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Updated: 18.12.2012 15:51
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Organizing an der Charité

IG BAU geht mit Reinigungskräften neue Wege im Kampf gegen Befristungen und für Arbeitsschutz

Justice for Janitors – für diese Forderung gibt es nicht nur in den USA genügend Anlässe. Kollegen von der Berliner IG BAU berichteten auf der express-Tagung zu Organisationsentwicklung Mitte Januar über skandalöse und zugleich ganz gewöhnliche Arbeitsbedingungen an einem der renommiertesten Krankenhäuser Deutschlands und stellten den TeilnehmerInnen ein ungewöhnliches Projekt zur Unterstützung und Organisierung der meist befristet beschäftigten Reinigungskräfte der Charité-Tochter CFM vor. Langfristig geht es um einen Haustarif für die 18 Gewerke des Klinikdienstleisters, bei dem viele MigrantInnen auf Basis von Einzelverträgen arbeiten. Wir baten Lars Dieckmann* um einen Bericht über die Aktivitäten der KollegInnen gegen Prekarisierung, made by Charité, und die bisherigen Erfahrungen mit ihrer Organisierungs-Kampagne:

»Die CFM hat das Ziel, bis zum Jahr 2010 für die Charité Einsparungen in Millionenhöhe zu erzielen.« [1] Dieser Satz schmückt stets die Presseerklärungen der Charité Facility Management (CFM) und beschreibt damit zugleich die Spannungsfelder, in denen sich gewerkschaftliche und soziale Aktionen bewegen. Die Prämisse eines absoluten Sparkurses gilt an einer der größten Kliniken Europas und zugleich einem der Vorzeigeprojekte der Berliner Politik. Die größte Klinik Deutschlands hat national wie auch international eine nicht zu unterschätzende Strahlkraft für die zukünftige Organisation medizinischer und nicht-medizinischer Versorgung in Krankenhäusern. Auch deshalb ist es neben der Abschaffung der unhaltbaren Arbeitsbedingungen notwendig, hier frühzeitig und mit aller Kraft gegen eine weitere Etablierung des »Systems CFM« im ohnehin prekären Sektor der Reinigungs- und Klinikdienstleistungen vorzugehen.

Bei der IG BAU Berlin Brandenburg hat sich zu diesem Zweck ein »Team CFM« gebildet. Das Kernteam besteht dabei aus dem Branchensekretär für Gebäudereinigung Mirko Hawighorst, dem stellvertretenden Regionalleiter Hannes Rosenbaum, dem Jugendbildungsreferenten Lars Dieckmann und einer Vielzahl engagierter, mutiger Kolleginnen und Kollegen im Betrieb der CFM. Bei größeren Aktionen werden zudem weitere hauptamtliche KollegInnen zur Unterstützung herangezogen. Dabei konzentrieren sich unsere Aktionen auf die Reinigungskräfte. Alle weiteren Berufsgruppen der CFM werden von unserer Schwestergewerkschaft ver.di betreut bzw. gemeinsam im Rahmen unserer Tarifgemeinschaft.

Die CFM ist europaweit mit über 2300 Beschäftigten einer der größten Anbieter nicht-medizinischer Dienstleistungen im Krankenhausbereich. Der »Auftraggeber« Charité hält 51 Prozent der Anteile an der CFM, die anderen 49 Prozent teilt sich ein Konsortium aus der VAMED AG, Hellmann Logistik und der Dussmann Gruppe – alle drei sind keine gemeinnützigen Teilhaber, sondern verfolgen klare Profitinteressen. Die Charité selbst avancierte nach der Umstrukturierung 2003 zu einer der größten Universitätskliniken Europas. [2] Sie hat als (bislang) einziger Auftraggeber der CFM natürlicherweise einen großen Einfluss auf die Abläufe bzw. Rahmenbedingungen der CFM.

Die Beschäftigten der CFM verteilen sich auf Grund ihrer Arbeitsverträge auf drei Gruppen. Die so genannten »Gestellten« besitzen einen Charité-Vertrag und sind an die CFM im Zuge des Outsourcing »ausgeliehen« worden. Daneben gibt es langfristig beschäftigte Reinigungskräfte, für die noch die alten Tarifregelungen des Gebäudereinigungshandwerks in Nachwirkung gelten. Und schließlich die größer werdende Gruppe von kurzfristig Beschäftigten, die lediglich einzelvertragliche Regelungen und gesetzliche Mindeststandards in Anspruch nehmen können. [3]

Die CFM als Aufgabe – Ausgangssituation

Im Sommer 2008 geriet die CFM verstärkt in den Fokus unserer Arbeit. Viele unserer Mitglieder, vorwiegend Reinigungskräfte, schilderten uns bedrückende Verhältnisse:

Die CFM setzte mit ihren Einsparungen bei den MitarbeiterInnenn nicht nur auf unbezahlte, verlängerte Arbeitszeit, Armutslöhne und auf Vorenthaltung tariflicher Bedingungen, sondern verstieß massiv gegen Regeln des Gesundheitsschutzes und zwang somit ihre meist prekär Beschäftigten, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Die Neueingestellten, aber auch viele »Alt-Beschäftigte« besaßen keinerlei oder nur unzureichende Schutzimpfungen, obwohl sie kontaminierte Gegenstände aller Art und in kontaminierten Räumen (Operationssäle, Krankenzimmer) reinigen mussten. In der CFM herrschte zudem ein Regime der Kurzzeitverträge. Obwohl stets genügend Arbeit vorhanden war, wurden Neueinstellungen überwiegend auf der Basis von befristeten Verträgen mit einer Laufzeit von nur wenigen Monaten vorgenommen.

Dieses Vorgehen erhöhte die Schwierigkeit, den KollegInnen Mut und Möglichkeiten zur Gegenwehr zu geben. Es wurde deutlich, dass eine reine Stellvertreterpolitik mittels individuellen Arbeitsrechtsverfahren etc. nicht zum Ziel führen würde, für alle Beschäftigten eine Verbesserung der Situation zu erreichen.

Gefragt waren andere Vorgehensweisen, um die Vereinzelung der Beschäftigten aufzuheben und einen öffentlichen Druck zu erzeugen, der nachträgliche Repressionen unwahrscheinlich machte. Parallel dazu entwickelten wir zusammen mit Teilen des Betriebsrats [4] und unserem Arbeitsjuristen eine Strategie, befristete Verträge für die Geschäftsführung so teuer wie möglich zu machen.

»Reinigungskräfte als Wegwerfartikel!?« – Die Medienkampagne zum Impfschutz

Um das Ziel, die Vereinzelung aufzuheben, zu erreichen und den KollegInnen zu zeigen, dass ihre Probleme keine Einzelfälle, sondern viele andere Beschäftigten ebenso betroffen waren, stellten wir zunächst eine interne Öffentlichkeit her. Wir informierten die Beschäftigten über ihre Rechte und Möglichkeiten in Bezug auf Schutzimpfungen und Arbeitsschutz. Parallel dazu sammelten wir Informationen über Fälle von Verstößen gegen das Arbeitsrecht und führten Mitgliederversammlungen durch, um Aktionen vorzubereiten und eigene Informationsketten aufzubauen. Dabei standen die Beschäftigten im Vordergrund, während wir Hauptamtlichen der IG BAU vornehmlich Vernetzungs- und Informationsarbeit leisteten.

Nach längeren Recherchen fanden sich KollegInnen, die bereit waren, die Zustände auch vor der Kamera zu kritisieren. [5] CFM-Beschäftigte berichteten so beispielsweise über die Arbeit ohne Schutzhandschuhe, mit blutverschmierten Wischmöppen und darin enthaltenen Spritzen, über die Gefahreneinweisungspraxis und den Einsatz von nicht geimpftem und unerfahrenem Reinigungspersonal in Operationssälen und Risikostationen. Damit erhielt die von uns geplante Veröffentlichung der Zustände eine wichtige authentische Grundlage. Zwar lagen uns interne Impflisten der CFM vor, jedoch hatten wir uns aus Rücksichtnahme auf die darin enthaltenen persönlichen, gesundheitlichen Daten der KollegInnen entschieden, diese nicht zu veröffentlichen. Die Medien hatten dementsprechend und auf Grund der Tragweite der Vorwürfe zunächst zurückhaltend reagiert und bestanden weiter auf ihrer »ausgeglichenen« Berichterstattung. Erst als sich die Charité [6] und dann die CFM in ihren Pressemitteilungen in Widersprüche verwickelten, berichteten einige Medienvertreter deutlicher und versuchten, weitere Kontakte zu den Beschäftigten zu erlangen. Diese waren jedoch mittlerweile durch ObjektleiterInnen und VorarbeiterInnen eingeschüchtert und von Interviews abgehalten worden.

Dennoch zeigte die Veröffentlichung Wirkung. In den nächsten Wochen berichteten uns die KollegInnen immer wieder, dass sie wiederholt durch Vorgesetzte aufgefordert wurden, sich untersuchen und impfen zu lassen. Auch die kritisierten Gefahreneinweisungen wurden nun durch die CFM ernster genommen und ausführlicher durchgeführt. Ein erster Erfolg, der zugleich den Beschäftigten neuen Mut gab, wie sich in späteren Aktionen zeigen sollte.

Ein Nebeneffekt dieser Aktivitäten war, dass die CFM nun gezwungen war, auch den befristet Beschäftigten die ungefähr 200 Euro teuren Impfungen anzubieten, und damit in diese KollegInnen »investieren« musste. Der Preis für eine Entlassung nach wenigen Monaten, so zynisch das klingt, wurde für die CFM teurer.

Schluss mit »Hire & Fire« – Die rechtliche Kampagne für unbefristete Verträge

Die Erfahrungen mit der Medienarbeit zeigten uns, dass eine solche öffentliche Empörung alleine nicht ausreichen würde, um die Situation zu verbessern. Ein Skandal ergibt noch keine unbefristeten Arbeitsverhältnisse, auch wenn die Geschäftsführung nun unter öffentlichem Druck stand.

Gemeinsam mit Mitgliedern des Betriebsrats und unserem »Vertrauensanwalt« suchten wir daher nach einer Möglichkeit für die Beschäftigten, selbst aktiv zu werden und dabei mit zu helfen, ihre Vertragssituation zu verbessern. Dabei stellte sich die Praxis der CFM, nur Kurzzeitbeschäftigte einzustellen, als erstaunlicherweise hilfreich heraus. Obwohl ständig neue Stellen im Reinigungsbereich ausgeschrieben waren, wurden befristete Verhältnisse beendet und neue kurzfristig Beschäftigte eingestellt. Der Betriebsrat hatte nun die Möglichkeit, Neueinstellungen zu widersprechen und damit den Arbeitgeber zu zwingen, seine Zustimmung zur Einstellung vor dem Arbeitsgericht ersetzen zu lassen. Bei einer Anzahl von mehreren hundert Neuverträgen pro Monat ein erheblicher und teurer Aufwand.

Vor dem Hintergrund dieser Möglichkeit konnten wir den kurzfristig beschäftigten KollegInnen eine Perspektive aufzeigen: Ihre Chance war es nun, sich auf interne Ausschreibungen zu bewerben und eine Kopie ihrer Bewerbung an den Betriebsrat weiterzuleiten. So konnte dieser auf vorhandene, interne Bewerbungen verweisen und den Arbeitgeber unter Druck setzen. Dieser Druck war deshalb vorhanden, weil es sich nicht um betriebsbedingte Kündigungen, z.B. durch Auftragsverlust handelte, sondern um fristgerecht ausgelaufene Verträge, die unabhängig von der Arbeitsdichte endeten.

Viele KollegInnen reagierten auf den verteilten Aufruf, sich zu bewerben, kopierten die Stellenausschreibungen, hängten diese auf dem Gelände der Charité aus und sorgten so für eine weite Verbreitung. Am Ende dieser Aktion konnten immerhin über 70 Entfristungen erreicht werden – ein weiterer Erfolg. Allerdings bedarf es weiterer Aktionen in diese Richtung, um eine grundsätzliche Abkehr der CFM von dieser Praxis zu erreichen.

Bewertung und Ausblick

In den letzten Monaten konnten wir gemeinsam mit den Beschäftigten einige kleine Erfolge erringen. Diese führten auch dazu, dass die Gewerkschaft als Möglichkeit zur Verbesserung der Arbeitssituation wieder wahrgenommen wurde. Gerade für die IG BAU gilt, dass vorhandene Mitglieder sich aktivierten und in großer Anzahl an Aktionen teilnehmen. Während wir vor Beginn der Kampagne einen starken Rückgang an Mitgliedern zu verzeichnen hatten, gelang es, bis zum Ende des Jahres den Trend umzukehren und mit einem Mitgliederplus von circa 50 neu- und wieder organisierten KollegInnen unsere Stärke auszubauen.

Die Mitglieder handeln weitgehend eigenständig und binden ihre KollegInnen in die Informationsketten ein. Diese AktivistInnen haben eine Signalwirkung auch auf andere Betriebsteile- und orte und überzeugen andere, mitzumachen und sich zu organisieren. Denn der Kampf um die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen bei der CFM wird weiterhin ein Schwerpunkt sein.

Die ersten Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch eine Menge Arbeit vor uns liegt. Die Beendigung des rechtlosen Zustands der CFM-Beschäftigten durch einen Haustarifvertrag ist dabei nur eine Aufgabe von vielen. Im Rahmen dieser Kampagne wird es weitere Aktionen geben, so treffen sich die KollegInnen zur Zeit, um die weitere Taktik und Strategie für die CFM zu besprechen. An Ansatzpunkten mangelt es nicht, seien es die Einschüchterungsversuche der VorarbeiterInnen bei älteren KollegInnen, um diese zu Auflösungsverträgen zu zwingen, oder die einfache Schikane, wie etwa fristlose Kündigungen von Auszubildenden.

Es hat sich für uns gezeigt, dass Selbstorganisation der Beschäftigten mit Unterstützung durch Gewerkschaften und deren Strukturen eine wirksame Möglichkeit birgt, auch den Konflikt »David gegen Goliath« in Richtung der vermeintlich Schwächeren zu drehen. Ein solches Vorgehen bedarf eines hohen Einsatzwillens aller Beteiligten, eines hohen Zeitaufwandes und der Möglichkeit, jenseits der (oft) stark strukturierten Gewerkschaftsaufgaben handeln zu können. Gleichzeitig muss klar sein, dass auch diese Form von gewerkschaftlicher Intervention an die realen Gegebenheiten gekoppelt ist und somit stets die Ziele der Gewerkschaftsbewegung im Auge behalten muss: die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen und die Stärkung gewerkschaftlicher Positionen zur Erreichung dieser Ziele innerhalb der Gesellschaft.

Kurz gesagt: Gelingt es durch diese Vorgehensweise, die ja weniger eine Neuentwicklung, sondern eine Rückbesinnung auf die Arbeitsweise der frühen ArbeiterInnenbewegung darstellt, nicht, die gewerkschaftliche Organisationsmacht wiederherzustellen, verfehlt auch die engagierteste Arbeit ihr Ziel. In Zeiten, in denen die vermeintliche Sozialpartnerschaft immer stärker ausgehöhlt wird, müssen sich die Gewerkschaften umorientieren. Doch ihre Stärke beziehen sie aus der Mitgliedschaft: Eine Gewerkschaft ohne aktive Mitglieder mag sich noch eine Weile als Mitglied in diversen staatlichen Gremien etwas Mitspracherechte sichern, auf dem politischen Feld besitzt sie jedoch keine Durchsetzungskraft zur Verbesserung der Lebensbedingungen mehr.

Um diese Verbesserung muss in den Betrieben und letztlich im gesellschaftlichen System gerungen werden.

* Lars Dieckmann arbeitet als Jugendbildungsreferent für die IG BAU Berlin Brandenburg. Information & Kontakt: GJEW e.V., Am Pichelssee 45, 13595 Berlin, Tel. (030) 36 20 19 10, Email: lars.dieckmann@igbau.de

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/09


(1) Pressemitteilung vom 5. Juni 2008, www.cfm-charite.de/internet/internet externer Link, Stand 22.02.09

(2) Eigene Angaben; www.charite.de/charite/organisation/geschichte externer Link, Stand 22.02.09

(3) Eine genaue Aufschlüsselung der Beschäftigtenzahlen nach Tätigkeit und Vertragsstatus wird bis heute von der Geschäftsführung gegenüber dem Betriebsrat verweigert. Die Verhältnisse ergeben sich daher aus eigenen Schätzungen. Ebenso kann keine stichhaltige Aussage über die tatsächliche Anzahl der Beschäftigten getätigt werden.

(4) Die Situation des Betriebsrats gestaltet sich schwierig, da nur ein Teil der Mitglieder gewerkschaftliche Positionen vertritt. Andere wiederum berichten unmittelbar an den Arbeitgeber oder stimmen in wichtigen Punkten den Positionen der Geschäftsführung ohne Einschränkung zu.

(5) Siehe dazu: www.youtube.com/watch?v=6dFMHqDznaE externer Link Video-Datei (Suchworte: »igbauTV, Gebäudereinigung«)

(6) Interessanterweise trat die Charité mit ihrem Arbeitsmedizinischen Dienst als »unabhängige« Kontrollstelle für ihre Unternehmenstochter auf.


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