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Updated: 18.12.2012 15:51
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Privatisierung gefährdet Ihre Gesundheit

Wie aus städtischen Kliniken profitorientierte Unternehmen werden

Von Hermann Werle

In dem von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz im April vorgestellten Sozialstrukturatlas wird festgestellt, dass sich in Berlin zunehmend Armutsbezirke herausbilden. Damit einhergehend verschlechtert sich auch der gesundheitliche Zustand der Bevölkerung in diesen Bezirken, was sich unter anderem in einer geringeren Lebenserwartung widerspiegelt. Darauf Bezug nehmend stellt die Senatorin, Heidi Knake-Werner, im Vorwort des Berichts fest: "Die soziale und gesundheitliche Lage der Menschen sind nicht voneinander zu trennen." Diese Binsenweisheit der Sozialmedizin wird durch die Umstrukturierung der Berliner Krankenhauslandschaft - mit dem Ziel der Privatisierung - missachtet und konterkariert.

Die wechselvolle Geschichte der Gesundheitsberichterstattung, in deren Nachfolge der Berliner Sozialstrukturatlas steht, reicht über 200 Jahre zurück. Genaue Auflistungen von Todesfällen und deren Ursachen sowie die Erfassung von Krankheiten dienten zunächst als Grundlage der staatlichen Vorsorge und Kontrolle mit dem Ziel der Vergrößerung der Bevölkerung und damit der Stärkung der wirtschaftlichen und militärischen Macht. Eigens dafür eingerichtet wurde die "medicinische Polizey". Deren Aufgabe skizzierte der kaiserliche Leibarzt, Krankenhausdirektor und wichtigste Vertreter dieser Form der Gesundheitspolitik, Johann Peter Frank (1745-1821): "Die innere Sicherheit des Staates ist der Gegenstand der allgemeinen Polizeywissenschaft. Ein sehr ansehnlicher Teil davon ist die Wissenschaft vom Gesundheitswohl der in Gesellschaft lebenden Menschen und derjenigen Tiere, deren sie zu ihren Arbeiten und zu ihrem Unterhalt bedürfen." Besonders im Visier hatte Frank die Frauen, denen eine völlige Unmündigkeit sowie die grundsätzliche Vernachlässigung der Pflege und Erziehung ihrer Kinder unterstellt wurde. Zwei der neun von Frank veröffentlichten Bände über die Rolle der "medicinischen Polizey" im Rahmen der staatlichen Bevölkerungsfürsorge behandeln Aspekte, die insbesondere die "veränderte Lebensart" von Frauen betrifft: "Das viele Thee und Caffee-Trinken, die übertriebene Neigung zum täglichen und bis in die späte Nacht anhaltenden Spielen, die seltsamen Kleidertrachten, die neuerfundenen Arten, bis zum Schwindel und Niedersinken zu tanzen, das vernachlässigte Stillen eigener Kinder."

Politik ist "Medicin im Großen"

Eine neue Entwicklung staatlicher Gesundheitspolitik entstand vor dem Hintergrund der industriellen Revolution und der damit einhergehenden katastrophalen hygienischen Wohnverhältnisse in den damals neu entstandenen Arbeitervierteln. Auf der einen Seite war es der erstarkten Arbeiterbewegung geschuldet, dass der Bourgeoisie mit dem Krankenversicherungs- und Unfallversicherungsgesetz (von 1883 bzw. 1884) gewisse Konzessionen abgerungen werden konnten. Auf der anderen Seite setzten sich fortschrittliche Mediziner für die Belange der verelendeten Arbeiter ein. Erst so konnte eine Gesundheitsversorgung für weite Teile der verarmten Bevölkerung entstehen. Auf Rudolf Ludwig Karl Virchow (1821-1902) geht die Prägung der Medizin als "soziale Wissenschaft" zurück, die sich auch politisch artikulierte: "Wer kann sich darüber wundern, dass die Demokratie und der Socialismus nirgend mehr Anhänger fand, als unter den Aerzten? Dass überall auf der äußersten Linken, zum Theil an der Spitze der Bewegung, Aerzte stehen? Die Medicin ist eine sociale Wissenschaft, und die Politik ist weiter nichts, als Medicin im Grossen." Nach diesem Grundsatz agierte der Arzt auch als Abgeordneter: Neben seiner 43-jährigen Mitgliedschaft in der Berliner Stadtverordnetenversammlung war er fünf Jahre lang Mitglied des Preußischen Landtags und 13 Jahre lang Mitglied des Deutschen Reichstags. Bereits auf den Barrikaden der 1848er Revolution hatte Virchow auf Seiten der Arbeiter und Handwerker gestanden und in einem Brief beklagt, dass seine Pistole nicht weit genug schießen würde. Um so weiter reichte dafür Virchows sozialpolitische Arbeit. So ist nicht nur der Bau von Parkanlagen, Kinderspielplätzen und der Berliner Kanalisation auf sein Wirken zurückzuführen, sondern auch das Entstehen der ersten kommunalen Krankenhäuser wie in Friedrichshain (1874), Moabit (1875) und am Urban (1890).

Als schlechter Witz der Geschichte erscheint es nun, dass genau diese Kliniken zu jenen gehören, die vom Berliner Senat aus "Sparzwängen" entweder schon geschlossen wurden (Moabit) oder unter dem Dach von Vivantes privaten Profitinteressen unterworfen werden sollen.

"Blitzkrieg" oder "Feldzug"?

Gehörten städtische Krankenhäuser wie andere Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge lange Zeit zu einem nahezu verwertungsfreien Raum innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsweise, so begegnen wir derzeit einem fundamentalen Systemwechsel. Bundesweit vollzieht sich eine Entwicklung zu einer Gesundheitsversorgung, die den "freien" Marktgesetzen unterworfen wird. Die Kosten werden zunehmend direkt auf die Patienten abgewälzt, während die Arbeitgeber durch die Senkung ihres Finanzierungsanteils zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entlastet werden. Erhöhte Zuzahlungen bei Medikamenten oder Zahnersatz und Krankenhausgebühren sind die Folgen der so genannten "Reformen" im Gesundheitswesen wie auch die Kürzungen der Krankenhausbudgets und der Honorare niedergelassener Ärzte. Letzteres empört nun auch die Ärzteschaft. "Wer hat denn die Krise der GKV verschuldet? Doch nicht die Ärzteschaft oder die Krankenhäuser", schimpfte Prof. Dr. med. Friedrich-Wilhelm Kolkmann, heutiger Ehrenpräsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, im Ärzteblatt BW (11/2002) und resümierte die Folgen der Reformpolitik: "Nur Dummköpfe und Illusionisten können glauben machen, dass die eiligen gesundheitspolitischen Willkürmaßnahmen der Bundesregierung ohne Schaden und Nachteile für die Patientinnen und Patienten bleiben werden. (...) Das eilige Notprogramm der Frau Ministerin richtet sich nur vordergründig gegen Ärzteschaft und Krankenhäuser. In Wirklichkeit werden Patientinnen und Patienten die Leidtragenden sein. Es handelt sich in Wahrheit um einen Blitzkrieg gegen Patientinnen und Patienten." Abgesehen davon, dass sich vor dem Hintergrund Nationalsozialistischer Blitzkriegsführung dieser Vergleich verbietet, sind neben den Patienten vor allem die Pflegekräfte und einfachen Krankenhausangestellten die Leidtragenden. Es handelt sich auch keineswegs um eine kurzfristige "Kriegsführung", sondern um einen langfristigen "Feldzug" gegen das bisherige Gesundheitssystem.

Erfolgreicher Widerstand

Seit 1990 nahm die Zahl der Krankenhäuser und Krankenhausbetten von 2447 auf 2160 bzw. 685.976 auf ca. 560.000 ab. "Gesundheitsexperten" halten über 1000 weitere Kliniken für überflüssig und kalkulieren einen Stellenabbau von rund 100.000 Pflegekräften mit ein. Die nach dieser Logik erhaltenswerten, sprich profitablen, Krankenhäuser sollen Schritt für Schritt privatisiert werden. Auf dem Weg dahin wird in der Regel zunächst die Rechtsform geändert, d.h. aus einem städtischen Krankenhaus wird eine Krankenhaus GmbH. Wenn diese durch privatisierungswillige Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften von den "Kosten-Lasten" zu vieler Beschäftigter, zu hoher Löhne, tariflicher Bindungen, zu vieler Betten und zu vieler Serviceleistungen befreit sind, ist der Weg geebnet für private Klinikketten oder -konzerne wie der Rhön-Klinikum AG oder der Helios GmbH, die mit dem Klinikum Buch bereits ein Standbein in Berlin haben.

In Kassel begann dieser Prozess bereits im Jahr 1992 mit der Umwandlung des Klinikums Kassel in eine gemeinnützige GmbH. Der Belegschaft war es durch vielfältigen Protest zunächst gelungen Löhne, Stellen und öffentliche Trägerschaft zu sichern sowie die Gemeinnützigkeit durchzusetzen. Mit einer neuen Konzernstruktur begann 1995 dennoch der Prozess der Auslagerung und Privatisierung einzelner Klinikbereiche wie der Wäscherei, Küche und Reinigung. 1999 schließlich wollte der SPD-geführte Stadtrat die vollständige Privatisierung durchsetzen, scheiterte jedoch abermals an dem massiven Protest, den die ÖTV-Betriebsgruppe initiiert hatte. Als Kompromiss entstand 2002 unter Zusammenführung mit drei anderen Kliniken die Gesundheit Nordhessen Holding AG. Für die nächsten zehn Jahre muss das Unternehmen mehrheitlich in kommunaler Hand verbleiben. Ein weiterer Erfolg für die Beschäftigten und künftig Neueingestellten war die Übernahme der Tarifverträge in die neue Gesellschaft. Für die Gewerkschaft hält die Vertrauensleutesprecherin des Klinikums Kassel, Steffi Nitschke, fest: "Unser Kampf war die beste Mitgliederkampagne, die wir jemals hatten. Über 200 Kolleg/innen konnten wir neu für die ÖTV/ ver.di gewinnen."

Von Kassel nach Berlin

Ein ähnlicher Erfolg ist den Beschäftigten der Berliner Krankenhausgesellschaft Vivantes und der Charité zu wünschen. Unter Androhung des Stellenabbaus und der Insolvenz von Vivantes versuchen der SPD/PDS-Senat und die Geschäftsführungen derzeit, die Belegschaften weich zu klopfen. Der Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, längere Arbeitszeiten sowie eine weitere Arbeitsverdichtung seien Voraussetzung für das Überleben der Kliniken. Eine "räuberische Erpressung" wie der im Januar zurückgetretene Vivantes Betriebsratsvorsitzende Volker Gernhardt in seiner Rücktrittserklärung schreibt und hinzufügt: "Wenn wir es dann geschafft haben, ein profitables und marktgerechtes Unternehmen zu werden und unseren Kunden, den Patienten, unsere Ware, die Gesundheit, zu optimalem Preis verkaufen, dann ist ‚die Braut geschmückt'. Ein Zynismus ohnegleichen."

Ein Fachmann für das "Schmücken von Bräuten" ist Wolfgang Schäfer, dessen Name eng mit der jüngeren Geschichte des Kasseler Klinikums verwoben ist. Bis zu seinem Ruf nach Berlin im Februar 2001 war das SPD-Mitglied Schäfer Geschäftsführer im Kasseler Klinikum, dessen Privatisierung er sich zur Aufgabe gemacht hatte. Ein Jahr zuvor hatte er noch das Institut für medizinisch-ökonomisches Consulting (IMC) gegründet, welches sich auf die Einführung und Umsetzung des kostenoptimierenden DRG-Fallpauschalensystems spezialisiert hat. In Berlin trat er an, um aus der vom Berliner Senat aus zehn Kliniken geschaffenen Netzwerk GmbH ein profitables Unternehmen zu formen. Im Vivantes Strategiekonzept "Reflexion und Weiterentwicklung" vom Dezember 2002 werden die Hauptangriffspunkte der profitorientierten Umstrukturierung sehr schnell deutlich. Unter Zielvorgaben heißt es dort unter anderem: "Steigerung der Pro-Kopf-Leistung auf das Niveau des Wettbewerbers, Senkung der spezifischen Stückkosten, mittelfristiger Abbau des Tarifnachteils."

Für die Umsetzung dieses personalfeindlichen Programms konnte Schäfer eine hochqualifizierte Persönlichkeit finden. Seit drei Jahren besetzt der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der ÖTV Berlin, Ernst-Otto Kock den Posten des Arbeitsdirektors. Vom Gewerkschaftsführer in die Rolle der Unternehmensführung zu wechseln, scheint Herrn Kock keine Probleme bereitet zu haben. Nach dem oben bereits zitierten Schreiben Volker Gernhardts erklärte Kock in einer Gesprächsrunde sehr unzweideutig, dass es zwei Stellschrauben zur Einsparung von Personalkosten gäbe: Stellenabbau und Lohnkürzungen. Die Arbeitsverdichtung ist bereits an bzw. über die Grenzen des Erträglichen für Personal und Patienten ausgereizt. Laut Vivantes-Geschäftsbericht wurden allein von 2001 auf 2002 insgesamt 862 Vollzeitstellen abgebaut, davon 369 im Pflegedienst. Nun soll es mit Hilfe des SPD/PDS-Senats also an die Löhne und Tarife gehen. An der Basis brodelt es. "Pest oder Cholera bei Vivantes - Lohnverzicht, nein Danke, Herr Schäfer", hieß es auf Plakaten und Flugblättern, die zur Betriebsversammlung im Januar aufriefen. Dort entlud sich ein Teil der Wut der rund 6000 anwesenden Beschäftigten, die Schäfer ausbuhten und beschimpften. Doch der Krankenhausmanager verspürt den Gegenwind nicht nur von Seiten der wütenden Belegschaft, sondern auch von Seiten des Senats. Trotz über 2000 gestrichener Stellen steckt der Klinikkonzern noch immer tief in den roten Zahlen und spart bereits an den Handtüchern. "Wir müssen uns nach stundenlangen Operationen an der Kleidung abtrocknen oder eigene Handtücher mitbringen", zitiert die Berliner Zeitung einen Arzt, der aus Angst vor Repressalien seinen Namen nicht nennen mochte. Er wäre schließlich nicht der Erste, dem Herr Schäfer die Tür weisen würde. Kurz vor seiner Pensionierung wurde Prof. Dr. Schiffter im September 2002 fristlos gekündigt. Er hatte in einem Schreiben an seinen ärztlichen Direktor, welches auch an die Gesundheitssenatorin Knake-Werner ging, auf drohende Mängel in der Patientenversorgung durch die angespannte Personalsituation hingewiesen. Wenn neben den Handtüchern demnächst auch noch die Tupfer ausgehen, sind die ,Schäferstunden' bei Vivantes vielleicht bald gezählt und der Mann kann sich wieder ganz seinem Institut IMC widmen.

Abkassieren mit Fallpauschalen

Ein großer Umzug würde es nicht werden, sitzt das IMC doch im gleichen Haus in der Oranienburger Straße in Berlin-Wittenau, wo wir auch die Geschäftsführung von Vivantes antreffen. Doch nicht nur räumlich und durch Herrn Schäfer sind die beiden Unternehmen verstrickt, seit September hält die Vivantes GmbH 41,7 % der Anteile am IMC, welches 2001 einen Jahresüberschuss von 5,8 Mio. Euro erzielte. Üppige Gewinne dürften wohl auch für die nächsten Jahre gesichert sein. In enger Kooperation mit der Deutschen Krankenhaus TrustCenter und Informationsverarbeitungs GmbH (DKTIG) unterstützt das IMC über 1000 Krankenhäuser mit Datenanalysen und teurer Management-Beratung bei der Umstellung auf das DRG-System. Die Vivantes-Kliniken kommen dadurch in den zweifelhaften Genuss, ganz nah am starken Puls der Fallpauschalen zu sein.

Auch das Klinikum Kassel hatte dieses "Vergnügen" in Form von Anteilen am IMC. Anteile, die der Stadt teuer zu stehen kamen. Nach einem "Klartext"-Bericht des Rundfunk Berlin-Brandenburg vom März diesen Jahres verkaufte die Stadt Kassel ihre Anteile an Schäfer und Vivantes, wobei Schäfer 319.000 Euro gezahlt haben soll. Drei Monate später war der zuvor auf 3,81 Mio. geschätzte Wert des IMC plötzlich auf 9 Mio. hochgeschnellt und Schäfers Anteil war 766.000 Euro wert. "Es ist für die Stadt Kassel nicht das erzielt worden, was sie hätte erzielen können. Sie hat verloren. (...) Letztlich haben sich diese Geschäfte im Dunkeln vollzogen", kommentiert ein Kasseler Grünen-Abgeordneter den Vorgang. Genau die richtige Qualifizierung, die der Krankenhausmanager von Kassel nach Berlin mitbrachte. Denn auch wenn die Kassen leer sind, gibt es für einige doch noch viel zu holen, sogar im Gesundheitsbereich.

In ihrem Buch "Krankenhaus-Report 19. Jahrhundert" stellen die Herausgeber Alfons Labisch und Reinhard Spree heraus, dass das Finanzierungssystem maßgeblich den Krankenhausbetrieb und damit auch Art und Umfang der Betreuung der Patienten vorgibt. Privatwirtschaftliches Qualitätsmanagement und Fallpauschalen entspringen einer betriebswirtschaftlichen Logik, die nicht das Wohl der Patient/innen, sondern Profit anstreben. Eine Politik, die solche Weichen stellt, ist verantwortungslos und fördert den Rückfall in sozialdarwinistische Denkstrukturen des 19. Jahrhunderts. Das Überleben der vermeintlich Tüchtigsten und Intelligentesten wird zum Maßstab staatlicher Politik erhoben, sind sie doch der Motor der menschlichen Entwicklung. Die Verarmung und Verelendung weiter Teile der Bevölkerung (auf nationaler wie auf globaler Ebene) kann somit als Notwendigkeit der Entwicklung des ungezügelten Kapitalismus interpretiert werden. Wofür noch staatliche Gesundheitsvorsorge oder städtische Krankenhäuser? ‚Eure Armut kotzt uns an und kostet auch noch unser Geld!', scheint das Motto zu sein. Lebensverkürzende Krankheiten oder Gebrechen könnten doch für gewisse Bevölkerungsschichten ihre ‚natürliche' Auslesefunktion wahrnehmen! Ganz im Sinn der menschlichen Entwicklung und aufstrebender Karrieristen vom Schlage eines Philipp Mißfelder, der im letzten Jahr als Vorsitzender der Jungen Union forderte, alten Menschen keine teuren Hüftgelenke mehr einzubauen.

Rudolf Virchow würde sich bei derlei Menschenverachtung wohl unruhig im Grabe wälzen, war doch sein Leitspruch: "Eine Regierung kann sich nur daran messen lassen, wie sie sich zu den Kranken und Alten und Schwachen verhält."

DRG-Fallpauschalensystem

Am 14.12.2001 wurde das "Gesetz zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser" vom Bundestag beschlossen. Damit wurde das DRG-System (Diagnosis Related Groups) ab 01.01.2003 zunächst optional und ab 2004 verpflichtend für alle Krankenhäuser - mit Ausnahme der Psychiatrie - eingeführt. Nach einer Phase der Kosten reduzierenden Angleichung, sollen über ein weiteres Gesetzgebungsverfahren ab 2007 einheitliche Festpreise für die stationäre Behandlung in allen Krankenhäusern gelten.

Nach dem DRG-System werden Patient/innen nach festgelegtem Schema behandelt und abgerechnet. Nach verschiedenen Untersuchungen - unter anderem der Arbeitsgruppe Public Health am WZB (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH) von 2001 und einer Studie der Gmünder Ersatzkasse aus dem letzten Jahr - sind die Folgen fatal: Es droht die Gefahr der "Instant Versorgung". Behandlungen wurden aus wirtschaftlichen Gründen verweigert oder verschoben, klinische Verfahren und Methoden unterhalb des heutigen Standards kamen zum Einsatz, und Kunden (wie der moderne Patient heute heißt) wurden, um Behandlungskosten zu sparen, vorzeitig entlassen - so genannte "blutige Entlassungen" nach dem Sprachgebrauch des Pflegepersonals. Nach einer Studie der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist zudem mit erhöhten Kosten für das Gesundheitswesen zu rechnen: "Internationale Erfahrungen (z.B. in Australien oder in den USA) zeigen, dass das Ziel der Ausgabenstabilität bzw. Ausgabenreduzierung im Krankenhausbereich nicht erreicht werden konnte. Vielmehr sind Ausgabensteigerungen zu verzeichnen. Ähnliche Entwicklungen werden auch für den deutschen Krankenhausbereich prognostiziert. Dazu wird auch der dem DRG-System innewohnende zusätzliche Verwaltungsaufwand für die Dokumentation (inklusive Kodierung) und die Kalkulation der Leistungen sowie der Aufbau eines geeigneten Qualitätssicherungssystems beitragen. Gleichzeitig ist auch damit zu rechnen, dass sich nicht nur die Krankenhausausgaben erhöhen, sondern dass es auch zu einer Zunahme der Ausgaben im Gesundheitswesen insgesamt kommen könnte."Sozialstrukturatlas Berlin

Zum dritten Mal nach 1998 und 2000 wurde der Sozialstrukturatlas Berlin veröffentlicht. Er beinhaltet Informationen über Einkommenssituation, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Bildungsstruktur und Gesundheitszustand der Bevölkerung. Wie bereits bei den vorangegangenen Veröffentlichungen löste der Sozialstrukturatlas Debatten über die drohende Verslumung der Innenstadtquartiere aus. Nicht zuletzt auf Grund des Sozialstrukturatlas 1998 wurde in Berlin das Quartiersmanagement ins Leben gerufen. Dennoch zeigt der Sozialstrukturatlas 2003 eine Verschlechterung der sozialen Zustände vieler Stadtteile.

Der ca. 350 Seiten umfassende Sozialstrukturatlas Berlin wird von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz herausgegeben.

Er kann bei der Senatsverwaltung bestellt werden, unter Tel. Berlin 90 28 28 48 (15 Euro zuzügl. Porto) oder als PDF per E-Mail unter www.berlin.de/sengessozv/statistik/index.htmlexterner Link


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