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Updated: 18.12.2012 15:51
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An Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags, Platz der Republik 1, 11011 Berlin
von Armin Kammrad, Augsburg

14.04.2007

Betrifft: Geplante Zwangsarbeit in der Landwirtschaft
Petition und öffentlicher Kommentar

Sehr geehrte Damen und Herren,

anbetracht der jüngsten Pläne der Bundesagentur für Arbeit durch Androhung von Leistungskürzungen Zwangsarbeit für ALG II-Bezieher in der Landwirtschaft (Erntehelfer) durchzusetzen, fordere ich Sie auf, diesen Verfassungsverstoß durch gesetzliche Regelungen zu unterbinden.

Die jetzt in der Presse bekannt gewordenen Pläne der Bundesagentur für Arbeit durch Zwangsmaßnahmen ALG II-Berechtigte zur Feldarbeit zu zwingen, sind eindeutig verfassungswidrig. Dies zeigt sich anschaulich in Vorstellungen der Verantwortlichen der BA, der Landwirtschaft ALG II-Bezieher "zur Verfügung zu stellen" , was inhaltlich bedeutet durch Zwangsarbeit die wirtschaftliche Situation in der Landwirtschaft zu sichern. So meldete AFP am 13.04.2007 " Die Arbeitsagenturen wollten im vergangenen Jahr rund 30.000 ausländische Saisonarbeiter durch deutsche Arbeitslose ersetzen." Ferner zeigt sich auch der mittlerweile für die BA typische Missbrauch von Eingliederungsmöglichkeiten für reine Sanktionsmaßnahmen : " Bislang setzte die Behörde bei der Besetzung von Saisonarbeiterstellen in der Landwirtschaft auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Nun sollen Arbeitslose, die die Erntearbeit von vornherein ablehnen, eine Trainingsmaßnahme oder einen Ein-Euro-Job antreten, wie es in dem Bericht hieß. `Bei den Bewerbern, bei denen es aufgrund fehlender Motivation/Neigung zu keinem Arbeitsangebot kommen kann, sind leistungsrechtliche Konsequenzen anderweitig zu prüfen`, heißt es laut "Welt" in der Weisung der Zentrale an die Arbeitsagenturen." (a.a.O.).

Diese existenzielle Erpressung verfügt jedoch über keine verfassungsrechtliche Legitimation. Viel mehr ist in diesem Bestreben das für Zwangsarbeit Charakteristische realisiert. Der Staat stellt privatwirtschaftlichen Interessen billige Arbeitskräfte zur Verfügung. Damit ist der Einsatz für Gemeinwohlbelange von Menschen, die durch staatliche Leistung unterstützt werden, dass sog. "Gegenseitigkeitsprinzip", durch den Einsatz für reine wirtschaftliche Privatinteressen ersetzt und somit verfassungswidrig (vgl. v.Mangoldt, Klein, Stark "Kommentar zum Grundgesetz", Bd. 1, 5 Aufl., Art.12, Abs.2, Rdnr. 310). Der Unterschied zur Zwangsarbeit im Hitler-Deutschland besteht nur noch darin, dass Zwangsarbeiter (noch nicht?) für die Rüstungsindustrie eingesetzt werden.

Es mag ja sein, dass landwirtschaftliche Betriebe ohne billige Arbeitskräfte wirtschaftliche Schwierigkeiten haben. Wenn jedoch polnische Erntehelfer ausbleiben, so gilt selbst nach der heute geltenden Wirtschaftslehre, dass Prinzip der freien Konkurrenz. Ein Staat, der hier mit der zwangsweisen Bereitstellung von Arbeitskräften eingreift, setzt in jedem Fall demokratische Mechanismen außer Kraft. Denn wenn für Arbeitslose "Eigenverantwortung" gelten soll, kann nicht andererseits der Staat selbst Wirtschaftsbetrieben die Eigenverantwortung durch Ausleihen von Zwangsarbeitern abnehmen.

Zwar gibt es gegen solche Wiederbelebungsversuche antidemokratischer Ideologie im Unterschied zum Hitlerfaschismus heute eine funktionierende Rechtsprechung, dies ändert jedoch nichts an der im Bestreben der Bundesagentur objektiv zu tage tretenden antidemokratischen Vorstellung. Diese drückt sich gerade darin aus, dass sie Zwangsarbeit in für Diktaturen typischer Art und Weise durch Angriffe auf die existenzielle Grundlage der Betroffenen durchzusetzen versucht. Den Rechtsweg können diejenigen, welche die Zwangsarbeit ablehnen, deshalb nur bei Gefährdung ihrer existenziellen Grundlagen juristisch nutzen. Die Vorstellung einiger Politiker, bis zur Reduzierung auf "Essengutscheinen" Zwangsarbeit für wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, verwischt eindeutig den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie; auch in Diktaturen bekommen Zwangsarbeiter Nahrung - zumindest solange man sie braucht.

Bedenklich ist, dass die Gesetzgebung verfassungsfeindlicher Ideologie in exekutiven Stellen den Weg geebnet hat. Zwar bemühen sich ohne Frage die Beschäftigten in manchen ARGEN um eine soziale Ausrichtung, der Gesetzgeber hat jedoch durch die Rechtlosstellung von ALG II-Beziehern für die ARGEN auch den Weg geöffnet, Menschen bewusst zu demütigen und zu quälen. In den ARGEN kann sich heute nahezu ungestraft selbst offen faschistische Ideologie ausleben, ohne dass der Gesetzgeber hier irgendwelche Grenzen gezogen hätte oder dafür eine Notwendigkeit anerkennt. Im geschichtlichen Rückblick ist dies mehr als bedenklich.

Denn ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bereits vor Machtergreifung Hitlers auch die Weimarer Demokratie, durch staatliche Eingriffe zugunsten der Wirtschaft dem Faschismus den Weg ebnete Dass bedauerlicher Weise viele Abgeordneten die gegenwärtigen Angriffe der BA auf die Grundrechte von Arbeitslosen in ihrer staatsrechtlichen Bedeutung nicht richtig einschätzen, liegt offenbar vor allem an fehlender Geschichtskenntnis und einer Verharmlosung von Gefahren für den demokratischen Sozialstaat durch verfassungswidrige Aktivitäten. Sie folgen - wie bereits die Regierung in Weimar - vielmehr den Wünschen der wirtschaftlich Mächtigen.

In einem Schreiben des Reichskommissars "für den freiwilligen Arbeitsdienst" vom 09.August 1932 hob dieser hervor: " Die Arbeiten sollen volkswirtschaftlich wertvoll sein, d.h. sie müssen sich in volkswirtschaftlichem, wenn auch nicht privatwirtschaftlichem Sinne rentieren (.) Wie bisher, sind bereitgestellte Arbeiten nur dann zur Förderung geeignet, wenn sie gemeinnützig und zusätzlich sind" (RArbBl 1932, S.I 177). Zwar hat die jetzige Regierung ein vergleichbares Kriterium von Gemeinnützigkeit und Zusätzlichkeit ins SGB II aufgenommen, das jetzige Bestreben der BA Zwangsarbeiter der privatwirtschaftlich orientierten Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen zeigt jedoch, dass man heute in diesem Punkt bereits "weiter" ist als Mitte 1932.

Allerdings wurden bisher keine Notverordnungen verfasst, die - wie die vom 6. Oktober und 8 Dezember 1931 - zugunsten der Wirtschaft und ihrer Rendite in die Tarifautonomie eingreifen. Am 5. September 1932 legte die damalige Regierung per Notverordnung nicht nur die Zulässigkeit von Unterschreitungen der Tariflöhne fest, sondern bestimmte einen Tag zuvor "zur Erhaltung der sozialen Fürsorge" auch eine Vereinfachung und Verbilligung der sozialen Einrichtungen (vgl. RGBl. I, S. 425). Ein Wendepunkt bei der schrittweisen Beseitigung der Demokratie wurde am 3.Oktober 1932 durch direktes Streikverbot vollzogen: " Kampfmaßnahmen einer Tarifpartei gegen die Durchführung der Verordnung durch eine andere Tarifpartei oder eines ihrer Mitglieder gelten als Verletzung des Tarifvertrags" (RGBl. I., S.493). Am 17. Dezember 1932 wurden im Gesetz " zur Belebung der Wirtschaft" sozialpolitische Maßnahmen völlig gestrichen (RGBl. I, S.547) und durch Zwangsarbeit sowohl für Arbeitende als auch Arbeitslose ersetzt. Mit der Reichtagswahl am 05.März 1933 kamen die Nazis mit einer absoluten Mehrheit von 52 Prozent legal an die Macht. Die mit Hitler sympathisierende "Diktatur der Mehrheit" (Konrad Hesse) hatte durch Wahlen die Weimarer Demokratie beseitigt.

Zwar wollte niemand nach dem Niedergang des Hitler-Faschismus mitschuldig gewesen sein, aber wie schrieb der jetzt verstorbene Jurist Filbinger doch 1935? Erst der "Nationalsozialismus schuf die geistigen Voraussetzungen für einen wirksamen Neubau des deutschen Rechts" (zitiert nach SPIEGEL-Online 13.04.2007). Auch nach Hitler hielt Filbinger daran fest: "Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht gewesen sein", hatte Filbinger einst zu SPIEGEL-Redakteuren gesagt und damit wohl seine innere Überzeugung offengelegt." (a.a.O.). So traurig es ist, die Wiedereinführung der Zwangsarbeit für Arbeitslose markiert tatsächlich eine geistige Kontinuität zwischen damals und heute. Dass Engagement für Filbinger von einigen Politikern zurzeit überrascht deshalb nicht. Die Volksverhetzung gegen die Zwangsarbeit ablehnenden ALG II-Bezieher, ebenso nicht. Abgerundet wird das antidemokratische Bild durch immer unverholende Grundrechtseingriffe durch sog. "Sicherheitsgesetze", durch die unverkennbar statt der Demokratie nur noch die Macht einer reaktionären Wirtschaftsideologie gegen Opposition (insbesondere außerparlamentarisch) abgesichert werden soll.

Dabei ist das Bedienen von wirtschaftlichen Interessen durch Zwangsarbeit nur eine entwickelte Form der bereits herrschenden politischen Einseitigkeit. Schon längst entlastet die herrschende Politik Gewinn und Vermögen ohne Skrupel von ihren Sozialverpflichtungen nach Art. 14, Abs. 2 Grundgesetz. So wuchs bereits im Zeitraum von 1980 bis 1999 zwar das Volkseinkommen um real 44 Prozent, der Netto-Reallohn allerdings nur um 4 Prozent. Umverteilt wurde das durch Arbeit geschaffene Vermögen zugunsten der Privaten, welche inflationsbereinigt im gleichen Zeitraum ihr Vermögen um 116 Prozent steigerten. Seit diesem Zeitpunkt ging erst mit der AGENDA-Politik von ROT-GRÜN, dann mit der zwar vom Grundgesetz her legalen, jedoch politisch nicht legitimen großen Koalition die Spaltung zwischen Existenzvernichtung der Produktivkraft Arbeit und Vermögensvermehrung durch staatlich flankierte Ausbeutung in immer extremeren Formen weiter. Seit 2000 mit noch 3,8 Prozent Reallohn ging dieser bis 2005 kontinuierlich auf -0,7 Prozent zurück (Angaben nach Statistischen Bundesamt). 2006 stieg er zwar brutto auf 0,7 Prozent (mit 1-Euro-Jobbern), durch staatliche Umverteilung blieb netto allerdings ein Minus von -0,3 Prozent im Geldbeutel. Das sog. "Unternehmens- und Vermögenseinkommen" stieg dagegen in den Jahren progressiv (allein von 2005 auf 2006 um 6,9 Prozent).

Deshalb funktioniert das frühere Sozialstaatsprinzip von Leistung und Gegenleistung auch nicht mehr. Der Hunger-Regelsatz erklärt sich nicht aus dessen Bezahlung durch die Allgemeinheit, sondern weil auf Kosten der Allgemeinheit den Nutznießern der heute herrschenden Wirtschaftsideologie staatlich immer mehr zugeteilt wird. Wo soll auch das oft von Politikern gepriesene "Allgemeinwohl" noch festgemacht werden, wenn die regierende Politik es selbst zugunsten der Interessen einer vermögenden und wirtschaftlich mächtigen Minderheit zerstört hat? Der amerikanische Soziologe und Historiker Richard Sennett brachte das staatsrechtliche Problem vor kurzem treffend auf den Punkt. Für Sennett ist es für den Charakter des modernen Kapitalismus typisch, dass es zwar eine Geschichte gibt, aber "kein geteiltes Schicksal. (.) Ein Regime, dass Menschen keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten" (Richard Sennet "Der flexible Mensch" (Original: "The Corrosion of Character"), Berlin 2006, S.203). Die Politik wird deshalb nicht daran vorbeikommen, entweder ihre einseitig auf Geld statt auf den Menschen ausgerichtete Politik irgendwann zu ändern, oder mit einer tiefen Spaltung in der Gesellschaft konfrontiert zu sein, bei der sie auch mit ihren ganzen Moralvorstellungen nur noch eine zwar mächtige aber personell kaum ins Gewicht fallende Minderheit repräsentiert. Dies ist jedoch bereits heute mehr und mehr der Fall:

So bekommt zwar nach dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes die herrschende Politik vom Bundesverfassungsgericht einen "weiten Spielraum zur sozialgesetzlichen Gestaltung" zu gesprochen, jedoch nicht zur Durchsetzung und Absicherung einer auf Beseitigung des Sozialstaates gerichteten Wirtschaftsideologie. Dies widerspricht der, als änderungsfesten Kern der demokratischen Grundordnung definierten "freien Selbstbestimmung aller" (BVerfGE 44, 125 <142>). "Den Gesetzgeber verpflichtet der dem Sozialstaat immanente Auftrag der Gesellschaftsgestaltung, sich immer wieder neu mit der Frage zu befassen und zu prüfen, ob Maßnahmen zur Herstellung sozialer Sicherheit und sozialen Ausgleichs ergriffen werden müssen" (K-P Sommermann in v.Mangoldt "Kommentar zum Grundgesetz", 5.Aufl., Art. 20 Abs.1, Rdnr.120). Dem widerspricht die völlige Unterordnung der Grundrechte unter eine demokratiefeindliche Wirtschaftsideologie. Mit Bezug auf das Grundgesetz hat dies unweigerlich zur Folge, dass diejenigen, die sich weigern, dem Staat in seiner Ideologie zu folgen, letztlich nur ihre Grundrechte gegen staatliche Willkür verteidigen. Es braucht sich niemand vom Staat zu Zwangsarbeit verpflichten zu lassen. "Grundrechte sind überwiegend Abwehrrechte (..). Die Grundrechtsträger können aufgrund der ihnen durch die Grundrechte eingeräumte Rechtsmacht vom Staat prinzipiell verlangen, dass er Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter unterlässt" (Ipsen "Staatsrecht II - Grundrechte", 7.Aufl. Rdnr. 79).

Dass der Staat bezüglich perspektivloser Arbeitsangebote häufig mit "Ausreden" (z.B. gesundheitliche Probleme) konfrontiert wird, hat er letztlich selbst zu verantworten. So lässt er eine offene Ablehnung von Zwangsarbeit wegen Verstoß gegen Art. 12 Grundgesetz nicht gelten, ja, selbst Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung gegenüber staatlichen Zwangsmaßnahmen, welche bei Hartz IV-Bezug Grundrechte verletzen. Verfassungsrechtlich ist die Form der Abwehr staatlicher Grundrechtseingriffe jedoch nicht vorgeschrieben. Nach der massenhaften Umverteilung von staatlichen Vermögen von unten nach oben, ist eine ehrliche Auseinandersetzung offenbar sowie so von der "Arroganz der faktischen Macht" (Walter Benjamin) nicht erwünscht. Was propagandistische gegen eigentlich schutzbedürftige Menschen abläuft, ist unehrlich, und da der "Umbau des Sozialstaates" nur im Interesse der großen Konzerne und besonders Aktionäre erfolgt, stellt sich sowie so die Frage: Wer betrügt hier eigentlich wen? Was eine bestimmte Wirtschaftsideologie an der Staatsmacht als "Betrug" bezeichnet, kann legal sein, wenn dieser "Betrug" nur Ausdruck legitimer und einzig möglicher Abwehr gegen eine staatliche Beseitigung von Grundrechten ist. "Kriminell" ist sowie so nach heutiger Leseart nur der mittellose Betrüger, der reiche kauft sich einfach frei. Den Staat hat er offensichtlich bereits gekauft.

Dabei ist klar, dass mit Zwangsarbeit für wirtschaftliche Interessen kein legitimes Staatsziel verfolgt wird. Hier wäre vorrangig der Gesetzgeber gefragt. Er sollte nicht wieder einmal nur den Renditeinteressen der Wirtschaft folgen. Wenn sicher auch in anderer Gestalt, wird dies wieder zur restlosen Beseitigung der Demokratie führen - außer Verfassungsfeinde im Staatsgefüge können von ihrer bedrohlichen Macht verdrängt werden. Zwangsarbeit für Arbeitslose in der Landwirtschaft wäre ein weiterer bedrohlicher Schritt in eine verfassungsfeindliche Richtung. Außerdem verbietet das von Deutschland 1956 ratifizierte ILO-Abkommen von 1932 über Zwangs- und Pflichtarbeit auch für die BA völkerrechtlich bindend deren Bereitstellungsaktivitäten von Zwangsarbeit für die Landwirtschaft.

Mit freundlichen Grüßen
(Armin Kammrad)


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