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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags, Platz der Republik 1, 11011 Berlin Von Armin Kammrad, Augsburg 09.04.2006 Betrifft: Fehlende gesetzliche Regelungen gegen Sozialmissbrauch und Rechtsbrüche durch die ARGEN Sehr geehrte Damen und Herren, zwar wurden die gesetzlichen Regelungen für ALG II-Bezieher erst jüngst wieder verschlechtert (Eingriff in die Lebensgestaltung unter 25-Jähriger, Kürzung des Rentenbeitrags, Mietkaution nur noch auf Darlehnsbasis usw.), anderseits hielt der Gesetzgeber es bisher nicht für nötig, gegen den ausufern Rechtsbruch durch die ARGEN vorzugehen. Da werden z.B. im Kreis Lippe Alleinerziehende um ihren Mehrbedarf betrogen; in Berlin werden völlig rechtswidrig Umzüge verlangt; ohne irgendwelche Anhaltpunkte werden Hauskontrollen durchgeführt usw. usf. Dies sind nur ein paar Beispiele für rechtswidriges Verhalten der ARGEN. Die Betroffenen, Erwerbsloseninitiativen und selbst die Gerichte können hier mittlerweile sicherlich ein ganzes Buch an Beispielen liefern (Nachweise gerne auf Wunsch). Mir ist jedoch kein Beispiel bekannt, wo selbst offensichtlicher Missbrauch durch die Verantwortlichen der ARGEN irgendwelche Konsequenzen hätten, obwohl es sich - mehr oder weniger bewusst - um faktische Gesetzesverstöße handelt. Dass sich solche Verstöße nur einseitig gegen die Ansprüche der Betroffenen richten, ändert nichts an deren juristischem Charakter, sondern zeugt von fehlendem Rechtsbewusstsein. Um einem möglichen Gegenargument gleich vorzugreifen: Es handelt sich hier nicht um eine ausschließliche Angelegenheit der unteren Verwaltungsbehörden. Denn selbst wenn diese gegen Gesetzesbrüche im Sozialbereich durch ihre Angestellten vorgehen wollten, enthält die Sozialgesetzgebung des Bundes nichts, was solche Aktivitäten unterstützt. Die Betroffenen selbst sind in jedem Fall rechtlich völlig hilflos gestellt. Selbst wenn das Sozialgericht z.B. das Vorgehen der ARGE als rechtswidrig einstuft, kann auf dieser Grundlage der oder die davon Betroffene nicht erfolgreich gegen die Verantwortlichen vorgehen. Vor allen Dingen sollte ein Widerspruch endlich aufschiebende Wirkung haben und der entsprechende Passus im SGB II entsprechend geändert werden. Völlig zu Recht haben in meinen Augen deshalb viele ALG II-Bezieher den Eindruck, dass es ein für alle geltendes gleiches Recht im Fall von Arbeitslosigkeit nicht mehr gibt. Versucht ein ALG II-Bezieher durch falsche Angaben sein bisschen Geld zu retten, wird von Seiten der ARGEN schnell mit dem Strafgesetzbuch gedroht. Da wo die ARGEN allerdings selbst Kürzungen mit Betrug und Gesetzesbruch durchsetzen, wird nichts unternommen. Faktisch zerstört so das einseitige Rechtsverständnis des Gesetzgebers Stück für Stück die bestehende Rechtsordnung. Dem in der herrschenden Politik beliebten Satz von "mehr Eigeninitiative", kann nämlich der unter dem Existenzminimum sich bewegende ALG II-Bezieher wörtlich nehmen, und entsprechend sein Leben so gestaltet, dass ihn - einschließlich des Staates - möglichst niemand etwas wegnimmt. Dass eigene Rechtsverständnis muss ja nicht unbedingt mit dem staatlich verordneten gleich sein. Außerdem ist nicht erkennbar, wo der Staat zurzeit noch selbst sozial denkt und handelt. Einen Niedriglohnsektor für die vermögende Kaste zu schaffen, ist wahrlich nicht sozial. Besonders wenn durch Zuschüssen aus den Sozialkassen, asoziale Profitorientierung noch belohnt wird. Louis Brandeis, Richter am Obersten Gerichtshof der USA zur Zeit Roosevelts, äußerte sehr treffend einmal: "Die Regierung ist der mächtige allgegenwärtige Lehrer. Ob im Guten oder im Schlechten: Sie formt das gesamt Volk durch ihr Beispiel. Kriminalität steckt an. Wenn die Regierung Gesetze bricht, dann provoziert sie Geringschätzung der Gesetze. Sie fordert jeden Bürger heraus, sich die Gesetze nach eigenem Bedarf zurechtzubiegen. Sie fordert zur Gesetzlosigkeit auf." (zit. nach Albrecht Müller, "Machtwahn", München 2006, S.139). Eigentlich sollte vermutet werden, dass Politiker an der Macht noch grundsätzliche Zusammenhänge begreifen. Es scheint jedoch eher so, als hielten sie die Menschen für dumm. Da wird viel von "Freiheit" geredet, obwohl immer mehr Menschen langsam begreifen, dass hier nur noch die Freiheit der Share-Holder gemeint ist. Erst jüngst redete Matthias Platzeck, SPD, vom notwendigen "Umbau" des Sozialstaates, obwohl offensichtlich ist, dass es um dessen Beseitigung geht (vgl. Der Spiegel 08.04.2006). Die Frage ist nur, warum sollten nun gerade die untersten Schichten Prinzipien des sozialen Rechtsstaats folgen, wenn die Politik diesen gerade Stück für Stück beseitigt? Es geht scheinbar doch nur um das Prinzip des Stärkeren. Selbst der sicher nicht linke Präsident des Bundesverfassungsberichtes, sieht das gegenwärtige Treiben der Politik bezüglich Lobbyismus und nicht demokratisch legitimierter Kommissionen sehr skeptisch (vgl. Berliner Zeitung 25.02.2006). Wenn die Sozialgesetzgebung maßgeblich von der nicht demokratisch legitimierten Hartz-Kommission geprägt ist, wären demnach die darauf basierenden Gesetze eigentlich ohne demokratische Legitimation. Klar, dass die herrschende Politik dies anders sieht. In ihrer Mehrheit vertritt sie allerdings nur eine Wirtschaftsideologie, welche den Begriff "soziale Orientierung" bei großem Vermögen und wirtschaftlicher Macht nicht zu kennen scheint. "Sozial" scheint nur noch das zu sein, was die Reichen noch reicher macht. Zwar wuchs das deutsche Volkseinkommen 2005 um 26 Milliarden Euro. Damit das Unternehmens- und Vermögenseinkommen im gleichen Jahr allerdings um 32 Milliarden wachsen konnte, wurde durch tatkräftiger Unterstützung der damaligen Regierung, die Arbeitnehmerentgelte um 6 Milliarden gesenkt. So soll es offensichtlich weiter gehen (vgl. Kündigungsschutz). Man will gerade bei denen, die egoistisch nur auf ihr eigenes Vermögen schauen, "Vertrauen" schaffen. Für die Gewinne der Versicherungsunternehmen, soll die umlagenfinanzierte Rentenversicherung zerstört und jegliche Sozialverpflichtung des Eigentums, wie bei den sog. "Nebenkosten", beseitigt werden. Wirtschaftspolitisch betrachtet steht der Kontrolleur der ARGE doch nicht deshalb vor der Tür von ALG II-Beziehern, um das Allgemeinwohl vor Missbrauch zu schützen, sondern um auf Kosten "des Steuerzahlers" für die vermögende Wirtschaftselite einen Niedriglohnsektor durchzusetzen. Wenn etwas die Staatfinanzen belastet, ist es die herrschende Politik mit ihren sog. "Reformen". Dies zeigen - mit Ausnahme von Export und Börse - bereits unmissverständlich die entscheidenden Wirtschaftsindikatoren. So übernahm man mit Freunden die von der amerikanischen Anwaltssozietät Hogan & Hartson Raue für ihre reichen Klienten ausgearbeiteten Vorschläge zum Verkauf von staatlichen Vermögen (sog. ÖPP-Gesetze), nur damit die Enteignung und Beseitigung von billigen Wohnungen ungehemmt und vom Staat abgesegnet ablaufen konnte. Bestimmt rein wirtschaftliches Denken erst die Moral der herrschenden Politik, wird am Ende von irgendwelcher sozial orientierten Moral nicht mehr viel übrig bleiben - außer soziales Verhalten wird ebenso wie Demokratie zu einer außerparlamentarischen Angelegenheit. Menschen in existenzieller Not zu helfen, heißt ja sowie so immer mehr auch gegen die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen sich zu richten, welche diese Not erst erzeugen. Die öffentlichen Attacken gegen "Ausländer" tun hier ihr Übriges. Denn ich würde mich als ausländischer Mensch in Deutschland auch fragen, wo da irgendeine Moral existiert, wenn ich ständig angegriffen werde. Eine natürliche Grenze der viel beschworenen "Integration" besteht doch wohl da, wo ein ausländischer Mensch sich ausländerfeindlichen Sichtweisen anpassen soll. Wie auch immer - findet die herrschende Politik nicht zurück zum Grundgesetz Artikel 20, d.h. dass Deutschland ein Sozialstaat sein soll, wird sie Demokratie und Rechtstaat immer weiter zerstören. Legitimiert ist die heutige Politik sowie so bereits nicht mehr. Die große Koalition hat niemand gewählt. Wie die letzten Landtagswahlen zeigten, wählen besonders junge Menschen nicht mehr. Was auch? Den eigenen Untergang? Besser ist es wohl, wie nun Frankreich zeigt, gegen Sozialstaatsabbau sozial orientierten Widerstand zu leisten. Es ist also höchste Zeit durch gesetzliche Festlegungen wenigstens das Agieren im rechtsfreien Raum bei manchen ARGEN durch mehr Rechte für die davon Betroffenen zu stoppen. 5 Millionen (in Wahrheit wohl mindestens 7 Millionen) Arbeitslose dazu "aktivieren" zu wollen, ihre Existenz, ihre Zukunft, ihr Streben nach Demokratie und Gerechtigkeit, einer destruktiven Wirtschaftsideologie zu opfern, wird sicher nicht funktionieren. Nicht zufällig lautet der Untertitel des neusten Buches "Machtwahn" von Albrecht Müller (vgl. a.a.O.) wohl auch: "Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet". Ich vertraue allerdings darauf, dass sich die Mehrheit der Menschen nicht zugrunde richten lassen wird. Mit freundlichen Grüßen |