinzu, allerdings bei sinkender Beteiligung an den Ersparnissen, weil Produktivitäts-steigerungen, ebenso wie Qualität, nun zu den Arbeitsaufgaben gehören - deshalb wird auf den geringeren Kostenaufwand bei der Mobilisierung der Verbesserungsbemühungen der ArbeiterInnen verwiesen. In der Folge stehen die Arbeitsgruppen unter einem zunehmenden Wettbewerbsdruck: "Entweder eure Gruppe wird billiger - oder euch droht die Fremdvergabe!", so berichtet ein Betriebsrat bei Opel Bochum (Einenkel 1995). Die Erwartungen an die Gruppen sind sehr hoch, denn die Unternehmen wollen "Verschwendungsbekämpfung ohne Tabus" (ein Verantwortlicher für Gruppenarbeit, VW Kassel), und "in den Meisterbuden hängen schon Einsparpotentiale aus, bevor auch nur ein Wort mit der Mannschaft geredet wurde" (ein Vertrauensmann, Mercedes Mannheim), weshalb seiner Meinung nach Gruppenarbeit zum "Ausgangspunkt von Verschlechterungen und Tarifvertragsaushöhlungen" wurde. Diesen Zusammenhang formulierte ein Betriebsrat (BMW Dingolfing) folgendermaßen: "KVP ist pure Kostenorientierung, und Gruppenarbeit wiederum macht sich v.a. durch die KVP-Intensivierung bemerkbar." Die Bemühungen gelten v.a. der Eliminierung aller nicht-wertschöpfenden-Tätigkeiten. Dazu gehören z.B. Gehen, Sichbücken, Suche nach und Holen von Teilen und Werkzeugen, Lesen von Arbeitsplänen, Material Bewegen, Kontrollieren, Reparieren, Nachbearbeitung, Aus- und Verpacken von Teilen, Justieren, Sichstrecken, etwas Halten, Betreten und Verlassen des zu montierenden Fahrzeugs, Sichdrehen etc. Der Minimierung dieser verschwenderischen Bewegungen dient die Standardisierung, die mit KVP verbunden wird. Auch wenn einige dieser "nicht-wertschöpfenden" Bewegungen für die ArbeiterInnen belastend sein können, trägt ihre Beseitigung zur Arbeitsverdichtung bei, denn manchmal können zusätzliche Arbeitsgänge eine erholsame Pause und Abwechslung bedeuten. Genau dies war die ursprüngliche Zielsetzung der Arbeitsanreicherung. Die Standardisierung der Arbeitsgänge bis in vorgeschriebene Plätze für jedes Teil und jedes Werkzeug an allen vergleichbaren Arbeitsplätzen unterstellt zudem einen "Standardarbeiter". Doch was für den einen eine Erleichterung ist, kann den anderen belasten - "Wir sind aber nicht alle gleich, weder körperlich (Gestalt, Kraft, Länge der Arme und Beine) noch seelisch (Temperament, Charakter), weshalb eine derartige Standardisierung in der Praxis nicht das theoretisch angenommene Niveau erreichen kann." (Das verborgene Gesicht der Gruppenarbeit 1994: 49) Für die Abweichungen von der festgesetzten Norm werden aber die ArbeiterInnen verantwortlich gemacht. Die Standardisierung und Eliminierung "nicht-wertschöpfender Tätigkeiten" und damit die Arbeitsverdichtung treffen dabei besonders erneut ältere und/oder leistungsgewandelte Beschäftigte, denn sie schaffen jeden Arbeitsplatz ab, der als einfach, gut oder bevorzugt angesehen werden könnte. Die Selbstrationalisierung und Selbststandardisierung durch kontinuierliche Verbesserungsprozesse dienen der widerstandsfreien Erhöhung der Arbeitsstandards und der Reduzierung von Freiräumen - "auf diese Weise wird die Subjektivität - als individueller und kollektiver Verstand, 'als Arbeiterwissen' - in den Arbeitsprozeß inkorporiert und als sofortige interne Qualitätskontrolle genutzt" (Revelli 1997: 27). Auch dies geschieht auf Kosten älterer und leistungsgeminderter Beschäftigter sowie vielfach des eigenen Arbeitsplatzes. Laut Werkleitung bei Opel Eisenach kann die Erhöhung der Arbeitsstandards widerstandsfrei erfolgen, "wenn sich die Teams die Zwänge, denen sie gehorchen müssen, selbst schaffen" (Gottschall 1994: 246). Das Rezept: "Nicht Refa-Fachleute analysieren und optimieren die Arbeitsabfolge, sondern die Betroffenen selbst. Die Rationalisierung kommt ihnen dann nicht mehr fremdbestimt vor." (Ebd.: 244) Die Folge nicht nur in Eisenach: "man muß die Leute vor sich selbst schützen" (ein Betriebsrat, Opel Bochum). KVP löst also das "Paradox der Produktion" (Wickens 1994: 102), die sowohl Engagement der ArbeiterInnen als auch ihre Kontrolle braucht, dadurch, daß "den Produktionsmitarbeitern die Verantwortung für ihre eigenen Standardabläufe" gegeben und das Gefühl vermittelt wird, "die Veränderung sein eigen nennen zu können" (ebd.: 103). Genau darin wird der Unterschied zu Lean Production oder "Management by stress" gesehen, denn "Taylor versuchte, die Kenntnisse der Beschäftigten aus erster Hand nutzbar zu machen, doch er glaubte, daß dieses Wissen von den Ingenieuren im wesentlichen in einem einmaligen Akt angeeignet werden könnte. Management by stress strebt danach, daß die Beschäftigten selbst ständig ihre Arbeitsvorgänge rationalisieren." (Parker/Slaughter 1993: 51; vgl. dies. 1994: 28) Dies gilt auch für Opel Bochum: Der 'Schritt 1' in der Opel Kaizen Anleitung heißt 'Revolution des Bewußtseins' und meint die mit Akzeptanz des Konkurrenzkampfes begründete Motivation, ständig die eigene Arbeit exakter zu standardisieren, also die Taylorisierung selbst mit voranzutreiben. Genau darin liegt m.E. die Perfektionierung des Taylorismus durch die Lean Production: ständige Kostensenkung durch die ArbeiterInnen selbst mit drastisch vermindertem Kosteneinsatz durch ihre Rationalisierung und Flexibilisierung. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung zu verstehen, daß die IG Metall "noch nie mit einem Konzept der Unternehmer so 'geleimt' worden (ist) wie dem Gruppenarbeitskonzept" (ein Vertrauensmann, Mercedes Mannheim), denn ,die Zusage von Beteiligung, Mitsprache und besseren Arbeitsbedingungen hat es den Betriebsräten in der Krise dann leichter gemacht, ein Zugeständnis nach dem anderen zu machen. Ohne diese Zusage wäre die Durchsetzung des gewaltigen Personalabbaus in den folgenden Jahren und die rapide Leistungsverdichtung in den Betrieben nicht möglich gewesen." (Mercedes-Koordination/express 1997: 42) Diese Praxis der Gruppenarbeit unter den Bedingungen der Lean Production dringt nun auch zu den ursprünglich so hoffnungsfrohen Industriesoziologen durch (vgl. z.B. Schumann 1997). Dennoch reicht es m.E. nicht aus, vom Paradigmenwechsel abzurücken oder das "Zurückschrauben arbeitspolitischer Fortschritte" (Strutynski 1999) zu konstatieren, denn mit der dargestellten betrieblichen Praxis gehen durchaus neuartige und schwerwiegende Veränderungen einher, die drohen, in einer solchen verkürzten Diskussion vernachlässigt zu werden. Denn der aus Unternehmenssicht unbestreitbare Erfolg von Gruppenarbeit liegt - so meine These - im erweiterten Zugriff auf das Leistungspotential sowie in der Durchsetzung eines ständigen (Selbst-)Rationalisierungsdrucks, der Konkurrenz zwischen Gruppen und ArbeiterInnen sowie der hohen Arbeitsintensität. Dies ist gelungen durch subtile und gleichermaßen intensive Formen der Anbindung der ArbeiterInnen an die Unternehmensinteressen. Im Anfangsstadium von Lean Production erschien Gruppenarbeit als notwendig zur Akzeptanz und Durchsetzung neuer Arbeitsstandards - dies ist gelungen durch die bei ihrer Einführung in den Belegschaften verbreitete Hoffnung, ernster genommen zu werden und mehr Einfluß auf die Tätigkeit zu erhalten. Die mit der Gruppenarbeit intendierte Arbeitsintensivierung geht hierfür Hand in Hand mit dem Gruppendruck, der dadurch erzeugt wird: "Eine größere Intensivierung der Arbeitsleistung jedes einzelnen kann man nur dann erreichen, wenn man es schafft, daß die Gruppe koordiniert und gleichzeitig konkurrierend arbeitet, im Kampf jeder gegen jeden." (Das verborgene Gesicht der Gruppenarbeit 1994: 19) Dieser Druck dient auch der Spaltung und Selektion der Belegschaft, denn Gruppenarbeit scheint in starkem Maße den Unternehmen bei der Unterscheidung "in Faule und Fleißige, in Interessierte und Ignoranten, in Motivationsbereite und gänzlich Unwillige" (Schattner 1995: 39) zu helfen. Zum Hintergrund: "Der stark ausgeprägte Schutz von Drückebergern und Mittelmäßigen durch Betriebsräte, Gewerkschaften und andere formale Strukturen in Deutschland ist im internationalen Vergleich wettbewerbsrelevant und schädlich." (Ebd.: 30) Dieser bewußt erzeugte Gruppendruck und die "inszenierte Konkurrenz" sowie nicht zuletzt die Betriebsvereinbarungen zur Gruppenarbeit trugen zur breiten Akzeptanz der Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität als Belegschaftsaufgabe bei. Lean Production ist nämlich nicht nur ein Produktionssystem, vielmehr ein "Produktivitätskonzept", wobei Produktivität in erster Linie als eine Geisteshaltung bezeichnet wird.7 Diese mit der Gruppenarbeit verbundene Intention der Unternehmen wird auch anhand der Verlautbarungen bei Opel deutlich: "Jeder einzelne Mitarbeiter erlangt das Bewußtsein, daß ohne sein Engagement der Erfolg des Ganzen in Frage gestellt ist." (Enderle 1994: 162) So wurde z.B. den ArbeiterInnen von Opel Zaragoza beständig zu vermitteln versucht, "daß die Zukunft einer Autofabrik von der Umsetzung der Gruppenarbeit abhängt und daß die Wettbewerbsfähigkeit in der Seele des Arbeiters liegt" (Das verborgene Gesicht der Gruppenarbeit 1994: 7). Entsprechend kann Gruppenarbeit in der Tat interpretiert werden als die Organisation von Konkurrenz zur systematischen Leistungssteigerung, unterstützt durch Standardisierung und Leistungstransparenz. Während Arbeitsgruppen offiziell als "family team", so z.B. bei Siemens, bezeichnet werden, werden zugleich "persönliche, men-schliche Beziehungen in Konkurrenzbeziehungen verwandelt" (Ein Arbeiter, Opel Zaragoza). Deshalb v.a. bezeichnet ein Betriebsrat bei Opel Bochum Gruppenarbeit als "ein schleichendes Gift", da Gruppenarbeit einher geht "mit einer totalen Integration der Beschäftigten in die Betriebsziele, in die Betriebsplanung, in die Ideologie, die bei Opel neue Unternehmenskultur 'quality network' heißt".8 Ein Vertrauensmann, Mercedes Mannheim, interpretiert die Zielsetzung der Gruppenarbeit folgendermaßen: "Loyale, hochmotivierte Belegschaften sollten sich selbst demokratisch ausbeuten... Es geht aber nicht um das Gold im Kopf eines jeden, behaupte ich. Es geht darum, den Einfluß der betrieblichen Fachkräfte und Experten zurückzudrängen, das mittlere Management als träge Masse abzubauen und die Struktur der Arbeit den ständig wechselnden Anforderungen anzupassen; die Identifikation läuft nicht mehr über das Produkt, über den Namen der Firma, sondern über den Prozeß selbst. Knallharte Kostensenkung ist nur da ange-sagt, wo der Abbau des mittleren Managements gescheitert ist. Die strategischen Potentiale sollen in der ersten Reihe sich im Wirtschaftskrieg der Produzenten dem Gegner stellen - direkt. Die Vermittlungsebene fällt weg, und die Marktgesetze sollen direkt am Arbeitsplatz jedes einzelnen wirken: Friß - oder stirb. Der Mythos der Mitgestaltung ist längst tot. Die Mobilisierung der Beschäftigten hat längst militaristische Züge..." Das Quasi-Unternehmertum wird dadurch gefördert, daß die Markt- und Konkurrenzmechanismen ungefiltert auf jede ArbeiterIn einwirken. Am Beispiel der Motivationsaktivitäten, die VW zur Vorbereitung eines neuen Modellanlaufs durchführt, wird m.E. exemplarisch deutlich, wie weit das unternehmerische Denken der ArbeiterInnen erwünscht ist. So wird bei dieser Kampagne - u.a. mit einer Broschüre "Mein Golf" - das Ziel verfolgt, "das Wir-Gefühl im Werk zu vertiefen, das Qualitätsdenken der Mitarbeiter zu schärfen und schon bei ihnen den VW-Kunden in den Mittelpunkt zu stellen." (Welt am Sonntag 1997) Hierbei wird am Rande die vorletzte Variante des "Menschen im Mittelpunkt" angesprochen: der Kunde, der nun durch den Shareholder abgelöst wird. Zudem sollen sich die ArbeiterInnen natürlich lediglich wie Unternehmer verhalten. Neben der angestrebten Verantwortlichkeit für die Produktionsfaktoren und dem sparsamen Umgang mit ihnen soll hiermit auch die Akzeptanz der ökonomischen Logik gefördert werden. Beschäftigte, die von den Unternehmensinteressen her denken, neigen dazu, sofern sie nicht schizophren sind, ihre durchaus abweichenden Interessen zu vernachlässigen und auch gegen sie selbst gerichtete Maßnahmen aus der Ferne der "ökonomischen Notwendigkeit" zu betrachten. So wird es für viele Dauerarbeitslose zunehmend zu einem Privileg, überhaupt als Produktivitätsfaktor betrachtet werden zu können. Es handelt sich allerdings um keine neue, sondern zunehmend verstärkende Tendenz der Ökonomisierung, die längst gesamtgesellschaftliche Ausmaße hat. Gebremst werden kann diese alle Lebensbereiche einbeziehende Hegemonie der Ökonomie nur über individuelle Distanzierung - vielfach erst, wenn das unternehmerische Denken nicht vor "Freisetzung" bewahrt. Doch nicht alle, die die "Selbstausbeutung statt Selbstverwirklichung" (Benz-Overhage 1993: 179) feststellen und ablehnen, glauben an die falsche Umsetzung eines richtigen Konzepts, wie z.B. Lang/Ohl (1994: 21): "Wer 'straffe Produktion' so umsetzen will, hat dieses Konzept gründlich mißverstanden." Zu diskutieren wäre auch die in den Belegschaften oft vertretene These, daß die Implementationsfehler keine waren. Wenn die Gruppenarbeit in ihrer rudimentären Form bereits ihre Aufgabe der Akzeptanz von und Verantwortungsübernahme für Wettbewerbsfähigkeit erfüllt haben sollte, dann wird verständlich, warum ihre Einführung und Pflege immer nachrangiger behandelt wird. Entsprechend wird die Managementparole des Menschen im Mittelpunkt immer mehr um diejenige des "Überlebenskampfes" und der Motivator "Involvement" um denjenigen der Angst ergänzt. Angesichts der bestehenden hohen Arbeitslosigkeit bezieht sich das Druckmittel auf die Angst vor Arbeitsplatzverlust und sie wird breit zu massiven Zugeständnissen der Belegschaften genutzt. So wird der Gutachter Don Wells mit folgender Erklärung für die Akzeptanz der Lean Production durch Parker und Slaughter (1994: 89) zitiert: "Die Herrschaft des Managements wird sowohl bei 'lean'- und 'non-lean'-Arbeitsplätzen durch wachsende Raten von Langzeitarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, die Ersetzung von Vollzeitstellen durch Teilzeitstellen und Zeit-Jobs, durch Kürzungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung und Wohlfahrt ebenso verstärkt und bestätigt, wie durch eine wachsende Zahl von Schließungen und Verlegungen. Wo Arbeitgeber glaubhaft damit drohen, sich rückzuorientieren auf Niedriglohn und repressiven Führungsstil, können sie Arbeiter zu größeren Zugeständnissen und zur Unterordnung zwingen, Firma für Firma, Arbeitsplatz für Arbeitsplatz." Zwei Arbeiter von NUMMI geben entsprechend an: "Laßt mir meinen Arbeitsplatz, und ich tu, was immer ihr wollt"; bzw. im Interview des Monats des NUMMI-Gewerkschaftsblattes gefragt, "Was gefällt Ihnen am besten an NUMMI?": "Die Tatsache, daß wir arbeiten." (Zitiert ebd.) Die Aktualität dieser Analyse und solcher Reaktionen auch für die BRD wird von allen meinen Gesprächspartnern bestätigt. Die besten und vielleicht zukunftsweisenden Beispiele für diese Einbindungsstrategien kommen auch hier aus Japan. So wird in der japanischen Unternehmenskultur die auch in deutschen Betrieben angestrebte Standardisierung als "Kulturdenkmal der Einfachheit und Ritterlichkeit" (Scholz 1994: 181), im Sinne von Bescheidenheit und gegenseitiger Ehrerbietung, ideologisiert.9 Die Beachtung des Menschen und dessen Würde wird bei Toyota als das System des "Respekts für das Menschliche" bezeichnet, doch der Betriebsablauf sowohl bei Toyota als auch bei Mazda "deutet auf einen sehr eingeschränkten Begriff von Menschlichkeit hin: Menschliche Befriedigung wird nur durch das Streben nach den Managementzielen erreicht. Ein Handbuch, das in der Mazda-Fabrik in Michigan verwendet wird, warnt: 'Wenn Sie vor ihrer Maschine stehen und nichts tun, gewinnen Sie als Mensch keinen Selbstrespekt.'" (Parker/Slaughter 1993: 57) In der bundesdeutschen Automobilindustrie scheint die Einflußnahme während der Arbeitszeit (noch?) zu genügen, doch ihre Zielsetzung ist gleichlautend: "Und was nutzen die modernsten Autos und die effizientesten Fabriken, wenn die Mitarbeiter nicht verinnerlichen, für wen sie arbeiten?" (Sieger 1995) Und so ist für Piech (VW) das Erlernen des Dienens durch die ArbeiterInnen "die größte Umstellungsleistung, die der Konzern schaffen muß, wenn er an die Weltspitze will." (Zitiert in ebd.) Angepeilt ist damit die Steigerung der Produktivkräfte durch die Steigerung der sozialen (wie ökonomischen) Abhängigkeit vom Unternehmen. Was hinsichtlich der Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen angestrebt zu werden scheint, geht weit über vertrauensvolle Ansätze, wie z.B. die Unternehmen des Typ Z (vgl. Ouchi 1981) hinaus. Oder ging, sofern die Machtkonstellation angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und Systemkonkurrenzlosigkeit nicht dazu geführt haben, daß es "keinen Grund mehr zu irgendeinem über herkömmliche Sozialtechniken hinausgehenden 'Geschmuse'" gibt (ein Vertrauensmann, Mercedes Mannheim). Krell (1994: 30) bezeichnet die, der hier vorgefundenen Kultur entsprechende, Strategie als diejenige der "Vergemeinschaftung" und definiert sie wie folgt: "An die Stelle (klassen-)kämpferischer Auseinandersetzungen zwischen 'Kapital' und 'Arbeit' soll vertrauensvolle, partnerschaftliche Zusammenarbeit treten. Die Beschäftigten werden aufgefordert, ihre Interessen (im Falle des Unternehmenskulturansatzes sogar Werte) an denen des Betriebes zu orientieren. Aus Individuen und Gruppen mit unterschiedlichen Interessen soll eine verschworene Betriebsgemeinschaft leistungswilliger und loyaler MitarbeiterInnen (im Falle der betrieblichen Partnerschaft sogar MitunternehmerInnen) werden." Damit kann die angestrebte Betriebsgemeinschaft in der Tat als "Gegenpol zu 'Betriebsdemokratie'" (ebd.) bezeichnet werden und die Ähnlichkeiten mit der beschriebenen Situation in den Betrieben sind frappierend. Das große Problem der Interpretation des zumindest teilweisen Erfolges der Integrations- und Vergemeinschaftungsstrategien besteht in ihrer Ambivalenz, die auch zu ebenso ambivalenten Reaktionen der Beschäftigten führt. Denn einerseits knüpft diese Strategie durchaus an tatsächliche Bedürfnisse der arbeitenden Menschen und an den diesbezüglichen Defiziten an, die jahrelang durch die gleichen Unternehmen aufgebaut wurden. Wenn die ArbeiterInnen sich andererseits hiergegen sperren, weil sie befürchten, "mühsam aufgebautes informelles Arbeitsverhalten, verdeckte Spielräume und leistungsrelevante Reserven" (Schumann 1993) zu verlieren, wird dies schnell als "arbeitspolitischer Konservatismus der Arbeiter" (ebd.) bezeichnet und nicht als eine natürliche abwartende oder abwehrende Reaktion, die auf entsprechenden Erfahrungen basiert. Solche Widerstände oder skeptische Zurückhaltung der ArbeiterInnen werden in der Soziologie als "strukturelles Beharrungsvermögen" oder "Strukturkonservatismus" beschrieben. Damit werden sie mehrheitlich als eine Bremse wünschenswerter und/oder proklamierter Entwicklungen betrachtet, häufig mit dem Unterton eines Vorwurfs an die ArbeiterInnen, die sich der `Beglückung` verweigern. Viel zu selten wird m.E. darüber nachgedacht, daß hier die ArbeiterInnen evtl. einen, auf Erfahrungswissen basierenden, viel besseren "Riecher" für die Moden des Managements und die dahinter stehenden Strategien der Vereinnahmung haben. Denn es kann durchaus einem durchdachten Nutzenkalkül entspringen, sich, angesichts der auch theoretisch unmöglichen "echten" Beteiligung, in den bekannten Strukturen möglichst aufwandsminimal einzurichten und die darüber hinaus gehenden Wünsche in die - zugegebenermaßen immer häufiger willkürlich dosierte - Freizeit zu verlagern. Einen möglichen guten Grund hierfür nennen die Protagonisten der Lean Production, Womack u.a. (1991: 108), selbst, wenn sie sagen: "Einfach wie bei der Massenproduktion mechanisch mit gesenktem Kopf und geistesabwesend die Arbeit zu tun, führt bei der schlanken Produktion schnell zur Katastrophe." Die Tagträume während der stupiden und entwürdigenden Massenproduktion haben aber oft mit dazu beigetragen, die ArbeiterInnen vor der physischen wie psychischen Katastrophe zu schützen. Mag Wompel, Industriesoziologin, Bochum Erschienen in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 38, Juni 1999, S. 113-126. Literatur
Anmerkungen
|