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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

An Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags
Platz der Republik 1
11011 Berlin

von Armin Kammrad (ehrenamtlicher Sozialdienst)
29.05.2005

Betrifft: Gesetzliche Handhabung von Arbeit und Arbeitsgelegenheit

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit Anfang dieses Jahres meldet Nürnberg jeden Monat aufs Neue Zahlen über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in einer Art und Weise, welche nicht nur juristisch angreifbar ist, sondern auch als verfassungswidrig eingestuft werden kann. Konkret werden Arbeitslose in den sog. "Arbeitsgelegenheiten" nicht mehr als arbeitslos gerechnet, woraus der naheliegende Schluss gezogen werden muss, dass die BA die zwangsweise in "Arbeitsgelegenheiten" geschobenen Arbeitslosen auch nicht mehr vermitteln will, da ja - laut Nürnberger - nicht mehr arbeitslos.

" Für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden", lautet im Unterschied zur Nürnberger Verlautbarung die gesetzliche Festlegung im SGB II § 16 (3). "Arbeitsgelegenheiten" werden hier auf Arbeitslose, "die keine Arbeit finden können", bezogen. Entsprechend dürften sie in der Statistik auch nicht verschwinden.

Tatsächlich entledigt sich der Gesetzgeber nur seiner Verpflichtung des Förderns durch ein zwangsweises Abschieben von Arbeitslosen in "Arbeitsgelegenheiten". Die Statistik ist in soweit ehrlich: Die in "Arbeitsgelegenheiten" gedrückten Arbeitslosen werden meist in der Praxis auch als nicht mehr zu fördernde Arbeitslose behandelt. Verfassungswidrig ist daran, dass der Gesetzgeber dies per Gesetz festlegt. Der gesetzliche Zwang zu "Arbeitsgelegenheiten" zielt eindeutig auf eine Beseitigung von Arbeitsrechten. Das Streichen aus der Statistik beweist dies ebenso wie die gesetzliche Festlegung, dass durch eine "Arbeitsgelegenheit", " kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts (begründet)" wird (SGB II § 16 (3)). Diesem verfassungswidrigen Zustand könnte der Gesetzgeber nur begegnen, in dem er die in "Arbeitsgelegenheiten" gedrückten Arbeitslosen in der Statistik weiterhin als arbeitslos zählt. Nur so ergibt das ganze Gerede von "zusätzlich" - zumindest logisch - einen Sinn.

Praktisch sieht es eher so aus, dass sich der Gesetzgeber jeglicher Sozialverpflichtung mit seinen "Arbeitsgelegenheiten" entledigen und zugunsten der Kapitalrendite nicht existenzsichernde Billigjobs schaffen will - auch wenn dies das sog. "Allgemeinwohl", also die Staatsfinanzen, immer mehr belastet. Ökonomisch betrachtet, sind alle staatlichen Zuzahlungen, inkl. bei den "Arbeitsgelegenheiten" nach SGB II §16, nichts anderes als staatliche Subventionen für weiter steigende Kapitalerträge. Die (aktuell geschätzten) zusätzlichen 12 - 20 Milliarden, welche Hartz IV dem Staat kosten soll, beweisen dies. Statt durch höhere Steuern Kapitalerträge und Vermögen zu belasten, zahlt der Staat Zuschüsse aus Steuergeldern, wo das Kapital sich weigert existenzsichernde Löhne zu zahlen. Dieses staatliche Subventionieren von Kapitalerträge einiger weniger, ist verfassungswidrig, da staatliche Einnahmen der Allgemeinheit zu Gute kommen sollen.

Wenn Herr Ackermann auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank am 18. Mai eine "Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger" fordert, welche darauf hinaus laufen soll, "Verantwortung (...) an die Bürger zurück(zu)geben", so steht dies - inhaltlich betrachtet - im direkten Widerspruch zu seiner Erwartung, dass der Gewinn nach Steuer weiterhin so extrem wachsen kann wie 2004 (nämlich um 81% auf 2,5 Mrd. Euro). Denn es ist den Aktionären durchaus zuzumuten, dass sie nicht mehr durch sinkende Steuern zu ungunsten des Allgemeinwohls weiter entlastet werden. Eine Steigerung der Dividende "innerhalb von nur zwei Jahren um mehr als 30%", schließt verfassungsrechtlich Entlassungen allein schon deshalb aus, weil Entlassungen die Staatsfinanzen belasten, wogegen weniger Dividende zugunsten einer Vermeidung von Entlassungen, die Staatsfinanzen entlasten. Die von Herrn Ackermann geforderte Überprüfung öffentlicher Leistungen, muss vor allem bei den staatlichen Subventionen durch Steuererleichterung, staatliche Zuzahlungen sowie gesetzlichen Kündigungs- und Befristungsvoraussetzungen ansetzen, welche entscheidend höhere Kapitalrendite ermöglichen. Gerade für Kapitaleigentümer muss "Eigenvorsorge und Eigeninitiative (....) an Bedeutung" gewinnen, wie Herr Ackermann fordert. Sie können keine weitere Entlastung durch den Staat mehr erwarten. Dieser hat eine Sozialverpflichtung jedoch keine Verpflichtung irgendeine Art des Wirtschaftens zu subventionieren. Eine Abkehr vom Sozialstaatsprinzip zugunsten sicherer Dividenden ist verfassungsrechtlich nicht drin. Wenn das wirtschaftspolitische System nicht mehr funktioniert, muss es eben geändert werden; das Grundgesetz ist hier "wirtschaftspolitisch neutral" (BVerfGE 4,17).

Gerade dort, wo höhere Gewinne erzielt werden, muss der Staat durch entsprechende Gesetzgebung vielmehr sicherstellen, dass dies zu seiner Entlastung führt. So verhindert ein gesetzlich festgeschriebener existenzsichernder Mindestlohn, dass der Staat bei nicht existenzsichernden Löhnen die Allgemeinheit belastende Zuschüsse zahlen muss. Abschöpfung der Gewinne zugunsten von höheren Löhnen und Gehältern sowie verkürzte Arbeitszeit ohne Lohneinbußen, entlasten den Staat und geben u.U. sogar der Binnenwirtschaft etwas mehr Stabilität. Die regierende Politik muss damit aufhören, der längst widerlegten Theorie zu folgen, dass Entlastung von Eigentum zu Lasten derer, die nur ihre Arbeitskraft zu Markte tragen können, der Allgemeinheit nutzt. Allein schon die drohenden 60 Milliarden Staatsdefizit beweisen das Gegenteil. Sie sind im wesentlichen Resultat von direkten und indirekten Subventionen der Kapitalrendite und völliger Entlastung des Eigentums. Mit dem Zwang zu "Arbeitsgelegenheiten" nach SGB II, zahlt der Staat wieder nur das, was eigentlich zur Sozialverpflichtung des Eigentums nach Art. 14 (2) Grundgesetz gehört. Daraus ergibt sich nämlich, dass steuerlich Kapital und Vermögen mindestens so weit belastet werden müssten, dass für das Gemeinwohl notwendige Arbeiten mit dem Geld bezahlt werden können, was Gewinn aus produktiver Arbeit zieht. Der verfassungsrechtliche Spielraum entsprechend dem Sozialstaatsgebot von Art. 20 Grundgesetz zu handeln, kann sich nur darin ausdrücken, dass durch entsprechende Gesetze wachsender Wert sozialen Belangen zu Gute kommt. Nach dem sog. "Halbteilungssatz" des Bundesverfassungsgerichts von 1995 (BVerfGE 93,121) kann der Gesetzgeber bis zu 50% Vermögen für soziale Belange belasten. Zwangsarbeit nach SGB II §16 kann also leicht durch gutbezahlte freiwillige Sozialarbeit ersetzt werden. Stattdessen zielt der Gesetzgeber auf eine Senkung der sozialen Aufwendungen zugunsten von Kapital und Vermögen durch die Schaffung von "Arbeitsgelegenheiten".

Allerdings hat das Vorgehen des Gesetzgebers für die Betroffenen u.U. auch einen Vorteil: Da sie in Nürnberg als Arbeitende gerechnet werden, können sie auch alle für Arbeitende geltenden Rechte in Anspruch nehmen. Hierzu zähle ich besonders das Koalitions-, Tarif- und Streikrecht. Nach Art. 9 Grundgesetz sind hier Eingriffe des Gesetzgebers nicht zulässig. Ein Berufen auf den durch SGB II § 16 festgelegten Sonderstatus von "Arbeitsgelegenheit" ist in sofern nutzlos, weil an dem grundlegenden Recht Arbeitskämpfe zu führen sich nichts ändert, wenn der Gesetzgeber selbst bestimmte Formen von " Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" schafft, die nur durch Streik zugunsten der Beschäftigten in "Arbeitsgelegenheiten" verbessert werden können. Auch dass hier eine Verletzung des vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Verbots von Streiks gegen den Gesetzgeber vermutet werden könnte, liegt ja nur daran, dass der Gesetzgeber mit seinen Arbeitsgelegenheiten sich handfest in das einmischt, was Tarifparteien entscheiden sollen. Es ist der Gesetzgeber, der hier mit seinen "Arbeitsgelegenheiten" Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen schafft, die nach Art. 9 Grundgesetz gerade Gegenstand von Tarifauseinandersetzungen sind. Nach Aussagen des Bundesverfassungsrichters Hans-Jürgen Papier sind Eingriffe des Gesetzgebers in die Tarifautonomie übrigens nur zulässig zum " Schutz des Sozialstaates " ("Der Stern" 20/2005) und nicht zum Schutz sozialfeindlicher Wirtschaftskonzepte.

Allerdings mischt sich der Gesetzgeber mit seinen sog. "Sozialreformen" und Angriffen auf Kündigungsrechte permanent in Tarifauseinandersetzungen ein. Eine staatliche Neutralität in diesem Punkt ist aber Grundlage dafür gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht politische Streiks als verfassungswidrig einstufte. Andernfalls sind politische Streiks verfassungsrechtlich zulässig, wenn existenziell geboten. Für die Zwangsarbeit nach SGB II §16 (3) trifft dies besonders zu.

Ich hoffe, dass der verantwortlichen Politik doch noch die Verfassungswidrigkeit ihres Tuns bewusst wird und auch bei Langzeitarbeitslosen eine Förderung ihrer individuellen Bedürfnisse einsetzt, statt zu versuchen, eine feudale Zwangsordnung zu errichten. "Der Staat hat (...) auch eine Schutzpflicht, damit das Grundrecht der Berufsfreiheit für Arbeitnehmer nicht völlig funktionslos wird" (Hans-Jürgen Papier in "Der Stern" 20/2005). Die Frage ist nur, wer hier letztlich dieses Grundrecht durchsetzt - das Parlament oder außerparlamentarischer Widerstand?

Mit freundlichen Grüßen
(Armin Kammrad)


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