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Updated: 18.12.2012 15:51
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Abgespachtelt

Unternehmerische Outsourcing-Strategien und die Gewerkschaften

Es ist ein sehr fragwürdiges Verdienst der heutigen Ökonomen, unseren Wortschatz seit geraumer Zeit mit immer neuen Vokabeln anzureichern. Eine dieser Vokabeln lautet "Outsourcing". Zuletzt machte dieses Wort wieder in der Öffentlichkeit die Runde im Zusammenhang mit den Umstrukturierungen bei der Telekom. Wir erinnern uns: 50.000 MitarbeiterInnen sollten ausgelagert werden, ver.di leitete Abwehrmaßnahmen ein, bis zu 16.000 Beschäftigte legten täglich die Arbeit nieder. Am Ende war die Auslagerung dennoch unter Dach und Fach, Senkung des Lohniveaus und Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich für die Betroffenen inklusive. Trotzdem kam ver.di nicht umhin, das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen. Da stellt sich schon mal die Frage, was es mit dem Outsourcing generell auf sich hat und vor allem welche Rolle die Gewerkschaften dabei spielen.

Outsourcing als Lohnssenkungsstrategie

Wie überhaupt der ganze neoliberale Neusprech ein einziges Wortgebimmel ist, das effektiv von den menschlichen und sozialen Konsequenzen einer bestimmten Politik ablenkt, so wird auch das Phänomen des Outsourcing von einer Sprache begleitet, die verkleisternd auf die Wahrnehmung der wahren Auswirkungen wirkt. Eine Kostprobe gefälligst?

Auslagerung bringe einem Unternehmen folgende Vorteile: "Kostenreduktion oder -kontrolle, Freimachen von internen Ressourcen für geschäftskritische Aktivitäten, Konzentration der Aktivitäten auf die Kernkompetenzen, Gewinnung von spezialisierten Fachkräften, Steigern von Gewinnpotenzialen, Optimierung des Kreditratings" usw.; so betörend schildert das z.B. eine Dienstleistungsfirma, die sich auf ausgelagerte IT-Leistungen spezialisiert hat.

Rein betriebswirtschaftlich betrachtet, mag das auch stimmen, doch das Denken in solchen Kategorien sollte doch besser den neoliberalen Mönchen überlassen werden. Nicht umsonst gehörte 1996 der Begriff Outsourcing zu den "Unwörtern des Jahres". Die Jury stellte dabei fest, es handele sich um ein "Imponierwort, das der Auslagerung/Vernichtung von Arbeitsplätzen einen seriösen Anstrich zu geben" versuche.

In der Tat, unter sozialen Gesichtspunkten liest sich Outsourcing nämlich ganz anders. Hier stehen unter dem Strich: Abbau regulärer Beschäftigung, Prekarisierung, Lohnverfall, Aufweichung von Tarifen und Arbeitsrechten, mehr Arbeitshetze, gesteigerte Konkurrenz der Lohnabhängigen, Spaltung von Belegschaften, gewerkschaftliche Desorganisierung usw.

Doch auch wenn der Mensch selbst in den neoliber alen Rechenspielen nicht vorkommt, so heißt das noch lange nicht, die auslagernden Unternehmen seien sich über die sozialen Auswirkungen nicht im Klaren. Im Gegenteil, wo immer in diesem Zusammenhang abstrakt von "Kostenreduktion" die Rede ist, meint das in erster Linie die Drückung der Lohnkosten - mit allen Bedingungen, die dafür notwendig sind.

Reorganisation der Arbeit

Von den 80er Jahren bis heute haben sich in allen modernen Wirtschaften ganze Outsourcing-Märkte herausgebildet. Angefangen hatte alles damit, dass Unternehmen ihre IT-relevanten Bereiche auslagerten. Als Vorreiterbewegung gelten die großen EDV-Auslagerungsverträge, wie sie z.B. von General Motors abgeschlossen wurden. Bis heute hat sich dies dahingehend entwickelt, dass in allen Branchen Auslagerungsprogramme der unterschiedlichsten Art umgesetzt wurden. IT-Auslagerung ist dabei auch heute noch die am häufigsten anzutreffende Outsourcing-Variante in Europa. 30 Prozent der europäischen Wirtschaft hat die Informationstechnologie zumindest teilweise ausgelagert, gefolgt von Lohn- und Gehaltsabrechnung (29%), Supply Chain Management (19%), Finanzwesen (8%), Personalwesen (8%), Fertigung (8%) und Entwicklung (6%).

Dieser Vorgang wird häufig als eine Dezentralisierung der Wirtschaft bezeichnet. Sie unterscheide sich wesentlich, so einige Sozial- und Wirtschaftwissenschaftler, von den alten tayloristischen Organisationskonzepten, die mit der Zentralisierung der Planung und Entscheidung die Beschäftigten zu Objekten der Rationalisierung machte. Zum Teil mag das stimmen, es erfasst aber nicht den Kern des Problems. Und so lässt sich bei genauerer Betrachtung diese Unterscheidung durchaus relativieren.

Ein Kerngedanke des Taylorismus war es ja gerade, die Belegschaft in kalkulierbare Segmente zu zergliedern. Durch die Inszenierung von Hierarchien und Konkurrenz unter den Arbeitern sollten deren kollektive Macht gebrochen und sie für die profitorientierte Unternehmenspolitik besser instrumentalisierbar gemacht werden. Dieser Angriff funktionierte anfänglich deshalb so prächtig, weil die Gewerkschaften noch immer sehr berufsständisch, teilweise sogar zünftlerisch strukturiert waren. Die Gewerkschaften reagierten dann auch nach geraumer Zeit folgerichtig mit einer betriebsumfassenden Organisierung ("Ein Betrieb - eine Gewerkschaft"), einer längst überfälligen Antwort, mit der dieser Angriff mittels Spaltung zumindest teilweise abgefangen und die Kräftekonstellation relativ ausgeglichen werden konnte. Wenn die Unternehmen von heute auf Outsourcing-Strategien setzen, dann ist dies ihre - für sie längst überfällige - Antwort auf die entstandene Kräftekonstellation, um jenen ursprünglichen Kerngedanken konsequent weiterzuverfolgen.

Die neue Arbeitsorganisation ist dabei kaum so dezentral wie es scheint. In Wirklichkeit "bleibt die zentrale Regie bei immer weniger Multis. Diese arbeiten wie "Virtual Companies", fraktale Fabriken, ziehen ihre Shareholder Value-Unternehmungen als zeitlich befristete und auskalkulierte Projekte durch wie eine Filmproduktion", wie die Standort-Gruppe bei Opel Bochum bereits 1999 betonte. Die Lohnabhängigen dagegen finden sich in einer Spirale wieder, in der ihre Konkurrenz zueinander immer mehr zunimmt. Denn Lohnniveau und Arbeitsbedingungen werden hierarchisch gestaffelt; die Kernbelegschaften konkurrieren mit den Zulieferer- oder Dienstleistungsbelegschaften, letztere wiederum untereinander. Gleichzeitig kann diese Spirale gerade deswegen so gut angekurbelt werden, weil zum einen in den Kernbetrieben die potentielle Gewerkschaftsmacht gebrochen wird und zum anderen in den ausgelagerten Betriebsbereichen gewerkschaftsfreie Zonen entstehen. Die gewerkschaftliche Organisierung erweist sich ja gerade in den Klitschen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen und hoher Belegschaftsfluktuation als äußerst schwierig.

Und die Gewerkschaften?

Sicherlich gibt es Unternehmen, die Auslagerungen tatsächlich aus Gründen der Qualitätssteigerung durchführen. In der Regel aber wird damit eine dauerhafte Senkung der Lohnkosten angestrebt. Im Falle der neuerlichen Auslagerungen bei der Telekom wird daraus noch nicht einmal ein Hehl gemacht. Das Prinzip ist dabei denkbar einfach: ein Teil der Belegschaft wird einfach in andere Gesellschaften mit anderen Vertragsverhältnissen transferiert. Für die Telekom ändert sich fast nichts, für sie wird weiterhin dieselbe Leistung erbracht, nur dass sie jetzt auf billigere Arbeitskräfte zurückgreifen kann, die von nun an unter noch größerem Leistungsdruck zu schuften haben. Gleichzeitig fällt der Druck auch auf die Kernbelegschaft zurück. Der Lohnraub ist dabei so schamlos dreist, dass es den Gewerkschaften die Sprache zu verschlagen scheint. Hätte die Telekom dieselben Lohnkürzungen, die sie jetzt unter dem Strich erzwungen hat, betriebsintern durchzusetzen versucht, wäre selbst eine Schmusegewerkschaft wie ver.di nicht derart umgefallen. Unter dem Deckmantel der Auslagerung umhüllt das Ganze aber einen Schein marktwirtschaftlicher Notwendigkeit, den man nicht zu kontern vermag.

Dass die Gewerkschaften derartige Auslagerungen nicht verhindern können, ist ein Problem. Das andere ist, dass sie auf die neue Form der Arbeitsorganisation keine Antwort haben. Ihre Schwäche besteht dabei nicht allein in ihrer defensiven, legalistischen Ausrichtung. Ihr Grundkonzept insgesamt, das sie an die Grenzen von Betrieb und Branche bindet, spielt den Unternehmen geradezu in die Hände. Diese profitieren davon heute genauso, wie sich der tayloristische Angriff den Zustand der Gewerkschaften, sich an Berufsgruppen zu orientieren, zu nutze machen konnte.

Wenn z.B. von Arbeitern einer Zulieferfirma exakt dieselbe Arbeit verrichtet wird, die zuvor im Rahmen des Kernbetriebs erbracht wurde, und diese nun unter einen anderen Tarif oder in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Gewerkschaft fällt, dann zeigt das, welch ein Flickwerk die Gewerkschaften sind. Die Produktionsbedingungen bleiben in der Substanz die gleichen, die Gewerkschaften aber lassen sich nicht nur durch Formalitäten austricksen, sie sanktionieren sie sogar, wie nicht nur das Beispiel der Zeitarbeitstarifverträge zeigt.

Doch auch wenn Phänomene wie Auslagerungen zurzeit die Verhandlungsmacht der Lohnabhängigen schwächen, im Prinzip bieten sich durch die neue Arbeitsorganisation auch ganz neue Angriffsflächen. Der enge Verbund einer Produktionskette bzw. eines Unternehmensnetzwerks gibt einzelnen Belegschaften die Macht, Druck auf das Unternehmerlager auszuüben und andere Belegschaften in die Auseinandersetzung miteinzubeziehen. Aufgrund von Abhängigkeiten des Kernbetriebs von Zulieferern oder Dienstleistern können kleine Belegschaften an neuralgischen Punkten in der Kette eine effektive Rolle in Kämpfen spielen. All das setzt aber adäquate Formen der Organisation voraus.

Die Situation schreit deshalb förmlich nach einer Organisationsform, die Lohnabhängige branchenübergreifend zusammenführt und solidarische Kämpfe zulässt. Dafür wiederum ist es aber auch notwendig, den Boden des Legalistischen zu verlassen. Die Bindung an Friedenspflichten z.B. diente schon immer dazu, solidarische übergreifende Kämpfe zu unterbinden. Die Frage nach "legitimen" Arbeitskampfmaßnahmen muss dabei unseren eigenen moralischen und strategischen Ansprüchen folgen und darf nicht juristische gestellt werden. Denn ohnehin ist klar, wer das "Recht" auf seiner Seite hat. Nicht zuletzt wurde der Auslagerungsboom, den wir in den letzten Jahren hinnehmen mussten, erst durch eine repressive Gesetzgebung zur Schaffung eines Niedriglohnsektors derart vorangetrieben. Ihre Spielregeln dürfen deshalb nicht unsere sein.

Artikel von Holger Marcks in Direkte Aktion 183 vom September/Oktober 2007 - wir danken der Redaktion!


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