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Updated: 18.12.2012 15:51
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„Hartz IV zerstört das Recht auf informationelle Selbstbestimmung!“

Stellungnahme von Consumentenbund e.V. vom 25.7.04

Die auf den Fragebögen und Formularen zum ALG II vorliegenden Verstöße gegen den Datenschutz sind noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Die Auswirkungen von Hartz IV gehen viel weiter.
Hartz IV bedeutet die strukturelle, systematische und institutionalisierte Aufhebung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung bei vielen Millionen von Menschen.
Die mit Hartz IV einhergehenden Verletzungen des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung haben schwerwiegende, äußerst negative Folgen und Auswirkungen auf die betroffenen Bürger und die gesamte Gesellschaft.

In unserer Gesellschaft haben wir eine weitgehende Trennung der Lebensbereiche „Arbeiten“ und „Wohnen“, bzw. genaugenommen „Arbeiten“ und „Privatleben“. Diese Trennung ist ein wesentliches Grundmerkmal unserer Gesellschaft und zugleich eine wichtige demokratische Errungenschaft gegenüber den Strukturen der Feudalgesellschaft!
Der Bereich Arbeit ist fremdbestimmt, unterliegt dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Privatbereich ist selbstbestimmt. Jeder kann sich die Wohnung suchen, die ihm gefällt, kann mit der Person zusammenziehen, mit der er möchte, kann sein Privatleben so gestalten, wie er
bzw. sie es möchte, und all das geht den Arbeitgeber überhaupt nichts an. Wer will, kann die Bereiche „Arbeit“ und „Privatleben“ weitgehend voneinander trennen. Das stimmt auch exakt mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung überein.

Bisher findet sich diese Trennung von Arbeit und anderen Lebensbereichen auch in der Struktur der Behörden und Verwaltungen wieder.
Für den Bereich „Arbeit“ war das Arbeitsamt als Bundesbehörde zuständig, für den Bereich „Wohnen“ sind es die kommunalen Wohngeldämter bzw. im Bedarfsfalle die Sozialämter.
Diese Behörden haben bisher vollständig voneinander unabhängig organisierte und im Regelfall auch nicht verknüpfte Datenbestände.
Im Sinne und Interesse des Datenschutzes und des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung ist diese Trennung völlig richtig und darüber hinaus auch bedeutsam und wichtig!
Eben nicht „nur“ per Datenschutzregelungen, sondern institutionell, durch die Verteilung unterschiedlicher Aufgaben auf unterschiedliche Behörden, war bisher für ein hoher Maß an Schutz persönlicher Daten gesorgt.
Die institutionelle Trennung von Sozialamt und Arbeitsamt, die institutionelle Trennung von „Arbeiten“ und „Wohnen“ war und ist bisher noch ein Garant für viele Freiheitsrechte!

Strukturen der Feudalgesellschaft kehren zurück!

Mit Hartz IV aber wird das vollständig anders! Denn alle Daten einer Person, aus dem beruflichen Bereich genauso wie auch aus dem Privatbereich, laufen in Zukunft bei einer Stelle zusammen und werden auf Dauer gespeichert.
Die zukünftigen Arbeitsvermittlungen, egal von wem sie betrieben werden, haben Informationen aus allen Lebensbereichen über die Arbeitssuchenden.

Gerade die Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Bereichen stellt stets eine besondere Bedrohung für den Datenschutz und für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.

Die sogenannten Fallmanager haben alle, aber auch alle Informationen über einen Menschen. Sei es über Erkrankungen, sei es über Partnerschaften oder sexuelle Vorlieben, sei es über berufliche Qualifizierung oder berufliche Probleme – der „Big Brother“ Fallmanager weiß alles, beobachtet alles, wertet alles aus, und zwar unter dem Gesichtspunkt möglicher Kosteneinsparungen und möglichst des Hinauswurfs aus dem Leistungsbezug!

Die zukünftigen Datenbanken bei den Agenturen für Arbeit, bei den Kommunalen Arbeitsvermittlungen oder den Arbeitsgemeinschaften enthalten Daten sensibelster Art aus allen Lebensbereichen in einem Datensatz!
Damit wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das bisher durch die Trennung der Daten aus unterschiedlichen Lebensbereichen gewährleistet war, für eine großen Teil der Bevölkerung faktisch liquidiert.

Darüber hinaus ist bis heute weitgehend unklar, in welcher Rechtsform zukünftig die Vermittlung und Verwaltung der Bezieher des ALG II stattfinden wird. Je nach Bundesland oder sogar Kommune liegt die Erfassung und Verwaltung und Auswertung der Daten bei den Kommunen, bei Arbeitsgemeinschaften zwischen Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit, teilweise allein bei der Agentur für Arbeit.
Diese Zersplitterung auf unterschiedliche Institutionen, je nach Stadt, je nach Bundesland, macht eine effektive Regelung und Kontrolle des Datenschutzes vollends unmöglich.

Hartz IV bedeutet durch die Aufhebung der institutionellen Trennung der Bereiche Arbeit und Privatleben eine immense Gefahr nicht nur für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Hartz IV ist eine riesige Bedrohung für alle demokratischen Freiheitsrechte.

An zwei Beispielen sollen konkrete mögliche Auswirkungen geschildert werden:

Bereich Wohnen / Mietkonflikte:

Wie bereits gesagt, sind in unserer Gesellschaft die Bereiche „Wohnen“ und „Arbeiten“ weitgehend getrennt. Viele Menschen wohnen weit weg von ihrer Arbeitsstelle. Es geht den Arbeitgeber nichts an, wie und wo man wohnt, und es geht den Vermieter (außer evtl. beim Abschluß eines Mietvertrages) nichts an, wo man arbeitet.
Die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kann gerade bei Hartz IV eine Fülle negativer Folgen für die Betroffenen haben. Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, haben ein berechtigtes Interesse daran, daß gerade der Vermieter nichts vom Status der Arbeitslosigkeit erfährt. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger haben in dieser Gesellschaft ein sehr negatives Image. Dies hat mit der Realität nichts zu tun, wird aber von den Medien genauso wie von den Politikern systematisch geschürt.
Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, die offiziell als „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe“ verharmlost und verkauft wird, wird dem Stigma der Arbeitslosigkeit noch das Stigma des Sozialhilfeempfängers draufsetzt.

Konkret bedeutet Hartz IV für Empfänger von ALG II, daß die Vermieter grundsätzlich darüber informiert werden, daß der Mieter bzw. die Mieterin den Status „arbeitslos“ und, schlimmer noch, den Status „Empfänger von ALG II“ (also: „bettelarm“) hat.
Diese Information liegt nicht nur an einem schlecht formulierten oder unglücklich gestalteten Fragebogen, sondern ist systematisch in Hartz IV integriert, ist Kernbestandteil von Hartz IV !

Es gibt – und zwar in jeder Beziehung nachvollziehbar – eine Fülle von Menschen, die in ihrem Umfeld, in der Nachbarschaft, auch und gerade vor allem dem Vermieter gegenüber verschweigen, daß sie arbeitslos sind.
Sie zahlen pünktlich ihre Miete, und es geht es den Vermieter überhaupt nichts an, daß das Geld dafür nicht von einer Firma, sondern in Form von Arbeitslosenhilfe, einer Lohnersatzleistung, vom Arbeitsamt kommt.

Und bisher gab es auch keinerlei Veranlassung und auch keinerlei Grundlage dafür, daß der Vermieter diese Information über den Mieter erhielt.Das Arbeitsamt wußte nicht, wer der Vermieter ist, und es ging das Arbeitsamt auch nichts an.

Auch beim derzeitigen Wohngeld erhält der Vermieter letztlich nur die Information: „Im Verhältnis zur Wohnungsmiete relativ niedriges Einkommen“, was angesichts der Höhe der Wohnungsmieten ja auch für sehr viele Menschen mit Arbeit zutrifft. Diese Daten bezüglich Wohngeld liegen zudem bei den von den Arbeitsämtern völlig getrennten kommunalen Wohnungsämtern.

Gerade vom Vermieter gibt es eine Fülle von Abhängigkeiten. Ein Mietverhältnis beinhaltet ein beträchtliches Konfliktpotential.
Jetzt erhalten die Vermieter institutionalisiert und per gesetzliche Regelung eine zusätzliche, bisher nicht vorhandene Information über die Mieter. Eine Information, die eine Fülle von Diskriminierungs- und Benachteiligungsmöglichkeiten eröffnet.
Das kann schon eine gesprächsweise Mitteilung in die Nachbarschaft sein, der Betroffene sei arbeitslos – und wer kann es denn schon nachweisen, daß es der Vermieter war, von dem diese Information kam? Das kann gehen bis zur Information an das Gericht im Falle eines Kündigungsprozesse. Im Falle von Konflikten zwischen Vermieter und Mieter wird diese Information zur Waffe in der Hand des Vermieters..
Eine Fülle subtilerer, aber genauso wirksamer Diskriminierungen ist denkbar und wird geschehen.

Bereich Sexualität:

Die gerade erreichte Liberalisierung im Bereich Sexualität wird via Hartz IV ausgehebelt. Mit Hartz IV ist die Freiheit, mit wem welchen Geschlechtes man zusammenwohnen möchte, am Ende und faktisch liquidiert.

Mit den sogenannten „Bedarfsgemeinschaften" wird nicht nur eine Haftung bzw. Heranziehung zum Unterhalt von Mitbewohnern gegenüber den bisherigen Regelungen verschärft, vereinfacht und wahrscheinlicher gemacht, darüber hinaus werden penibel Daten erhoben und über Jahre und Jahrzehnte hin gespeichert. In diesem Sinne und in diesem Bereich führt Hartz IV zu einem gesellschaftspolitischen Rollback, den sich bisher niemand auch nur im entferntesten ausmalt.

Fazit:

Mit Hartz IV untrennbar verknüpft sind massive Verletzungen des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung. Dies ist sehr konkret und beinhaltet eine Fülle nachteiliger Auswirkungen auf die Betroffenen.

Handeln der Datenschutzbeauftragten erforderlich!

Wir halten es für unbedingt erforderlich, daß die Datenschutzbeauftragten des Bundes und Länder in klarer Form und sehr entschieden gegen Hartz IV Stellung beziehen.
Bei Hartz IV geht es nicht nur um die schlechte Formulierung eines Formulars, sondern Hartz IV bedeutet von seiner ganzen Struktur her die Entziehung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung; potentiell bei den 90% der Bevölkerung, die abhängig beschäftigt sind. Allen Erfahrungen nach werden restriktive Regelungen für Teilgruppen der Gesellschaft nach der Einführung auf immer mehr Menschen ausgedehnt.

Der Arbeitsmarkt ist nicht statisch, sondern in ständiger Bewegung: Jährlich verlieren etwa eine Million Menschen ihren Arbeitsplatz, etwa 800 000 finden einen neuen (zu oft deutlich schlech¬teren Bedingungen als zuvor). Von Arbeitslosigkeit und von Hartz IV betroffen sind also insgesamt weit mehr Menschen als die Zahl von rund 5 Millionen „offiziell“ Arbeitslosen.
Bezogen auf Hartz IV heißt das, daß sich in wenigen Jahren Datenbestände von mindestens 10 Millionen Menschen ansammeln werden. Datenbestände mit noch weit detaillierteren und geprüfteren Daten, als bei der Volkszählung 1987. Diese ist am Widerstand der Bevölkerung und am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur informationellen Selbstbestimmung gescheitert.
Hartz IV ist faktisch eine Neuauflage der Volkszählung, mit der ein ganz erheblicher Anteil der Bevölkerung erfaßt werden soll.
Die Verweigerung der Zählung ist zudem diesmal gekoppelt an die Strafe des Hungerns!

Hartz IV trifft qualifizierte, langjährig Beschäftigte!

Hartz IV trifft nicht die traditionell Arbeitslosen – Menschen mit geringer Qualifikation – sondern gerade Menschen aus qualifizierten Berufen, mit hochwertiger Ausbildung und Berufserfahrung. Hartz IV ist unter anderem die staatliche Reaktion auf die Tatsache, daß die Firmen in den letzten Jahren zunehmend immer mehr langjährig Beschäftigte, gut verdienende Mitarbeiter kündigen. Diese haben über viele Jahre hin hohe Beiträge an die Arbeitlosenversicherung bezahlt
Gerade denen werden mit der Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld diese Versicherungsleistungen vorenthalten!
Hartz IV trifft den Facharbeiter, der dreißig Jahre lang Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, sich mühsam und liebevoll ein Häuschen gebaut und es gerade zum größten Teil abgezahlt hat.

Hartz IV trifft den Angestellten, der 30 Jahre hinterm Ladentisch gestanden hat und sich für ein sorgenfreies Alter viel von seinem Gehalt für eine Lebensversicherung abgeknapst hat. Hartz IV bedeutet Enteignung des mühsam ersparten Hauses, der mühsam ersparten Alterssicherung.
Allenfalls ironisch und als makabre Ergänzung kann man dabei noch sehen, daß es sich bei denen, die von Hartz IV vor allem betroffen sind, um die Stammwählerschaft der SPD handelt.

Breiter Widerstand kann Hartz IV kippen!

Eine breite Widerstandsbewegung, ähnlich wie bei der Volkszählung, hat gute Argumente und gute Aussichten, Hartz IV zu kippen. Die Forderung der Stunde lautet: Hartz IV stoppen und zurücknehmen!


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