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Updated: 18.12.2012 15:51
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Selbstdarstellung der Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge

Armut und Ausgrenzung beginnt in den eigenen 4 Wänden...

Seit Hartz IV bekommen ALG-2 BezieherInnen einen Regelsatz von 345 Euro im Westen und 331 Euro wenn sie im Osten wohnen. Dazu wir die Warmmiete der Wohnung bezahlt – bis zu welcher Höhe diese Warmmiete übernommen wird, das schätzen die Kommunen selbst ein und erlassen eine sogenannte AV (Ausführungsvorschrift) Wohnen. Wenn die Miete nach diesen Sätzen zu hoch ist, dann gibt es eine Aufforderung vom JobCenter, die Kosten der Unterkunft zu senken. Für die Aufgeforderten heißt das, sich entweder nach einer billigeren Wohnung umzusehen oder die Differenz vom Regelsatz zu bezahlen. Wenn das nicht reicht, bleibt noch die Möglichkeit, das Einkommen durch Ein- Euro –Jobs, Minijobs oder Schwarzarbeit aufzubessern oder die Miete nur teilweise zu bezahlen. In vielen Fällen steht dann allerdings irgendwann der Gerichtsvollzieher vor der Tür, um die Bewohner durch Zwangsräumung aus ihrem gewohnten Lebensraum zu reißen. In Berlin wurden bis Ende Juli 2006 mehr als 6000 Bedarfsgemeinschaften aufgefordert, die Kosten der Unterkunft zu senken. Offiziell bekannt sind 155 Zwangsumzüge, aber jede Aufforderung bedeutet ein persönliches Schicksal. Nach der Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt, der Offenlegung aller Einkommensverhältnisse und der Stigmatisierung als Sozialschmarotzer droht nun noch der Verlust der persönlichen Lebenswelt. Die Wohnung, die eigenen 4 Wände, Geschichte und Rückzugsmöglichkeit in einem, stellt häufig die letzte persönliche Verortung in einer Gesellschaft dar, die versucht, den Einzelnen für seine Situation verantwortlich zu machen. Der große Mythos „Wer arm ist, hat selbst schuld!“ wird durch die Aufforderung zum Umzug zu einer persönlichen Enteignung aller intimen Bezügen, einer Strafe für persönliches Versagen.

Zwangsumzug – selbst schuld ?

Gleichzeitig schicken die JobCenter unangemeldete Schnüffler vorbei, die Bettdecken lüften, um zu schauen, ob nicht doch eine Bedarfsgemeinschaft dahintersteckt oder ob nicht doch noch Bargeld unter der Matratze liegt. Die Errungenschaften der Frauenbewegung, die jahrzehntelang die Selbstständigkeit der Frau erkämpfte ist mit nur einem Gesetz vom Tisch. Heute haben Frauen keinen Anspruch mehr auf ein selbständiges Leben. Sie sind verpflichtet nach Hartz IV, sich von ihrem verdienenden Lebenspartner „aushalten“ zu lassen. Auch wenn Herrn Hartz gerade der Prozess gemacht wird, weil er seinem Betriebsrat brasilianische Sexarbeiterinnen finanzierte, sozusagen als Dankeschön für die Kooperationsbereitschaft im Sinne des Unternehmens, was steckt da für ein Frauenbild dahinter: unabhängig, weil für Sex bezahlbar. Frauen haben kein Anspruch auf eine eigene Existenz, auf eigene Lust, auf ein selbstständiges Leben. Und die ganze Rückentwicklung von emanzipatorischen zu abhängigen Beziehungen steht unter dem Begriff der Reform. Die ganze Wahrheit über den Zustand der Gesellschaft wird immer noch geleugnet. Pech, wenn man älter, eine Frau, alleinerziehend, kinderreich oder MigrantIn ist. Kinder sind bereits als offizielles Armutsrisiko von der Bundesregierung benannt, wer im berufsfähigen Alter ist und zu einer dieser Gruppen gehört – er oder sie wird behandelt, wie ein Verlierer.

Wohnen, Würde, Widerstand !

Politische AktivistInnen, Betroffene, WissenschaftlerInnen und JournalistInnen haben sich in eine Berliner Kampagne zusammen gefunden, um den Protest zu organisieren, Widerstand zu leisten, zu informieren und die tatsächlichen Auswirkungen zu dokumentieren.
Jede Woche trifft sich die Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge im Südflügel des Bethanien, im Bezirk Kreuzberg, montags um 17 Uhr, um gemeinsam zu beraten, Aktionen zu planen, die Anrufe des Notruftelefons auszuwerten.
Das Notruftelefon, ehrenamtlich betrieben, soll eine erste Ansprechmöglichkeit sein. Abwechselnd sind Teilnehmer der Kampagne am Telefon. Für viele Hartz IV-Empfänger stellt die kurzfristige Aufforderung, die Miete zu senken und demnächst nur noch ein Teil der Miete finanziert zu bekommen, vor unlösbare Probleme. Begleitet werden diese Aufforderungen oft durch Schikanen, wie unangemeldete Hausbesuche, was die private Situation weiter als öffentlichen Verhandlungsgegenstand erscheinen lässt, der Einzelnen ist ausgeliefert und diffamierbar.
Mit dem Aufbau von Telefonketten raten wir zu Solidarität und Nachbarschaft. Die Interpretation dieser Gesellschaft kann nicht denen überlassen bleiben, die vor allem daran verdienen und sich mit millionenschweren Ablösesummen von deuten Gerichten freikaufen können.

Kooperation statt Wettbewerb

Die Veränderung beginnt still und leise, dann wenn man mit dem Rücken an der Wand steht.
Das Notruftelefon berät nicht nur über die Rechtslage, sondern gibt auch praktische Tipps der Kontaktaufnahme und Unterstützung. Jeder ist eingeladen, an der Berliner Kampagne mit zu machen, seine Wut auszudrücken, seine Energie in eine große Kraft gesellschaftlicher Veränderung durch Proteste, Aktionen, aber auch Solidarität und Unterstützung mit den Verzweifelten und Schwachen zu entwickeln. Der große Sprung aus dem Reich der Barbarei, in der Jeder über Abgrenzung, Ausbeutung und menschenverachtende Strategien seine Würde verliert, dieser Sprung aus der Barbarei, er hat bereits begonnen - immer dann, wenn wir aufeinander zu gehen, zuhören und helfen und uns einmischen, dort wo die Entscheidungen fallen. Die persönliche Lebenswelt ist unantastbar, um die Würde zu behalten. Solidarität und Kooperation in der Nachbarschaft sind die erste Form des Kampfes gegen die Abwertung und Ausgrenzung. Kommt vorbei oder ruft an, die nächste Form des Kampfes, des Protestes müssen wir gemeinsam finden.

Karin Baumert - Für die Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge Januar 2007
www.zwangsumzuege.de externer Link
Notruftelefon: 0800-2727278


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